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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 28. Februar 2007 um 8:59 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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(KR/WL)

  1. Ende des Laissez-faire
    Im Streit um die Praktiken von Finanzinvestoren rüsten die Gegner weltweit auf: Aufsichtsbehörden, Gewerkschaften – und selbst Industrievertreter.
    Quelle: ZEIT

    Anmerkung: Über Finanzminister Steinbrücks Haltung zu Forderungen, dem Treiben einiger Finanzinvestoren einen engeren, gesetzlichen Rahmen zu setzen, heißt es: „An der TU München gab das Ministerium ein Gutachten in Auftrag, das die Basis für den Gesetzentwurf bilden soll und dessen endgültige Fassung das Ministerium Ende des Monats erwartet. Über die Financial Times Deutschland sickerte nun durch, dass es darin wohl eher um Steuererleichterungen geht, mit dem Ziel, Deutschland im internationalen Wettbewerb um Fonds und Wagniskapital attraktiver zu machen. So bliebe SPD-Minister Peer Steinbrück dem Koalitionsvertrag treu. Wenige Wochen alte Worte, er wolle mit dem Gesetz »dem Ausquetschen von Unternehmen und der sogenannten Rekapitalisierung« einen Riegel vorschieben, wären als Beruhigungspille für Kritiker entlarvt.“

  2. “Das ist Politik mit der Angst”
    Rente mit 67? Kollabierende Sozialsysteme? Kinderlosigkeit? Thomas Etzemüller, Historiker an der Uni Oldenburg, hält die Demografie-Debatte für völlig überzogen. Im stern.de-Interview sagt er, woher die apokalyptischen Visionen kommen – und wer davon profitiert.
    Quelle: STERN

    Kommentar AM: Beachtlich, dass der Stern jetzt auch entdeckt, dass die Demographiedebatte vor allem der Angstmache dient. Wenn man – wie etwa Gerd Bosbach, Christoph Butterwegge, oder wie wir in den NachDenkSeiten und in „Die Reformlüge“ und „Machtwahn“ – diese Aufklärungsarbeit seit langem betreibt, kommt es einem etwas komisch vor, wenn der „Stern“ dies jetzt erst entdeckt. Auch die kritischen Anmerkungen zur Vorstellung von einer klassischen Bevölkerungspyramide sind alles andere als neu. Aber immerhin.
    Interessant sind die Hinweise des Interviewten auf die lange Tradition der Angstmache. Seltsam wiederum finde ich, dass der Interviewte, Professor Etzemüller, auf Franz Xaver Kaufmann als wegweisend hinweist. Von diesem habe ich noch höchst angstmachende Gesänge zur demographischen Entwicklung im Ohr.

  3. “Atomkraft ist ökonomisch ein sinnloses Spiel”
    Klaus Traube, einst einer der bekanntesten Atommanager der Republik, ist heute ein Befürworter des Atomausstiegs und Umweltforscher. Mit WELT ONLINE spricht er über Faszination und Schrecken der Nukleartechnik und die Umweltfreundlichkeit seines Hauses.
    Quelle: Welt
  4. Schimäre Atomkraft
    Konservative »Klimaretter« fordern neue AKW. Die Angebotslücke beim Rohstoff Uran und dessen explosionsartig steigenden Preise, die immensen Folgekosten der Lagerung des strahlenden Abfalls und die immer größeren Aufwendungen für Reaktorsicherheit werden von den Lobbyisten ausgeblendet oder kleingeredet.
    Quelle: Junge Welt
  5. Aussicht auf Bummelzüge
    Reparaturen am abgenutzten Schienennetz werden den Betrieb behindern. Die Bahn macht Güterzüge verantwortlich. Kapazitätsengpässe sind oft selbst verschuldet, denn obwohl der Bedarf seit Jahren absehbar ist, investierte die DB zur Entlastung von Knotenpunkten fast nichts.
    Quelle: TAZ
  6. Krach mit der Bundesregierung
    Bahnchef Mehdorn hat einen bösen Brief an den Verkehrsminister geschrieben und darin klargestellt, dass das Unternehmen nicht wie ein “mehrfach vorbestrafter Straftäter” behandelt werden dürfe.
    Quelle: SZ

    Anmerkung: Zitat aus dem Artikel : „In dem Schreiben und in mehreren Anlagen beklagt sich der Bahnvorstand heftig über die vorgesehenen Auflagen des Bundes für das Unternehmen nach der Privatisierung. Würde der erste im Ministerium ausgearbeitete Gesetzentwurf so Wirklichkeit, dann genieße die Bahn faktisch keinen Rechtsschutz mehr und sei in ihrer Existenz gefährdet. „So mag der Staat sein Verhältnis zu mehrfach vorbestraften Straftätern regeln“, heißt es in einer der Anlagen, in der die Sichtweise des DB-Vorstandes zusammengefasst ist. Für den Umgang mit der Bahn dürfe das nicht gelten.““
    Da uns das Schreiben nicht vorliegt, können wir nicht ausschließen, dass der Bahnvorstand falsch zitiert worden ist. Andernfalls könnte er so verstanden werden, als ob er es völlig in Ordnung fände, wenn mehrfach vorbestrafte Straftäter „faktisch keinen Rechtsschutz mehr genießen und in ihrer Existenz gefährdet sein“ würden. Das wirft ernste Fragen nach dem Menschenbild dieser Führungskräfte auf.

  7. Peter Nowak: Hartz IV-Empfänger – ohne Arbeit kein Geld?
    In Zeiten von Konjunkturaufschwüngen geraten die Erwerbslosen noch mehr unter Druck.
    Während Wirtschaftsminister Glos noch an einem Kombilohnmodell mit eingebauter Arbeitspflicht bastelt, werden in der Verwaltungspraxis schon mal die Daumenschrauben angezogen.
    Quelle: TELEPOLIS
  8. Flucht aus dem Armenhaus Deutschland
    Der Ansturm der deutschen Arbeitskräfte in die Schweiz hat vor allem einen Grund: Deutschland hat sich innerhalb weniger Jahre mutwillig zum Billiglohnland und zum Armenhaus gemacht. Selbst im «Boomjahr» 2006 gingen die Löhne weiter zurück. Seit inzwischen zehn Jahren tut sich in Deutschland punkto Reallohn gar nichts mehr. Die Kaufkraft der Löhne ist in dieser Zeit um 5,1 Prozent gesunken. Das ist einmalig in der Nachkriegsgeschichte. In den Jahren zuvor waren auch in Deutschland jährliche Reallohnsteigerungen von 1 bis 3 Prozent üblich.Wie «abartig» sich Deutschland in den vergangenen zehn Jahren entwickelt hat, zeigt der Vergleich mit anderen Ländern: Überall sonst sind die Löhne gestiegen.
    Quelle: Blick
  9. Nicht mehr akzeptabel
    Zwei Soziologen haben den Zusammenhang zwischen Neoliberalismus und Rechtspopulismus in Österreich untersucht. Die Kernthese, die Flecker und Kirschenhofer anhand von Interviews überprüften und belegen konnten, lautet: Für rechtspopulistische Deutungsmuster empfänglich sind nicht nur die Verlierer des Neoliberalismus. Neben realen Einkommensverlusten bewirken die generell schwindende soziale Absicherung sowie gravierende Brüche in den Arbeitsbedingungen, daß firmenloyale Leistungsträger und sogar Aufsteiger nicht minder betroffen sind.
    Quelle: Junge Welt
  10. »Psychologische Erpressung«
    Seit einem Jahr ist die Arbeitsmarktreform der konservativen australischen Regierung in Kraft. Das Grundprinzip zielt auf die Entmachtung der Gewerkschaften.
    Quelle: Neues Deutschland
  11. Steuerdumping in der EU
    Europäische Unternehmens- und Spitzeneinkommensteuersätze werden weiter gesenkt und über Abgaben bei Konsum, Energie und Heizkosten finanziert. Die Bundesrepublik spielt dabei eine Vorreiterrolle.
    Quelle: junge Welt
  12. Kinder- oder Unternehmerbetreuung
    Prima Idee der großen Koalition: Endlich eine bessere Kinderbetreuung. Kosten: 6,4 Milliarden Euro. Die SPD hat Vorschläge, wo zumindest 4,7 Milliarden Euro aufzutreiben sind: Keine Kindergelderhöhung, Kürzungen beim Ehegattensplitting. Eigentlich hätte die große Koalition viel Geld. 30 Milliarden Euro will sie bis 2012 an die Unternehmen verschenken.
    Quelle: ver.di Wirtschaftspolitik aktuell [PDF – 52 KB]

    Anmerkung: Im konservativen Lager wird so getan, als bedeute das Angebot von 500.000 Krippenplätzen zusätzlich von den derzeit existierenden 250.000 eine Zwangseinweisung der Kinder in Kinderhorte.
    Dazu veröffentlichte heute der Kölner Stadtanzeiger eine Grafik:
    Anteil der Kinder unter 3 Jahren mit einem Krippenplatz in Prozent:
    Dänemark 83, Schweden 66, Norwegen 44, USA 38 (!), Finnland 35,7, Niederlande 29, Frankreich 27, Großbritannien 26, Portugal 25, Italien 18,7, Irland 15, Österreich 10 und in Deutschland werden derzeit 8,6 Prozent der Kleinkinder „zwangseingewiesen“.

  13. Abrechnungstricks der Krankenhäuser oder wie die Kassen geschröpft werden
    Einige Krankenhäuser führen bestimmte Behandlungen offenbar nur durch, weil sie Geld bringen. Und nur Kontrollen können diesen Missbrauch aufdecken. Die Bundesregierung sieht das offenbar anders. Nach der Gesundheitsreform, ab April gilt der neue Paragraf 275. Für die Prüfung von Krankenhausrechnungen haben Kassen jetzt nur noch sechs Wochen Zeit. Und ergibt die Prüfung keine Kürzung des Rechnungsbetrages, hat die Kasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 100 Euro zu zahlen.
    Quelle: Report SWR

    Anmerkung eines unserer Leser: Es werden ja immer mehr Krankenhäuser privatisiert. Und auf diese Art und Weise stellt unsere Bundesregierung sicher, dass den Krankenhauskonzernen genug übrig bleibt.

  14. Das Elend der Briefzusteller
    Wenn auf der einen Seite eine Behörde Portokosten spart und auf der anderen Seite der Steuerzahler mit Hartz IV ein halbwegs erträgliches Leben finanzieren muss, dann läuft etwas gründlich schief.
    Quelle: Report SWR

    Anmerkung WL: Was da schief läuft, kann jeder von uns täglich beobachten: Die Menge der auszutragenden Post ist – angesichts elektronischer Post etc. – nicht wesentlich größter geworden. Was bisher der Briefträger der Post alleine erledigte, machen jetzt drei oder gar verschieden Postzustelldienste. Die Briefzustellung ist allenfalls für Großkunden billiger geworden, doch diese können allenfalls die privaten Dienste nutzen. Ergebnis: Der Post-Briefträger rennt durch sein Revier um zu seinem Zweitjob zu gelangen. Die anderen Briefzusteller müssen mit ihrem privaten Schrottfahrrad durch die Straßen fahren und man kann schon äußerlich erkennen, dass sie Niedrigstlöhne beziehen. Und wenn eine Hausnummer auf dem Brief falsch ist, gilt die Post als unzustellbar, weil jedenfalls die privaten Briefzusteller ihr Revier gar nicht mehr kennen.

    Dazu passt…:

    Telekom lagert 55.000 Jobs aus
    Hiobsbotschaft für Arbeitnehmer: 55.000 Telekom-Mitarbeiter werden in einer neuen Service-Gesellschaft angestellt. Dort sollen sie weniger verdienen und bis zu sechs Stunden pro Woche länger arbeiten.
    Quelle: SZ

  15. Durchsuchung und Beschlagnahme bei CICERO verletzen Pressefreiheit
    Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige sind verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln. Auch wenn die betreffenden Angehörigen von Presse oder Rundfunk selbst Beschuldigte sind, dürfen in gegen sie gerichteten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Beihilfe zum Dienstgeheimnisverrat Durchsuchungen sowie Beschlagnahmen zwar zur Aufklärung der ihnen zur Last gelegten Straftat angeordnet werden, nicht aber zu dem Zweck, Verdachtsgründe insbesondere gegen den Informanten zu finden.
    Quelle: Bundesverfassungsgericht


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