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Titel: „Greisenland“ in der ARD – der verfilmte Methusalem-Komplex

Datum: 11. Januar 2007 um 8:27 Uhr
Rubrik: Demografische Entwicklung, Generationenkonflikt, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Leere Wohnungen, Immobilien zu verschenken, Gaststätten leer, Alte auf Parkbänken, Kinder werden zu Kindergärten und Schulen aus der gesamten Region angekarrt, aus Schulen werden Altersheime – das waren die Bilder:
Die Rente ist nicht sicher, die bezahlbare Gesundheit wird geringer, einen Generationenvertrag gibt es nicht mehr. Das Tempo der Alten ist das Maß der Gesellschaft. Die Masse der Alten gibt die Regeln vor. Demografie ist einer der wichtigsten Einflussfaktoren für die nächsten Jahre. Eine Gesellschaft mit zu hohem Altersdurchschnitt verliert. Wenn eine Gesellschaft überaltert, dann gibt es eine Katastrophe – das sind die Aussagen eines Fernsehstücks der ARD vom 10.01.07.
Demografischer Alarmismus mit der suggestiven Kraft von Bild und Ton. Wolfgang Lieb.

Die „Vergreisung“ und „Überalterung“ Deutschlands, hat Florian Döring als Horrorgemälde für unsere Zukunft an die Wand gemalt bzw. auf den Bildschirm geworfen.
Die 40-Jährigen hätten sich verweigert, vor allem die Frauen dieses Alters hätten sich gegen Kinder entschieden. Dabei hatten sie es doch so gut: Sie hatten Wohlstand, politischen Neuanfang mit Willy Brandt, Vollbeschäftigung, die Schule verlor ihre Schrecken.
Gründe für den Geburtenrückgang seien gute Bildung („wer wollte machte Abitur, dank des BaföGs war Vieles möglich“), Selbstverwirklichung und Frauenemanzipation („Emma“). Der Job bestimme das Leben. Das „Ich“ sei die Maxime der heute 40-jährigen.

Der Club der Greisen sei das Netzwerk der Zukunft und deshalb hätten alle „Zukunftsthemen“ eine Mehrheit gegen sich. Wer sich retten könne, rette sich ins Ausland (an den Genfer See zum Segeln, wie der interviewte Anwalt).
Die Senioren würden attraktiv für Parteien, die an die Macht wollten. Altenlobbyismus werde zum Pflichtprogramm für die Parteien. Das Interesse der Greisen gelte dem Absichern.
Das Greisentempo sei das Maß, die Masse der Alten gebe die Regeln vor. Eine Gesellschaft mit zu hohem Altersdurchschnitt „verliere“. Der Zukunftsmarkt seien Stützstrümpfe (meinte ein Analyst).
Ganz Deutschland verwandelt sich in ein Altersheim.

Der Film tut erstens so, als sei die Entwicklung unausweichlich. Die demografischen Modellannahmen, werden als sichere Prognosen genommen. Es wird so getan als laufe man mit Sicherheit in eine Greisen-Falle. Dass „wir“ in den letzten fünfzig Jahren mehr „vergreist“ sind, als in den Zukunfts-Modellen unterstellt wird, und dass es dabei zumindest nicht schlechter geworden, ist dabei völlig uninteressant. Dass es auch in Zukunft eine Steigerung der Produktivität geben wird, mit der die weniger werdenden Jungen einen größeren Kuchen schaffen können, der jung und alt ein auskömmliches Dasein ermöglichte, wenn der Ertrag allen zugute käme – kein Gedanke daran. Alle ökonomischen und sozioökonomischen Veränderungen werden außer Acht gelassen. Demografie wird zum alles entscheidenden Einflussfaktor. „Bestandserhaltung“ wird zum Zyklop, zum einäugigen tumben Riesen – wie in der griechischen Sage dereinst Polyphem, noch dazu geblendet von der „Aktion demografischer Wandel“ der Bertelsmann Stiftung und dem gleichfalls von dieser Stiftung bestimmten „Forum demografischer Wandel des Bundespräsidenten“, wie die ARD in ihren Links als Informationsquellen selbst angibt.

Die Gründe für den Geburtenrückrang der letzten Jahre werden auf subjektive Einstellungen – Bildung, Selbstverwirklichung, Emanzipation – reduziert.
Keinerlei Nachdenken darüber, warum die jungen Leute aus der im Film exemplarisch dargestellten Gemeinde Breitenbach im Harz fliehen – könnte es vielleicht daran liegen, dass sie keine Arbeit bzw. keine Existenz mehr finden, wie der zitierte Gastwirt befürchtet?
Hat das Kinderkriegen damit zu tun, dass der Bürgermeister (er steht für die Politik) eines Dorfes das Babysitting übernimmt? Hat es nicht vielmehr vielleicht etwas damit zu tun, dass der „Job das Leben bestimmt“ und zwar „von 9 bis 21 Uhr“ und dass die Leute mehr und mehr glauben, sie könnten sich Kinder finanziell nicht leisten?

Als Lösungsangebote bietet der Film nur Gemeinschaftswohnprojekte und „Age-Explorer“ an (Geräte mit denen die Jüngeren ein Leben im Alter vorausempfinden können). Das bleibt an Dürftigkeit übrig, wenn man nur noch durch die „Überalterung“ als Blickwinkel hat.

Vermutlich haben die Filmemacher noch nie darüber nachgedacht was „Über“-Alterung schon in der Alltagssprache bedeutet:
„über“ als Vorsilbe steht im Deutschen häufig, um ein Nicht-Gleichgewicht, eine unerwünschte/schädliche Nicht-Normalität auszudrücken. „Über-flüssig“ ist ursprünglich das, was nicht mehr ins Glas passt, was also über-läuft und damit verloren geht. „Über-höhte“ Preise sind solche, die nicht dem Preis-Leistungsverhältnis entsprechen; der Kunde also übers Ohr gehauen wird. Ein „über-füllter“ Bus macht einen normalen Personentransport unangenehm und gefährlich.

Man kommt kaum umhin anzunehmen, dass der Fernsehbeitrag, wenn er von Über-alterung der deutschen Bevölkerung spricht, eine A-Normalität bezeichnen will. Es ist nicht normal, wenn so viele Leute nach ihrem Berufleben länger leben und damit länger in den Genuss ihres erworbenen Anspruchs auf Rente und Pension kommen.
(Diesen Gedanken habe ich von Josef J. Martin, einem unserer Leser.)

Die unausgesprochene Botschaft dieses Filmes ist: Dieses „Über-wuchern“ der Gesellschaft durch die Alten muss zurück geschnitten werden.

Und die ausgesprochene Botschaft: Frauen bildet Euch nicht mehr so sehr, die Emanzipation war ein Irrweg und Selbstverwirklichung ist eine Sünde wider den Biologismus und schuld daran, dass die Gesellschaft „verliert“.

Ihr Kinder „verweigernden“ 40-Jährigen seid Schuld an der kommenden Katastrophe.


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