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Titel: Der Preis der Freiheit – Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland

Datum: 15. April 2014 um 12:04 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Ökonomie, Ressourcen
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Für die meisten deutschen Medien ist die Sache klar: Da die Ukraine sich nun dem Westen in die Arme wirft, droht Russlands Präsident Putin „uns“ nun mit einem Gas-Stopp. So schrieb es beispielsweise die BILD-Zeitung in der letzten Woche wortwörtlich und auch seriösere Medien teilen diese Lesart. Die Wirklichkeit ist – wie so oft – jedoch um einiges komplizierter. Fest steht, dass irgendwer das viele Gas bezahlen muss, das die Ukraine aus Russland bezogen hat und auch noch über lange Zeit beziehen wird. Die europäischen Steuerzahler stehen hierbei auf der Liste der potentiellen Zahlmeister ganz weit oben, wobei sowohl die Bevölkerung als auch die Industrie der Ukraine schon jetzt zu den kommenden Verlierern zählen. Von Jens Berger

Will Putin „uns“ das Gas abdrehen? Nein, natürlich nicht. Bei der aktuellen Wiederauflage des russisch-ukrainischen Gasstreits geht es – vereinfacht gesagt – darum, dass Russland künftig von der Ukraine den 2009 verhandelten Importpreis für seine Gaslieferungen in Rechnung stellen will. Dieser Preis existierte bis dato eigentlich nur auf dem Papier. De facto zahlte die Ukraine anstatt der vertragsgemäßen 485 Dollar im letzten Jahr nur 268 Dollar pro 1.000 Kubikmeter Erdgas aus Russland. 100 Dollar Rabatt wurden der Ukraine als Pacht für die Marinestützpunkte auf der Krim gewährt. Diese Preisminderung ist nun hinfällig. Der Rest der Differenz war nach russischer Lesart eine Subvention des ökonomisch kränkelnden Brudervolkes. Doch dies ist bestenfalls die halbe Wahrheit. In der Tat stellte die Subvention vielmehr eine Art Wohlverhaltensprämie dar. So lange die Ukraine nicht offen mit Russland bricht und mit der EU ein Assoziierungsabkommen abschließt, war Russland bereit, sich diese Freundschaft auch etwas kosten zu lassen. Auch diese Preisminderung ist nun hinfällig.

Dass die Ukraine, genauer gesagt der staatseigene ukrainische Gasmonopolist Naftogaz, hohe Schulden bei Russland, genauer gesagt dem staatlich kontrollierten russischen Gasmonopolisten Gazprom, hat, ist nichts neues. Seit Russland 1994 angefangen hat, seine Energieexporte in die anderen GUS-Staaten marktwirtschaftlich zu definieren und Geld zu verlangen, hat die Ukraine Gas-Schulden bei Russland. Seit diesem Zeitpunkt gibt es auch regelmäßig Vorfälle, bei denen die Ukraine Gas aus den Transitleitungen, das für den Westen bestimmt ist, illegal entnimmt. 2001, 2006, 2008 und 2009 führten diese Konflikte zu den sogenannten „Gasstreits“ zwischen den beiden Ländern. Heute befinden wir uns in der fünften Auflage dieses Gasstreits und im Grunde genommen sind die Konfliktlinien ähnlich wie bei den vorangegangenen Streitigkeiten.

Die Gazprom hat ein berechtigtes Interesse daran, die momentan offenen Gasschulden in Höhe von 2,2 Mrd. Dollar einzutreiben. Die Naftogaz hat jedoch kein Geld, um ihre Schulden zu begleichen und sieht sich auch nicht in der Lage, die Verpflichtungen aus den laufenden Lieferungen zu begleichen. Daher vertritt Russland den – eigentlich verständlichen Standpunkt -, dass die neuen Freunde der Ukraine nun auch die Gasimporte des Landes bezahlen sollten. Dies teilte Putin letzte Woche auch den EU-Staatschefs mit – er fügte hinzu, dass Russland auf mögliche illegale Gasentnahmen der Ukraine, die für den Westen bestimmt sind, mit einer Reduzierung der Einspeisung reagieren würde. Die Botschaft: Wenn die Ukraine Gas klaut, dann klaut sie dies nicht Russland, sondern dem Westen. Es ist erstaunlich, dass die deutschen Medien hier Ross und Reiter nicht beim Namen nennen und Russland wieder einmal für Dinge verantwortlich machen, die bei näherer Betrachtung von der Ukraine zu verantworten sind.

In der Vergangenheit eskalierten die Gasstreitigkeiten zwischen Russland und der Ukraine immer dann, wenn in Kiew eine pro-westliche Regierung am Ruder war. In Zeiten eher pro-russischer Regierungen in Kiew gab es hingegen auch bei den Gasstreits meist eine Entspannung. Nun ist es freilich mehr als unwahrscheinlich, dass Kiew in nächster Zeit wieder eine pro-russische Regierung haben wird. Der Gasstreit wird also aller Voraussicht nach an Intensität zunehmen und es ist nicht davon auszugehen, dass Russland von seinen Preisvorstellungen abweicht. Wer soll nun bitteschön die Rechnung bezahlen?

Wenn die ukrainische Bevölkerung und die ukrainische Industrie die Preiserhöhungen voll übernehmen müssten, so wie dies unter anderem vom IWF gefordert wird, käme dies einer wirtschaftlichen Katastrophe gleich. Den Menschen fehlt schlichtweg das Geld, um derartige Energiekosten zu zahlen und große Teile der Wirtschaft sind (nicht nur) in puncto Energieeffizienz immer noch in der sowjetischen Tonnenideologie stecken geblieben. Dank langjähriger massiver Subventionen auf den Gaspreis sind sie auf eine Anpassung an den Weltmarktpreis nicht vorbereitet. Betriebsschließungen, verbunden mit Massenarbeitslosigkeit, sind da eine durchaus realistische Perspektive. Wäre man zynisch, könnte man dies als den „Preis der Freiheit“ bezeichnen.

Wie sehen die Alternativen aus? Die Ukraine könnte ebenfalls den Einsatz erhöhen und die russischen Preiserhöhungen mit Erhöhungen der Transitgebühren kontern. Dann würden die Energieverbraucher im Westen zur Kasse gebeten – nicht nur aus diesem Gesichtspunkt war es eine gute Entscheidung, mit der Nordseepipeline eine (fast) direkte Energietrasse zwischen Deutschland und Russland zu bauen. Die Ukraine unabhängig von russischen Erdgaslieferungen zu machen, ist keine realistische Alternative. Wo soll denn das Gas herkommen? Allenfalls Iran käme hier als Konkurrent für Russland in Frage. Der Westen hat jedoch kein Interesse daran, Iran wirtschaftlich aufzuwerten. Hinzu kommt, dass der Bau einer Pipeline Jahrzehnte dauern und Milliarden kosten würde. Der vielfach ins Spiel gebrachte „Re-Export“ russischer Gaslieferungen aus Deutschland oder Ungarn ist längst Praxis, aber nur in einem sehr begrenzten Maßstab technisch möglich. Hinzu kommt auch hier die Haftungsfrage. Wer garantiert einem Konzern wie der RWE die Verbindlichkeiten aus der Ukraine. Bliebe die Steigerung der Energieeffizienz in der Ukraine. Dieser Schritt ist ohnehin längst überfällig, jedoch ebenfalls nicht in wenigen Monaten umzusetzen.

Für den Westen ist diese Situation höchst grotesk. Die nun fließenden Geldströme werden zu einem großen Teil über den Umweg Kiew direkt nach Moskau fließen, um die ukrainischen Schulden und die Verpflichtungen aus laufenden Verträgen zu decken. Das ukrainische Volk hat davon nichts – im Gegenteil, durch die gestiegenen Preise und die zu erwartende Wirtschaftskrise wird es wohl schon bald seine Vorliebe für den Westen ernsthaft in Frage stellen. Und was kommt dann? Die Rechtsradikalen stehen bekanntlich schon in den Startlöchern.


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