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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 5. Juni 2014 um 8:41 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
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Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Anmerkung unseres Lesers A.G.: Dass Range nur wegen des Verdachts in Bezug auf das Ausspähen des Kanzlerinnen-Handys Ermittlungen aufnimmt, überzeugt nicht.
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder Range hält sich für nicht zuständig; oder er verneint den Anfangsverdacht.
Die Süddeutsche berichtet:
“Es gebe “zureichende tatsächliche Anhaltspunkte” dafür, dass unbekannte Angehörige US-amerikanischer Nachrichtendienste ein Mobiltelefon der Kanzlerin ausgespäht hätten, erklärte der 66-jährige Range am Mittwoch. […] Hingegen gebe es diese Anhaltspunkte nicht im Fall der vermuteten massenhaften Ausspähung von Millionen Deutschen durch amerikanische und britische Geheimdienste. Es handele sich um eine “abstrakte Annahme”.
Es sieht also so aus, als solle der Anfangsverdacht in Bezug auf die Bürger aus tatsächlichen Gründen verneint werden. Dass man den Anfangsverdacht hier verneint, wo man doch selbst die technischen Details zu der Spionagesoftware des US-amerikanischen Nachrichtendienstes NSA wie XKeyscore (kurz: XKS) kennt, überzeugt nicht. Man weiß sogar aus sehr glaubwürdiger und glaubhafter Quelle, wie viele der monatlich ca. 500 Millionen Datensätze aus Deutschland auf welches Spähprogramm entfallen, nämlich z.B. ca. 180 Millionen auf XKeyscore. Und: Man braucht ja gar keine Wahrscheinlichkeit für Ermittlungen, sondern eine bloße Möglichkeit einer Straftat, und dafür reichen die detailgenauen Darstellungen Snowdens allemal! Nicht zuletzt: Um den Anfangsverdacht zu verneinen, müsste man Snowden ja für einen Phantasten halten, der sich diese Programme nur ausgedacht hat. Das führt auf Abwege.
Es scheint aber auch so, dass Range sich zumindest offenhalten möchte (“Hintertürchen”), als Generalbundesanwalt gar nicht zuständig zu sein für die Aufarbeitung der Ausspähung der Bürger. Denn die Abgeordnete Wawzyniak (Linke) berichtet zu der Sitzung des Rechtsausschusses des Bundestages, welcher Range am Mittwoch befragte: “Auf erneute Nachfrage, wie das mit den Straftatbeständen aussehe und das sich ja wohl alle einig sein dürften, dass bei den Einwohnerinnen mindestens der Straftatbestand des § 202a StGB (Ausspähen von Daten) erfüllt sein dürfte, erklärte Herr Range das für diese Straftat keine Zuständigkeit bei ihm bestehe.” (Quelle: Linksfraktion).
Daran ist richtig, dass der Generalbundesanwalt für Staatsschutzdelikte wie den § 99 Strafgesetzbuch, nicht Eingriffe in Freiheitsrechte Einzelner (wie § 202a StGB: Ausspähen von Daten) zuständig ist. Für letztere sind die “einfachen” Staatsanwaltschaften zuständig. Nur: Das Staatsschutzdelikt des § 99 StGB kann unzweifelhaft auch die massenweise Überwachung der Bürger erfassen, weil damit eben auch Interessen der Bundesrepublik berührt werden! In § 99 StGB heißt es, dass es verboten ist, für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland auszuüben. Wenn aber Millionen Bürger die Aufdeckung ihrer Kommunikation befürchten müssen, und auch die Wirtschaft ausspioniert wird, richtet sich das auch gegen Interessen der Bundesrepublik Deutschland als demokratisch verfasstes, sich gerade durch die Freiheit der Meinungsbildung und Kommunikation der Bürger konstituierendes Gemeinwesen. Diese weite Lesart der “Interessen der Bundesrepublik” ist in der Rechtsprechung anerkannt, vgl. nur KG NStZ 2004, 209: “Genügend ist es, wenn sich die geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Interessen der Bundesrepublik richtet und der Gegenstand der Ausforschung ihr als ihre Angelegenheit zuzuordnen ist. Deshalb ist der Tatbestand nicht auf die Ausforschung rein staatlicher Angelegenheiten beschränkt, sondern er erfasst auch andere Belange des Gemeinwesens wie die Wirtschaft, die Wissenschaft und die Technik.” Entsprechend hat der BGH entschieden, dass nur Angelegenheiten ausgeschlossen sind, “welche die Interessen der Bundesrepublik überhaupt nicht berühren.” (BGH NJW 1980, 2653). Bei aller Vorsicht mit rechtlicher Argumentation: Es wäre nun geradezu abwegig, und mit dem Wertesystem unseres Grundgesetzes, insbesondere den Verfassungswerten der Meinungsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung, unvereinbar, wenn man meinte,die massenhafte Ausspähung der Bürger berühre die Interessen des Gemeinwesens “überhaupt nicht”.
Man kann nur den Kopf darüber schütteln, dass Range das dünne Brett “Kanzlerinnen-Handy” etwas anbohrt, das dicke Brett, die mögliche Ausspähung der Bürger, aber in der Ecke verstauben lässt.
Anmerkung Orlando Pascheit: Ist das nun eine tolle Nachricht? Wir wollen doch nicht vergessen, dass die Tarifparteien seit 2000 eine nur schwache Lohnentwicklung produzierten. Man könnte auch sagen, dass die Gewerkschaften versagt haben. Und man sollte nicht vergessen, dass die Ausgangsbasis des Mindestlohns immer noch viel zu niedrig ist und diejenigen, die mit einem solchen Lohn leben müssen, auch nach einigen Erhöhungen gemäß Tarifsteigerungen, in die Altersarmut schickt.
Anmerkung Orlando Pascheit: “Unternehmer und Geschäftsleute liefen Sturm.” – … wie im Himmel, so auf Erden ..
Dazu Paul Krugman: Very Serious Europeans
I know a place where noble bipartisan seriousness truly rules, where the great and the good come together to form a consensus about what must be done, and the public is then informed about what it will support. It’s called Europe — and it’s not working very well.
Quelle: The New York Times
Anmerkung unseres Lesers D.F.: dieses Mal ein Hinweis auf eine andere Art von Artikel im Guardian Online – diese Mal geht es um die Konsequenzen der “neoliberalen” (= neomerkantilistischen) Ideologie im Gesundheitsbereich. In Großbritannien ist der Wahnsinn bekanntlich viel weiter fortgeschritten als hier – so dass eine Art Spiegelbild der möglichen Zukunft entsteht. Gleichzeitig zeigt dieser Artikel, dass dieses Spiegelbild auch eines der Vergangenheit ist. Wo sind die Stimmen derer in Deutschland, die vielleicht noch wissen, wie es nach dem Ersten Weltkrieg hier war? Es war ja nur geringfügig forschrittlicher als anderswo, was Krankenversicherung angeht; sonst herrschte weitgehend Hunger und Armut.
Da die neoliberale Ideologie, die Ideologie der “freien Marktwirtschaft über alles”, der “marktkonformen Demokratie”, letztlich zu solchen Zuständen der Ungleichheit führt, sollte man denken, auch hierzulande gäbe es jemand, der aus jener Generation noch stammt und was sagen könnte… oder sind die alle schon tot?
Anmerkung: Die Politologin Pia Eberhardt arbeitet bei der lobbykritischen Organisation Corporate Europe Observatory in Brüssel und hat von 2011 bis 2012 für eine umfassende Studie Hunderte Gerichtsprozesse analysiert, die auf Investitionsschutzabkommen beruhen. Die Studie “Profiting from Injustice” ist hier [PDF – 1.2 MB] und die deutsche Zusammenfassung hier herunterzuladen [PDF – 111 KB] und hier [Audio – mp3] ein Gespräch mit Pia Eberhardt auf WDR 5.
Anmerkung Orlando Pascheit: Man mag sich manchmal sehr über den wirtschaftsliberalen Teil der NZZ ärgern, dieses Mal kann man sich wieder einmal über die ungebrochen starke Auslandskorrespondenz freuen. Markus Ackeret ist es gelungen, den Zeitzeugen und Historiker Zhang Lifan für seinen Bericht und für eine Bewertung der damaligen Protestbewegung und der Reaktion heranzuziehen. Zhang gehörte damals zu einer Gruppe, die im Mai 1989 zwischen den protestierenden Studenten und der Parteiführung vermitteln sollte. Ich möchte nicht den Mut von Zhang schmälern, aber er dürfte wohl einen ganz irdischen Schutzengel haben, um so offen an die damaligen Proteste zu erinnern zu können. Dankenswerterweise erinnert er auch an einen anderen, weltpolitischen Aspekt des 4. Juni 1989, indem er die moralische Macht der Bilder vom Pekinger Stadtzentrum mit der Weigerung der osteuropäischer Regierungen verknüpft, die damaligen Demonstrationen mit Waffengewalt niederzuschlagen. Vielleicht erinnern sich noch einige daran, wie man sich angesichts der Leipziger Demonstration bang fragte: Kommt jetzt die Tiananmen-Lösung?
Im Gegensatz zu unserem zum Guru aufgestiegenen ‘elder stateman’ Helmut Schmidt, der bar jeder Geschichtskenntnis noch vor zwei Jahren meinte: Die Soldaten hätten sich nur gewehrt als sie “mit Steinen und Molotowcocktails angegriffen” wurden, sind die Ereignisse vom Tiananmen das gültige Zeugnis vom Erwachen Chinas, das heute allzu sehr am wirtschaftlichen Erfolg gemessen wird. Dieser Erfolg wäre wahrscheinlich in einem liberalerem Umfeld noch viel größer gewesen. – Verwiesen sei noch auf einen Kommentar des 2011 nach Berlin geflohenen Schriftstellers Liao Yiwu.
Hinweis: Hier geht’s zur neuen Ausgabe. Am Samstag als Beilage zur taz.
Anmerkung WL: Es ist schon beachtlich, dass die Hälfte der befragten Journalisten meinen, dass die Einschränkungen der Pressefreiheit zugenommen hätten. Dass 93 Prozent der befragten Journalisten der Meinung sind, dass die Pressefreiheit in Deutschland gut sei, ist nicht weiter verwunderlich, schließlich müssen sie ja in diesem Beruf arbeiten. Wer würde schon gerne seinen Beruf- und seinen Berufsstand nicht loben.
Immer wieder bin ich in Gesprächen mit Journalisten auf das widersprüchliche Phänomen gestoßen: Zunächst halten sich die meisten für freie und unabhängige Journalisten, wenn man sich dann aber weiter unterhält, erfährt man, was in der betreffenden Redaktion geht und was nicht geht. Man erfährt über Verlegereinflüsse und den Druck der Chefredakteure. Man erfährt darüber, dass man gar keine Zeit mehr für eigene Recherchen hat und auf die Pressemitteilungen und bestenfalls noch auf ein Telefonat mit einem Pressesprecher bei seiner Berichterstattung angewiesen ist. Man erfährt vom Herdentrieb der Kollegen, bei allen Versuchen sich gegenseitig in seiner Meinung abzugrenzen.
Nicht vergessen werden darf auch, dass ein ganz großer Teil der Journalisten gar nicht merkt, dass er mit dem Mainstream schwimmt, weil deren Pressefreiheit schon immer nur so weit reichte, wie es die Meinung der Herrschenden vorgab. Sie wurden eingestellt, weil sie das Spektrum der herrschenden Meinungen vertraten und sie wurden deshalb auch befördert. Sie fühlten also ihre Pressefreiheit gewährleistet, weil sie schon immer das vertreten und geschrieben haben, was von denjenigen, die das Sagen haben, auch vertreten wird.
Anmerkung WL: Wie in der Schweiz herrscht auch in Deutschland das Leitbild der wettbewerbsgesteuerten „unternehmerischen“ Hochschule. Die Grundmittel für Forschung stagnieren und zunehmen ist Forschung nur noch über die Einwerbung von Drittmittel oder über die Kooperation mit Unternehmen möglich. Damit wird in den nach wie vor überwiegend staatlich finanzierten Hochschulen die Forschung über die Drittmittel gesteuert. Der Schwanz wackelt also mit dem Hund. Um diese Verstöße gegen die Unabhängigkeit und Freiheit der Hochschulforschung zu kaschieren, wehren sich die Hochschulleitungen gegen Transparenzregeln (so etwa in Nordrhein-Westfalen) oder treten für die Geheimhaltung von Kooperationsverträgen mit Unternehmen ein, wie etwa die Universität zu Köln bei ihrer Kooperation mit der Bayer AG.
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