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Titel: Sven Giegold und die grüne Verdrängungsmaschine

Datum: 24. Februar 2014 um 9:50 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, DIE LINKE, Europapolitik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Sven Giegold, Europaparlamentarier der Grünen und für viele im linken Spektrum der Grünen immer noch ein Hoffnungsträger, hat in der ZEIT vergangene Woche ein schlimmes Stück geschrieben, in dem er Sahra Wagenknecht angreift, weil sie einer Spaltung Europas das Wort rede und dem Euro Schuld für Vorgänge gebe, die von der Wirtschaftspolitik zu verantworten seien. Was der Beitrag vor allem wieder einmal zeigt, ist die Tatsache, dass die Grünen kein wirtschaftspolitisches Konzept haben und sich davor drücken, eines zu entwickeln. Und er zeigt zudem, dass die Grünen nicht wahr haben wollen, erhebliche Mitschuld an der Eurokrise zu haben, weil Deutschlands Lohndumping mit ihrer Zustimmung geschehen ist. Von Heiner Flassbeck[*] und Friederike Spiecker

Zunächst kann niemand, der ernst genommen werden will, zu diesem Thema schreiben, ohne die deutsche Abwertungsstrategie seit Beginn der Währungsunion klar und deutlich anzusprechen. Giegold sagt kein Wort dazu. Wer das nicht sagt, kann logischerweise auch nicht sagen, dass Lohnsenkung als Ersatz für eine Abwertung der Währung ein Katastrophenszenario mit Massenarbeitslosigkeit und Elend heraufbeschwört. Stattdessen schreibt Giegold: “Wenn nicht nur (sic!) die Löhne in den Defizitländern gesenkt worden wären und Deutschland seine Gesamtnachfrage schneller gesteigert hätte, hätten in Spanien, Portugal, Irland und Griechenland viele Arbeitslose vermieden werden können.” Das heißt ja, dass Giegold die Lohnsenkung in Südeuropa, eingebettet in andere Maßnahmen (denn so macht in dem zitierten Satz das “nur” einen Sinn), befürwortet! Oder soll obiges “nicht nur” bedeuten, die Löhne hätten auch noch anderswo als in Südeuropa gesenkt werden sollen? Etwa in Deutschland? Aber wie stellt sich Giegold dann eine Steigerung der Gesamtnachfrage hierzulande vor? Allein durch die Fiskalpolitik? Nein, der Satz, so schlecht und unklar er formuliert sein mag, ergibt nur Sinn, wenn man ihn dahingehend versteht, dass Giegold der Lohnsenkung in Südeuropa keine vehemente Absage erteilt.

Konsequent spricht er auch lediglich die zu hohen Lohnsteigerungen in Südeuropa im Vorfeld der Krise an (“Natürlich sind die Löhne in den Krisenländern im Vergleich zu Deutschland zu schnell gestiegen.”), nicht jedoch die zu niedrigen Lohnsteigerungen in Deutschland, ohne die die Eurokrise niemals in diesem Ausmaß entstanden wäre. Man stelle sich vor, Giegold hätte geschrieben “Natürlich sind die Löhne in Deutschland im Vergleich zu den Krisenländern zu langsam gestiegen.” – welch ein Aufschrei es da wohl geben würde! Dabei wäre dieser spiegelbildliche Satz ausweislich der Empirie richtiger als der Satz, den Giegold gewählt hat. Denn der Referenzmaßstab für eine vernünftige Lohnpolitik war und ist die Zielinflationsrate von 2 Prozent der Europäischen Zentralbank, die jedes Mitgliedsland der Europäischen Währungsunion möglichst genau hätte einhalten sollen mit der Entwicklung seiner gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten. Und gemessen daran lagen die Krisenländer nicht so stark daneben wie Deutschland, das haben wir auf flassbeck-economics schon viele Male gezeigt.

Und weil Giegold sich nicht klar von Lohnsenkung bzw. Lohnmoderation als Mittel der Wirtschaftspolitik distanziert, kann er natürlich nicht klar benennen, dass dieses in Deutschland jahrelang angewendete Mittel bereits hier gravierende Missstände heraufbeschworen hat, die nur deshalb nicht so schlimm ausgefallen sind wie jetzt die gleiche Kur in Südeuropa, weil Deutschland zum einen die Vorreiterrolle übernommen hatte beim Export von Arbeitslosigkeit und zum anderen in einem klar nicht-deflationären Umfeld operieren konnte. Damit hat Deutschland einen Teil der durch die falsche Lohnpolitik selbst eingebrockten Lasten den anderen Währungspartnern aufbürden können. Das können die anderen nun nicht so einfach wiederholen, weil Deutschland nicht in die Rolle schlüpft, die die Südeuropäer ungefähr zehn Jahre lang gespielt haben, so dass sie sich nun in eine offene Deflation begeben müssen, wollen sie sich den deutschen Lohnstückkosten annähern.

Giegold spricht das Elend an und fragt: „Doch wer hat all dieses Elend verursacht? Doch nicht der Euro. … Schrille Parolen vom Ende des Euro oder gar des Kapitalismus in Europa können verantwortliche Politik nicht ersetzen. Gestandene Linke wissen das und kämpfen dafür, dass in Europa die neoliberal-konservative Mehrheit abgewählt und in Deutschland ein ausreichender Mindestlohn schnell eingeführt wird und endlich Zukunftsinvestitionen für einen Green New Deal in Gang kommen.“

Er hat zweifellos Recht, der Euro ist eine Währung, und die Währung als solche verursacht überhaupt nichts. Wenn es aber in diesem Währungsraum ein Land gibt, dazu noch das größte, dass die Tatsache, dass es den Euro gibt, schamlos ausnutzt, indem es, ohne eine eigene Währung zu haben, (real) abwertet durch Lohndumping (was zudem dem gemeinsam vereinbarten Inflationsziel Hohn spricht), dann müssen sich die anderen Länder fragen, ob dieser Währungsraum für sie eine Zukunft bietet. Kommt noch hinzu, dass sich in dem Dumpingland die politischen Parteien (bis auf eine) einschließlich der Grünen (und der sogenannten Linken bei den Grünen) beharrlich weigern, den eigenen gravierenden Fehler zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn an den Verhältnissen quantitativ wirksam etwas ändern zu wollen, dann müssen sich die anderen Länder umso mehr fragen, ob es eine Chance gibt, über Lohnsenkung und einen deflationären Prozess in ganz Europa dieses Land einzuholen und ob damit nicht vielleicht wesentlich mehr in die Brüche geht als durch das Ende der Währungsunion.

Giegold selbst zeigt, dass er all das nicht verstanden hat oder einfach nicht verstehen will, wenn er feststellt: „Und selbst wenn alles so machbar wäre, wie Frau Wagenknecht es sich vorstellt, wozu sollte es dienen? Damit die Euro-Austrittsländer ihre Währungen abwerten können und Importe damit für sie gänzlich unerschwinglich werden? Und nur noch Besserverdienende und Vermögende ihr Haus heizen können?“

Ja, abwerten tut man, um weniger zu importieren und um selbst mehr zu exportieren! Man tut es, weil man nicht mehr ertragen kann, von einem Land, das über Lohnsenkung abgewertet hat, an die Wand gefahren zu werden und sich dann noch von dem gleichen Land beschimpfen zu lassen und vorgeschrieben zu bekommen, wie man sich in den nächsten zwanzig Jahren zu verhalten hat.

Und dann fragt Sven Giegold tatsächlich: „Und wie sollen die Schuldner in den Krisenländern ihre Kredite begleichen, wenn ihre Heimatwährung erst einmal implodiert ist? Jeder, der Schulden in Euro gemacht hat, Häuslebauer, Unternehmen, Banken und der Staat, alle werden in den Konkurs getrieben bei einem Euro-Austritt. Nicht schlimm, meinen die Euro-Skeptiker. Die Gläubiger könnten das schon verkraften. Als ob es nur reiche Gläubiger gäbe. Faktisch löst sich dann die private Altersvorsorge des kleinen Handwerkers genauso in Luft auf wie das gesamte europäische Finanzsystem.“

Ja, führt man in großer Verzweiflung eine eigene Währung ein und wertet ab, dann macht man intelligenterweise einen großen Schuldenschnitt, denn man müsste verrückt sein, wenn man denen, die einen zu dieser Verzweiflungstat getrieben haben, auch noch die Schulden auf Heller und Pfennig in der alten Währung zurückzahlt. Dann löst sich in der Tat die deutsche Rente in Luft auf. Aber warum sollte das die interessieren, die von Deutschland unter der Führung von Rot-Grün in diese Lage manövriert wurden? Und betrachtet man die Dinge, wie sie derzeit liegen, kann ja wohl ebenfalls nicht die Rede davon sein, dass die Weiterexistenz des Euro garantiert, dass die Krisenländer ihre Schulden begleichen können und werden. Wenn das so wäre, hätte man bislang keinen einzigen Rettungsschirm einzurichten brauchen.

Und dann greift Giegold noch zu glatten Lügen, um den eigenen Standpunkt gegen alle Fakten zu verteidigen: „Doch“ schreibt Giegold, „die Anpassung des Lohnniveaus in der Euro-Zone ist nun weit fortgeschritten.“ Nein, sie ist nicht weit fortgeschritten. Die genannten Länder, die das Experiment Lohnsenkung gewagt haben und das Elend der Anpassung erleben, sind klein im Vergleich zu denen, die es noch tun müssten. In Frankreich und Italien gibt es noch keine Lohnsenkungsversuche. Jeder, der halbwegs ehrlich ist, muss dringend davor warnen, dass es auch dort versucht wird, weil das die politischen Systeme in Europa ganz nah an den Abgrund treiben würde.

Dann zu sagen, Deutschland hätte seine Gesamtnachfrage stärker steigern können, ist mehr als billig. Denn warum spricht Giegold nicht explizit von der Binnennachfrage? Und warum nennt er das entscheidende Mittel dafür, die Löhne, nicht klipp und klar? Nur von einem ‘ausreichenden Mindestlohn’ zu reden, den es schnell einzuführen gelte, genügt da eben nicht. Denn zum einen: Was ist ausreichend? Und zum anderen: Es geht um einen Prozess, der das Lohnniveau insgesamt anhebt und die Lohnspreizung zurückführt; der mag, ja sollte vom Mindestlohn angeschoben werden. Aber das muss man sich auch trauen glasklar hinzuschreiben, sonst bleibt die Strategie bei den Löhnen vage und alles läuft auf die “Zukunftsinvestitionen für einen Green New Deal” hinaus, also die Fiskalpolitik (die nebenbei bemerkt niemals in einer Größenordnung tätig werden kann, die die negativen Impulse eines dahin siechenden Privatsektors ausgleichen kann).

Und dass die Grünen beim Thema expansive Fiskalpolitik jede Glaubwürdigkeit verloren haben, weil sie bis heute die Schuldenbremse befürworten, könnte auch Giegold nur schwer widerlegen. Oder soll es um private Investitionen gehen? Tja, da darf man gespannt sein, wie die in Gang kommen sollen. Denn selbst in dem Land, das in Sachen Währungsinstabilität und drohendes Abwertungsrisiko kein Problem hat, nämlich Deutschland, läuft die Investitionstätigkeit auf Sparflamme. Von den gebeutelten Krisenländern nicht zu reden.

Schließlich konstatiert Giegold: „Auch unter Schwarz-Rot bleibt die harte Sparpolitik Angela Merkels das Maß aller Dinge. Diese Politik verschärft die Krise und ist die eigentliche Ursache für die Spaltung in Europa.“

Auch das ist falsch. Die eigentliche Ursache ist, wie schon erwähnt, der lohnpolitische Kahlschlag in Deutschland unter Rot-Grün. Diese Krise war schon lange angelegt, bevor Frau Merkel an die Macht kam. Dass ihre Politik die Krise verschärft, ist keine Frage. Wer aber die Spaltung Europas am Ende nicht verhindern hilft, ist der, der die bisherige Anpassung des Lohnniveaus in der Euro-Zone auf deflationärem Wege nicht scharf kritisiert. Wer nicht explizit über viele Jahre massive Lohnsteigerungen in Deutschland fordert, kann für sich nicht in Anspruch nehmen, gegen den aufkommenden Nationalismus in Europa sein ganzes politisches Gewicht in die Waagschale geworfen zu haben.


[«*] Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Heiner Flassbeck. Der Beitrag erscheint heute auch auf flassbeck-economics.de


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