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Titel: Alle fordern mehr Studierende, aber keiner will sie wirklich.
Datum: 1. März 2006 um 8:34 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Mehr Studierende fordern fast alle, aber keine Uni, kein Rektor oder Präsident und auch nur ganz wenige Professoren wollen sie wirklich haben. Im Gegenteil, mit der Umdefinition von Lehr- in Forschungsuniversitäten, mit der Selbstauswahl der Studierenden durch die Hochschulen, mit höheren Studiengebühren, versuchen sich die Hochschulen, die Studierenden fern zu halten. Ein Beitrag von Karl-Heinz Heinemann.
Warum die Bildungsrhetorik so folgenlos bleibt
Im Jahr 2014 soll die Hälfte eines Altersjahrgangs Abitur machen, 40 Prozent sollen studieren und schließlich 30 Prozent einen Studienabschluss bekommen. Dann hätten wir 2,7 Millionen Studenten, also noch mal 35 Prozent mehr als heute. Die Lehrkapazitäten, also das Personal an den Hochschulen müsste auf 165 bis 190 Prozent des Standes von 2000 aufgestockt werden, hat der Wissenschaftsrat berechnet. Er hat Empfehlungen zum Ausbau der Hochschulen verabschiedet. Wenn dieser Ausbau unterbleibt, dann würden hoch qualifizierte Arbeitskräfte in den Ingenieur- und Lebenswissenschaften fehlen, Abiturienten würden in Warteschleifen abgedrängt, sie verdrängen dann auf dem Lehrstellenmarkt die Haupt- und Realschüler, die dann letztlich leer ausgehen werden. Die Ausbildungszeiten verlängern sich, weniger Menschen zahlen in die Rentenkasse, und so weiter, es geht um Wachstum und Innovation, kurz: um den Standort. Das ist eine Sprache, die doch mittlerweile jeder versteht. So weit die ebenso richtige und bekannte wie folgenlose Bildungsrhetorik.
Die allgemein propagierten Ziele sind das eine, doch das unternehmerisch und wettbewerbsorientierte Handeln der Rektoren und Hochschulfunktionäre ist das andere, und zwischen beidem tut sich ein tiefer Widerspruch auf. Mehr Studenten? Von mir aus, aber nicht an meiner Hochschule, so denken wohl viele, und einige sagen es auch. Der jüngst wieder gewählte Rektor der Universität Mannheim zum Beispiel, der Jurist Hans-Wolfgang Arndt: Die Forderung der Hochschulrektorenkonferenz, Studienkapazitäten auszuweiten, hält er für unsinnig und überflüssig: Die Massenuniversität war nicht erfolgreich, sie habe sich völlig überlebt, erklärte er jüngst in einem Interview. Lieber weniger Studenten, dann könne seine Hochschule besser werden, ist sein Credo. Und er steht nicht allein. Der Rektor einer benachbarten baden-württembergischen Traditionsuniversität spekuliert schon darauf, die gegenwärtig auf 500 Euro begrenzten Studiengebühren auf 3000 Euro herauf setzen zu können, so viel sei der gute Name seiner Universität sicher wert. Im Spiel von Angebot und Nachfrage werde das die Nachfrage drosseln, und genau das ist gewünscht. In Göttingen setzt der Rektor Kurt von Figura seine Pläne zur Profilierung der Uni schon um – er baut Studiengänge bei den Sozialwissenschaftlern ab, das sind fast 3000 der 24 000 Göttinger Studienplätze. Die Bonner Universität erklärt sich der Forschungsuniversität – was will sie da noch mit 30 000 Studierenden? Gerüchte, dass das Rektorat ganz rasch die Studienplätze drastisch reduzieren möchte werden eifrig dementiert. Diesen Rektoren ist eines gemeinsam: Sie heben vielleicht noch die Hand, wenn in einer Resolution der notwendige Ausbau der Studienplätze gefordert wird, aber ganz konkret an ihrer Uni tun sie genau das Gegenteil, sie bauen Studienplätze ab. Die Hochschulen bekommen unternehmerische Freiheiten. Sie sollen sich profilieren, müssen Leuchttürme werden, die aus der Masse hervor ragen. Das wird belohnt, zum Beispiel mit Geld aus der Exzellenzinitiative. Eine Uni mit dem Ruf, eine Forschungsuniversität zu sein, ist attraktiv für Drittmittelgeber, sie hat Anziehungskraft für die guten Wissenschaftler, sie kann Kapital akkumulieren in den Währungen, die an der Uni zählen: Forschungsaufträge, Drittmittel, Patente, Ruhm und Ehre durch Veröffentlichungen. Warum sollte auch nur ein Rektor, ein Senat auf die verrückte Idee kommen, sich als Massenuniversität profilieren zu wollen, mit besonders vielen Studienplätzen oder gar einem Programm, mit dem die Kinder aus bildungsfernen Schichten in die akademische Welt eingeführt werden? Selbst eine Universität wie Bochum versucht, den haut gout aus Beton und Malocherstudis los zu werden, indem sie einen „Research Campus“ als Parallelstruktur zum Normalbetrieb gründen will.
Künftig können sich die Hochschulen ja ihre Studierenden selbst auswählen, da kann die Uni Bonn als selbst ernannte Forschungsuniversität, oder Aachen sowieso, all die unprofilierten Studierwilligen wegschicken. Sollen sie doch nach Köln gehen, nach Wuppertal oder Siegen zum Beispiel.
Ein moderner Rektor, wie der zitierte Mannheimer Hans-Wolfgang Arndt, versteht sich als Manager eines Dienstleistungsunternehmens. Er ist allein für sein Unternehmen verantwortlich und nur seinem Aufsichtsrat rechenschaftspflichtig, also dem Universitätsrat, und nicht der Gesellschaft. Die Hochschulen werden autonom und bekommen mehr Macht, sich an ihrem Profil, ihren sozusagen unternehmensspezifischen Zielen zu orientieren. Für die Umsetzung gesellschaftspolitischer Ziele, wie die Schaffung von mehr Studienplätzen ist ein Rektor, eine Hochschule nicht zuständig. Mehr Studierende, als allgemeine Forderung werden das noch fast alle Rektoren und Präsidenten unterschreiben, aber keine Uni, kein Rektor oder Präsident und auch nur ganz wenige Professoren wollen sie wirklich bei sich herum sitzen haben. Die ausgelobten 1,9 Milliarden Euro aus der Exzellenzinitiative lösten Hektik in den Rektoraten aus. Meine Prognose: selbst die doppelte Summe als Preis für innovative und massenfreundliche Studienprogramme wird nicht ein Zehntel so viel Begeisterung und Ideenreichtum hervor bringen.
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