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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Nachtrag zu Globalisierung und ZDF-Dreiteiler dazu
Datum: 30. März 2007 um 15:04 Uhr
Rubrik: Globalisierung, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Albrecht Müller
Zu den beiden Tagebucheinträgen „Globalisierung als Entschuldigung fürs Nichtstun und für Fehlentscheidungen“ (28.3.) und „Mein Gott, dafür zahlen wir Gebühren“ (29.3.) schickte Werner Calmus ergänzende zugespitzte Hinweise mit vielen Fakten, im wesentlichen zum Beleg der These, dass gewaltige Globalisierungsschübe und Strukturveränderungen unserer Industrie schon hinter uns liegen. Albrecht Müller.
Werner Calmus am 29.3.:
Strukturprobleme vs. konjunkturelle Probleme, oder: Avanti, Dilettanti!
Wer konjunkturelle Probleme nicht versteht, kann auch strukturelle sozio-ökonomische Probleme nicht so recht begreifen – und macht eine Milchmädchenrechnung à la Sinn, Raffelhüschen oder Rürup (et al) auf. Ganz zum eigenen Nutzen, versteht sich. Das Ergebnis ist eine Flut an verschlagworteten Lügen, die täglich in Form eines Orwell’schen Neusprech auf uns niederprasseln – entweder aus “hochoffiziellem” Munde, oder eben als “Dokumentationen”, oder gar mehr oder minder plump in “Unterhaltungssendungen” versteckt.
Schon der Begriff “Globalisierung” für die heutige Entwicklung ist ein Witz: das Welthandelsvolumen sowie die globale Handelsvernetzung des letzten Jahrhunderts hatte zwei Spitzenwerte: den ersten 1914, den zweiten 1975 – erst ab dem letzteren Zeitpunkt wurde der Spitzenwert von 1914 wieder erreicht!
Aber betrachten wir nur einmal die letzten vier Jahrzehnte – sie waren beherrscht vom “Schreckgespenst Japan” – hier nach Branchen gegliedert:
Die Zweiradindustrie: während der 60er Jahre starb sowohl die britische als auch die deutsche Industrie motorisierter Zweiräder nahezu völlig aus. Der Grund hierfür lag einerseits in der zunehmenden Käufergunst für Automobile, und andererseits darin, daß die japanischen Unternehmen motorisierte Zweiräder als “Freizeitgeräte” begriffen und entspr. attraktive Produkte anboten. Die Folge: legendäre deutsche (“DKW”, “Horex”, “Zündapp”, “Kreidler”, “Victoria”, “Maico”) und britische (“BSA”, “Royal Enfield”, “Velocette”, “Triumph”, “Norton”, “Villiers” u.v.m.) Marken verschwanden – einige nebst Produktionsanlagen nach China oder Indien –
und der Name “Honda” wurde weltweit zum Synonym für motorisierte Zweiräder aller Größen und Klassen.
Die Uhrenindustrie: im selben Zeitraum verschwanden die klangvollsten deutschen Namen quasi in der Versenkung, verloren massiv Marktanteile und konnten sich nur noch über massive Gesundschrumpfung, bzw. Konfektionierung eigener Baumuster mit japanischer Quartz-Uhrenelektronik retten. Statt “Kienzle”, “Junghans” u.v.a. wurden “Seiko” und “Citizen” weltweit zu Synonymen für moderne Armbanduhren.
Die Kamera- und optische Industrie: im selben Zeitraum verschwanden die einstals berühmtesten Namen dieser urdeutschen Domäne: Rollei und Voigtländer fusionierten, und selbst die Auslagerung deren Fertigung nach Singapur zu Anfang der 70er Jahre konnte das “Aus” für diese Marken nicht mehr verhindern. Schneider-Kreuznach stellte seine “Edixa”-Kameraproduktion ein, und Zeiss-Oberkochen stellte die Kameraproduktion ebenfalls – etwa 3 Jahrzehnte später endgültig, trotz Kooperation mit japanischen Kamera- und Optik-Herstellern. (Yashica-Contax). Leitz (jetzt “Leica”) schrumpfte zu einem Nischenanbieter für nostalgische Feinmechanik und Optik, und kann heute nur noch dank einer Kooperation mit Panasonic (Matsushita) überleben. Nur noch einige wenige tausend Leicas sowie ein paar Hundert profssionelle Rolleis werden heute noch im “Manufakturbetrieb” in Deutschland hergestellt. “Nikon” und “Canon” wurden hingegen weltweit zu Synonymen für professionelle und erschwingliche Kameratechnik.
Die Unterhaltungs-Elektronikindustrie: im nämlichen Zeitraum entdeckten die Japaner die “Technisierung” der westlichen Wohnlandschaften durch attraktive Stereo- und Fernsehgeräte, welche die tumb-biederen deutschen “Musik- und Fernsehtruhen” in der Käufergunst ziemlich schnell ablösten. Firmen wie AEG-Telefunken, Philips, Grundig, Loewe, Saba und Metz erlebten daraufhin einen Niedergang ohnegleichen – zum weltweiten Synonym für Unterhaltungs-Elektronikgeräte wurden Namen wie Sony, Aiwa, Pioneer, u.v.m.
Die Computer-Industrie: diese starb in Deutschland als entwicklungsfähige High-Tech Kernindustrie endgültig zum Anfang der 80er Jahre, mit dem Untergang von Telefunken und deren TR440-Großrechner. Übrig blieb Siemens, ein Unternehmen, daß als “Bank mit angeschlossener Elektroabteilung” bewitzelt wurde, und statt Eigenentwicklungen (trotz Milliarden an öffentlichen Forschungsgeldern!) lediglich Speicherchip-Technologie von Toshiba lizenzierte, und
Rechnertechnologie von Fujitsu zukaufte. Kleinere, durchaus leistungsfähige Unternehmen wie CTM (Computertechnik Müller, Konstanz) oder Nixdorf (Paderborn) scheiterten am patriarchalischen, visionslosen Führungsstil und dem Mangel an Entwicklungs-Finanzierung. Heute stehen – weltweit – Namen wie Dell, Hewlett-Packard, Sun Microsystems und Apple als Synonyme für Computertechnik, bei allen Marken handelt es sich um in Asien gefertigte Geräte.
Nehmen wir jetzt noch die anderen “strukturellen Katastrophen” dieses Zeitraums hinzu, wie z.B. die Verdrängung der heimischen Steinkohle durch das viel billigere Erdöl, z.B. die Abwanderung der Textil, Leder- und Schuhindustrie, zuerst in die südeuropäischen, dann später in die asiatischen Länder, dann muß man sich fragen, wie Deutschland all’ dies überleben – und dabei Spitzen-Exportnation bleiben konnte? Lag dies nicht zu einem guten Teil an der tatsächlich vorhandenen Flexibilität und Qualifikation, sowie dem Fleiß der deutschen Arbeitnehmer – Eigenschaften, die ständig aus “Expertenmund” in Abrede gestellt werden?
Nun, mit den Fähigkeiten unserer derzeit die öffentliche Meinung beherrschenden “Ökonomie-Experten” wäre dies sicherlich nicht möglich gewesen. Denn diese hätten, dem britischen Beispiel folgend, schon damals Deutschland durch “Thatcherismus” zu einem binnenwirtschaftlichen Ödland gemacht. Dank einer klugen, die Binnenwirtschaft stets stützenden makroökonomischen Politik der Regierung Helmut Schmidts trat dies jedoch nicht ein, Deutschland war und blieb – gemeinsam mit Japan – an der Spitze der Exportnationen. Dies alles sollte sich erst mit der “Ära Kohl” ändern – und zwar zum Schlechten, wohlgemerkt (!) – durch die wirtschaftlich außerordentlich inkompetente, ja geradezu unverantwortliche Art der “Wiedervereinigung”, die den Grundstein für die nachfolgende Lawine der “Umverteilung von unten nach oben” legte.
Denn die massenhafte Vernichtung der ostdeutschen Betriebe, die den West-Konzernen zum Fraße vorgeworfen wurden, bewirkte eine sich flächenbrandartig ausbreitende Ost-Arbeitslosigkeit – was nicht nur eine gigantische Arbeitskräfte-Wanderbewegung in Richtung Westen verursachte, sondern zugleich die Gesamt-Arbeitslosenzahl schlagartig in die Höhe trieb. Hier sei angemerkt, daß die Regierung Kohl tatsächlich mit nahezu 3 Millionen Arbeitslosen (West!) in die Wiedervereinigung” hineinging, geschönt nur durch zahllose ABM-Maßnahmen und “Vorruhestandsregelungen” – Geschenke an die West-Wirtschaft zu Lasten der Sozialkassen, die in den folgenden Jahren noch weitaus stärker geplündert werden sollten.
So ist die heutige Entwicklung nur die logische Konsequenz Kohl’scher Politik, fortgesetzt von Schröder: Auszehrung der Sozialkassen durch die Hinnahme verfestigter hoher Arbeitslosigkeit, mit der Folge ungeheuren Lohndrucks und der Verarmung breiter Arbeitnehmerschichten. Das immer wieder heruntergeleierte Patentrezept – “Lohnzurückhaltung schaffe Arbeitsplätze durch Wettbewerbsfähigkeit” – wird dabei beständig und wie zum Hohn ad absurdum geführt. Die Gewinne und Manager-Gehälter der DAX-notierten deutschen Unternehmen sowie der Finanzwirtschaft explodieren Jahr für Jahr in Folge, die Außenhandelsbilanz desgleichen, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sowie deren Einkommen schrumpft hingegen ständig weiter – bei steigenden Energiekosten, Verbrauchssteuern, Sozialabgaben und “eigenverantwortlichen”, das immer magerer werdende Arbeitnehmer-Einkommen zusätzlich schmälernden Zuzahlungen für Krankheitsversorgung und Altersvorsorge.
Weder Lohnzurückhaltung, noch die in den letzten Jahren großzügigst gewährten Unternehmens-Steuererleichterungen haben tatsächlich für mehr Arbeitsplätze gesorgt, sondern nur die Unternehmens- und Kapitalgewinne höher getrieben – bei stetem Jammern der so reich Beschenkten über “mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit”.
Als Fazit läßt sich hieraus nur ziehen, daß unsere Gesellschaft unter die schlimmste Sorte von Räubern gefallen ist, die man sich vorstellen kann – einer wahrhaft asozialen “Geld-Elite” – und diese sitzt an den Schaltstellen der politischen und der medialen Macht, die sie mit ungeheurer Dreistigkeit mißbraucht!
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