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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Wir holen die Reformen der anderen nach…
Datum: 18. September 2005 um 12:47 Uhr
Rubrik: Agenda 2010, Arbeitslosigkeit, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Von Timm Schützhofer.
Nun werden also die Reformen, die andere Länder in den 90er Jahren gemacht haben gleich gesetzt mit Agenda 2010 und Hartz- Gesetzen. Besonders beliebt ist dabei der Vergleich mit skandinavischen Ländern, nach dem Motto: Wenn es die skandinavischen Wohlfahrtsstaaten machen, dann kann es doch nicht so schlimm sein.
Es gibt jedoch eine Reihe wichtiger Unterschiede zu Dänemark, Finnland und Schweden. Ein Unterschied ist das Ergebnis, in den skandinavischen Ländern haben die Reformen Arbeitsplätze geschaffen, in Deutschland geschieht dies nicht. In Dänemark liegt die Arbeitslosigkeit schon seit Jahren rund um die 5%, was weder mit niedrigen Löhnen und starker Lohnspreizung noch mit niedrigen Energiepreisen zu tun hat. Die Lohnunterschiede sind in Dänemark nämlich traditionell gering. Die Steuern auf Energie sind höher, da man sich der Folgen von Energieverschwendung stärker bewusst ist. Doch warum investieren auch ausländische Firmen in Dänemark, was machen die Dänen besser als wir?
Fangen wir gleich bei den Reformen der 90er Jahre an. In Dänemark hat man viel Geld in die Hand genommen und die Wirtschaft kräftig angekurbelt. Dazu hat man hohe Neuverschuldungen in Kauf genommen.
Ähnliches gilt für Schweden, wo die Neuverschuldung zeitweise bei 12% lag. In Deutschland wird hingegen bei den Investitionen gespart und der private Konsum wird durch Sozialkürzungen abgewürgt. Interessant ist auch wie mit Arbeitslosen umgegangen wird. Endlich so hart durchgreifen wie die Danen, endlich die „Sozialschmarotzer“ in Arbeit zwingen, dann wird die Arbeitslosigkeit verschwinden. Doch entspricht es dem dänischen Modell, jeden in Arbeit zu zwingen?
Nun, so einfach ist es eben nicht. Wer in Dänemark arbeitslos wird fällt zunächst relativ weich. Das Arbeitslosengeld beträgt für Geringverdiener teilweise mehr als 90% des letzten Einkommens. Besserverdienende bekommen prozentual weniger. Es stimmt, dass Arbeitslose auch Arbeit annehmen müssen, bei der sie weniger verdienen. Bevor dies geschieht gibt es aber viele Möglichkeiten zur Unschulung und Weiterbildung. Das Arbeitslosengeld wird bis zu vier Jahren ausgezahlt. Es wird nicht automatisch nach einer bestimmten Zeit gekürzt, sondern nur dann, wenn Angebote der Arbeitsvermittlung abgelehnt werden.
Was die Verschuldung angeht ist es den skandinavischen Ländern gelungen, die relative Verschuldung abzubauen. Man ist praktisch aus der Verschuldung herausgewachsen und hat in Dänemark inzwischen einen Haushaltsüberschuss.
In der „Zeit“ vom 25.8.05, schreibt der ehemalige dänische Ministerpräsident Poul Nyrup Rasmussen einen Artikel darüber, wie er die Arbeitslosigkeit besiegt haben will. Er kritisiert dabei die deutsche Reformpolitik nicht direkt. Wenn man den Artikel aber genauer liest, dann stellt er sich gegen zentrale Forderungen, die in der Deutschen Reformdebatte immer wieder auftauchen.
Hier nur einige wichtige Zitate, die ich mit eine eigenen Kommentaren versehen habe.
Die hitzigen Debatten über die Agenda 2010 in Deutschland heute waren die hitzigen waren die hitzigen Diskussionen in Dänemark vor einem Jahrzehnt.“
Dies klingt erst mal nach Unterstützung für die Agenda 2010, doch die Ergebnisse der Reformpolitik waren in Dänemark anders, die Reformen hatten spürbare positive Effekte.
Als wir an die Macht kamen, lag die Arbeitslosenquote bei 13 Prozent. Das Wirtschaftswachstum war niedrig, die Verschuldung hoch. Am Ende meiner dritten Amtszeit 2001 lag die Arbeitslosigkeit bei unter 4 Prozent, es gab zwei Drittel weniger Langzeitarbeitslose, die Jugendarbeitslosigkeit war verschwunden.“
An den Ergebnissen gemessen, kann man also die Reformen in Deutschland nicht mit denen in Dänemark vergleichen. Ein Grund dafür ist auch, dass man in Dänemark die soziale Gerechtigkeit als Wettbewerbsvorteil begriffen hat.
Unsere Vision war: Wettbewerbsfähigkeit und soziale Sicherheit widersprechen sich nicht, sondern bedingen sich gegenseitig, Ökonomische Effizienz kann mit gerechter Verteilung und einem starken Wohlfahrtstaat verbunden werden.“
Interessant auch die Aussagen von Rasmussen zum Thema Löhne.
Qualität und Entlohnung von Beschäftigung wurden nicht geopfert. Sozialdemokraten müssen Niedriglohnjobs und schlechte Arbeitsbedingungen ablehnen. Wir müssen Flexibilität fördern, denn die passt zu veränderten Wettbewerbsbedingungen und Lebensstilen.“
Die Förderung von Flexibilität, durch deren Umsetzung der Dänische Arbeitsmarkt so Flexibel geworden ist wie der Amerikanische, die Arbeitnehmer also keinen Kündigungsschutz genießen, muss im Kontext des dänischen Sozialstaats gesehen werden. Die Angst vor Arbeitslosigkeit ist aufgrund des hohen Arbeitslosengeldes und der kurzen Arbeitslosigkeitsdauer relativ gering.
Heute haben wir keine langen Kündigungsfristen. Aber wir haben nach wie vor ein hohes Arbeitslosengeld. Der Verlust des Arbeitsplatzes führt nicht zum Verlust des Lebensunterhalts.“
Dieses hohe Arbeitslosengeld macht es wohl auch möglich, dass die Gewerkschaften sich nicht gegen die Politik Rasmussens gestellt haben. Wer auf nach der Kündigung erst mal ein Arbeitslosengeld von bis zu knapp über 90 Prozent erhält hat in gewisser Weise einen Ersatz für den Kündigungsschutz.
Indes fordert auch Poul Nyrup Rasmussen ein Prinzip von Fördern und Fordern.
Wir haben die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes von neun auf vier Jahre verringert. Und wir haben die Arbeitslosenbezüge für jüngere unter 20 Jahre nach Ablauf der ersten 6 Monate der Arbeitslosigkeit fast halbiert. Gleichzeitig wurden „individuelle Aktionspläne“ eingeführt: Einzelgespräche mit dem Arbeitslosen, bei denen die persönlichen Qualifikationen, die Stellenangebote und die Notwendigkeiten der Fort- und Weiterbildung besprochen werden. Dies wurde zu einem Grundrecht der Arbeitslosen. Jedem von ihnen werden Fortbildung, Training und Stellen unterbreitet- Angebote, die man nicht Ablehnen darf.“
Wir erfahren also von einer gekürzten Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes. Wir sprechen aber von einer Kürzung auf vier Jahre, also auf eine immer noch vergleichsweise lange Zeit. Wir hören außerdem vom Recht auf Fort- und Weiterbildungsangeboten für jeden Arbeitslosen. Es geht um eben wirklich um Fordern und Fördern, wobei der Druck nur auf diejenigen Ausgeübt die vorhandene Angebote ablehnen.
Besonders interessant ist es, zu lesen, was der ehemalige Dänische Regierungschef zum Thema Arbeit und Freizeit und Frauen im Beruf sagt. Der von ihm beschriebene Weg könnte nämlich auf sehr soziale Weise das Problem einer älter werdenden Gesellschaft gelöst werden.
Durch ein besseres Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit wurde die Frauenerwerbsquote gesteigert. Mit 73 Prozent ist sie heute eine der höchsten in Europa. Unsere Politik verbesserte die Beschäftigungschancen für Frauen indem wir mehr, billigere und bessere Kinderbetreuung anboten; Betreuungsangebote gibt es jetzt für alle nicht schulpflichtigen Kinder.“
Am Ende seine Artikels nennt Poul Nyrup Rasmussen einige Prinzipien, die sich auch die Deutschen Politiker stärker zu Herzen nehmen sollten. Ich habe die wichtigsten herausgeschrieben.
Rechte und Leistungen sollten niemals weggenommen werden, ohne gleichzeitig neue Rechte und Möglichkeiten zurückzugeben.“
Reform muss so stark wie möglich auf Konsens statt auf Konfrontation gebaut werden, besonders im Konsens mit den Interessengruppen, die sich durch die Reformen bedroht fühlen mögen, wie die Gewerkschaften.“
Die potenziellen Vorzüge von Arbeitsmarktreformen werden am leichtest sichtbar wenn die Wirtschaft wächst. Dies war in Dänemark Mitte der 90er der Fall. Es ist deshalb von essentieller Bedeutung, Reformen in Perioden wirtschaftlichen Aufschwungs einzuleiten.“
Und schließlich die Wirksamkeit von Reformen muss bewiesen werden. Die Bürger müssen die Verbesserungen spüren- spätesten nach zwei Jahren.“
Leider hält die Bundesregierung so gut wie keines dieser Prinzipien ein. Die Konkurrenz aus CDU/CSU und FDP wird dies erst gar nicht versuchen, sondern den neoliberalen Kurs noch verschärfen. Poul Nyrup Rasmussen gehört dem rechten Flügel der Sozialdemokraten in Dänemark an und einige Forderungen halte ich durchaus für problematisch, dennoch wird deutlich, dass die Reformen in Dänemark eben nicht mit den Hartz-Gesetzen und der Agenda2010 gleich zu setzten sind.
Mit freundlichen Grüßen
Timm Schützhofer.
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