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Titel: Immer wieder sorgt die GfK für maximales Fremdschämen. Was soll das?

Datum: 26. Juni 2014 um 11:24 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Liebe Kollegen von SPIEGEL Online,
mir ist vollkommen bewusst, dass Ihr keinen einfachen Job habt. Für Eure Chefs zählen nur Klicks: Und Klicks erreicht man natürlich vor allem dann, wenn man möglichst viele Artikel publiziert, die mit möglichst wenig Arbeitsaufwand möglichst viele Leser finden. Millionen Fliegen können schließlich nicht irren. Ich weiß auch, dass Ihr eine viel zu dünne Personaldecke habt und die Vorgaben von oben unmöglich mit journalistisch sorgfältigen und vielleicht sogar kritischen Artikeln erfüllen könnt. Aber mal Hand aufs Herz: Wie könnt Ihr es eigentlich mit Eurer Berufsehre vereinbaren, ein Stück wie das gestern erschienene „Kaufen, kaufen, kaufen“ zu veröffentlichen, in dem Ihr eine komplett sinnfreie Pressemeldung der GfK redaktionell nachplappert und Eure Leser damit für dumm verkauft? Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Quelle: SPIEGEL Online

Zur GfK und ihrem berühmt-berüchtigten Konsumklimaindex wurde schon viel geschrieben – u.a. bei den NachDenkSeiten. In meinem Artikel vom Mai letzten Jahres schreibe ich eigentlich alles, was man zu diesem Statistik-Orakel wissen muss und frage „die Medien“, warum sie den GfK-Konsumklimaindex nicht einfach ignorieren können. Klar, die NachDenkSeiten gehören für einen SPIEGEL-Online-Volontär sicher nicht zur Standardlektüre und es wäre anmaßend, zu glauben, dass ein Gigant wie SPIEGEL Online die Ratschläge eines Zwerges wie den NachDenkSeiten beherzigt. Aber müsst Ihr noch einen draufsetzen, indem Ihr die gestrige GfK-Meldung, die selbst für GfK-Verhältnisse außergewöhnlich dümmlich ist, unkommentiert nachplappert?

Die Kernaussage der GfK-Meldung besteht darin, dass die Deutschen sich in diesem Monat angeblich in einem Konsumrausch befinden, weil die EZB vor zwei Wochen den Leitzins von 0,25% auf 0,15% gesenkt hat. Diese Aussage ist, sagen wir es einmal vorsichtig, gewagt. Zum einen besteht keine erkennbare Korrelation zwischen dem GfK-Konsumklima und den real gemeldeten Umsätzen des Einzelhandels. Oder um es einfacher zu formulieren: Was die GfK dort meldet, hat nachweisbar nichts mit der Realität zu tun. Es kann sein, dass in diesem Monat tatsächlich mehr konsumiert wurde. Es kann aber auch sein, dass weniger konsumiert wurde. Bis die offiziellen Zahlen vorliegen, kann dies niemand wissen. Die realen Zahlen stagnieren jedenfalls seit 1990. Der „Kaufrausch“ findet, wie so oft, nur in den Köpfen der PR-Abteilung der GfK statt.

Zum anderen ist die Begründung für den vermeintlichen „Kaufrausch“, die die GfK in diesem Monat herausgekramt hat, derart an den Haaren herbeigezogen, dass man gar nicht mehr weiß, ob man jetzt laut lachen oder bitterlich weinen soll. Wegen der Leitzinssenkung sollten, so steht es bei SPIEGEL Online, die „Kreditinstitute […] die Einlagenzinsen wohl rasch kappen dürfen, [wodurch] Sparen für die Kunden immer unattraktiver [wird].“ Noch unattraktiver? Das ist interessant. Seit Senkung des Leitzinses sind die Einlagenzinsen in der Tat gesunken – jedoch nicht im Prozent-, sondern im niedrigen Promillebereich.

Quelle: OnVista

Und die Menschen sollen nun, da es anstatt 0,72% nur noch 0,71% für das Tagesgeld gibt, in den kollektiven Konsumrausch verfallen? Das ist eine steile These. Jede These, egal wie steil, sollte jedoch empirisch abgesichert sein. Da die Zinsen ja nicht erst seit wenigen Wochen sinken, wäre dies auch möglich … wenn die These stimmen würde. Doch das ist offenbar nicht der Fall.

Quelle: OnVista

Im Zuge der Finanzkrise stürzte der Einlagenzinssatz im Jahre 2008 förmlich ab und ist seitdem – mit einer zeitweiligen Erholung im Winter 2011/2012 – rückläufig. Wenn die These stimmt, dass unsere Mitbürger nun wegen der rückläufigen Zinsen nicht mehr sparen, sondern wie wild konsumieren, müsste dies ja, in welcher Form auch immer, messbar sein.

Eine Betrachtung auf die realen Einzelhandelsumsätze ergibt interessanterweise jedoch genau das umgekehrte Bild. In der Phase, in der die Zinssätze sanken, sanken auch die Einzelhandelsumsätze – und zwar deutlich. Ansonsten ist – wie kaum anders zu erwarten – keine nennenswerte Korrelation zwischen dem Einlagenzinssatz und den Einzelhandelsumsätzen erkennbar.

Warum auch? Sämtliche Zahlen zur Vermögensverteilung weisen darauf hin, dass nur die obersten zehn Prozent der Haushalte – gemessen am Einkommen – überhaupt regelmäßig in nennenswertem Umfang finanzielle Rücklagen bilden können[*]. Bei diesen Haushalten ist die Konsumquote jedoch ohnehin bereits gesättigt. Zinserhöhungen und –senkungen führen bei diesen Haushalten nicht zu einer Verschiebung zwischen Spar- und Konsumquote, sondern zu einer Verschiebung innerhalb der unterschiedlichen Anlagegüter innerhalb der Sparquote. Anstatt zu konsumieren, investieren diese Haushalte vermehrt in andere Anlageprodukte, von denen sie sich erhoffen, dass sie eine höhere Rendite erwirtschaften. Die sich bereits anbahnenden Blasen auf dem Immobilienmarkt sind ein Kollateralschaden dieser Entwicklung. Oder um es zugespitzt zu formulieren: Anstatt sich einen zweiten Porsche zu kaufen, steckt man das Geld, das man bei höheren Zinssätzen als Einlage bei der Bank gespart hätte, nun in ein Mehrfamilienhaus, das ordentliche Mieteinnahmen generiert.

Liebe Kollegen von SPIEGEL Online, ich bin mir fast sicher, dass Ihr das alles auch wisst. Warum plappert Ihr dann aber die offensichtlichen Nonsense-Meldungen der GfK nach? Seid Ihr etwa in einen Kaufrausch verfallen, weil die EZB den Leitzins um ein Promille gesenkt hat? Oder liegt es vielmehr daran, dass Ihr schlicht faul seid? Eine Pressemeldung redaktionell aufzubereiten, ist natürlich keine große Arbeit und in einer Viertelstunde gemacht. Dazu eine sexy Überschrift wie „Kaufen, kaufen, kaufen“, ein nichtssagendes Symbolbild aus dem Agenturprogramm und schon habt Ihr einen garantierten Klickfänger. Ein kritischer Kommentar zum Thema erfordert mehr Arbeit und generiert sicherlich weniger Klicks.

Aber was hat Euer Artikel eigentlich noch mit Journalismus zu tun? Habt Ihr alles vergessen, was man Euch in Eurer theoretischen Ausbildung beigebracht hat? Oder habt Ihr es nur verdrängt? Oder seid Ihr wirklich schon so zynisch, dass es Euch schlicht egal ist? Solltet Ihr noch einen Funken Berufsehre haben, könnt Ihr das Ganze ja mal für einen Moment sacken lassen und Euch bei nächster Gelegenheit einmal überlegen, ob das, was Ihr tagtäglich macht, noch irgendetwas mit dem Beruf zu tun hat, den Ihr einmal erlernt habt.



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