„Walter Benjamin beginnt, die Wut des entrechteten Proletariats zu verstehen,… . Früh erkennt er die Gefahr, dass sich diese Wut auch als faschistische Variante reaktionär entladen kann.“ So kennzeichnet Uwe-Karsten Heye, einst Redenschreiber von Willy Brandt, die analytische Fähigkeit des gesellschaftskritischen Philosophen, der sich 1940 auf der Flucht vor den Nazis das Leben nahm, und dessen traurig wissende Aura in den berühmten Fotos von Gisèle Freund zum Ausdruck kommt. Seine intellektuelle Sprachkraft, die sich auch auf ganz alltägliches Unrecht bezog, erzeugte zunächst Feindseligkeit gegenüber „zersetzender Literatur“ durch die NS-Propaganda, dann den Beschluss zur Ermordung der jüdischen Mitbürger in ganz Europa. Von Marianne Bäumler

Aus gut recherchierten Dokumenten, Briefen, Zeitzeugen-Berichten, und Original-Zitaten aus dem umfangreichen Werk Walter Benjamins ist hier eine Zeitreise durch das 20. Jahrhundert entstanden, die sich in erschütternden Lebensläufen der drei jüdischen Geschwister Benjamin: Walter, Georg und Dora widerspiegelt.

In einer Mélange aus wissenschaftlichen Quellen und seiner sehr persönlichen Spurensuche macht Heye sich einfühlsam seine Gedanken, wie es zugegangen sein mag in jenen Zeiten der grausamen Verfolgung, auch für Bruder Georg, den Armenarzt im Wedding, bevor er im KZ umkam, für Dora, die Schwester, deren sozialpsychologische Studien sie ebenso der politischen Gewalt aussetzten und sie ins Exil trieben.

Der Autor ist glücklicherweise weit davon entfernt, ein „reines Sachbuch“ schreiben zu wollen. Vielmehr macht er sich auf die Spur, diesen Personen in ihren historischen Bedingtheiten bewusst ganz subjektiv nahezu kommen.

Alle „Benjamins“ erleiden die tragischen Auswirkungen totalitärer Herrschaftsverhältnisse zwar individuell unterschiedlich und getrennt voneinander, aber sie münden für jeden in einer tiefgreifenden Traumatisierung. Sicher ist die daraus resultierende rigide Entwicklung der berüchtigten Machtpolitikerin Hilde Benjamin – die Ehefrau von Georg – in der DDR für viele Bürger „drüben“ eine schreckliche Bedrohung gewesen, die ihrerseits Menschen traumatisiert hat. Insofern lässt sich Heye’s Buch als literarisch vielschichtige Anregung auch für Nichtwissenschaftler gut lesen und so die leidvollen Folgewirkungen totalitärer Herrschaft in Deutschland für die konkrete persönliche Verantwortung weiterhin ernsthaft diskutieren.

Uwe Karsten Heye: Die Benjamins, Aufbau Verlag 361 Seiten 22,99 €