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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Darf man von Gleichschaltung der Medien sprechen? Und davon, dass die Demokratie höchst gefährdet ist?
Datum: 15. Mai 2014 um 14:41 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Erosion der Demokratie, Medien und Medienanalyse, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Albrecht Müller
In einem Beitrag für die Wochenzeitung „Kontext“ hatte ich Anfang April im Blick auf das Netz von US-nahen Medienvertretern in Deutschland davon geschrieben, wir hätten es hier „mit einem gut ausgeklügelten System der Gleichschaltung zu tun“. Siehe auch die Beiträge in den NDS hier und hier. Daraufhin hat sich der frühere Stuttgarter FR-Korrespondent Peter Henkel mit einer Mail bei mir beklagt. Henkel hält die Verwendung des Begriffs Gleichschaltung für eine Beleidigung; Henkel meint, wir würden in den NachDenkSeiten dramatisieren, wir würden die Arbeit der Journalisten und Medien viel zu kritisch sehen. Und wenn ich schreibe, was sich bei uns an Manipulation abspiele, ruiniere den Rest an Demokratie, den wir noch haben, dann sei dies „ödester Stammtisch“ und „paranoid“. Und wenn ich schreibe, „die Oberen bestimmen mit Meinungsmache, wo es langgehen soll“, dann sei das eine „konspirative Scheindiagnose“. Albrecht Müller.
Da es hier um ein zentrales Thema der NachDenkSeiten und auch meiner Arbeit als Autor („Meinungsmache“, „Die Reformlüge“, „Von der Parteiendemokratie zur Mediendemokratie“) geht, veröffentlichen wir den Text der Mail/des Briefes von Peter Henkel wie auch meine Antwort in der Form eines Artikels zum Thema. Da es um ein grundlegenderes Problem geht, ist der Text lang geworden. Pardon.
Den Brief Henkels vom 12. April finden Sie im Anhang. Wir veröffentlichen ihn trotz einiger beleidigender Formulierungen. An diesem Dokument wird sichtbar, wie unkritisch und weltfremd selbst früher einmal ehrenwert kritische Journalisten geworden sind. Henkels Empörung bestätigt die Feststellung von Gabriele Krone-Schmalz in ihrem Interview mit ZAPP vom 16.4. 2014. Sie meinte damals, es grenze an Selbstmord, wenn man als Journalistin oder Journalist Kollegen kritisiere.
Die Erfahrung von Frau Krone-Schmalz machen wir NachDenkSeiten Redakteure oft. Zwar profitieren viele Journalisten von unserer Arbeit. So ist sie auch angelegt. Aber viele ärgern sich auch und fühlen sich wie Peter Henkel schlecht behandelt. Ich habe das vor vier Jahren, am 30. April 2010, geballt erlebt, als ich vor einem Kreis von Medienwissenschaftlern, Medienjournalisten, Chefredakteuren und anderen wichtigen Journalisten unter anderem über Kampagnenjournalismus sprach.
Was kundige und aufmerksame Beobachter quasi jeden Tag aufwühlt, das lässt die offensichtlich abgebrühten Journalisten vom Schlage eines Peter Henkel kalt:
Wenn ich zum Beispiel des Abends im Heute Journal Claus Kleber über den Ukraine-Konflikt moderieren höre und sehe, wenn ich eine halbe Stunde später den Tagesthemen-Moderator Thomas Roth verfolge, dann kann ich Gleichschaltung am lebenden Objekt studieren: Der Russe ist das böse, der Westen ist das gute. Das Schema liegt fest. Und nicht nur bei diesen öffentlich-rechtlichen Sendern, sondern auch beim Gros der anderen Medien. Was nicht in dieses Schema passt, wird weggelassen. So zum Beispiel Informationen über das Engagement der USA in der Ukraine mit 5 Milliarden $ und mit Militär und die Promotion des jetzigen Ministerpräsidenten durch die USA. Das Böse in Moskau wird mit Hähme überzogen. Nicht berichtet wurde und wird vieles, was darauf hindeutet, dass die neue Konfrontation zwischen Ost und West von westlicher Seite angetrieben worden ist. Gabriele Krone-Schmalz berichtete in dem verlinkten Interview von einem solchen Fall: dem Verschweigen der im Assoziierungsvertrag der EU mit der Ukraine vorgesehenen militärischen Zusammenarbeit. Davon wurde in westlichen Medien kaum berichtet, weil dies die übliche Zuordnung von gut und böse erschwert hätte.
Nie würden wir behaupten und haben wir behauptet, es gäbe keine kritischen Stimmen unter deutschen und ausländischen Journalisten. Von ihnen und ihren oft großartigen Leistungen berichten wir in den Hinweisen des Tages und auch in gesonderten Artikeln der NachDenkSeiten regelmäßig, eigentlich täglich. Vor den Journalistinnen und Journalisten, die den Mut haben, gegen die von ihren Kollegen nachvollzogene große Linie anzuschreiben und anzusprechen, ziehen wir den Hut. Deshalb trifft uns der Vorwurf von Henkel, wir würden die Journalisten beleidigen, nicht.
Der Kern dessen, was wir beobachten und beschreiben, ist folgender: Bei vielen wichtigen Fragen unserer Zeit in der Außen- und Sicherheitspolitik wie auch in der Innen-, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik gibt es eine große Linie, für deren Penetration das große Heer der Journalistinnen und Journalisten schreiben und senden, und dann gibt es einige aufmerksame kritische Kolleginnen und Kollegen, die gegen den Strom schwimmen. Ihnen verdanken wir viel. Aber oft sind sie wie wir, die NachDenkSeiten selbst, auch nur eine Art Alibi für den angeblich demokratischen Disput. Und viele Journalistinnen und Journalisten der gerade von Henkel genannten und bewunderten Medien wie die Frankfurter Rundschau, Panorama, TAZ und Süddeutsche Zeitung dienen leider der Erhöhung der Glaubwürdigkeit des Mainstreams in ihren eigenen Blättern und Sendern. Peter Henkel lebt offenbar so weit weg von der Wirklichkeit, dass er diesen Mechanismus schon gar nicht mehr wahrnimmt oder versteht.
Ich bestreite nicht, dass man darüber streiten kann, ob man die skizzierte Realität mit dem Begriff Gleichschaltung richtig erfasst und ob dies statthaft ist. Ich für mich habe entschieden, dass ich einen Begriff, der trifft, nicht schon deshalb nicht gebrauche, weil er zur Kennzeichnung der Verhältnisse bei „Goebbels und Honecker“ – so die von Henkel gewählte gleichschaltende Formulierung – gebraucht wird. – Aber ich gestehe gerne zu, dass ich niemandem den Gebrauch dieses Begriffes aufzwingen will und auch gar nicht anrate. Ich gebrauche diesen Begriff, weil er die Verhältnisse hierzulande wie auch in anderen Teilen des Westens – und des Ostens sowieso – trifft.
Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Durchgehend gilt dabei: es hat sich eine Mehrheitswillensbildung als quasi Mehrheitsmeinung durchgesetzt. Und selbst da, wo die Vertreter der Mehrheitsmeinung, aus meiner Sicht der gleich geschalteten Mehrheitsmeinung, zugeben müssen, dass sie sich unendlich vertan haben, geschieht dies nicht in demokratischer Freimut, sondern in einer unendlichen Herumdruckserei:
PISA ist sogar in bürgerlichen Kreisen zur Lachnummer geworden, ein paar Leute mehr haben erkannt, dass Exportüberschüsse nicht das Gelbe vom Ei sind, selbst die OECD bemerkt inzwischen, dass Reformen zulasten der Mehrheit nicht gerade angebracht sind; die Risiken und die mangelnde Rentabilität der Privatvorsorge nach dem Modell der Riester-Rente sehen inzwischen ein paar mehr Leute als noch vor zwei Jahren. – Also ein bisschen etwas ist gelernt geworden. Aber die Gleichschaltung ist stärker. Zur grundlegenden Revision der Politik kommt es nicht.
Die Beeinflussung der Medien läuft heute auf subtilere Weise und mit anderen Methoden als bei Goebbels und auch bei Honecker. Und die Akteure der Beeinflussung sind nicht zentralisiert. Und die Grenzen zwischen Beeinflussung und „Einsicht“ bzw. Fügung sind fließend.
Es folgen ein paar praktische Beispiele für die Methoden der Beeinflussung:
Der ehemalige Korrespondent der Frankfurter Rundschau Henkel hat offenbar nicht wahrgenommen, dass Honeckers Machtapparat zum einen oder zum andern das PR-Geld und die PR-Aktivitäten der Finanzwirtschaft, der Verbände, der Bundesbank, der NATO oder der EU in der Wirkung das Gleiche, in den Methoden formal unterschiedlich sind. Mit Wirkung ist gemeint, dass diese verschiedenen Interessen mit ihren Methoden die veröffentlichte Meinung, Teile der öffentlichen Meinung und damit auch die politischen Entscheidungen weit gehend bestimmen können.
An den genannten Beispielen wurde sichtbar, wie vielfältig die Methoden der Einflussnahme sind, und es wurde auch sichtbar, dass vieles ohne Kommando und ohne permanente Steuerung abläuft.
Ihm ist es gelungen, von wesentlichen Veränderungen, die an der Substanz unserer Demokratie zehren, nicht bedrängt worden zu sein:
Die beneidenswerte Fähigkeit zur selektiven Wahrnehmung macht die Debatte mit Peter Henkel schwierig. Wenn ein Journalist nicht einmal den Verlust an kritischen Medien und an ihrer Distanz zum politischen Geschehen wahrnimmt, wenn er Sorgen um die demokratische Willensbildung so abkanzelt, wie Peter Henkel das tut, dann kann man sich mit ihm nur schwer verständigen. Das ist schade, aber offenbar die Wirklichkeit.
Anhang:
Brief von Peter Henkel vom 12.4.2014 an Albrecht Müller:
peter henkel
stuttgart
Lieber Albrecht Müller,
vielleicht erinnern Sie sich noch an den einstigen Korrespondenten der Frankfurter Rundschau. Auch wenn nicht, möchte ich mich mit einer wahrscheinlich nicht sehr aussichtsreichen, aber doch dringenden Bitte an Sie wenden. Dies in dem Bewusstsein, dass Sie und die nachdenkseiten alles in allem eine wichtige und wertvolle Stimme in unserer Medienlandschaft sind.
Anlass meiner Bitte sind Ihr jüngster Artikel in kontext und Ihre einschlägigen Betrachtungen zu den Medien auf den nds. Lieber Herr Müller, was Sie da schreiben, ist im Kern falsch. Und es befördert diese fatale Medienphobie, der man auf Schritt und Tritt begegnet und die bei vielen Zeitgenossen längst mit einer irrationalen Politik- und Demokratieverachtung einhergeht.
Scharf formuliert ließe sich auch sagen: Sie selber verkörpern diese Phobie. Denn Sie halten es leider für angemessen, von einem “ausgeklügelten System der Gleichschaltung” zu schreiben. Das ist abwegig. Der linke Sektor ist unterbesetzt, das ist leider wahr; aber was hat das mit Gleichschaltung zu tun? Sie ziehen sich unvermeidlich den Vorwurf zu, gewollt oder fahrlässig Parallelen heraufzubeschwören, die keine sind. Die Letzten, die mediale Gleischschaltung in Deutschland organisierten, waren Goebbels und Honecker – warum, lieber Herr Müller, belegen Sie unsere heutigen medialen Zustände mit einem Begriff für Verhältnisse, in denen es tatsächlich nur uniforme Meinungen und Nachrichten gibt, d.h. Abweichungen von der vorgegebenen engen Linie von vornherein unmöglich gemacht oder bestraft werden? Wollen Sie denn ernsthaft behaupten, wir hätten solche Verhältnisse, trotz nds und taz und frontal 21 und Panorama und Blätter für deutsche und internationale Politik und Süddeutsche Zeitung (ja, auch die gehört hierher) und Frankfurter Rundschau und Urban Priol und den Stammplätzen, die Gysi und Wagenknecht und Dirk Müller in Talkshows vor einem Millionenpublikum innehaben?
Und weil zur Gleichschaltung zwei Seiten gehören – die, die sie verordnen, und die, die sie mit sich machen lassen -, nenne ich diesen Begriff eine ebenso haltlose wie unverschämte Beleidigung von einigen tausend journalisten ist, die diesen abwegigen und ehrabschneidenden Vorwurf nicht verdient haben. ein vorwurf übrigens, der so tut, als seien Menschen (und speziell Journalisten) mit anderen Ansichten als den eigenen schon deshalb wahlweise entweder dumm oder korrupt oder beides. So zeigen sich Blindheit und Hybris.
Ihre dramatiserenden und generalisierenden Texte, lieber Albrecht Müller, leisten keineswegs durchgängig Erhellendes, sondern zu oft das Gegenteil: Wenn sie verfinsternde Fantasien befeuern. “Konservative Denkfabriken mit angeschlosssenen Medien” – “die Oberen bestimmen mit Meinungsmache, wo es langgehen soll” – das sind Beispiele für konspirative Scheindiagnosen, deren Entlarvungsinteresse alles andere übersteigt. Und keinen erkennbaren Wert mehr darauf legen, dem beurteilten Gegenstand leidlich gerecht zu werden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es Situationen und Vorgänge gibt, auf die Ihre Beschreibung mehr oder weniger zutrifft. Nur machen Sie daraus einen riesigen Wandteppich. Vor ihm versammeln sich in freudiger Erregung alle, die schon immer gewusst haben, dass deutsche Redaktionsstuben ein Exerzierplatz sind für Opportunisten, Heuchler, Schleimschreiber und gekaufte Kriegstreiber, die von morgens bis abend schwindeln, unterdrücken und manipulieren.
Diesem Irrsinn, lieber Herr Müller, liefern Sie Nahrung. Und ganz nebenbei selber einen klaren Fall von Manipulation. Es gebe da, schreiben Sie, eine “Meldung” der Telekom in deren Unternehmensorgan im Netz: “Wladimir Putin will auch Finnland und Georgien annektieren.” Womit Sie, lieber Herr Müller, ja zeigen wollen, welche Propagandalügen über Putin in Umlauf gesetzt werden. Was aber steht dort tatsächlich? Die Dachzeile lautet: “Schlimme Vermutung”, und sogleich im Vorspann wird das nun Folgende als “Gedankenspiele” eines Putin-Kritikers bezeichnet. So etwas deuten Sie um zu einer “Meldung” der Telekom? Das ist Falschmünzerei durch das kritische medium nachdenkseiten. Was würden Sie sagen, wenn ich in einer derartigen Irreführung ein Symptom sähe von fehlender Redlichkeit und Kompetenz der nds, der Linken in der BRD überhaupt, womöglich von deren Fernsteuerung durch Moskau?
Den Vogel schießen Sie aber hiermit ab: “Was sich da abspielt, ruiniert den Rest an Demokratie, den wir noch haben.” Das ist ödester Stammtisch ohne jedes Augenmaß und hat mit seriöser linker Kritik an den realen Zu- und Missständen der deutschen Gesellschaft von 2014 nichts mehr zu tun. Es ist, sorry, lieber Herr Müller, paranoid.
Und nun die vermutlich erfolglose Bitte: Tun Sie was gegen diese obsessive Medienverächtlichmachung, Ihre eigene wie die unzähliger Mitbürger. Sie ist in dieser oft hasserfüllten Radikalität unbegründet und auf die Dauer hochgefährlich. Wie weit sie schon gediehen ist in diesem unserem Lande, zeigen einige hundert youtube-Kommentare zu dem (wohlgemerkt: inakzeptablen) ZDF-Interview von Claus Kleber mit Joe Kaeser über dessen Besuch bei Putin. Was sich da entlädt an Brutalität, Dummheit und Uniformität, macht schaudern. Und ist eine Aufforderung (auch an Albrecht Müller), dem entgegenzutreten – es ist mindestens so alarmierend wie die Nähe einer Handvoll Journalisten zur Deutsch-Atlantischen Gesellschaft.
Mit den besten Grüßen
Ihr
Peter Henkel
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=21735