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Titel: Anmerkungen zu den Daten des Statistischen Bundesamtes über die Wirtschaftsleistung im Jahre 2006

Datum: 12. Januar 2007 um 8:20 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Ungleichheit, Armut, Reichtum, Wichtige Wirtschaftsdaten, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Wir freuen uns wirklich darüber, dass die Konjunktur wieder etwas angezogen und das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 2,5 Prozent angestiegen ist. Muss man aber deshalb wie der neue Präsident des Statistischen Bundesamtes gleich von einem „kräftigen“ Wirtschaftswachstum [PDF – 520 KB] sprechen. „Kräftig“ gewachsen ist das BIP zwischen 1950 und 1960 mit durchschnittlich 8,2% oder in den 60er Jahren mit 4,4%, oder in den 70er Jahren mit teilweise knapp 5% oder gar noch während des Einigungsbooms Anfang der 90er Jahre mit über 5% (Schaubild 2 [PDF – 908 KB]). Davon kann man heute nur noch träumen. Ähnliche relativierende Warnungen vor allzu großer Euphorie sind auch bei anderen Daten angezeigt. Wolfgang Lieb.

  • Mit 2,5 Prozent Wachstum liegt Deutschland immer noch (zwar knapp) unter dem Durchschnitt der Eurozone mit 2,6%. Im Vergleich zu den Niederlanden (Wachstum 3,0%), Österreich (3,1%), den USA (3,4%) Spanien (3,8%) oder Irland (5,5%, wobei dieser Prozentsatz kritisch zu betrachten ist, weil Irland mit seinem Steuerdumping auch viele bloße Buchungsgewinne erzielt) liegt Deutschland immer noch deutlich zurück.
    Gar nicht zu Reden von der Wachstumsrate in Schweden von 4%. Die deutlich höheren Wachstumsraten in den Baltischen Ländern und in den mittel- und osteuropäischen Staaten lassen sich wegen der völlig unterschiedlichen Ausgangsgrößen kaum als Vergleich heranziehen.
  • Dass der Anteil des nominalen deutschen BIP von 2 302,7 Mrd. Euro am gesamten BIP der Eurozone 28% ausmacht, zeigt, wie stark die deutsche Wirtschaft im Verhältnis zu seinen Nachbarn ist und wie wichtig Deutschland als „Konjunkturlokomotive“ und als wirtschaftlicher Machtfaktor ist.
    Die Veränderung der Wettbewerbsparameter Löhne, v.a. Lohnstückkosten, Steuern etc. haben einen erheblichen Einfluss auf unsere europäischen Mitwettbewerber. So übt Deutschland mit seinem nun schon seit Jahren stagnierenden bis rückläufigen Reallöhnen und mit seinem Sozial- und Steuerdumping einen massiven Anpassungsdruck nach unten vor allem auf Frankreich aber auch auf Italien und anderswo aus.
  • Dass der Preisanstieg mit 1,7% trotz Öl- und Gaspreisexplosionen unter dem durchschnittlichen Preisanstieg der letzten 5 Jahre liegt und erheblich unter der Inflationsrate unserer europäischen Nachbarn, zeigt wie schädlich die dieser Tage zu befürchtende erneute Zinsanhebung der Europäischen Zentralbank wäre http://blog.zeit.de/herdentrieb/?p=106 . Es besteht die große Gefahr, dass die Zentralbank, ähnlich wie um die Jahrtausendwende, wo etwa das Wachstum von 3,2% im Jahre 2000 durch einen Refinanzierungszinssatz von über 4% ausgebremst wurde (die darauf folgenden Jahre hatte Deutschland praktisch ein sog. „Minus-Wachstum“) und wie schon Anfang der 90er Jahre aus der Erdrosselung des Einigungsbooms nichts gelernt hat und schon wieder auf die Konjunkturbremse drückt.
  • Dass die Erwerbstätigkeit (im Gegensatz zu 2005 mit einer Abnahme von 0,1%) wieder um 0,7% zugenommen hat, ist erfreulich. Der seit 2001 anhaltende Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ist zum Ende gekommen und es waren 2006 wieder positive Wachstumsraten gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen.
    „Gleichzeitig gab es auch Zuwächse bei den Selbstständigen, wenn auch in geringerem Umfang als in den Vorjahren, und bei den ausschließlich geringfügig Beschäftigten. Neben einer allgemeinen konjunkturellen Aufwärtsentwicklung hat auch der vermehrte Einsatz geförderter Beschäftigungsformen, wie der Anstieg gegenüber dem Vorjahr bei der Zahl der Arbeitsgelegenheiten nach § 16 Absatz 3 SGB II zur positiven Entwicklung der Erwerbstätigkeit beigetragen.

    Die Zunahme gerade der prekären Beschäftigungsverhältnisse trübt die positive Bilanz erheblich.

  • Dass die preisbereinigte Bruttowertschöpfung am stärksten im produzierenden (um 4,9%) und im Baugewerbe (4,0 %) zugenommen hat, zeigt, dass nach wie vor das produzierende Gewerbe eine inländische „Konjunkturlokomotive“ ist.
  • Interpretationsbedürftig ist die Verschiebung der Anteile der unterschiedlichen Wirtschaftsbereiche am BIP. Während der Bereich „Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister“ 1991 erst einen Anteil von 23,3% einnahm, ist dieser bis 2006 auf 29,0% gestiegen und nahezu das produzierende Gewerbe (inkl. Bau) mit knapp 30 % erreicht (dessen Anteil lag 1991 noch bei insgesamt 36,6%). Daraus könnte man einen Wandel in die „Dienstleistungsgesellschaft“ ablesen. Dazu müsste man aber Genaueres wissen, ob über das sog. Outsourcing nicht schlicht ehemals betriebsinterne Dienstleistungen aus dem produzierenden Gewerbe ausgelagert worden sind. Jedenfalls zeigt auch die neue Statistik, wie wichtig der Anteil des produzierenden Gewerbes nach wie vor ist. Die öffentlichen und privaten Dienstleister haben ihren Anteil am BIP in den letzten 15 Jahren kaum verändert. Was sicherlich auch am kontinuierlichen Beschäftigungsabbau im Öffentlichen Dienst liegt.
  • Erfreulich ist der Anstieg der Bruttoinvestitionen um 6,1%, das zeigt, dass auch wieder mehr investiert und Kapital nicht nur in Finanzanlagen oder ins Ausland abfließt.
  • Nach wie vor schwächelnd sind die Konsumausgaben, auch wenn sie um 0,9% gestiegen sind und immerhin einen Wachstumsbeitrag von 0,7% geleistet haben.
  • Eine neuerliche Absage erteilt die Leistungsbilanz an die nach wie vor zirkulierende These von der sog. Basarökonomie, die ja behauptet hierzulande würden nur noch importierte Vorprodukte zusammen gesteckt, aber keine Werte mehr geschöpft. Mit diesen Behauptungen werden auch die ständigen Bedrohungen, ja Erpressungen mit Betriebsverlagerungen gestützt.
    Der Überschuss beim Außenbeitrag zum Bruttoinlandsprodukt (Exporte abzüglich Importe von Waren und Dienstleistungen in der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen) lag – in jeweiligen Preisen gerechnet – im Jahr 2006 zwar mit 114,1 Milliarden Euro um 1,9 Milliarden Euro unter dem Niveau des Jahres 2005 (116,0 Milliarden Euro), dennoch ist dieser Überschuss einer der höchsten seit der deutschen Vereinigung im Jahre 1991.
    Preisbereinigt stiegen die Exporte 2006 im Vergleich zum Vorjahr um 12,4%, die Importe um 12,1%. Daraus ergab sich ein preisbereinigter Exportüberschuss (Außenbeitrag), der mit 0,7%-Punkten zum BIP-Wachstum beitrug. D.h. trotz eines Anstiegs der Importe und einem Handelsdefizit vor allem mit China (minus 15 Milliarden) haben die Exportüberschüsse den Anstieg der Importe auch 2006 erneut deutliche kompensiert.
    Den Leistungsbilanzüberschuss, wie wir ihn bei uns feststellen, erzielt man nur, wenn die Wertschöpfung im eigenen Land höher ist, als die importierte Wertschöpfung. Tatsächlich ist der Anteil der internationalen Arbeitsteilung gestiegen. Deutschlands Unternehmen der Autoindustrie zum Beispiel importieren Motoren und andere Teile. Aber es ist eine falsche Behauptung, hierzulande würde nur noch zusammengesteckt. Außerdem enthalten die Importe wiederum Leistungen, die vorher exportiert worden sind. Konkret: die Motoren für Audi werden in Ungarn nicht ohne deutsche Zulieferung von Werkzeugmaschinen zum Beispiel gebaut.
  • Der Außenbeitrag auf den ja bei der Debatte um die Verbesserung der „Wettbewerbsfähigkeit“ ständig abgehoben wird und von dem wir ja angeblich so abhängig sind, nimmt jedoch beim Anteil am BIP gerade mal 5% ein. Den Löwenanteil machen mit 58,5% die privaten Konsumausgaben ein. Das beweist einmal mehr, wie wichtig die private Binnennachfrage für das BIP und das wirtschaftliche Wachstum ist und um wie viel wichtiger die Ankurbelung der Binnennachfrage gegenüber der von allen Mietmäulern der Exportindustrie geforderten Förderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit – etwa auch durch eine weitere Senkung der Unternehmensteuer.
  • Doch bei der Binnennachfrage sieht es nach wie vor duster aus. Die Bruttoverdienste haben im Jahre 2006 zwar ein ganz klein wenig, um 0,7% (auf durchschnittlich rd. 2.200 Euro pro Monat) zugenommen, die Nettoverdienste sind jedoch um 0,3% gesunken und liegen stagnierend bei unter 1.500 Euro. Der Nettoverlust ist vor allem auf gestiegene Sozialbeiträge (+ 4,3%) sowie eine gleichzeitige Zunahme der Lohnsteuer der Arbeitnehmer (+ 2,7%) zurückzuführen. (Von wegen also Steuersenkung für die Lohnempfänger.)
  • Die gesunkenen Nettolöhne stehen in einem deutlichen Kontrast zur Steigerung der Arbeitsproduktivität (+ 1,8%). Aus dieser Diskrepanz erklärt sich auch die anhaltende Senkung der Lohnstückkosten um 1,1%.
  • Wenn die Menschen dennoch mehr konsumiert haben als im Jahr 2006, so ging das vor allem von den Sparkonten (jedenfalls bei denen, die eines hatten) und deshalb sank auch die notorisch hohe Sparquote der Deutschen leicht auf (im internationalen Vergleich immer noch sehr hohe) 10,5%.
  • Politisch am problematischsten und kennzeichnend für die zunehmende Spaltung der Gesellschaft ist die weiter voranschreitende Auseinanderentwicklung von Arbeitnehmerentgelten und Unternehmens- und Vermögenseinkommen. Das Auseinanderdriften ist zwar nicht mehr so dramatisch wie 2005, wo die Arbeitnehmerentgelte um 0,7% gesunken und die Vermögenseinkommen um 6,2% gestiegen sind oder gar im Jahre 2004, wo die Unternehmens- und Vermögenseinkommen gar um 10,4% gewachsen sind. Aber die Kluft zwischen dem Anstieg der Arbeitnehmerentgelte (um 1,3%) und der Einkommen aus Kapital und Vermögen (mit einem Anstieg um 6,95%) ist immer noch dramatisch, und wenn man das seit Jahren anhaltende Auseinanderdriften summiert, so ergibt sich eine geradezu dramatische Verschiebung.
    Da das Volkseinkommen in Höhe von 1.728 Milliarden Euro insgesamt um 3,1% angestiegen ist, hat sich die Lohnquote (der Anteil des Arbeitnehmerentgeltes am Volkseinkommen) im Jahr 2006 mit 66,2% nochmals deutlich unter der des Vorjahres (67,4%) gesenkt. Das Kuchenstück für die Lohneinkommen ist damit bereits seit dem Jahr 2000 (72,2%) immer kleiner geworden.
  • Der Vollständigkeit sei noch erwähnt, dass der Finanzierungssaldo des Staates mit minus 46,5 Milliarden der weitaus niedrigste Schuldenaufnahmewert im neuen Jahrtausend ist und dass er auch wieder niedriger liegt als Mitte der 90er Jahre. Der Finanzierungssaldo gemessen am BIP ist damit auf -2% gesunken. (das sog. Maastricht-Kriterium ist – 3%) Deutschland liegt damit inzwischen unter dem Durchschnitt der Euro-Zone mit einem durchschnittlichen Minus von 2,6% und weit hinter Japan mit einem Minus von 6,9% und hinter den USA mit – 3,8%. Natürlich können wir uns noch nicht an Finnland mit einem Plus von 2,9%, Dänemark (+ 2,8%) oder Schweden (+ 1,5%) messen, aber der Konsolidierungsdruck gemessen an vergleichbaren Staaten hat doch deutlich nachgelassen.

Quellen:


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