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Titel: Was hat man uns nur erzählt?

Datum: 5. Oktober 2005 um 12:53 Uhr
Rubrik: „Lohnnebenkosten“, Strategien der Meinungsmache, Wettbewerbsfähigkeit
Verantwortlich:

Von Dr. Bernd Niquet.

Die Lohnnebenkosten sind ein Uebel. Ein ganzes Volk wuerde sie am liebsten in den Boden stampfen. Es gibt wohl niemanden mehr, der nicht fuer eine Senkung der Lohnnebenkosten eintreten wuerde. Die Politik sowieso, die Arbeitgeber natuer- lich auch, denn eine Senkung der Lohnnebenkosten bedeutet fuer sie geringere Lohnzahlungen. Und die Arbeitnehmer sind ebenfalls dafuer, schliesslich bleibt bei einer Senkung der Lohnnebenkosten bei gleichbleibendem Bruttolohn netto mehr in der Kasse. Also weg damit! Zumindest: deutlich herunter!

Man ist fast an die Zeiten vor 1989 erinnert. “Die Mauer muss weg!” hiess es damals – und sicherlich mit einigem Recht. Doch lange halten diese Parallelitaeten natuerlich nicht.

Wenn ich mir die vielen Mail anschaue, die ich auf meine Kolumnen der letzten Wochen bekommen habe, wird mir die Tragik von Angela Merkel noch deutlicher als vorher. Wie leicht haette sie als leuchtende Wahlsiegerin dastehen koennen, wenn sie einfach nur gesagt haette: Die Lohnnebenkosten muessen herunter. Und nichts von Mehrwertsteuererhoehung und sonstigem. Die Mauer muss weg! Damit konnte man schon immer Wahlen gewinnen – und heute sicherlich genauso. Der Rest sind doch oekonomische Zusammenhaenge – und wer versteht denn schon davon etwas? Der durchschnittliche Waehler ganz gewiss nicht. Wer also die Chance haben will, ehrliche Politik zu machen, muss vorher betruegen. Wie das geht, hat Schroeder zwei Mal erfolgreich vorexerziert.

Doch weg jetzt von der Politik und hin zum Oekonomischen. Die Geschichte mit den Lohnnebenkosten ist ein Nullsummenspiel. Und ein Spiel, bei dem es ausschliesslich um Elastizitaeten geht. Was bringt der Gesamtwirtschaft mehr: zwei Prozent mehr Gewinn oder zwei Prozent mehr Konsum? Die wichtigsten Positionen der Lohnnebenkosten sind die Versicherungsbeitraege der Arbeitnehmer fuer Krankheit und Arbeitslosigkeit, die Leistungen fuer die Rentenzahlungen an die jetzigen Alten und die Lohnzahlungen im Krankheits- und Urlaubsfall.

Wenn die Lohnnebenkosten reduziert werden, dann muss irgend jemand das bezahlen. Es gibt mehrere Moeglichkeiten, wobei eigentlich nur eine Gruppe aus dem Schneider ist, naemlich die Unternehmen. Denn eine Finanzierung der Senkung der Lohnnebenkosten im Unternehmerlager waere zwar theoretisch moeglich, jedoch reichlich widersinnig. Die Senkung der Lohnnebenkosten ist also so etwas wie ein Lastenausgleich einer ganzen Gesellschaft zu Gunsten der Arbeitgeber. Ein ganzes Land sammelt fuer seine Athleten, damit sie dieses bei den internationalen Wettkaempfen gut vertreten.

Und wen kann man hier am trefflichsten zur Kasse bitten? Die Steuerzahler, die Arbeitnehmer und die Konsumenten. Eine Steuererhoehung faellt weg, denn hiermit wuerde man auch die Selbstaendigen und die Personengesellschaften treffen, die doch ebenfalls als Athleten auftreten. Bleiben mithin die Arbeitnehmer und die Konsumenten. Der Mehrwertsteuerfall ist der Merkelfall. Doch die anderen Politiker sind sicherlich kreativ genug, sich noch eine Vielzahl anderer Varianten einfallen zu lassen.

Angesichts der Kombination von Rekordgewinnen mit totaler Konsumflaute sind das jedoch alles Holzwege. Lassen wir doch die Lohnnebenkosten so wie sie sind! Auch eine Senkung von zwei Prozent macht den legalen deutschen Arbeitnehmer nicht konkurrenzfaehig gegenueber dem auslaendischen Schwarzarbeiter. Investieren wir lieber mehr in Ueberpruefungen! Denn wir muessen immer bedenken: Zwei Prozent zu Gunsten der Unternehmen sind zwei Prozent zu Lasten des Konsums. Und das bei der gegenwaertigen Situation. Das duerfte nicht einmal ein weitsichtiger Unternehmer so recht befuerworten.


Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.

Letzte Bucherscheinung:
Bernd Niquet, Klabautermannzeit, Roman, Volk Verlag, Muenchen 2003, 175 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 3-937200-04-5. Jetzt ueberall im Buchhandel.


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