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Titel: Die neue Konfrontation West-Ost. Wie geht es vermutlich weiter? Gedanken zur Ukraine, zu Putins Rede vom Dienstag, zu unseren Medien, etc. (Teil I)

Datum: 20. März 2014 um 17:04 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Außen- und Sicherheitspolitik, Europäische Union, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Länderberichte
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Bis hierher und nicht weiter – das ist der Grundtenor der Rede des russischen Präsidenten vom 18. März. Putin erläutert und begründet, warum sich Russland betrogen fühlt. Bei uns im Westen reagiert man mit Sanktionen und wie schon zuvor mit scharfmacherischen Redensarten. Ausnahmen gibt es auch. Aber die Kräfteverhältnisse haben sich in Richtung Konfrontation verschoben, einschließlich der Wiederbelebung des Konzepts der Abschreckung statt der Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Europa und der dafür notwendigen Vertrauensbildung und Abrüstung. Katalysator und Träger der neuen Konfrontation sind herausragende Personen von untereinander vernetzten Leitmedien und eine Fülle von Instituten, Vereinigungen, Stiftungen und PR Agenturen. Albrecht Müller.

Russland fühlt sich betrogen. Die Berechtigung dieses Eindrucks könnte man nach nüchterner Betrachtung des Geschehens seit 1990 einsehen.

Der russische Präsident hat in seiner Rede vom 19.3.2014 – hier der Text – skizziert, wie sich die Abläufe nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation im Jahr 1989/1990 folgende aus russischer Sicht darstellen. Das entspricht – den Kern der Ergebnisse der Entspannungspolitik betreffend – dem, was ich konkret als Mitarbeiter von zwei Bundeskanzlern, die für die Vertrags- und Entspannungspolitik verantwortlich waren, und als Bundestagsabgeordneter von 1987 bis 1994 miterlebt habe. Die Russen konnten sich nach Äußerungen maßgeblicher westlicher Politiker darauf verlassen, dass die Konfrontation zwischen West und Ost ein Ende haben wird und man gemeinsam in einer europäischen Friedensordnung leben kann und will. Dem widersprach dann, was im weiteren Verlauf mit NATO-Ausdehnung bis an die Grenze Russlands und ständiger EU-Erweiterung, sozusagen als Vorhut der NATO-Ausdehnung, geschehen ist.

Mit dem Gefühl des Betrogenseins wird die Einverleibung der Krim nicht rechtens und unproblematisch. Aber sie erscheint in einem anderen Licht.

Die Einverleibung der Krim ist rechtlich problematisch. Aber es ist ziemlich unglaubwürdig, wenn nun Länder und Regierungen auf diesen Rechtsverstoß hinweisen, die Völkerrecht immer dann brechen, wenn es ihnen passt. Und die auch unrechtmäßig zu Stande gekommene Regierungen wie jene in Kiew anerkennen, ohne die rechtliche Lage geprüft zu haben.

Wir NDS-Macher haben den Bruch des Völkerrechts am Beispiel der Intervention im Irak und vor allem am Beispiel der militärischen Intervention im Kosovo-Krieg kritisiert. Die westliche Öffentlichkeit und veröffentlichte Meinung trug mehrheitlich keine Bedenken gegen dieses rechtswidrige Vorgehen vor.

Putin hat die Entwicklung des Verhältnisses von Russland zur Ukraine und zur Krim und den Eindruck, betrogen worden zu sein, ausführlich skizziert und diese Skizze mit Spott und Ironie, aber vor allem mit Fakten gewürzt. Auch das macht die Rede lesenswert. Wenn Sie die Zeit dazu finden, dann sollten Sie das wirklich tun. Denn diese Rede sagt viel über die Zukunft Europas und darüber aus, wie wir mit dem wieder aufgebrochenen Ost-West-Konflikt umgehen sollten, wenn wir friedlich in Europa leben wollen. Es ist auch gut, die Rede gelesen zu haben oder sie sich anzuhören, wenn man die handelnden Personen in Russland und die Reaktion der Verantwortlichen im Westen richtig einschätzen will.

Es sei angemerkt, dass es auch andere Stimmen gibt, auch unter den Lesern der NachDenkSeiten. Eine Leserin schrieb mir heute zur Putin Rede: „Sie ist Propaganda von vorne bis hinten. Schöne Worte.“ – So kann man das auch sehen. Nach meiner Einschätzung verbaut man sich damit eine wichtige Einsicht.

Ist Putin verrückt?

Putin wurde in den letzten Wochen in westlichen Medien als eine komische Figur und als nicht ganz zurechnungsfähig dargestellt. Das fand seinen vorläufigen Höhepunkt in mancher Berichterstattung über die Olympiade in Sotschi und jetzt beispielsweise in einem Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom vergangenen Sonntag. Über fast eine ganze Seite wird dort als Aufmacher des Feuilletons vom russischen Autor Nikolai Klimeniouk und unter der Dachzeile „Krim-Krise aus russischer Sicht“ zu belegen versucht: „Putin ist verrückt“. So der Titel des Artikels und dann heißt es in der Anmoderation: „Ihr im Westen versucht, hinter Putins Handeln eine Strategie zu entdecken. Ihr fragt euch, was sein legitimes Interesse sein könnte. Wir Russen wissen, dass da der blanke Wahnsinn am Werk ist.“

Nun, lesen Sie die Rede und prüfen Sie den geistigen Gesundheitszustand des Vortragenden und machen Sie vor allem den Versuch, der Empfehlung des Autors zu folgen, keine Strategie in dieser Rede und der Politik der russischen Regierung und des russischen Präsidenten zu sehen. Sie werden scheitern. In der Rede wird sehr wohl eine Strategie offen gelegt. Und wenn wir und unsere Regierenden nicht verrückt wären, dann würden wir diese Rede und auch die veränderte Strategie Russlands ernst nehmen und uns darauf einstellen, d.h. für Menschen, die in Frieden leben wollen: zu retten versuchen, was noch zu retten ist. D.h., sich in die Lage der anderen Seite zu versetzen und darauf das eigene Handeln abzustellen.

Maßgebliche Personen und Institutionen im Westen haben sich die Mühe, sich in die Lage anderer zu übersetzen, nicht gemacht. Sie machen weiter mit dem Aufbau der Konfrontation zwischen West und Ost.

Die Europäische Union beschließt Sanktionen, die teils lächerlich sind, teils in Russland wie hier schaden, in jedem Fall die Atmosphäre vergiften, und jene in Moskau bestätigen, die keine Alternative zum jetzigen neuen Kurs sehen. Die Bundeskanzlerin macht dabei mit. NATO-Generalsekretär Rasmussen sieht in dem Anschluss der Halbinsel Krim an Russland einen «Weckruf» für die transatlantische Gemeinschaft. «Dies ist die größte Bedrohung für Europas Sicherheit und Stabilität seit dem Ende des Kalten Krieges», hieß es in einem Text des Nato-Chefs für eine Rede am 19.3. bei der Brookings Institution in Washington. Es gehe nicht nur um die Ukraine, sondern um den Versuch Russlands, «die Uhr zurückzudrehen». Es wolle neue Grenzen auf den Karten ziehen, Märkte monopolisieren und Bevölkerungen unterwerfen, berichtet die „Welt“. «Und Gewalt nutzen, um Probleme zu lösen», sagte Rasmussen laut dem Manuskript. «Russland hat seine Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit als internationaler Akteur infrage gestellt.» Rasmussen spricht im Blick auf Moskau von „globalen Rüpeln“. So kann man die Nachbarn in Europa auch sehen. Die Konsequenz wird sein, dass weiter gerüstet wird. Das ist vermutlich das, was NATO-Generalsekretär Rasmussen auch will und wozu er berufen ist

Die Konsequenz ist außerdem, dass die Erweiterungspolitik der Europäischen Union wie auch der NATO fortgeführt wird. Und besonders schlaue Leute wie das Kommissionsmitglied Oettinger verkünden, wir im Westen könnten uns auch unabhängig machen von den Gas- und Öllieferungen Russlands. Was als friedensstiftend gedacht war, nämlich die wirtschaftliche Abhängigkeit voneinander, soll nun abgebaut werden

Dies alles ist das Gegenteil dessen, was getan werden müsste, wollte man die Chance, zu einer Politik der Zusammenarbeit in einem einigen Europa zurückzukehren, überhaupt noch irgendwo zu ergreifen versuchen.

Wer die Rede Putins liest, weiß, dass dafür im Westen eine politische Wende notwendig wäre:

  • Es wäre nötig, Vertrauen neu zu schaffen, wo dieses verloren gegangen ist.
  • Es wäre dazu notwendig, einzugestehen, dass es falsch ist und falsch war, Russland einzugrenzen und ihm mit NATO und EU immer näher zu rücken, und
  • dass es falsch sein wird, Destabilisierungspolitik auch gegenüber Russland zu betreiben bzw. fortzusetzen.

Die Rede Putins enthält einen bemerkenswert offenen Text zu diesem Thema. Ich zitiere:

„Wir werden es mit Sicherheit auch mit äußeren Gegenmanövern zu tun bekommen, doch wir müssen für uns selbst entscheiden, ob wir dazu bereit sind, unsere nationalen Interessen konsequent zu verteidigen, oder ob wir sie mehr und mehr aufgeben und uns wer weiß wohin zurückziehen. Manche westlichen Politiker schrecken uns bereits nicht nur mit Sanktionen, sondern auch mit der Perspektive einer Verschärfung der inneren Probleme. Es wäre interessant zu erfahren, was sie damit meinen: Aktivitäten einer gewissen „Fünften Kolonne“ – also verschiedener „Vaterlandsverräter“ – oder rechnen sie damit, dass sie die soziale und wirtschaftliche Lage Russlands verschlechtern können und damit eine Unzufriedenheit der Menschen hervorrufen? Wir betrachten solche Verlautbarungen als unverantwortlich und offen aggressiv, und werden entsprechend darauf reagieren. Dabei werden wir selbst niemals nach einer Konfrontation mit unseren Partnern – weder in Ost, noch in West – streben; ganz im Gegenteil, wir werden alles Notwendige unternehmen, um zivilisierte, gutnachbarliche Beziehungen aufzubauen, so, wie es sich in der heutigen Welt gehört.“

Entscheidend ist, ob der Westen bereit wird sein, das Rollback und die dafür eingeplante Destabilisierung aufzugeben.

Es sieht nicht danach aus. Der Westen ist in dieser Frage gespalten, in einigen Variationen:

  • Es gibt jene, die das Ziel, die „Kommunisten“, die sie dort immer noch wirken sehen, obwohl sie alles andere als Kommunisten sind, zu besiegen, eh nie aufgegeben haben.
  • Es gibt jene, die Rechnungen offen haben wie die Polen, die Balten, die Tschechen und einige aus der ehemaligen DDR.
  • Es gibt jene, die zur eigenen Überhöhung die Konfrontation brauchen – je übler der Gegner dargestellt wird und aussieht, umso mehr kann man sich als glänzend darstellen.
  • Es gibt finanzielle Interessen am militärischen Konflikt jedenfalls an der Konfrontation, auch der militärischen.
  • Es gibt jene, die das Ende der Ost-West-Konfrontation nicht der Verständigungspolitik, sondern der Hochrüstung und der Destabilisierung im Osten zurechnen. Symbolhaft: Solidarnosc hat das Ende des Ost-West-Konflikts gebracht, nicht die Entspannungspolitik.

Die Stimme der Vernunft gibt es, aber sie ist schwach

Und dann gibt es jene, die das anders sehen, die sich noch daran erinnern, wie die Konfrontation war, und die den Kern der Entspannungspolitik, nämlich friedlich zusammenzuleben und zusammenzuarbeiten, ernst genommen haben. Bahr, Genscher, Kohl, Schröder, Lafontaine, etc.. Sie kommen aus mehreren Parteien, aber sie sind alt oder wie Schröder diskreditiert. Wir leben in der Gefahr, dass diese Generation, denen der Krieg, der kalte Krieg und die Methode der atomaren Abschreckung noch in den Knochen stecken, ausstirbt.

Und dennoch bleibt uns angesichts der Gefahren nichts anderes übrig, als in der jüngeren Generation für diese Sicht der Dinge zu werben: wir wollen nicht zurück in die Ausgangssituation von 1948: Dort der böse Russe, hier das gute Abendland. Und beide halten sich durch militärische und letztendlich atomare Abschreckung so in Schach, dass der Friede erhalten bleibt. Das ist teuer, das ist riskant, das blockiert eine gedeihliche innere Entwicklung.

Ein Beispiel für eine differenziertere Betrachtung:

Günter Verheugen im Deutschlandfunk vom 18.3.2014
Anmerkung: Bei ihm ist neben viel Zustimmung kritisch anzumerken, dass er die stimulierende Wirkung der EU-Erweiterung für die NATO Erweiterung und Konfrontation nicht sieht. Die EU-Erweiterung ohne Angebot der vollen Kooperation mit Russland hat immer den Beigeschmack der Abgrenzung und der Ausdehnung des Westens an die russische Grenze gehabt.

Ein weiteres Beispiel:

Folker Hellmeyer, Bremer Landesbank.

Überraschend offene Worte über Deutschlands Interessen und Deutschlands Verhältnis zu den USA, zu Russland, zu China und zur Krimkrise.
”Auf dem Schlachfeld dürfen wir nicht länger nur der Bauer (in den Händen der Amerikaner) sein!”
Die Arme der Amerikaner reichen weit hinein bei uns. Aber sie werden kürzer.

Die Befürworter des Rollback und der Konfrontation haben seit 1990 Verstärkung bekommen.

Es ist ja verständlich, dass die Polen, die Balten, die Tschechen, die Ungarn usw. nicht sonderlich begeistert sind von Russland und den Russen. Aber notwendig ist das nicht. Diese Völker haben nicht nur schlechte Erfahrungen mit Russland gemacht, sondern auch mit den Deutschen.

Ihre Präsenz in EU und NATO hat die Gewichte verschoben, so dass sich heute vermutlich nur noch schwer eine Koalition bilden könnte, die ähnlich wie in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Konfrontation des Schreckens überwinden könnte und wollte. Weil wir nicht aufgepasst haben, weil wir die Versprechen gegenüber den Russen gebrochen haben, sind wir zur Geisel von Völkern geworden, die alte Feindschaften pflegen und wie zum Beispiel die Ukraine im Innern politische Kräfte haben, die man ohne Übertreibung zu den Faschisten zählen kann. Es ist ja kein Wunder, dass in der Ukraine von einigen Elementen immer noch die Freundschaft zur Wehrmacht und zu Nazi-Deutschland beschworen wird.

Diese Vertreter extremer Positionen wirken wie ein weit eingesteckter Pflock für Kräfte, die sich für demokratisch halten und dennoch zugleich ideologisch auf das Rollback eingeschworen sind. Für diesen Zusammenhang symptomatisch ist das Wirken mancher Vertreterinnen und Vertreter der Grünen und ihrer Stiftung in der Ukraine. Dazu nur ein Beispiel. Es lag und liegt im Interesse der extremen Rechten, dass ihre Beteiligung auf dem Maidan wie auch an der neuen Regierung in Kiew heruntergespielt wird. Einzelne Persönlichkeiten der Grünen Partei wie auch die Heinrich-Böll-Stiftung haben sich dafür hergegeben. Ein guter Beleg dafür ist dieses Dokument: „Euromaidan: Keine extremistische, sondern freiheitliche Massenbewegung“ vom 20. Feb. 2014.

In Deutschland und weltweit sind die Befürworter des Roll Back bestens organisiert. Sie beherrschen wichtige Medien und strahlen auf die anderen aus.

Zunächst ist an dieser Stelle auf einige wenige Beispiele geballter Agitation in den letzten Tagen aufmerksam zu machen:

Ein Musterbeispiel war die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 16.3.:

Es begann auf der ersten Seite der Zeitung mit dem Aufmacher; die Seite begann mit dem oberen Teil des hier abgebildeten Plakatsmotivs, ohne CDU und ohne Text:

Dann folgte unter der Dachzeile „Krim-Krise“ der HauptartikelMoskau nimmt Ukraine in die Zange“.
Auf der letzten Seite des ersten Produkts, also auch auf prominentem Platz, folgten zwei weitere Artikel zum Thema:

Erstens:

Die Ukraine gehört in die Nato

15.03.2014 · Die Allianz wollte Russland entgegenkommen. Doch Moskau nahm nicht die Hand, es zeigte seine Faust. In der Krim-Krise zeigt sich, dass die Strategie der Nato gescheitert ist. Ein Kommentar.

Von Thomas Gutschker

Und dann zweitens eine einzige Diffamierung der Linkspartei als fünfte Kolonne Moskaus:

Moskaus Partei
Von Marie Katharina Wagner
FAS 16.3.2014 über Sahra Wagenknecht und die Linke
(Ohne Link)

Und dann folgte noch der zuvor schon erwähnte ganzseitige Artikel: „Putin ist verrückt“.

Die FAS war nicht alleine. In den deutschen Medien von der FAZ bis zur Süddeutschen Zeitung, von der Welt bis zur Taz wird mobil gemacht gegen Russland.

Dahinter steckt ein Netz von einflussreichen Journalisten, eine groß angelegte PR Arbeit, die sich in der Gründung von Konferenzen, Institutionen, Stiftungen, PR Agenturen offenbaren.

Davon in einem nächsten Artikel, vermutlich morgen als Teil II mehr..


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