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Titel: Köhlers Weltbild

Datum: 20. März 2007 um 10:32 Uhr
Rubrik: Bundespräsident, Wertedebatte
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Eine Glosse Glosse zum Appell des Bundespräsidenten zur „sozialen Verantwortung der Unternehmen“ (bezeichnenderweise in Südamerika) von Joke Frerichs.

Ich staune immer wieder, wie es unser aller Präsident in die Topmeldungen der Nachrichten-Sendungen schafft. So wieder einmal geschehen am 18. März 2007.

Über meinen Lieblings-Sender SWR 2 erfahre ich, dass Köhler die Unternehmer mahnt, mehr gesellschaftliches Engagement zu zeigen. Die Unternehmen könnten viel mehr für die Gesellschaft tun, meint Köhler weiter. Recht so, denke ich. Endlich mal einer, der Tacheles redet.

Jetzt hatte ich erwartet, dass er den Herren Managern etwa beim Airbus ins Gewissen redet, von ihren unsozialen Entlassungsplänen Abstand zu nehmen, die ganze Regionen in Mitleidenschaft ziehen werden. Oder Ähnliches. Der Beispiele gibt es nun wahrlich genug. Aber kein Wort unseres Präsidenten dazu.

Stattdessen schlägt Köhler vor, die Unternehmen sollten z.B. Schulen renovieren. Ich denke, ich höre nicht recht. Schaue vorsichtshalber auf den Kalender. Nein, den 1. April haben wir doch noch gar nicht. Die maroden Schulen sollen sie renovieren. Jetzt verstehe ich, wieso er im Einklang mit dem neoliberalen Mainstream ständig eine Reduktion der Staatsquote fordert. Die Renovierung der öffentlichen Schulen können doch die Unternehmen übernehmen. Die haben doch ständig überzählige Leute.

Während ich mir vorstelle, wie sehr Köhlers Vorschlag die Manager in den Unternehmen aufrütteln und zu einer gewaltigen Initiative motivieren wird, frage ich mich, was denn wohl das Weltbild dieses Präsidenten sein mag.

Heute lese ich im „Kölner Stadtanzeiger“, dass der Köhler-Biograph Gerd Langguth Köhler für einen Mann mit „ökonomischer Prägung“ hält. Und wie beliebt doch Köhler bei den Deutschen ist. Was mich nun wiederum nicht wundert, wenn man derartige Vorschläge von ihm hört. Denn welche Eltern möchten nicht gern, dass die maroden Schulen ihrer Kinder endlich renoviert werden. Und wer das macht, ist ihnen doch sicherlich egal.

Langguth fügt allerdings einschränkend hinzu: „Ob das Volk ihn weiter so lieben würde, wenn seine Thesen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik umgesetzt würden, da habe ich meine Zweifel“. Also was das Renovieren von Schulen anbetrifft glaube ich schon, dass sie ihn weiter lieben werden.

Wie dem auch sei. Ich denke, wir verstehen unseren Präsidenten einfach noch nicht so ganz. Dabei hat er doch ein ganz einfaches Weltbild. Er denkt sich die Gesellschaft als eine Art „Gesamtunternehmer“ – bloß nicht zu verwechseln mit dem „Gesamtkapitalisten“ bei Karl Marx, den meint Herr Köhler ganz sicher nicht. Nein, er denkt eher an einen quasi personifizierten Gesamtunternehmer, der die Gesellschaft in all ihren Teilbereichen (Bildung, Kultur, Familie, Politik) nach unternehmerischen Kriterien umkrempelt. (Das hat er vielleicht bei Herrn Mohn von Bertelsmann gelernt, der die Welt ebenso sieht). Also: weg mit dem Staat mitsamt seiner Bürokratie. Und: Freie Bahn für den sozial-engagierten Unternehmer.

Wenn man sich dieses Weltbild vor Augen führt, versteht man viel besser, was in Teilen unserer Gesellschaft schon seit einigen Jahren vor sich geht: Überall dominieren unternehmerische Kategorien: Kosten; Effizienz; Leistung – das sind die Begriffe, die mehr und mehr in Fleisch und Blut übergehen. Alles wird zur Frage des Geldes (wie unlängst wieder die Debatte um die Kindertagesstätten). Kaum jemand fragt noch nach dem Nutzen für die Gesellschaft. Da ist es gut, dass wir unseren Präsidenten haben.

Ich spüre schon, wie ein Ruck durch die Unternehmen geht. Wie sie jetzt beim Daimler, bei VW, RWE und wie sie alle heißen, Abteilungen für Schulrenovierung einrichten. Wie sie überlegen, in welcher Hauptschule sie mit der Renovierung beginnen könnten. Welche Farben die Wände haben sollen. Ja noch mehr: Was man den Schülern am besten beibringen müsste.

Wie sie beim Airbus dank des Vordenkers Köhler jetzt auf einmal wissen, wohin mit den 10.000 hochqualifizierten Leuten, die man loswerden möchte: In die Schulen mit ihnen. Renovieren und unseren Kindern die richtigen Lehren beibringen.
Vielleicht gibt ja Herr Müntefering noch einen Obolus dazu, damit das Gemeinschaftswerk gelingt. Vielleicht wäre das ja sogar ein Beschäftigungsprogramm für die über Fünfzigjährigen, mit denen man sonst nichts mehr anfangen kann. Bis zur Rente mit 67 gewissermaßen. Denn viel ist ja unseren Politikern dazu bisher nicht eingefallen.

Man sieht also, wie richtungweisend die Gedanken des Präsidenten sein können – wenn man sich nur etwas intensiver mit ihnen beschäftigen würde.
Aber wer tut das schon? Und wem sollte man das vorwerfen?

Denn ehrlich gesagt: auch ich sehe unseren Präsidenten lieber bei großen Sportveranstaltungen. Mit einem Schal um den Hals sich auf die Schenkel schlagend. Das hat den Vorteil, dass er in dieser Zeit keine Reden hält oder Interviews gibt.


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