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Titel: Die Politikerdroge

Datum: 30. August 2005 um 13:47 Uhr
Rubrik: Steuern und Abgaben, Ungleichheit, Armut, Reichtum, Wahlen
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Von Heiner Flassbeck, FR, 27.08.2005

Es gibt Partydrogen, Modedrogen und Politikerdrogen. Die wichtigste der Politikerdrogen ist die Steuerreform. Nach praktisch jedem Regierungswechsel in der deutschen Geschichte, ja sogar nach Wahlterminen, bei denen die amtierende Regierung bestätigt wurde, haben sich die neu gewählten Politiker mit dieser Droge so voll gedröhnt, dass sie selbst und das von ihrer Euphorie angesteckte Volk für ein paar Monate an das große Steuer-Wunder geglaubt haben. Mindestens sechs Mal – wenn meine Erinnerung richtig ist – ist uns unter dem Einfluss dieser schrecklichen Droge in den letzten 25 Jahren erklärt worden, das die gerade veranstaltete „Jahrhundertreform“ Deutschland den endgültigen Durchbruch zu mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätzen gebracht hat.

Wer hätte das gedacht? Auch die vom deutschen Volk am 18. September zu wählende Regierung unter Führung der CDU hat nichts anderes im Sinn als die „große“, die finale Steuerreform? Ja, die aus heutiger Sicht jede realistische Koalition anführende Partei hat sogar einen Juraprofessor zum Finanzministerkandidaten ernannt, dessen finanzpolitische Expertise sich einzig und allein auf „die große Steuerreform“, genauer, auf einen Vorschlag für ein radikales, aber keineswegs originelles Reformmodell, beschränkt.

Woher kommt der im Lichte der ernüchternden Erfahrungen eines Vierteljahrhunderts geradezu groteske Glaube, man müsse nur die Steuerschraube genügend lockern und schon würde das Wachstum aus allen Ritzen quellen? Freiheit und Leistung sind die Schlagworte, die einem hier von jedem, der einmal den Wirtschaftsteil einer Zeitung in der Hand hatte, entgegen geworfen werden. Nur der massiv von Steuern befreite Mensch werde die Ärmel hochkrempeln, werde mehr investieren und mehr arbeiten und damit aller Nutzen mehren.

Dass dabei der durchschnittliche Bürger unterschwellig zum durchschnittlichen Dummkopf erklärt wird, will freilich keiner der Steuerideologen wahrhaben. Schon die einfachste aller Einsichten, das nämlich der Staat, ein hoch verschuldeter Staat zumal, nichts zu verschenken hat, darf nicht ausgesprochen werden. Die „Gegenfinanzierung“ der großen Steuerreformen findet sich nur in allgemeinen Kategorien wie „ Subventionsabbau“ oder „Beseitigung von Ausnahmetatbeständen“ bzw. „Verbreiterung der Bemessungsgrundlage“ oder in der „Durchforstung der sozialen Leistungen“. Dass hinter diesen Begriffen sinkende Einkommen von Menschen und Unternehmen stehen, die auf die Kürzung der staatlichen Hilfen mit einer Kürzung ihrer eigenen Ausgaben reagieren werden, was wiederum die staatlichen Einkommen sinken und seine Schulden steigen lässt, wollen wir dem dummen Volk doch lieber nicht erklären.

Fast noch toller ist die Leistungslogik. Wenn Sie oder ich eines Tages weniger Steuern bezahlen müssen, werden wir sofort bereit sein, mehr zu arbeiten oder mehr zu investieren. Selbst wenn wir die Ausbildung unserer Kinder, die wir bisher kostenlos bekommen haben, nach der Steuersenkung teuer bezahlen müssen; selbst wenn wir für jede öffentliche Dienstleistung die doppelten Gebühren berappen; selbst wenn wir wesentlich mehr für die Altersvorsorge ausgeben müssen; selbst wenn die Autobahn all paar Kilometer etwas kostet; wir leisten einfach mehr, weil wir das Geld, das wir verdienen, nun nicht mehr an den Staat, sondern an private Hochschulen, private Altersversicherer und private Autobahnbetreiber überweisen.

So wird es also kommen: Die neue Regierung tritt an und verspricht in hundert Tagen (Politiker lieben hundert Tage, obwohl jeder vernünftige Mensch, bevor er solche Projekte angeht, sich erst einmal in seinen neuen hochkomplexen Job einarbeiten würde) die größte aller Jahrhundertsteuerreformen zu machen und zwei Jahre später die allergrößte Steuerreform aller Zeiten nachzuschieben. Die von dieser Droge erzeugte Euphorie hält genau so lange an, bis das Statistische Bundesamt verkündet, dass es auch 2006 mit dem Wachstum leider wieder nichts war und die Staatsverschuldung neue Rekorde erreicht hat. Déja vue?

© Frankfurter Rundschau


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