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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: „Wie viel Freiheit braucht die Wissenschaft?“
Datum: 15. März 2007 um 9:48 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Eingangsstatement für des Essener Wissenschaftsforum Universität Duisburg-Esse, am 14. März 2007 von Wolfgang Lieb.
Kaum ein anderer Begriff ist in der Menschheitsgeschichte so unterschiedlich gebraucht und so missbraucht worden, wie der Freiheitsbegriff.
Man sollte also, wenn von „Freiheit“ die Rede ist immer nach der von Immanuel Kant entwickelten Unterscheidung zwischen positiver und negativer Freiheit fragen. Also der „Freiheit zu was“ und der „Freiheit von was oder der Freiheit von wem“.
Kein anderes Land mache „Freiheit mit dieser Konsequenz zur Grundlage seiner Hochschulpolitik“, rühmt Innovationsminister Pinkwart sein weitgehend vom Bertelsmann Centrum für Hochschulentwicklung übernommenes Gesetz.
Stellt man die Kantsche Frage, für wen und wozu die „neue“ Freiheit dienlich ist, so wird man feststellen, dass die weit überwiegende Mehrheit der Forschenden und Studierenden gemessen an ihren früheren Forschungs- und Lernfreiheiten und verglichen mit ihren bisherigen Beteiligungs- und Mitwirkungsrechten wesentlich „unfreier“ sein werden als mit der – durchaus nicht optimalen – früheren akademischen Selbstverwaltung.
In der selbstverwalteten Gruppenuniversität entschied (vor allem) die Gemeinschaft der Lehrenden und (in Studienangelegenheiten mit einer Drittelparität) auch der Studierenden – jedenfalls dem Anspruch nach – nach forschungs- und lehrrelevanten Maximen und Interessen über Forschung und Lehre und – mit zunehmend flexibilisierten Haushalten – auch über die Verteilung der Ressourcen.
Der Staat legte den Finanzrahmen fest und führte im Wesentlichen nur eine Rechts- und Finanzaufsicht.
In der neuen – wie sie genannt wird – „unternehmerischen“ Hochschule soll nicht mehr aufgrund von „Entscheidungen in den Gremien“ (in denen nach Pinkwarts Vorurteil natürlich nur blockiert wurde und „demotivierende Bedingungen“ herrschten), sondern es muss nach den Gesetzen des „Wettbewerbs“ und der „Konkurrenz“ auf dem Wissenschafts- und Ausbildungsmarkt gehandelt werden.
Nicht nur die Universität selbst soll „unternehmerisch“ agieren, sondern auch die Lehrenden und Forschenden sollen zu „Unternehmern innerhalb der unternehmerischen Hochschule“ werden.
Bei Entscheidungen unter Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck sind natürlich ausgiebige Diskussionen in Selbstverwaltungsgremien nur „bürokratische Hürden“ und „Hemmnisse“ die es „aus dem Weg zu räumen“ gilt.
Die Hochschule im Wettbewerb bedarf, so Pinkwart; „klare, handlungsfähige und starke Leitungsstrukturen“, oder wie der Minister meint „ein modernes Management“, das rasche Entscheidungen treffen und umsetzen kann.
Horizontale, bottom-up-Strukturen demokratischer oder kooperativer Interessenvertretung müssen in diesem neuen Leitbild der Hochschulen von vertikalen, top-down-Entscheidungsbefugnissen abgelöst werden.
Während der Rektor einer Hochschule früher der primus inter pares war, braucht die „unternehmerische“ Hochschule – laut Pinkwart – wie ein auf „den Zukunftsmärkten“ agierendes Unternehmen einen “genialischen Unternehmensführer” oder ein „professionelles Management“ mit effizienten Entscheidungsbefugnissen und rascher Entscheidungskraft, das von der Spitze aus in alle Bereiche des Unternehmens – als „Arbeitgeber und Dienstherr“ des „Personals“ (ehemals Hochschullehrer genannt) und bis hinein in die „Ausbildungsverhältnisse“ (ehemals Studium genannt) durchentscheiden kann.
Man braucht dazu sozusagen einen Chief Executive Officer als Präsidenten, gegen dessen Stimme keine Entscheidung getroffen werden kann. (§ 15 Abs. 2 Ziff. 3 HFG)
Die Qualität einer Hochschule bestimmt sich nicht mehr aus ihrer wissenschaftlichen Anerkennung innerhalb der Scientific Community und einem anspruchsvollen wissenschaftlichen Studium, sondern in der „unternehmerischen“ Hochschule erweist sich Qualität in der „Konkurrenz mit ihresgleichen“.
Dabei soll die einzelne Hochschule „das Ziel Qualität auf unterschiedlichen Wegen zu verfolgen. Die eine Hochschule wird sich auf ihre Rolle als Ausbilder und F&E-Partner in ihrer Region konzentrieren. Eine andere Hochschule wird sich an starken europäischen Mitbewerbern um technologische Leitprojekte orientieren und mit dem Anspruch antreten, in der internationalen Liga der Spitzenforschung mitzuspielen“.
Die Zielvorstellung von Innovationsminister Pinkwart entspricht also in etwa dem amerikanischen Hochschulsystem mit einer hierarchisch tief gestaffelten Hochschullandschaft einiger weniger Spitzenuniversitäten mit Ausbildungsangeboten für den Nachwuchs der Upper Class und der großen Masse von Hochschulen ganz unterschiedlicher Qualität für die große Masse der Studierenden.
Damit den Gesetzen des Wettbewerbs gefolgt werden kann, müssen – dem Glaubensbekenntnis des Markt- und Wettbewerbsliberalismus entsprechend – der Staat oder die Politik aus dem Marktgeschehen möglichst weitgehend herausgehalten werden.
Das Parlament ist allenfalls noch der Zahlmeister, der „Zuschüsse“(!) gewährt und hat die „Finanzierungssicherheit bis zum Ende (!) der Legislaturperiode“ zur garantieren.
An Stelle des Ministeriums oder des Parlaments als Aufsichtsorgane wird der „unternehmerischen“ Hochschule, wie bei einem in Form einer Aktiengesellschaft konstituierten Wirtschaftsunternehmen, künftig eine Art Aufsichtsrat dem Management der Hochschule als „Fachaufsicht“ gegenübergestellt.
Dieser sog. Hochschulrat „besteht mindestens zur Hälfte aus Mitgliedern, die von außen kommen; der Vorsitzende kommt in jedem Fall von außen.“
Vorschläge zur Besetzung des Hochschulrates macht ein Auswahlgremium aus zwei (!) Vertretern/innen des Senates, zwei Vertretern/innen des bisherigen Hochschulrates und einem/er Vertreter/in des Landes mit zwei Stimmen. Es entwickelt einen Listenvorschlag, der vom Senat bestätigt werden muss und der letztinstanzlichen Zustimmung durch das Ministerium bedarf, das den Rat für eine Amtszeit von 5 Jahren ernennt.
Pinkwart meint mit diesem förmlichen Auswahlverfahren – bei dem die Vertreter der Hochschule in der Minderheit sind – sei „die demokratische Legitimation der Hochschulratsmitglieder gesichert“.
Was Pinkwart verschweigt ist, dass der Hochschulrat in seinen Handlungen und Entscheidungen über die fünfjährige Amtszeit keiner irgendwie legitimierten und schon gar nicht einer demokratisch legitimierten Instanz rechenschaftspflichtig ist.
Die Hochschulratsmitglieder entscheiden über das Geld der Steuerzahler und ansonsten nach ihren persönlichen oder ihren politischen oder ökonomischen Interessen.
Man stelle sich einmal umgekehrt den Aufstand der Wirtschaft vor, wenn per Gesetz entschieden würde, im Aufsichtsrat eines Unternehmens müsste eine Mehrheit von externen Wissenschaftlern oder beliebiger Repräsentanten der Gesellschaft das Sagen haben.
Der Hochschulrat hat die „Fachaufsicht“ über die Hochschule!
Laut § 21 HFG konzentrieren sich die wichtigsten Machtkompetenzen einer Hochschule im Hochschulrat:
Er wählt die Mitglieder des Präsidiums.
Er stimmt dem Hochschulentwicklungsplan zu.
Er stimmt dem Wirtschaftsplan und dem Plan zur unternehmerischen Hochschulbetätigung zu.
Er nimmt zum Rechenschaftsbericht des Präsidiums Stellung.
Er nimmt Stellung zu Angelegenheiten der Forschung, Kunst, Lehre und des Studiums, die die gesamte Hochschule oder zentrale Einrichtungen betreffen oder von grundsätzlicher Bedeutung sind.
Er entlastet das Präsidium.
Am wichtigsten ist dabei die Wahl und die Entlastung der Hochschulleitung durch den Hochschulrat. Müller-Böling, der Chef des Bertelsmann CHE und spiritus rector des Hochschulfreiheitsgesetzes hat die Bedeutung dieser Bestimmung in dankenswerter Offenheit begründet:
Nur durch die Wahl des Präsidiums durch den Hochschulrat „erhält) die Hochschulleitung gegenüber den hochschulinternen Gremien die Unabhängigkeit, die sie für ein effektives und effizientes Management benötigt.“
Ich bin selbst Mitglied in einem Hochschulrat einer deutschen Hochschule und habe so Erfahrungen mit einem solchen „Aufsichtsrat“ sammeln können:
Mit der überwiegenden Mehrheit meiner Hochschulratskolleginnen und – kollegen bin ich zur festen Überzeugung gekommen: Ein ehrenamtlicher Hochschulrat ist mit den ihm per Gesetz übertragenen Kompetenzen schlicht überfordert.
Die jeweiligen Entscheidungen leiten sich allenfalls aus dem jeweils persönlichen Vorurteil oder Interessensbezug ab oder man folgt lieber gleich dem Vorschlag des Präsidenten.
In der überwiegenden Zahl der zu treffenden Entscheidungen hat das hauptamtliche Präsidium einen nicht einholbaren Informationsvorsprung und kennt die möglichen Handlungsoptionen erheblich besser als jedes Mitglied des Hochschulrates.
Aus Bayern höre ich und vor allem die Hochschulratsmitglieder in Österreich – wo es flächendeckend Hochschulräte gibt – können ein Lied darüber singen: Viele Präsidenten entwickeln sich zu Alleinherrschern bzw. zu patriarchalischen Unternehmerpersönlichkeiten.
Im wirklichen Leben sieht das nämlich so aus, dass vor entscheidenden Sitzungen des Hochschulrats der Präsident versucht, dessen Vorsitzenden in Vorgesprächen auf seine Seite zu ziehen und der Vorschlag des Präsidenten wird dann „durchgewinkt“. So kann der Präsident jeden Widerstand oder jeden seiner Position entgegenstehenden Beschluss der hochschulinternen Gremien aushebeln.
Pinkwarts Vorstellung ist die: Der Hochschulrat „nimmt Impulse aus Wirtschaft und Gesellschaft auf und vermittelt in dieser Weise als „Transmissionsriemen“ das erforderliche Beratungswissen für die Entscheidungen der Hochschulleitungen“.
De facto gibt es jedoch fast überall, wo sich Hochschulräte konstituiert haben, „Impulse“ vor allem aus der Wirtschaft, genauer der Groß- und Finanzwirtschaft, der IHKs oder bestenfalls noch örtlicher Unternehmer.
Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur einmal zu „googeln“ und den Suchbegriff Hochschulrat für die Hochschulen, die schon einen solchen haben, eingeben.
Weil sie gerade zur Elite-Universität gekürt wurde nehmen wir die Ludwig-Maximilians-Universität in München als Beispiel. Der dortige Hochschulrat setzt sich wie folgt zusammen:
Vorsitzender ist
der Großverleger Hubert Burda,
Mitglieder sind weiter:
Der Vorsitzende des Vorstands der Münchner Rück,
ein Vertreter von McKinsey & Company,
der Sprecher des Vorstands der HypoVereinsbank AG,
der Vorsitzende des Vorstands des Energiekonzerns E.ON AG,
dazu kommen dann noch ein paar Prominente, wie etwa Jutta Limbach vom Goethe-Institut, die Geschäftsführerin einer Literaturhandlung oder der Herzog Franz von Bayern.
Man müsste bei den meisten Hochschulen mit Hochschulräten ehrlicherweise statt von einer „unternehmerischen“ eher von einer von Unternehmensführern gesteuerten Hochschule sprechen.
Die Eingangsfrage für wen und wozu das neue „Hochschulfreiheitsgesetz“ mehr Freiheit bringt lässt sich – wenn man einmal die Freiheitsrhetorik hinterfragt – ziemlich eindeutig beantworten:
Und sollten sich die Hochschulen die Freiheit nehmen, sich den Zwängen des Hochschulfreiheitsgesetzes mit seiner wettbewerblichen Steuerung zu entziehen, hängt über ihnen das Damoklesschwert der „Zielvereinbarung“.
Das sind Vereinbarungen (mit bisher unvorstellbarem Detaillierungsgrad) zwischen der Hochschulleitung und dem Ministerium (d.h. wiederum ohne parlamentarische Einflussmöglichkeit) „für mehrere Jahre über strategische Entwicklungsziele sowie konkrete Leistungsziele“. (§ 6 Abs. 2 HFG). )
Danach kann der Minister mit Geld als „goldenem Zügel“ die Hochschule „anreizen“ die gewünschten Ziele zu erreichen, d.h. „ein Teil des Landeszuschusses an die Hochschulen (kann) nach Maßgabe der Zielerreichung zur Verfügung gestellt werden“.
Und wenn der Geldanreiz dann immer noch nicht zum gewünschten Verhalten der Hochschule führt, dann gilt der alte Mafiabrauch, entweder wir einigen uns oder der Minister erzwingt die von ihm vorgegebenen Leistungen:
In § 6 Abs. 3 HFG heißt es: Wenn und soweit eine Ziel- und Leistungsvereinbarung nicht zustande kommt, kann das Ministerium nach Anhörung der Hochschule und im Benehmen mit dem Hochschulrat Zielvorgaben zu den von der Hochschule zu erbringenden Leistungen festlegen.
Fazit: Die nordrhein-westfälischen Hochschulen können ihre ihnen angeblich durch das „Hochschulfreiheitsgesetz“ zugestandene Freiheit entweder durch den (freiwilligen) Verzicht auf Freiheit durch Unterwerfung unter die Wettbewerbszwänge wahrnehmen
oder sie werden vom Minister zu diesem Verzicht auf Freiheit gezwungen.
(Alle Zitate von Innovationsminister Pinkwart aus „Hochschule auf neuen Wegen“ [PDF – 1,5 MB]
Man könnte die Frage Freiheit wozu und für wen auch auf anderen Feldern der sog. Hochschulreformen stellen.
Etwa: Schaffen Studiengebühren mehr Studierfreiheit oder sind sie nicht eher eine Barriere zur Aufnahme eines Studiums?
Bedeuten die im Gefolge des Bologna-Prozesses eingeführten gestuften Bachelor-Masterstudiengänge ein Mehr oder ein Weniger an Studienfreiheit? Schafft das Auswahlrecht der Hochschulen oder die Übergangsquote zu den Masterstudiengängen mehr Studienfreiheit?
Bringt der Evaluierungswahn bei Forschung, Lehre und Nachwuchsförderung nicht erheblich mehr bürokratischen Aufwand auf allen Ebenen der Hochschule und behindert er nicht vielmehr die Freiheit von Forschung und Lehre?
Wird durch die Wettbewerbshochschule nicht die universitas litterarum (d.h. die Gesamtheit des Wissens) zerstört oder anders, werden solche Wissenschaften die im Wettbewerb um die Mitteleinwerbung nicht unmittelbar ökonomisch verwertbares Wissen produzieren und nur Verluste oder Abschreibungen erbringen, also die Geisteswissenschaften insgesamt, wenn nicht aus den Hochschulen ganz verdrängt so mindestens an den Rand gedrängt?
Bringen Exzellenzinitiativen mit dem Zwang zur Selbstvermarktung nicht eher eine maximale Anpassung an den vorherrschenden wissenschaftlichen Mainstream, als mehr Anstrengungen bei der eigentlichen Aufgabe der Wissenschaft, nämlich die Suche nach Wahrheit?
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