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Titel: Gemeinsame Sicherheit – das ist der entscheidende Gedanke.

Datum: 13. März 2014 um 18:13 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Europäische Union, Friedenspolitik
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Die Reaktionen auf unsere Beiträge (hier und hier) zu Krieg und Frieden und die Verwirrung in der öffentlichen Debatte machen ein paar Nachträge notwendig und sinnvoll. Als erstes ist auf die heute von Gregor Gysi gehaltene Rede aufmerksam zu machen. In Anhang 1 geben wir sie komplett wieder. Aus Gründen der Pluralität aber vor allem, um Ihnen den direkten Vergleich zu ermöglichen, geben wir in Anlage 2 die Erklärung des SPD Vorstands vom 10. März zum Thema wieder. – Dann will ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass es noch friedenspolitische Initiativen und Gruppen in Deutschland gibt. Ihre Arbeit wollte ich mit meiner Frage, wo die Friedensbewegung geblieben ist, keinesfalls herabwürdigen. – Dann wird kritisiert, wir gingen mit Putin zu freundlich um und würden die Verhältnisse in Russland verharmlosen. Von Albrecht Müller

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das tun wir nicht. Wir sehen die Menschenrechtsverletzungen dort. Wir sehen sie allerdings auch hier. Das entscheidende ist jedoch, dass wir von der neuen Aufspaltung zwischen Ost und West nichts halten und dass die Konzeption zum Abbau der Konfrontation in Europa, die zum Erfolg von 1989 geführt hat, die neue Konfrontation zwischen West und Ost nicht vorsah. Es war Konsens bis hinein ins konservative Lager, dass wir in Europa Sicherheit in einer gemeinsamen Friedensordnung finden. Damals wichtige Kräfte haben in der Fortsetzung der Militärbündnisse keinen Sinn gesehen. Es gab sogar die Erwägung, wenn schon NATO-Fortsetzung, dann unter Einschluss von Russland. Auf jeden Fall sollte die NATO nicht über die Grenzen Deutschlands hinaus ausgedehnt werden.

Der damalige NATO-Generalsekretär Manfred Wörner meinte 1990:

„Schon der Fakt, dass wir bereit sind, die NATO-Streitkräfte nicht hinter den Grenzen der BRD zu stationieren, gibt der Sowjetunion feste Sicherheitsgarantien.”

(Quelle: Putin-Rede auf der Sicherheitskonferenz in München)

Die Zusagen an Russland, die NATO nicht über die Grenzen Deutschlands hinweg auszudehnen, sind gebrochen worden. Auf das Sicherheitsbedürfnis Russland ist keine Rücksicht genommen worden. Das gilt gerade auch für den Versuch, in einem ersten Schritt die Ukraine in die europäische Union aufzunehmen. Der zweite Schritt wäre die Aufnahme in die NATO.

In dem die Europäische Union und die dafür Verantwortlichen genau auf diesem Wege weiter fortschreiten, zeigen sie, dass sie das Grundproblem, nämlich eine gemeinsame Sicherheit für alle in Europa einschließlich Russlands zu schaffen, nicht verstanden haben und vermutlich auch nicht verstehen wollen.

Wenn man neu anzusetzen wollen würde, dann müsste genau das das Ziel sein. Die NATO müsste sich zurückziehen, statt militärische Kraft zu demonstrieren. Das wäre eine notwendige vertrauensbildende Maßnahme, die auch die Verhandlungen über den Fortbestand der Ukraine und eine friedliche Lösung für dieses Land erleichtern würde. Man müsste endlich das nachholen, was man in den Jahren nach 1990 versäumt und verspielt hat.

Anhang 1:

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann (SPD): Gregor, du gehst einen schweren Gang!)

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Putin will die gesamte Krise in der Ukraine militärisch lösen. Er hat nicht begriffen, dass die Probleme der Menschheit weder mit Soldaten noch mit Gewehren zu lösen sind, ganz im Gegenteil.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Auch die Probleme Russlands lassen sich so nicht lösen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sein Denken und Handeln ist falsch und wird von uns deutlich verurteilt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist aber dasselbe Denken, das im Westen vorherrschte und vorherrscht: bei Jugoslawien, Afghanistan, dem Irak und Libyen.

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

An die Stelle der Systemkonfrontation sind die Interessengegensätze der USA und Russlands getreten. Der Kalte Krieg ist beendet, aber solche Interessengegensätze können zu ganz ähnlichen Zügen führen.

Die USA wollen mehr Einfluss gewinnen und vorhandenen verteidigen, und Russland will mehr Einfluss gewinnen und vorhandenen verteidigen. Ich sage als Stichworte zu Russland nur: Georgien, Syrien, Ukraine.

Auch wenn man Putins Vorgehen verurteilt, muss man sehen, wie es zur gesamten Zuspitzung und Konfrontation kam. Ich sage es Ihnen ganz deutlich: Alles, was NATO und EU falsch machen konnten, haben sie falsch gemacht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich beginne bei Gorbatschow im Jahre 1990. Er schlug ein gemeinsames europäisches Haus, die Auflösung der NATO und des Warschauer Vertrages und ein Konzept der „Gemeinsamen Sicherheit“ mit Russland vor. Das hat die NATO ausgeschlagen. Sie hat gesagt: Den Warschauer Vertrag aufzulösen, ist okay, aber die NATO bleibt. Und aus dem Verteidigungsbündnis NATO wurde ein Interventionsbündnis gemacht.

Der zweite Fehler: Bei der Herstellung der deutschen Einheit erklärten der amerikanische Außenminister, unser damaliger Außenminister Genscher und andere Außenminister gegenüber Gorbatschow, dass es keine Osterweiterung der NATO geben wird. Dieses Versprechen ist gebrochen worden. Es gab eine vehemente Ausweitung der NATO in Richtung Russland.

Der ehemalige US-Verteidigungsminister Robert Gates bezeichnete die eilfertige Aufnahme der osteuropäischen Staaten in die NATO als schweren Fehler und den Versuch des Westens, die Ukraine in die NATO einzuladen, als schwere Provokation. Nicht ich, sondern der ehemalige US-amerikanische Verteidigungsminister hat das erklärt.

Dann kam drittens der Beschluss, Raketen in Polen und Tschechien zu stationieren. Die russische Regierung sagte: Das tangiert unsere Sicherheitsinteressen; wir möchten das nicht. – Das hat den Westen überhaupt nicht interessiert. Es wurde dennoch gemacht.

Zudem hat die NATO im Zusammenhang mit dem Jugoslawienkrieg das Völkerrecht mehrfach und schwer verletzt. Das räumt inzwischen auch der damalige Kanzler Schröder ein. Serbien hatte keinen anderen Staat angegriffen, und es gab keinen Beschluss des UN-Sicherheitsrates. Es wurde dennoch mit erstmaliger bundesdeutscher Beteiligung nach 1945 bombardiert. Und die Bewohnerinnen und Bewohner des Kosovo durften in einem Volksentscheid die Loslösung von Serbien beschließen.

Ich habe damals die Völkerrechtsverletzung schwer kritisiert und Ihnen gesagt: Sie öffnen beim Kosovo eine Büchse der Pandora; denn wenn das im Kosovo erlaubt ist, müssen Sie es auch in anderen Gegenden erlauben. – Sie haben mich beschimpft. Sie haben es nicht ernst genommen, und zwar weil Sie glaubten, solche Sieger im Kalten Krieg zu sein, dass alle alten Maßstäbe für Sie nicht mehr gelten. Ich sage Ihnen: Die Basken fragen, warum sie keinen Volksentscheid machen dürfen, ob sie zu Spanien gehören wollen oder nicht. Die Katalanen fragen, warum sie keinen Volksentscheid machen dürfen, ob sie zu Spanien gehören wollen oder nicht. Natürlich fragen das nun auch die Bewohnerinnen und Bewohner der Krim.

Durch Völkerrechtsverletzung kann man über Gewohnheitsrecht auch neues Völkerrecht schaffen; das wissen Sie. Ich bleibe aber der Meinung, dass die Abtrennung der Krim völkerrechtswidrig wäre, genauso wie die Abtrennung des Kosovo völkerrechtswidrig war.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich wusste aber, dass sich Putin auf den Kosovo berufen wird, und er hat es auch getan. Jetzt sagen Sie, Frau Bundeskanzlerin: Die Situation ist doch eine völlig andere.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist sie auch!)

– Das kann schon sein. – Sie verkennen aber: Völkerrechtsbruch ist Völkerrechtsbruch.

Meine liebe Frau Roth, fragen Sie doch einmal einen Richter, ob ein Diebstahl aus edlerem Motiv im Vergleich zu einem Diebstahl aus unedlerem Motiv kein Diebstahl ist. Er wird Ihnen sagen: Es bleibt ein Diebstahl. – Das ist das Problem.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Struck hat damals erklärt: Die Bunderepublik muss ihre Sicherheit am Hindukusch verteidigen. – Nun erklärt Herr Putin: Russland muss seine Sicherheit auf der Krim verteidigen. – Deutschland hatte am Hindukusch übrigens keine Flotte und war auch wesentlich weiter entfernt. Trotzdem sage ich: Beide Sätze waren bzw. sind falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber es bleibt auch Folgendes: Wenn viele Völkerrechtsverletzer dem Völkerrechtsverletzer Russland vorwerfen, das Völkerrecht zu verletzen, ist das nicht besonders wirksam und glaubwürdig. Das ist die Tatsache, mit der wir es zu tun haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Obama sprach genauso wie Sie, Frau Bundeskanzlerin, von der Souveränität und territorialen Integrität der Staaten. Aber diese beiden Prinzipien wurden in Serbien, im Irak, in Libyen verletzt. Der Westen meinte, das Völkerrecht verletzen zu können, weil der Kalte Krieg vorbei sei. Man hat die chinesischen und die russischen Interessen grob unterschätzt. Sie haben Russland unter Jelzin, der häufig angetrunken war, überhaupt nicht mehr ernst genommen. Aber die Situation hat sich geändert. Sehr spät berufen Sie sich jetzt wieder auf die im Kalten Krieg entstandenen völkerrechtlichen Grundsätze. Ich bin sehr dafür, dass sie wieder gelten – aber dann für alle! Anders geht es nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann gab es das Gezerre zwischen der EU und Russland an der Ukraine. Beide dachten und handelten gleich. Barroso, der Kommissionschef der EU, hat gesagt: Entweder Zollunion mit Russland oder Verträge mit uns! – Er hat nicht gesagt: „Beides“, sondern: „Entweder – oder!“. Putin hat gesagt: Entweder Verträge mit der EU oder mit uns! – Beide haben gleichermaßen alternativ gedacht und gehandelt. Das war ein verheerender Fehler von beiden Seiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Kein einziger EU-Außenminister hat versucht, mit der russischen Regierung zu sprechen und die berechtigten Sicherheitsinteressen Russlands überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.

(Dr. Rolf Mützenich (SPD): Das stimmt doch gar nicht! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stimmt doch gar nicht!)

Russland fürchtet doch, dass nach engeren Beziehungen mit der EU die NATO in die Ukraine kommt. Es fühlt sich immer eingekreister. Aber es wurde nur an der Ukraine gezerrt.

Die EU- und NATO-Außenminister haben die Geschichte Russlands und der Ukraine völlig unberücksichtigt gelassen. Sie haben die Bedeutung der Krim für Russland nie verstanden. Die ukrainische Gesellschaft ist tief gespalten.

(Zuruf des Abg. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Auch das wurde nicht berücksichtigt. Diese tiefe Spaltung zeigte sich schon im Zweiten Weltkrieg, und sie zeigt sich auch heute. Die Ostukraine tendiert in Richtung Russland. Die Westukraine tendiert in Richtung Westeuropa. Es gibt derzeit keine einzige politische Persönlichkeit in der Ukraine, die beide Teile der Gesellschaft repräsentieren könnte. Das ist eine traurige Wahrheit.

Dann gibt es noch den Europarat und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE. Die haben Sie in letzter Zeit schwer vernachlässigt, Frau Bundeskanzlerin und Herr Außenminister. Die Gelder für diese Organisationen wurden immer mehr zusammengestrichen, weil Sie meinten, dass sie nicht wichtig sind. Das sind aber die einzigen europäischen Organisationen, in denen sowohl Russland als auch die Ukraine organisiert sind. Deshalb müssen wir diese Organisationen wieder stärken – auch finanziell – und dürfen nicht über einen Ausschluss Russlands faseln; das ist völlig daneben.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann erlebten wir eine starke Zuspitzung auf dem Maidan. Wir erlebten Scharfschützen und viele Tote. Es gibt verschiedene Gerüchte. In solchen Situationen wird viel gelogen. Deshalb schlagen wir vor, eine internationale Untersuchungskommission einzusetzen. Wir, aber vor allem die Ukrainerinnen und Ukrainer haben ein Recht, zu erfahren, was dort gelaufen ist und wer dort welche Verantwortung trägt. Ich freue mich, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, das unterstützen.

(Beifall bei der LINKEN)

Auf dem Maidan gab es viele demokratische Kräfte, aber auch Faschisten. Der Westen machte direkt und indirekt mit.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was? Bei den Faschisten? – Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei den Faschisten, oder was?)

Dann haben Außenminister Steinmeier, der französische und der polnische Außenminister mit Janukowitsch und der Opposition einen Vertrag geschlossen. Jetzt sagen Sie, Herr Außenminister, Janukowitsch habe die Vereinbarung durch seine Flucht hinfällig gemacht. Das ist falsch. Die Menschen auf dem Maidan lehnten die Vereinbarung mit großer Mehrheit ab,
(Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gab keine Abstimmung auf dem Maidan!)
und Sie, Herr Außenminister, haben auf dem Platz auch nicht für diese Vereinbarung geworben.
Erst nach der Ablehnung verließ Janukowitsch Kiew.

Dann tagte das Parlament und wählte ihn mit 72,88 Prozent ab.

Die Verfassung schreibt aber 75 Prozent vor. Nun sagen Herr Röttgen und andere: Na ja, bei einer Revolution kann man nicht so genau auf die Verfassung achten. Ein paar Prozentchen mehr oder weniger … – Das kann man ja alles machen. Nur, Putin beruft sich darauf und sagt: „Es gab nicht die verfassungsmäßige Mehrheit für die Abwahl“,

(Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Über 80 Prozent, Herr Gysi!)

und stützt sich deshalb auf Schreiben, die Janukowitsch ihm sendet.

Außerdem: Bei der Abstimmung im Parlament standen lauter Bewaffnete herum. Das ist nicht besonders demokratisch. Bei der Volksabstimmung auf der Krim am kommenden Sonntag stehen auch lauter bewaffnete Soldaten herum. Auch das ist nicht besonders demokratisch.

(Norbert Spinrath (SPD): Aha!)

Interessant ist, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, sagen, ein solcher Volksentscheid sei nach der ukrainischen Verfassung verboten. Wann gilt sie denn nun und wann nicht? Bei der Abwahl des Präsidenten gilt sie nicht, und bei der Abstimmung auf der Krim soll sie plötzlich gelten. Sie müssen schon wissen: Akzeptieren Sie die ukrainische Verfassung ganz oder nur in bestimmten Teilen, wenn es Ihnen genehm ist? Das ist die Art, die ich kenne und die ich nicht mag.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann wurde eine neue Regierung gebildet, sofort anerkannt von Präsident Obama, auch von der EU, auch von der Bundesregierung. Frau Merkel! Der Vizepremierminister, der Verteidigungsminister, der Landwirtschaftsminister, der Umweltminister, der Generalstaatsanwalt – das sind Faschisten. Der Chef des nationalen Sicherheitsrates war Gründungsmitglied der faschistischen Swoboda-Partei. Faschisten haben wichtige Posten und dominieren zum Beispiel den Sicherheitssektor. Noch nie haben Faschisten freiwillig die Macht wieder abgetreten, wenn sie einmal einen Teil davon erobert hatten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie Kommunisten!)

Zumindest die Bundesregierung hätte hier eine Grenze ziehen müssen, schon aufgrund unserer Geschichte.

(Beifall bei der LINKEN)

Als Haiders FPÖ in die österreichische Regierung ging, gab es sogar Kontaktsperren und Ähnliches. Und bei den Faschisten in der Ukraine machen wir nichts? Swoboda hat engste Kontakte zur NPD und zu anderen Naziparteien in Europa. Der Vorsitzende dieser Partei, Oleg Tjagnibok, hat Folgendes wörtlich erklärt. Ich zitiere jetzt; Sie müssen sich anhören, was er wörtlich gesagt hat – Anführungsstriche -:
Schnappt euch die Gewehre, bekämpft die Russensäue, die Deutschen, die Judenschweine und andere Unarten.
Ende des Zitats. – Ich wiederhole. Dieser Mann hat gesagt – Anführungsstriche -:
Schnappt euch die Gewehre, bekämpft die Russensäue, die Deutschen, die Judenschweine und andere Unarten.
Ende des Zitats. – Es gibt jetzt Übergriffe auf Jüdinnen und Juden und auf Linke, und gegen all das sagen Sie nichts? Mit diesen Swoboda-Leuten reden Sie? Ich empfinde das als einen Skandal. Ich muss Ihnen das ganz klar sagen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt wollen Sie – auch das haben Sie angekündigt – Sanktionen verhängen, wenn es nicht anders ginge, wie Sie sagen. Aber die werden Putin nicht imponieren. Das spitzt doch die Situation nur zu. Kissinger, der ehemalige Außenminister der USA, hat recht. Er sagt, die Sanktionen seien nicht Ausdruck einer Strategie, sondern Ausdruck des Fehlens einer Strategie. Das gilt auch für die eskalierenden Militärflüge über Polen und die baltischen Republiken. Was soll das?

Konten von Janukowitsch und seinen Anhängern sind gesperrt, weil es gestohlenes Staatsgeld ist. Meine Frage: Das wussten Sie vorher nicht? – Zweite Frage: Warum eigentlich nur deren Konten? Was ist mit dem Milliardenvermögen der Oligarchen, die andere Kräfte unterstützen? Warum machen Sie da nichts? Wie einseitig läuft das eigentlich alles?

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt nur den Weg der Diplomatie.

Erstens. Der Westen muss die legitimen Sicherheitsinteressen Russlands auf der Krim anerkennen, wie das übrigens auch US-Außenminister Kerry erkannt hat. Es muss ein Status für die Krim gefunden werden, mit dem die Ukraine, Russland und wir leben können.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Russland muss garantiert werden, dass die Ukraine nicht Mitglied der NATO wird.

Zweitens. Die Perspektive der Ukraine liegt in einer Brückenfunktion zwischen EU und Russland.

Drittens. Es muss in der Ukraine ein Prozess der Verständigung und Versöhnung zwischen Ost und West eingeleitet werden, vielleicht über einen föderalen oder konföderalen Status, vielleicht auch über zwei Präsidenten.

Was ich der EU und der NATO vorwerfe: Bis heute ist kein Verhältnis zu Russland gesucht und gefunden worden. Das muss sich jetzt gründlich ändern.

(Beifall bei der LINKEN)

Sicherheit in Europa gibt es weder ohne noch gegen Russland, sondern nur mit Russland. Wenn die Krise eines Tages überwunden ist, könnte ein Vorteil darin bestehen, dass das Völkerrecht endlich wieder von allen Seiten respektiert wird.

Danke schön.

Anlage 2:

Berlin, 10. März 2014
069/14

Mitteilung für die Presse

Erklärung des SPD-Parteivorstandes zum Konflikt zwischen der Ukraine und Russland

In seiner heutigen Sitzung hat der SPD-Parteivorstand folgende Erklärung verabschiedet:

I.

Die jüngsten dramatischen Entwicklungen auf der ukrainischen Halbinsel Krim haben zur schwersten Krise in Europa seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes geführt. 25 Jahre nach Ende des Kalten Krieges und der Überwindung der Block-Konfrontation ist die Gefahr einer erneuten Spaltung Europas real.

Europa steht gefährlich nahe an der Schwelle zu einer militärischen Auseinandersetzung. Wer diesen Konflikt weiter schürt, gefährdet den Frieden in Europa und riskiert eine Krise, deren Folgen weit über Europa hinausreichen würden.
Hundert Jahre nach Beginn des ersten Weltkrieges muss gelten: militärische Gewalt darf nie wieder Mittel der Politik werden. Wir appellieren deshalb an alle Konfliktparteien, alles für eine Beruhigung der Lage zu tun und jede weitere Eskalation zu vermeiden.
Als dem Frieden verpflichtete Partei hat die SPD stets in ihrer Außenpolitik auf die Prinzipien der Entspannung, des Dialoges und der Zusammenarbeit gesetzt, um Konfrontationen zu entschärfen und Wege für eine friedliche Konfliktlösung zu öffnen. Unsere Überzeugung ist: Diese Prinzipien einer Friedens- und Entspannungspolitik müssen jetzt auch Wegweiser für die notwendigen Schritte hin zu einer Lösung des aktuellen Konfliktes in der Ukraine sein.

II.

Das russische Vorgehen in Bezug auf die Krim ist inakzeptabel und mit dem Völkerrecht nicht vereinbar. Jede direkte oder indirekte Unterstützung extremistischer und separatistischer Kräfte in der Region gefährdet die Sicherheit und Stabilität auf der Krim und in anderen Landesteilen der Ukraine und muss unterbleiben. Die militärischen Drohgebärden müssen ein Ende haben. Das staatliche Gewaltmonopol der Ukraine muss wieder hergestellt werden.

Russland ist aufgefordert, die territoriale Integrität der Ukraine zu respektieren und alles zu unterlassen, was Abspaltungstendenzen auf der Krim befördert. Die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine kann auch nicht per Referendum ausgehebelt werden. Wir rufen die russische Führung auf, das internationale Völkerrecht und die bestehenden internationalen Abkommen und bilateralen Verträge zwischen Russland und der Ukraine zu achten. Die zusätzlich in die Region entsandten russischen Truppen müssen zurückgezogen werden.

Wir appellieren an die russische Führung, in direkte Gespräche mit der legitimen, aus der Mitte des ukrainischen Parlaments hervorgegangenen Regierung der Ukraine einzuwilligen.

III.

Am 21.02.2014 haben die Außenminister des Weimarer Dreiecks in einem schwierigen Verhandlungsprozess eine Vereinbarung zwischen der damaligen ukrainischen Führung und der Opposition vermittelt, mit der es gelungen ist, die Eskalation der Gewalt zu stoppen und weiteres Blutvergießen zu verhindern.

Die in dieser Vereinbarung verankerten Prinzipien bleiben auch nach der Flucht von Janukowitsch die entscheidende Richtschnur zur Lösung der schweren innenpolitischen Krise der Ukraine. Die neue ukrainische Führung muss sich an diesen Prinzipien orientieren:

Es gilt eine inklusive Regierung zu bilden. Die Rechte nationaler Minderheiten müssen geachtet und aktiv geschützt werden. Militanter Antisemitismus und Rechtsextremismus dürfen in der neuen ukrainischen Ordnung keinen Platz haben. Eine neue Verfassung, die die Rechte der jeweiligen Opposition wahrt, muss erarbeitet, und freie und faire Präsidentschaftswahlen müssen vorbereitet werden. Radikale Kräfte müssen mit rechtstaatlichen Mitteln eingedämmt werden zum Schutz von Menschen- und Bürgerrechten sowie der Demokratie in der Ukraine. Die Ereignisse auf dem Maidan im Februar 2014, die zu mehr als 80 Toten und vielen hundert Verletzten geführt haben, müssen aufgearbeitet, die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

IV.

Angesichts der unübersichtlichen Situation auf der Krim muss es jetzt zunächst darum gehen, durch Beobachter, die von allen Seiten als legitim anerkannt werden, eine objektive Einschätzung der Lage in der Region zu gewinnen, auch um zu verhindern, dass die Situation durch gezielte Desinformation weiter destabilisiert wird. Wir unterstützen deshalb mit Nachdruck die „fact finding mission“ zur Aufklärung der Lage auf der Krim durch die OSZE.

Die intensiven diplomatischen Bemühungen zur Einsetzung einer hochrangigen internationalen Kontaktgruppe müssen entschlossen fortgeführt werden, um direkte Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zu erleichtern: Eine friedliche Lösung der Krim-Krise kann nur auf dem Wege von Verhandlungen erreicht werden. Sollte dies nicht gelingen, haben die europäischen Staats- und Regierungschefs gestufte Maßnahmen der Europäischen Union angekündigt. Umso dringlicher stellt sich die Notwendigkeit, auf dem Verhandlungswege jetzt Erfolge zu erzielen.

Die ukrainische Regierung braucht unsere aktive Unterstützung bei der Vorbereitung freier und demokratischer Wahlen sowie bei der Bewältigung der enormen Strukturreformen, vor denen das Land steht. Dazu gehört z.B. auch die Unterstützung beim Verwaltungsaufbau des Landes, bei der Stabilisierung der rechtstaatlichen Strukturen, der Umsetzung des notwendigen demokratischen Prozesses oder der Gewährleistung der Grundversorgung für die Menschen, etwa im Gesundheitsbereich.

Die Stabilisierung der Ukraine wird nur gelingen, wenn die beträchtlichen wirtschaftlichen Probleme des Landes bewältigt werden. Hierzu braucht es aktive finanzielle Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, um ein wirtschaftliches Auseinanderbrechen des Landes mit fatalen politischen und sozialen Folgen zu verhindern. Das Hilfspaket der Europäischen Union in Höhe von insgesamt 11 Milliarden Euro ist hierzu ein wichtiger Beitrag. Die wirtschaftliche Unterstützung muss den Menschen überall im Land, auch auf der Krim zu Gute kommen.

Europa steht an einer Wegscheide. Wir müssen alles in unserer Macht stehende tun, um eine erneute Spaltung unseres Kontinents und einen Rückfall in längst überwunden geglaubte Konfrontationsmuster zu verhindern. Europa braucht dazu auch eine kohärente, ambitionierte Russland-Strategie. Diese ist umso wichtiger, weil bei vielen internationalen Herausforderungen eine konstruktive Rolle und Einbeziehung Russlands weiterhin wichtig ist. Beim aktuellen Konflikt geht es um Frieden in Europa. Und darüber hinaus geht es auch um die künftige Fähigkeit der internationalen Gemeinschaft zur Lösung von Krisen und Konflikten weltweit.


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