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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: „Haltet den Dieb“ – eine primitive Masche im Kampf gegen Sahra Wagenknecht und alles Linke
Datum: 24. Januar 2014 um 16:05 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Aufbau Gegenöffentlichkeit, Europapolitik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
Verantwortlich: Albrecht Müller
Gegen das Verhalten von Markus Lanz und Joerges in der Sendung des ZDF vom 16. Januar gab es massiven Widerspruch. Wie bekannt, ist die Petition gegen Lanz sehr erfolgreich. Jetzt sind es rund 170.000 Unterzeichner. Bitte unterschreiben Sie dort, wenn Sie den Vorstoß richtig finden. Offenbar tut der Widerspruch gegen das ZDF, gegen Lanz und gegen Jörges weh. Letzterer greift jetzt mit einem Video Sahra Wagenknecht und die Linke insgesamt („shitstorm“) an – so primitiv wie in der Sendung des ZDF und nach der Methode „Haltet den Dieb“. Hier ein Einordnungsversuch der Vorgänge. Von Albrecht Müller
Der Vorgang zeigt: Kampagnenjournalismus ist die vorherrschende und alles überlagernde Form der journalistischen Tätigkeit in Deutschland.
Ohne Zweifel gibt es in deutschen Medien gute und auch kritische Artikel. Aber diese sind leider ziemlich irrelevant, weil die großen Linien der politischen Strategen konsequent durchgehalten und verfolgt werden. Die großen Linien im Kontext der Sendung von Lanz sind der Versuch, eine für das konservative Lager und für das konservativ gewordene sozialdemokratische Lager gefährliche Politikerin auszuschalten, und generell der Versuch, keine Alternative zum schwarzgelbrotgrünen Lager aufkommen zu lassen. Ein Teil der Linkspartei wird nicht mehr sonderlich gefährlich, weil angepasst. Sahra Wagenknecht und ihre Gruppe kann dem Dauer-Machtanspruch des konservativen und neoliberal eingefärbten Lager jedoch gefährlich werden, weil sie in das so genannte bürgerliche Lager hinein wirkt, und insgesamt sie und ihre Verbündeten im linken Lager sachlich und inhaltlich – etwa in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, wie auch in der Europa- und Währungspolitik – Alternativen zur herrschenden Linie präsentieren.
„Haltet den Dieb“ in Sachen Europa
Es ist typisch für diese Konstellation, dass in der Sendung von Markus Lanz von diesem und Jörges penetrant versucht worden ist, Sahra Wagenknecht eine Europa- und eurofeindliche Haltung zu unterstellen. Mit den permanenten Fragen der Beiden – Euro raus oder rein usw. – wird unausgesprochen der Eindruck und die Botschaft transportiert, dass diese Herrschaften und die sie vertretenden politischen Kräfte – konkret: die Große Koalition – für Europa und für den Euro seien. Damit wird verdeckt, dass die Regierenden und ihre Medienvertreter zum Beispiel mit ihrer aggressiven Haltung gegen die Südländer wie auch mit den praktischen Folgen der Austeritätspolitik und der Weigerung etwas zur Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Staaten des Euroraums zu tun, Europa und den Euro wie auch den Geist der guten Nachbarschaft in Europa massiv beschädigen. So gesehen war das primitive Spielchen von Lanz und Jörges mit ihrer permanenten Forderung nach Europabekenntnissen der Sahra Wagenknecht eben auch ein Versuch, „haltet den Dieb“ zu rufen und damit von der eigenen Verantwortung für das kommende Desaster in Europa und die existente wirtschaftliche und soziale Not vieler Europäer abzulenken.
Das ist ein äußerst cleverer Schachzug, ein wirksamer propagandistischer Trick: Niemand aus den famosen Medien unseres Landes fragt die Regierenden und die regierungstreuen Medien nach ihrer tatsächlichen Europafreundlichkeit. Niemand attackiert sie wegen ihrer faktischen Europafeindlichkeit.
Die Medien werden ihrer eigentlichen Aufgabe, das politische Geschehen kritisch und damit konstruktiv zu begleiten, nicht gerecht. Sie sind mitverantwortlich dafür, dass man deshalb auch im Blick auf Deutschland von einer funktionierenden Demokratie nicht sprechen kann.
Wenn sich die Regierenden wie zum Beispiel Angela Merkel praktisch alles leisten können, die Spaltung unserer Gesellschaft in Superreich und Arm wie auch den Ruin anderer Volkswirtschaften und damit der europäischen Einigung und des gemeinsamen Währungsraums, weil fundierte Kritik in den Medien ausbleibt oder nur in Nischen jenseits der Linien der großen Kampagnen stattfindet, dann kann man von einer funktionierenden Demokratie nicht mehr sprechen. Dies in Deutschland zu sagen, ist gefährlich, weil man dann sofort als radikal abgestempelt wird. Aber diese Gefahr muss man hinnehmen, wenn man die Realität beschreiben will.
Die Sendung mit Lanz war auch für dieses Thema lehrreich: Immer wieder wird nämlich von den Pächtern der Demokratie, wie sie etwa Lanz und Joerges darstellen, der Versuch gemacht, das Bestehen demokratischer Verhältnisse bei uns dadurch als selbstverständlich darzustellen, dass man anderen vorwirft, sie würden das infrage stellen. Sahra Wagenknecht wurde heftig angekreidet, dass der diskutierte Text der Linken den Vorwurf enthalte, die EU sei undemokratisch. Die normale Wirkung dieses Vorwurfs beim Publikum ist die unterschwellige Behauptung, die EU sei selbstverständlich eine demokratische Einrichtung. Damit wird verunmöglicht, eine sachliche Diskussion über den tatsächlichen Zustand der EU zu führen.
Das gleiche gilt für den Vorwurf, der Text der Linkspartei unterstelle, die EU sei militaristisch. Dieser Vorwurf wird gezielt eingesetzt, auch nach der Methode haltet den Dieb, um zu verhindern, dass man die steigende Tendenz zu militärischen Interventionen und Aktionen der Europäischen Union wie auch der Bundesrepublik Deutschland kritisch hinterfragt.
Bitte prüfen Sie als Leser bei sich selbst, ob diese Art von unterschwelliger Meinungsbildung nicht wirklich funktioniert.
Die hohe Glaubwürdigkeit der öffentlich-rechtlichen Sender wird maßlos missbraucht. Nicht nur beim ZDF.
Viele von uns verbinden mit den öffentlich-rechtlichen Sendern noch ein besonderes Qualitätsmerkmal. Dieser Vertrauensvorschuss wird immer mehr genutzt, um die Propaganda gegen eine linke Alternative wie auch für militärische Einsätze und für die neoliberale so genannte Reformpolitik wirksam zu platzieren.
Das ZDF – aber nicht nur das ZDF – auch die ARD sind inzwischen mehrheitlich in Diensten der neoliberalen Ideologie und der Politik der militärischen Lösung, de facto Verstärkung, von Konflikten.
Auch hier gilt wiederum, dass die vielen guten Sendungen wunderbar sind und zu begrüßen sind, aber sie vermögen nicht zu kontern, was in den Grundlinien der Kampagnen transportiert wird: der Westen ist gut, Angela Merkel ist gut, die große Koalition ist gut, die Linken sind schlimm und deshalb keine Alternative. Die Ausnahmen bestätigen die Regel. Das ist in diesem Zusammenhang nicht nur eine gängige Formulierung sondern wörtlich richtig: die Ausnahmen erhöhen die Glaubwürdigkeit dieser Medien insgesamt. (Damit wende ich mich nicht gegen jene, die gelegentlich ein Leuchtfeuer an gutem kritischem Journalismus zünden.)
Der Niedergang des „Stern“ ist geradezu sagenhaft.
Jörges, das Mitglied der Chefredaktion des „Stern“, ist geradezu das Sinnbild des Niedergangs dieses Organs. Viele Leser erinnern sich nicht mehr, weil das lange her ist: der „Stern“ war einmal ein wirklich fortschrittliches und aufklärerisches Medium.
Den verheerenden Niedergang dieses Mediums kann man gut ermessen, wenn man den Auftritt von Jörges in der Sendung von Lanz und sein Auftritt im eigenen Video vom 23. Januar mit einem Kommentar des früheren Chefredakteurs Henry Nannen vergleicht. Nannen hat sich vor gut 40 Jahren mit einer Kampagne rechtskonservativer und finanziell gut ausgestattete Kreise auseinandergesetzt. In meinem Buch „Brandt aktuell. Treibjagd auf einen Hoffnungsträger“ habe ich diese Kolumne und den Zusammenhang wiedergegeben. Hier ist sie. Sie passt zur Charakterisierung des jetzigen Mitglieds der Chefredaktion. Henry Nannen würde sich die Haare raufen, wenn er den jetzigen Zustand seines Blattes erleben müsste:
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