Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: NATO-Gipfel im September mit 60 Staats- und Regierungschefs einschließlich Poroschenko aus der Ukraine
Datum: 18. August 2014 um 9:05 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Erosion der Demokratie, Europapolitik, Rechte Gefahr
Verantwortlich: Albrecht Müller
Das ist ein Signal für eine Verschiebung zulasten der Vereinten Nationen und zu Gunsten der Militarisierung der Politik. Die Einladung des ukrainischen Präsidenten ist das Gegenteil einer vertrauensbildenden Maßnahme im Verhältnis zu Russland. Der frühere MdB und Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium Willy Wimmer (CDU) hat dazu einen Text geschrieben. Im Nachtrag 2 wird zum besseren Verständnis auf einen früheren Brief Wimmers an Kanzler Schröder hingewiesen. Albrecht Müller
Willy Wimmer
NATO-Gipfel in Wales am 4./5. September 2014. Wo ist die deutsche Position?
Dieser Gipfel hat es in sich. Nicht nur, weil für den Gastgeber, die britische Regierung, ganz klare innenpolitische Gründe vor dem Unabhängigkeitsvotum in Schottland und demnächst wohl auch in Wales zu erkennen sind. Wales, so sagt es die Regierung Cameron, soll auf die Weltbühne gehoben werden. Selbstredend geht das nur über eine auch für Wales zuständige Regierung in London und ist als Warnung für die Schotten bei der Abstimmung am 18. September 2014 gedacht. NATO, die personifizierte Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Mitgliedsstaaten? Bei Großbritannien ist das allerdings kein Wunder. Deutschen Diplomaten ist schon seit Jahrzehnten und bei jedem Konflikt nach Ende des Kalten Krieges schmerzlich bewusst geworden, wie sehr London jede Verhandlung über Krisen und Kriege davon abhängig gemacht hat, welche Auswirkungen die jeweilige Position auf den Zusammenhalt des Inselreiches haben werde.
Wir dürfen schon aufhorchen, wenn es um die Zahl der staatlichen Repräsentanten geht, die sich in Wales einfinden werden. Es sind nicht nur die Vertreter der Mitgliedsstaaten der NATO. Nein, es sind 60 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt, die sich die Einladung nach Wales etwas kosten lassen. Für sie gilt das olympische Motto, nach dem dabei gewesen sein alles bedeutet. Bei dieser Gesamtzahl ist nicht nur Erstaunen angebracht. Damit wird eine Perspektive für die NATO sichtbar, die an prominentester Stelle einst der berüchtigte Vizepräsident der USA, Dick Cheney, ausgegeben hatte. Zunächst haben die USA die Vereinten Nationen genötigt, gleichsam die NATO als militärischen Dienstleister für ihre sicherheitspolitischen Maßnahmen zu akzeptieren. Das darüber verfolgte amerikanische Ziel ging und geht in eine völlig andere Richtung. Die Vereinten Nationen sollen soweit marginalisiert werden, dass sich baldmöglichst die von den USA dominierte NATO an die globale Stelle der Vereinten Nationen setzen kann.
Auf einen Gast wird der erstaunte Kontinent besonders achten. Es handelt sich um den ukrainischen Präsidenten Poroschenko, der zumindest in einem großen Teil seines Landes mit einer Mehrheit von über 50 Prozent derjenigen gewählt worden ist, die zur Wahl unter den obwaltenden Umständen gegangen sind. Das bedeutet in der Ukraine nicht viel, weil auch der gestürzte Präsident Janukowitsch bei freien Wahlen nach internationalen Standards gewählt worden ist. Fraglich ist allerdings, was die von der deutschen Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel, gebetsmühlenartig an die Adresse des russischen Präsidenten Putin gerichtete Mahnung, sich nicht in der Ost-Ukraine einzumischen, eigentlich soll? Die NATO macht durch die Einladung ihres Kumpels aus Kiew doch mehr als deutlich, wie sehr sie die inneren Verhältnisse in der Ukraine bestimmt. Sie ist mehr als jeder andere Partei in dem Bürgerkrieg, nicht zuletzt über amerikanische Privatarmeen, die im amerikanischen Staatsauftrag die Ostukraine von russisch-sprechenden Menschen „säubern“ sollen. Zu diesem Komplizen-haften Verhalten zählt aber zunächst das beharrliche Unterdrücken jeder Aufklärung der schrecklichen Tragödie von Flug MH17 mit den fast 300 toten Fluggästen und Mannschaftsmitgliedern, dem Massaker auf dem Maidan-Platz in Kiew und den Brandopfern im Gewerkschaftshaus von Odessa. Von der einstmals vielgerühmten „westlichen Wertegemeinschaft“ ist nichts mehr übrig geblieben.
Natürlich ist die Anwesenheit von Präsident Poroschenko in Wales ein Signal. Dazu dürfte auch der Blick auf seine Entourage zählen. Werden wir zum ersten Male bei einem NATO-Gipfel NAZI-Militärs als Vertreter der ukrainischen Nationalgarde-Einheit „Asow“ begrüßen dürfen? Hat auch das Signalcharakter für Europa? Will man mit diesen Leuten in Wales daran erinnern, warum vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg ausgebrochen war? Es fällt ja schon auf, wer in Kiew so alles zu den Faschisten schweigt, obwohl man einen Aufschrei erwarten müsste. Bereitet man sich schon auf Marie Le Pen vor, indem man diese Bagage hoffähig macht? Oder will die amerikanische NATO-Führungsmacht nur klarstellen, dass sie es auch in Europa mit jedem macht, den sie gegen Russland in Stellung bringen kann?
Jetzt müsste jeder Deutsche erwarten können, dass die deutsche Bundeskanzlerin vor einem derartig gewichtigen NATO-Gipfel die deutsche Öffentlichkeit über eine Regierungserklärung im Deutschen Bundestag wissen lässt, wie nicht sie persönlich sondern Deutschland die Zukunft der NATO sieht? Oder will sie den Umstand, wie konturenlos die deutsche Außenpolitik in diesem Kontext ist, dadurch übertünchen, dass sie lieber gar nichts sagt. Dann kann man später natürlich darauf verweisen, welchen Einfluss man als angeblich „mächtigste Frau der Welt“ auf amerikanische Zielvorgaben gehabt haben könnte. Dafür steht für Deutschland bei diesem NATO-Gipfel alles auf dem Spiel. Das in Aussicht genommene transatlantische Freihandelsabkommen bedarf nur der „Übernahme“, d.h. der politischen Steuerung der Ukraine durch die USA, um aus Ländern wie Frankreich, Benelux, Österreich, Italien und Deutschland Kolonialgebiete unter extensiver US-Kontrolle zu machen. Da sieht man nicht nur im Großen, sondern auch die von den USA auf deutschem Territorium beabsichtigten Fluggastkontrolle durch amerikanisches Staatspersonal. Wir sollen von unseren natürlichen Partnern, weil Nachbarn im gemeinsamen Haus Europa, auf Dauer getrennt werden. Natürlich mit Hilfe der baltischen Staaten, Polens und der Ukraine. Von Bulgarien und Rumänien sollte man alleine schon deshalb schweigen, weil schon der Besuch von US-Senatoren in diesen Ländern die dortigen Regierungen veranlasst, ihre Politik – siehe „south stream“ – zu ändern. Für Deutschland war seit dem „goldenen Zeitalter Deutschlands“ unter dem Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl* Russland der Nachbar und der Partner. Für die USA ist Russland erkennbar der Rivale, der Feind, die Beute**. Das soll in Wales zementiert werden.
* Nachbemerkung 1 von A.M.: Na ja, das „goldene Zeitalter“ der West-Ost-Partnerschaft hat nun wahrlich nicht erst mit Helmut Kohl begonnen.
** Nachbemerkung 2 von A.M. zum besseren Verständnis von Willy Wimmers Sorgen:
Wimmer hat im Jahr 2000 an einer vom State Department der USA und dem American Enterprise Institute getragenen Konferenz in Bratislava teilgenommen und dem damaligen Bundeskanzler Schröder in einem Brief davon berichtet. Die NDS hatten am 25.4.2014 darauf hingewiesen. Der Brief ist wegen seiner Aktualität hier noch einmal angehängt:
Anhang:
Willy Wimmer, Mitglied des Bundestages,
Vorsitzender des CDU-Bezirksverbandes Niederrhein,
Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE
Herrn Gerhard Schröder, MdB,
Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland,
Bundeskanzleramt, Schlossplatz 1, 10178 Berlin
Berlin, den 02.05.00
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
am vergangenen Wochenende hatte ich in der slowakischen Hauptstadt Bratislava Gelegenheit, an einer gemeinsam vom US-Außenministerium und American Enterprise Institute (außenpolitisches Institut der republikanischen Partei) veranstalteten Konferenz mit den Schwerpunktthemen Balkan und NATO-Erweiterung teilzunehmen.
Die Veranstaltung war sehr hochrangig besetzt, was sich schon aus der Anwesenheit zahlreicher Ministerpräsidenten sowie Außen- und Verteidigungsminister aus der Region ergab. Von den zahlreichen wichtigen Punkten, die im Rahmen der vorgenannten Themenstellung behandelt werden konnten, verdienen es einige, besonders wiedergegeben zu werden:
Nach dieser sehr freimütig verlaufenen Veranstaltung kommt man in Anbetracht der Teilnehmer und der Veranstalter nicht umhin, eine Bewertung der Aussagen auf dieser Konferenz vorzunehmen.
Die amerikanische Seite scheint im globalen Kontext und zur Durchsetzung ihrer Ziele bewusst und gewollt die als Ergebnis von 2 Kriegen im letzten Jahrhundert entwickelte internationale Rechtsordnung aushebeln zu wollen. Macht soll Recht vorgehen. Wo internationales Recht im Wege steht, wird es beseitigt. Als eine ähnliche Entwicklung den Völkerbund traf, war der Zweite Weltkrieg nicht mehr fern. Ein Denken, das die eigenen Interessen so absolut sieht, kann nur totalitär genannt werden.
Mit freundlichen Grüßen
W. Wimmer
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=22855