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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Lebhaft nachgefragte Ladenhüter
Datum: 24. April 2007 um 8:09 Uhr
Rubrik: „Lohnnebenkosten“, Privatisierung öffentlicher Leistungen, Strategien der Meinungsmache, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Wenn sich einer jenseits der überwiegend veröffentlichten wirtschaftspolitischen Meinung bewegt: was bringt ihm das ein? Nun, es wird natürlich einsam um ihn. Aber dafür kann er nachdenken. Zum Beispiel darüber, warum die Wirtschaftspolitik so manches untaugliche Erzeugnis im Angebot hält. Denn gäbe es für die Wirtschaftspolitik eine Stiftung Warentest, müsste deren Urteil „nicht empfehlenswert“ oder „mangelhaft“ lauten. Doch diese Stiftung gibt es nicht, und deshalb sind untaugliche Erzeugnisse nicht etwa als Ladenhüter oder Ramschware bekannt, sondern wie Qualitätsware lebhaft nachgefragt. Bei erheblichem Werbungsaufwand, allerdings. Dank der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, gesponsert vom Unternehmensverband Gesamtmetall.
Anmerkungen zu den Angeboten der vorherrschenden Wirtschaftspolitik von Hans-Ulrich Spree.
Belege? Bitte sehr.
Der Kündigungsschutz soll weiter gelockert, am besten ganz aufgehoben werden. Warum eigentlich? Aus empirischen Untersuchungen geht hervor, dass das geltende Recht für die Personalwirtschaft praktisch belanglos ist. Kaum ein Unternehmer ist gehindert zu tun, was ihm zweckmäßig erscheint, selbst wenn er sich gehindert „fühlt“. Die Bundesagentur für Arbeit unterstreicht das mit ihren Zahlen über das erste Vierteljahr 2007: Hunderttausende wurden entlassen, Hunderttausende eingestellt – trotz Kündigungsschutzgesetz. Aber da die dauernde Diskussion zumindest auf die Stimmung der Beschäftigten drückt und sie jedenfalls nicht zur Konsumnachfrage anregt: schleunigst von der Tagesordnung absetzen!
Und dann das dauernde Gerede über die Lohnnebenkosten, die angeblich keine Nebensache sind: es nervt nur noch. Denn es geht politisch ja lediglich um die Arbeitgeberanteile zu den Sozialversicherungsbeiträgen, nicht etwa um die Zusatzkosten insgesamt. Und kaum jemandem ist klar, um wie viel, besser: um wie wenig die Kosten je Arbeitseinheit vermindert würden, wenn man diese Beitragsanteile kürzte. Die für den internationalen Wettbewerb maßgebenden Lohnstückkosten rechtfertigen jedenfalls keinerlei Besorgnis.
Und wenn man sich bewusst ist, dass das ganze Theater um die „Rente mit 67“ – alles bereits im Vorgriff auf 2012 inszeniert – lediglich auf eine Beitragssatzverminderung um 0,5 bis 0,7 Prozentpunkte 2029 hinausläuft: ja, du meine Güte – warum erörtert man nicht lieber gesamtwirtschaftliche Produktivitätsfortschritte? Oder den (Un-) Sinn weiterer Steuersatzsenkungen zum Nachteil des öffentlichen Sektors und der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage?
Ein letzter Punkt, wieder nur beispielshalber: das Privatisieren öffentlicher Einrichtungen und Leistungen. Dass die gesetzliche Krankenversicherung einst überwiegend paritätisch finanziert wurde, ist angesichts der vielen Zuzahlungen durch Patienten nur noch Erinnerung. Und wie manches öffentliche Unternehmen, wie mancher Wohnungsbestand wurde inzwischen abgestoßen – ohne einen dauerhaften Vorteil für Bürger und Beschäftigte!
So kommt es dann, dass die Bediensteten von Deutsche Post WorldNet mit ihren Sozialversicherungsbeiträgen dazu beitragen (müssen), die mit Dumpinglöhnen abgespeisten und deshalb auf Transferleistungen angewiesenen Beschäftigten von Wettbewerbern über Wasser zu halten. Und die Briefsendungen von Behörden landen, der geringeren Kosten wegen, bei diesen Wettbewerbern. Der Staat muss ja sparen.
Dass in der Wirtschaftspolitik vieles nicht als ungereimt erscheint, hängt sehr wahrscheinlich mit einem einfachen Sachverhalt zusammen. Wie erlebt, wie erfährt der einzelne denn „Wirtschaft“?
Das geschieht immer durch eine einzelne Wirtschaftseinheit: einen Haushalt, einen Betrieb, eine Gemeinde, ein Unternehmen. Und was für diese einzelne Wirtschaftseinheit jeweils (betriebs-) wirtschaftlich richtig ist: müsste es dann nicht auch für den Staat insgesamt und für die Volkswirtschaft richtig sein?
Nein, eben nicht. Darin liegt der Irrtum. Denn wer Betriebswirtschaft gesamtwirtschaftlich zu adeln versucht, landet zwangsläufig im Unfug.
Das ist ein bisschen schwierig zu begreifen. Aber die Folgen des Unfugs sind immerhin da und dort leicht zu besichtigen.
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