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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 22. Januar 2014 um 8:56 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (OP/WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Freihandelsabkommen
  2. Orwell 2.0
  3. Manipulieren mit Zahlen – wie das Statistische Bundesamt die wirkliche Lage entstellt und die deutschen Medien die Propagandamaschine auf höchste Touren jagen
  4. Währungsfonds warnt vor Deflation
  5. Griechischer Ex-Finanzminister: „Alles war legal“
  6. Tektonik der monetären Politik
  7. Durchzogenes Bild der ökonomischen Literatur: Kosten und Nutzen der Einwanderung
  8. Globale Beschäftigungstrends 2014: Schwache wirtschaftliche Erholung führt nicht zu mehr Jobs
  9. Lohnplus für Osteuropäer
  10. 1968 – Gesetzlicher Mindestlohn in den Niederlanden
  11. PCB-Kontamination von öffentlichen Gebäuden – „Bundesregierung verweigert Antworten“
  12. Schiefergas in Amerika: Das Fracking-Wunder bleibt aus
  13. Jürgen Todenhöfer: Verhandelt mit Assad!
  14. Anti-Lanz-Protest wird immer stärker
  15. Rezension: Owen Jones: Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiterklasse
  16. TV-Tipp: Arm trotz Arbeit

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Freihandelsabkommen
    1. EU setzt Freihandels-Gespräche teilweise aus
      Die EU und die USA wollen die größte Freihandelszone der Welt schaffen. Doch die Europäer haben den öffentlichen Protest unterschätzt. EU-Kommissar De Gucht zieht vier Monate vor den Europawahlen die Reißleine.
      Wegen Kritik von Bürgern setzt die EU-Kommission die Freihandelsgespräche mit den USA teilweise aus…
      Die Klauseln für den Investitionsschutz werden kritisiert, weil sie es Unternehmen erlauben, Staaten unter bestimmten Bedingungen vor nicht-öffentlichen Schiedsgerichten zu verklagen.
      De Gucht kündigte an, Anfang März einen Text zur EU-Position zu dem Investitionsteil zu veröffentlichen. Dann könnten Interessierte Kommentare abgeben. Der liberale Belgier umschifft mit diesem Schritt die Europawahlen, die für den 25. Mai geplant sind.
      Quelle: FR

      Anmerkung unseres Lesers H.H. (eines ehemaligen Redakteurs der Frankfurter Rundschau) aus München: Es ist eher der Ausnahmefall, doch ein dpa-Bericht, den die „Frankfurter Rundschau“ zu de Guchts angeblichem Einlenken brachte, war diesmal qualitativ besser als der Korrespondentenbericht der „Süddeutschen“. Der dpa-Bericht spricht aus, worum es de Gucht in Wirklichkeit geht: nämlich den Europawahlkampf zu verschonen von Diskussionen um die Rolle der ominösen ICDS-Schiedsstellen (International Court of Dispute Settlements, angeschlossen an die Weltbank). Denn solche Diskussionen würden für CDU/CSU und SPD, die heute die Große Koalition bilden, und für andere Regierungsparteien in EU-Ländern notwendig deutliche Stimmeneinbußen zur Folge haben. In Deutschland ist – wegen eines fast flächendeckenden Versagens der Medien – den allermeisten Bürger_innen bis heute nicht klar, dass das von der Regierung Merkel/Gabriel forcierte TTIP-Abkommen zur Folge hätte, dass im Falle der Ratifizierung des Abkommens bis 2017 die Einführung des flächendeckenden Mindestlohns das TTIP-Abkommen verletzen und Schadensersatzklagen in Milliardenhöhe zur Folge hätte.
      Diese Klagen würden nicht vor ordentlichen Gerichten verhandelt, sondern vor Schiedsstellen bestehend aus drei privaten Wirtschaftsjuristen.
      Deren „Urteilen“ würde die deutsche Bundesregierung als letztinstanzlich anerkennen (müssen). Diskussionen über derart skandalöse Absichten will de Gucht – sicher in Einklang mit Merkel und Gabriel – unterbinden, deshalb sein „Einlenken“, das tatsächlich nur beschwichtigen soll, ohne wirkliche Zugeständnisse zu machen.
      P.S. Der Bericht in der ARD-Tagesschau über de Guchts Vorstoß war sehr wenig informativ, der im ZDF-Börsenbericht des „heute-Journals“ klarer.

    2. Freihandelsabkommen: Brüssel will dreiste Milliardenklagen verhindern
      Das geplante Handelsabkommen mit den USA sieht einen Investorenschutz vor – den Konzerne womöglich nutzen könnten, um gegen Umwelt- oder Gesundheitsstandards zu klagen. EU-Kommissar Karel De Gucht reagiert jetzt auf die Kritik. Bevor er weiterverhandelt, sollen Gegner (und Befürworter) in Europa in einer dreimonatigen Konsultation ihre Argumente vortragen. Das kündigt der Kommissar in einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) an. “Die verbreitete Kritik am Investitionsschutz überzeugt mich, dass öffentliches Nachdenken über die Ziele der EU nötig ist, bevor wir weitermachen”, heißt es in dem Schreiben, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Damit tut der Kommissar zumindest so, als sei er bereit, die Bedenken der NGOs aufzunehmen. Skeptiker befürchten, Konzerne könnten den im Abkommen vorgesehenen Investorenschutz ausnutzen, um Umwelt- oder Gesundheitsregeln aufzuweichen und Milliarden an Schadensersatz zu erstreiten – die der Staat und damit die Bürger bezahlen. Dies sei immer dann möglich, wenn ein Konzern einen wirtschaftlichen Schaden erleide. Als abschreckende Beispiele verweisen die Skeptiker auf Klagen einer US-Firma gegen das Verbot umstrittener Erdgasförderung (Fracking) in Kanada, von Vattenfall gegen die deutsche Energiewende und von Philip Morris gegen eine Einschränkung der Zigarettenwerbung in Australien. Das Handelsabkommen mit den USA könnte zu einer Vielzahl solcher Klagen führen.
      Quelle: Süddeutsche Zeitung

      Anmerkung Orlando Pascheit: In einem hat der gute Mann recht. Deutschland hat bereits eine Reihe von Investitionsabkommen [PDF – 169 KB] mit anderen Staaten abgeschlossen. Das wirft eigentlich die Frage auf, warum sich bis jetzt noch niemand darüber aufgeregt hat. Sollte es etwa daran liegen, dass wir dieses Mal mit einem potenten Handelspartner verhandeln. Was drücken wir denn gerade den Indern auf oder was haben wir in unseren bilateralen Investitionsförderungs- und -schutzverträgen gefordert – meist von Entwicklungsländern?

    3. Gordon Lafer:Transpazifische Partnerschaft (TPP): Partnerschaft oder Putsch?
      Im Jahre 2010 saß ich einmal bei einer Sitzung der Stellvertretenden US-Handelsbeauftragten Barbara Weisel gegenüber, die für die Verhandlungen über die Transpazifische Partnerschaft (TPP) – den überregionalen Freihandelsvertrag mit Vietnam, Malaysia und neun weiteren Pazifikanrainern, den die Regierung von Präsident Barack Obama in den nächsten Wochen zum Abschluss bringen möchte – verantwortlich. Ich stellte Weisel damals eine (wie ich dachte) einfache Frage: „Was ist die Position des Weißen Hauses zur Demokratie?“ Weisel gab vor, nicht zu verstehen; also erklärte ich: Eine Mehrheit der demokratischen Kongressabgeordneten sei dafür, dass die USA nur Handelsabkommen mit Demokratien unterzeichnen sollten. Hätten wir in den entwickelten Demokratien nicht das Recht gehabt, zu protestieren, unsere Meinung zu äußern, uns gewerkschaftlich zu organisieren und bei Abstimmungen für Repräsentanten unserer Wahl zu stimmen, hätten wir nie die Kinderarbeit beendet oder einen Acht-Stunden-Werktag eingerichtet. Nachdem wir diese Rechte genutzt haben, um unseren eigenen Lebensstandard zu erhöhen, sollten wir die Arbeitnehmer in den entwickelten Ländern jetzt keinem direkten Wettbewerb mit Arbeitern aussetzen, denen jene grundlegenden Freiheiten, die sie bräuchten, um ihre eigene Lage zu verbessern, fehlen. Doch meine Erläuterung half nicht. Weisel erklärte schlicht: „Wir haben keine Position“ in Bezug auf die Demokratie. Ich hakte nach: Wie plane das Weiße Haus etwa mit Vietnam umzugehen – einem Land, in dem schon Kinder von 14 Jahren gezwungen sind, zwölf Stunden täglich zu arbeiten, und wo es kein Recht auf freie Meinungsäußerung, kein Protestrecht, kein Streikrecht und keine Koalitionsfreiheit gibt.
      Quelle: Project Syndicate

      Anmerkung Orlando Pascheit: Manchmal vergessen wir vor lauter Klagen über die gefährliche USA, dass a) die Kritik an den Freihandelsverträgen in den USA selbst substanziell ist, dass b) Entwicklungsländer (nicht nur durch die USA) am stärksten von solchen Verträgen betroffen sind und dass c) der mit der Bedrohung der Mittelschicht durch die kurzfristige Profitorientierung des Neokapitalismus die Entwicklung zur bzw. der Erhalt der Demokratie in allen Unterzeichnerländern bedroht wird.

  2. Orwell 2.0
    1. NSA-Skandal: “Obamas Reaktion ist ein Auftakt, nicht das letzte Wort!”
      In einer Anfang 2014 von der New America Foundation vorgelegten Analyse von 225 Terror-bezogenen Fällen in den USA hieß es, dass die Massendatensammlung der NSA „keine erkennbare Auswirkung auf die Verhinderung von Terrorakten“ und nur einen äußerst „marginalen Einfluss auf die Verhinderung von terror-bezogenen Aktivitäten habe“. Entscheidend waren in der Mehrheit der Fälle traditionelle polizeiliche Untersuchungen. Dies deckt sich mit der Aussage der von Präsident Obama berufenen Beratergruppe, die das Anti-Terror-Programm der NSA als „nicht essentiell für die Verhinderung von Angriffen“ bezeichnete.
      Durch die Enthüllungen von Edward Snowden ist in den USA somit eine innen- und außenpolitische Großbaustelle entstanden. Gewohnt, im Verborgenen zu agieren (Spötter sprechen von „No Such Agency“), sieht sich die NSA nun öffentlich unter Beschuss und in der Defensive. Kritische Analysen und Kommentare thematisieren einen außer Kontrolle geratenen Spionage-Apparat und die Grenzen seiner Wirksamkeit. Der Präsident hat in seiner Rede am 17. Januar festgehalten, dass es kein Beispiel für Machtmissbrauch seitens der NSA gebe. Aber das Fazit der Kritiker lautet aktuell: Die NSA hat ihre Machtbefugnisse überschritten, ihr Mandat missbraucht und massiv Vertrauen verspielt. Die amerikanische Regierung, der Kongress und US-Gerichte reagieren nun auf den wachsenden Reformdruck.
      Quelle: IPG
    2. Wolfgang Bittner: NSA: Welch ein verbrecherischer Irrsinn!
      Der öffentliche Protest von 562 namhaften Schriftstellern gegen die NSA-Überwachung verlief im Sande. Die Schriftsteller erklärten: „Ein Mensch unter Beobachtung ist niemals frei; und eine Gesellschaft unter ständiger Beobachtung ist keine Demokratie mehr.“ Aber wen kümmert das?..
      Im Gegenteil, Barack Obama ist stolz auf die Effizienz der US-Geheimdienste und sieht keine Veranlassung, sich zu entschuldigen. Er sichert lediglich ausländischen Staatsoberhäuptern zu, dass ihre Kommunikation nicht mehr überwacht wird.
      Welch ein bodenloser Irrsinn, der da zu Tage tritt. Welch gewissenlose, verbrecherische Lumperei, von der Abermillionen Menschen betroffen sind…
      Vertreter von Koalition und Opposition sehen in Obamas Erklärungen positive Signale, so heißt es. Dabei erwartet in Wirklichkeit kaum jemand noch das Zustandekommen eines deutsch-amerikanischen Geheimdienstabkommens mit wirksamen Beschränkungen für die NSA-Spionage…
      Solche Aussagen, denen nur weitere Worthülsen folgen werden, sind der eigentliche Skandal, die eigentliche Ungeheuerlichkeit.
      Quelle: Hintergrund
  3. Manipulieren mit Zahlen – wie das Statistische Bundesamt die wirkliche Lage entstellt und die deutschen Medien die Propagandamaschine auf höchste Touren jagen
    Wie das Statistische Bundesamt meldet, wuchs die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr gerade mal um 0,4 Prozent (was der Präsident des Bundesamtes ein „moderates“ Wachstum nennt). Nach 0,7 Prozent im vergangenen Jahr würde jeder nüchterne Beobachter folgern, dass eine Wirtschaft in ganz schönen Schwierigkeiten steckt, wenn sie geschlagene zwei Jahre nicht von der Stelle kommt, daher die Kapazitätsauslastung der Unternehmen (bei weiter wachsenden Kapazitäten) sinkt und diese folglich (und tatsächlich) weniger investieren. Trotz unglaublicher Gewinne der Unternehmen in den letzten zehn Jahren, einer historisch extrem niedrigen Steuerquote für die Unternehmen und dem niedrigsten Zinsniveau aller Zeiten fallen die Investitionen (-0,8 %)! Normalerweise würde man sich auch wundern, dass selbst die Bauinvestitionen sinken (-0,3 %), wo man doch in Deutschland allenthalben davon redet, es gäbe einen Bau- und Immobilienboom.
    In einem normalen Land würde man auch diskutieren, dass die Produktivität seit zwei Jahren auf der Stelle tritt. Die Stundenproduktivität legte “passend” zu den rückläufigen Ausrüstungsinvestitionen nur noch schwach zu: 2012 um 0,5 % und 2013 nur noch um 0,2 %, so wenig wie seit Aufzeichnung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung für Gesamtdeutschland, also 1991, nicht mehr, sieht man von den Krisenjahren 2008 und 2009 ab. Die Pro-Kopf-Produktivität ging sogar zurück (2012 um 0,4 % und 2013 um 0,2 %), wiederum mit Ausnahme der Krisenjahre 2008 und 2009 einmalig für die Bundesrepublik. Dass die durchschnittliche Stundenproduktivität nicht ebenfalls fiel, ist nur dem Umstand geschuldet, dass die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden pro Kopf stärker abnahm als die Produktivität pro Kopf. Mit anderen Worten: Der regelmäßig als positives Merkmal des deutschen Arbeitsmarktes herausgestellte Zuwachs der Beschäftigung hat zum einen nicht überwiegend im Bereich von Vollzeitstellen stattgefunden und auch nicht in Bereichen mit hoher Produktivitätssteigerung. Das erklärt, warum das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte in den letzten beiden Jahren deutlich schwächer gestiegen ist als in den zwei Jahren davor…
    Quelle: flassbeck-economics
  4. Währungsfonds warnt vor Deflation
    Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht in dem nachlassenden Preisdruck in Industrieländern wie Deutschland eine Gefahr für das Wachstum der Weltwirtschaft. Aus der niedrigen Inflation – insbesondere in der Euro-Zone – könne schnell eine Deflation werden, warnte der Fonds am Dienstag. Ein solcher Preisverfall auf breiter Front ist wirtschaftlich gefährlich, weil Unternehmen dann weniger investieren und sich auch die Konsumenten zurückhalten.
    Quelle: Handelsblatt
  5. Griechischer Ex-Finanzminister: „Alles war legal“
    Hat Griechenland geschummelt, um sich für den Beitritt zu qualifizieren?
    Natürlich hat Griechenland die Flexibilität genutzt, die zur damaligen Zeit für alle Beitrittsländer möglich war. Es gab aber keine Extrawürste für uns und wir haben auch keine verlangt. Wenn Griechenland geschummelt hätte, wären einige Dinge längst von Eurostat (Europäische Statistikbehörde, Anm. d. Red.) oder den Märkten aufgedeckt worden…
    Alles, was wir getan haben, war legal und transparent…
    Wir haben einige Dinge getan, um in den Euro reinzukommen. Zum Beispiel haben wir die Mehrwertsteuer 1999 gesenkt, um die Inflation zu drücken. Wir haben Vermögensteuern angehoben, um die Einnahmen zu erhöhen. Und wir haben die Verteidigungsausgaben zwar in die Gesamtverschuldung eingerechnet, aber nur schrittweise ins Haushaltsdefizit. Diese Methode wurde zunächst kritisiert. Seit 2006 ist sie aber zum Standard für die gesamte EU geworden…
    Zum damaligen Zeitpunkt wären nach der ursprünglichen Interpretation nur sehr wenige Länder in der Lage gewesen, der Euro-Zone beizutreten. Dann wäre der Euro eine sehr kurzlebige Angelegenheit geworden…
    Deutschland hat seine Krankenhäuser nicht zum öffentlichen Sektor gezählt und aus der Berechnung herausgenommen. Frankreich beschloss, dass der Sozialversicherungsfonds des staatlichen Telefonkonzerns nicht mehr zum öffentlichen Sektor gehöre. Belgien verkaufte Gold.
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung WL: Man mag das, was Christodoulakis sagt, als Verharmlosung oder als schlitzohrig betrachten, aber klar ist auch, wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen nach den Griechen werfen.

  6. Tektonik der monetären Politik
    Durch die gestiegene Abhängigkeit der Finanzmärkte von der Politik der Zentralbanken ist es für Anleger zunehmend wichtig geworden, das dauernde Wechselspiel monetärer Kräfte zu erkennen. Eine griffige Metapher dafür hat der Vermögensverwalter Incrementum entwickelt. In einer Präsentation erklären zwei der Partner der Liechtensteiner Firma, Ronald-Peter Stöferle und Mark Valek, den von ihnen entwickelten Begriff der «monetären Tektonik». Ohne die expansiven Notenbankinterventionen hätte die Finanzkrise viel stärker wirkende Deflationstendenzen entwickelt. Die Wechselwirkung zwischen der durch die Interventionen entstandenen inflationären Kraft und der durch die Kreditschrumpfung der Geschäftsbanken erzeugten deflationären Kraft könne am besten mit dem gegenseitigen Druck zweier tektonischer Erdplatten verglichen werden. Zwischen Phasen scheinbarer Stabilität könne es zu alternierenden heftigen inflationären oder disinflationären/deflationären Eruptionen kommen. Stöferle und Valek weisen auf ein Problem der Asymmetrie hin. Zwar seien die Zentralbanken verantwortlich für die Sicherung des Geldwertes, doch nur ein kleiner Teil der gesamten Geldmenge stehe unter ihrer direkten Kontrolle. Der überwiegende Teil der totalen Liquidität werde dagegen vom Bankensystem geschaffen, dessen Einfluss auf die Entwicklung der Geldmenge entsprechend hoch ist. Das Jahr 2013 war für Incrementum ein eindrucksvolles Beispiel für Disinflation (und zum Teil auch Deflation). Zu den deflationären Kräften seien vor allem zu rechnen: schleppende Kreditvergabe, Abbau von Verschuldung, verlangsamtes Wachstum der Geldmenge, abnehmende Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, verschärfte Bankenregulierung.
    Quelle: NZZ
  7. Durchzogenes Bild der ökonomischen Literatur: Kosten und Nutzen der Einwanderung
    Der Schweizer Abstimmungskampf um die SVP-Einwanderungsinitiative dreht sich nicht nur um wirtschaftliche Fragen. Es geht auch massgeblich um Bauchgefühle über mutmassliche «Überfremdung» und möglichen «Dichtestress». Trotzdem spielen wirtschaftliche Erwägungen eine bedeutende Rolle. Nehmen Ausländer den Inländern die Arbeitsplätze weg? Führt Einwanderung zu einem Lohndruck im Inland? Welche Folgen hat die Zuwanderung auf das Wirtschaftswachstum und die Sozialwerke? Solche und ähnliche Fragen haben auch in vielen anderen europäischen Ländern Ausländerdebatten angetrieben. Die Ökonomen befassen sich seit vielen Jahrzehnten intensiv mit den Ursachen und Folgen der Einwanderung. Die Osterweiterung der EU ab 2004 hat in Europa nochmals einen Literaturschub gebracht. In der Theorie ermöglichen offene Grenzen nicht nur beim Warenhandel, sondern auch in Bezug auf Arbeitskräfte eine Steigerung des weltweiten Wohlstands: Arbeitskräfte können dorthin gehen, wo sie den grössten Nutzen stiften und den höchsten Lohn bekommen. Politisch ist aber für Regierungen, Parlamente und Bürger in der Regel nicht der «Weltwohlstand» entscheidend, sondern die nationale Betrachtung. Ob die Einwanderung der angestammten Bevölkerung per saldo mehr nützt als schadet, lässt sich theoretisch nicht schlüssig beantworten. Die Einwanderung kann diverse positive Effekte haben. Die Wirtschaft kann durch den Zugriff auf ausländische Arbeitskräfte Personalengpässe überwinden (die Anstellung zusätzlicher Spezialisten kann eine stärkere Expansion ermöglichen und damit auch ergänzende Arbeitsplätze schaffen), Fachleute aus dem Ausland können die Vielfalt und Innovation im Inland fördern, die Einwanderer besetzen nicht nur Arbeitsplätze, sondern sind auch Konsumenten und Steuerzahler, für die früheren Ausbildungskosten der erwachsenen Einwanderer muss das Gastland nicht aufkommen, und der Zugriff auf ausländische Fachkräfte kann die Entwicklung wachstumsträchtiger Kompetenzzentren erleichtern. Doch viel hängt davon ab, welche Einwanderer kommen. Die Kosten für das Gastland können den Nutzen der Zuwanderung vor allem dann überwiegen, wenn die Einwanderer die angestammten Arbeitskräfte nicht ergänzen, sondern verdrängen. Dann kann die Einwanderung erhöhte Arbeitslosigkeit und Lohndruck produzieren, ohne einen positiven Innovations- und Wachstumseffekt zu bewirken.
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Wie so oft in den Wirtschaftswissenschaften, proportional zur Zahl der hinzugenommenen Studien, kommt es zu keiner eineindeutigen Aussage. Wer eine eindeutige Aussage zur Belastung der Sozialkassen erhofft, muss sich damit abfinden, dass der mittelfristige Trend positiv ist. In der von der CSU angezündelten Diskussion dreht es sich vor allem um die Zuwanderer den Armutshäusern Europas, Bulgarien und Rumänien. Das IAB schreibt: “Die Arbeitslosenquote der Bulgaren und Rumänen lag zum Jahresende 2012 bei 9,6 Prozent. Im Durchschnitt der ausländischen Erwerbspersonen waren es 16,4 Prozent und im Bevölkerungsdurchschnitt 7,4 Prozent. Die entsprechenden Anteile der SGB-II- Leistungsbezieher sind ähnlich hoch: 9,3 Prozent im Vergleich zu 15,9 bzw. 7,4 Prozent.” Die Bulgaren und Rumänen gehören damit zu den am besten integrierten Ausländergruppen in Deutschland. Ihr Beitrag in die Sozialkassen übersteigt bei weitem die Belastung. Dass in einigen Städten wie Duisburg und Dortmund soziale Probleme zusammenballen, sollte die Bundesregierung endlich dazu veranlassen, diesen Städten wie versprochen beizustehn.
    Natürlich müssen wir uns darauf einstellen, dass unter den Neuzuwanderern auch ein hoher Anteil ohne abgeschlossene Berufsausbildung zu uns kommt. Hier sollten wir endlich die Programme realisieren, die wir bei der ersten “Gastarbeiterwelle” zu installieren versäumt haben. Wenn wir nur an ausgebildetem, jungem Humankapital interessiert sind und nicht an der Integration des Kontinents Europa, hätten wir es bei einer europäischen Freihandelszone belassen sollen. Stellt sich nur die Frage, ob die anderen zugesehen hätten, wie die Waren Kerneuropas ihre Märkte überschwemmt hätten. Wenn wir ein Europa über den Handelsraum hinaus haben wollen, müssen wir die Formen und Gesetze der Armut in Europa verstehen lernen. Einen intelligenten Versuch leistet Norbert Mappes-Niediek:

    Die Gesetze der Armut verstehen
    Die Logik der Armut wird nicht verstanden, auch in Osteuropa nicht. Überall hört man dort immer wieder die traurige Geschichte von dem begabten Roma-Jungen, dem wir alle helfen wollten, dem wir schließlich sogar unter erheblichen Mühen einen Arbeitsplatz beschafft haben – und der dann schon eine Woche später unentschuldigt der Arbeit fernblieb, weil er dem Onkel bei der Reparatur seiner Hütte zur Hand gehen musste. Die Interpretation der Geschichte ist dann meistens, dass sich da das “Ewigzigeunerische” durchgeschlagen habe. Dabei hat der Junge in der Geschichte nur vernünftig gehandelt. Der Job kann schnell wieder weg sein. Der Onkel bleibt. Man nennt das die Ökonomie der Armut. Sie ist nicht weniger vernünftig als unsere Ökonomie des Sparens und Investierens; nur ist sie eben den Bedingungen des Dauerelends angepasst. Bildung, Bildung, Bildung, pflegen wohlmeinende Politiker zu sagen, wenn sie einen Ausweg aus der Misere weisen sollen. Bildung sei der Schlüssel, heißt es in den einschlägigen Papieren der EU-Kommission, des Europaparlaments und des Europarats. An der Botschaft ist natürlich nichts auszusetzen – außer, dass sie nicht stimmt. Bildung ist nicht der Schlüssel, oder wenigstens nicht dort, wo die Armutszuwanderer herkommen. Überall in Ost- und Südosteuropa ist der Zusammenhang zwischen Bildung und gutem Leben zerrissen, und zwar für alle, nicht nur für Roma. Eine ganze Generation hat die Erfahrung gemacht, dass Bildung es eben nicht bringt. Sie haben es an ihren Eltern gesehen. Der Vater war Ingenieur, die Mutter Russischlehrerin. Heute geht die Mutter putzen, und der Vater säuft – aber der Nachbarsjunge, der die Schule abgebrochen hat, um finsteren Geschäften nachzugehen, fährt heute mit einem Porsche Cayenne durchs Viertel. Erst wenn die Verhältnisse sich ändern, ändert sich auch die Einstellung zur Bildung. Eine Studie der Soros-Stiftung unter Roma in Italien und Spanien auf der einen und in Rumänien und Bulgarien auf der anderen Seite hat gezeigt, dass die Bereitschaft, die Kinder zur Schule zu schicken, in den Aufnahmeländern deutlich höher ist als in den Herkunftsländern, und zwar bei denselben Familien.
    Wer dagegen will, dass sich in Deutschland keine Slumverhältnisse breitmachen, muss für die bessere Alternative erst einmal die Voraussetzungen schaffen. Etwas verlangen kann man nur von einem Menschen, der etwas zu verlieren hat. Eine nach unseren Maßstäben vernünftige Ökonomie seines Lebens kann nur entwickeln, wer sicher sein darf, dass es morgen noch genug zu essen gibt, dass er nicht nächste Woche auf der Straße steht oder festgenommen und irgendwo hingeflogen wird. Das heißt nicht, dass Deutschland “das Sozialamt der ganzen Welt” werden muss. Es muss aber auch in seinem eigenen Interesse die Menschen, die hier leben, menschenwürdig behandeln. Dass dann “alle kommen”, ist bloß Propaganda – ebenso wie die Rede von den “ganzen Landstrichen”, die schon “entvölkert” seien, weil alle jetzt im Ruhrgebiet leben würden. Die Ärmsten der Armen, die in Rumänien überwiegend auf dem Lande leben, migrieren so gut wie überhaupt nicht.
    Quelle: taz

  8. Globale Beschäftigungstrends 2014: Schwache wirtschaftliche Erholung führt nicht zu mehr Jobs
    Die weltweit schwache wirtschaftliche Erholung hat nicht zu Verbesserungen auf dem globalen Arbeitsmarkt geführt. Im Jahr 2013 waren fast 202 Millionen Menschen ohne Arbeit, so das Ergebnis eines Berichts über Globale Beschäftigungstrends. Demnach blieb das Beschäftigungswachstum schwach, die Arbeitslosigkeit, besonders unter jungen Menschen, stieg weiter an und eine hohe Anzahl zunehmend entmutigter Arbeitnehmer konnten nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden. Die in vielen Wirtschaftszweigen erzielten Gewinne wurden in Vermögenswerte investiert und nicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen genutzt. Dies beeinträchtigt die langfristigen Beschäftigungsaussichten. Nach den derzeitigen Trends werden bis zum Jahr 2018 zusätzlich 200 Millionen Jobs geschaffen – zu wenig, um die wachsende Zahl von neu in den Arbeitsmarkt eintretenden Menschen aufzunehmen. In Entwicklungsländern bleibt informelle Arbeit weit verbreitet während sich die Entwicklung hin zu besserer Jobqualität verlangsamt hat.
    Quelle 1: ILO
    Quelle 2: Global Employment Trends 2014: Risk of a jobless recovery? [PDF – 3 MB]
  9. Lohnplus für Osteuropäer
    Viel ist in den letzten Wochen über Armutszuwanderung gesagt und geschrieben worden. Und wenig darüber, wie Menschen aus Osteuropa bei uns teilweise arbeiten müssen: zu Niedriglöhnen und in unsicheren Jobs. Auch mit der neuen Arbeitnehmerfreizügigkeit wird sich für etliche Rumänen und Bulgaren daran nicht unbedingt etwas ändern, so die Erfahrung mancher Beratungsstelle. Denn es ist gar nicht so einfach, in eine reguläre Anstellung mit anständigem Lohn zu rutschen. Umso erfreulicher ist nun, dass zumindest in der Fleischindustrie das ärgste Lohndumping bald der Vergangenheit angehört. Dass der Mindestlohn von anfänglich 7,75 Euro, auf den sich Arbeitgeber und Gewerkschaft jetzt geeinigt haben, von der Politik für die ganze Branche vorgeschrieben wird, ist nur noch eine Frage der Zeit. Auch Beschäftigte, die von Subunternehmern per Werkvertrag angeheuert werden, haben dann Anspruch auf den Mindestlohn. – Doch nicht alle Probleme sind gelöst: Tricks, den Mindestlohn zu umgehen, gibt es viele. Indem man Arbeitskleidung in Rechnung stellt oder Subunternehmer die Miete für Bruchbuden erhöhen, in denen so mancher Schlachter aus Osteuropa untergebracht wird. Dagegen helfen nur regelmäßige Kontrollen der zuständigen Behörden – und Ideen, wie man auch gegen die Praxis vorgehen kann, noch die letzten Absteigen überteuert zu vermieten.
    Quelle: taz

    Dazu: Mehr Geld fürs Tiereschlachten
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Es ist zu hoffen, dass dies die Vorwehen der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns sind und auch die Arbeitgeberseite in anderen Branchen sich allmählich bewegt, statt sich eines Tages mit einem schlagartig eingeführten Mindestlohn konfrontiert zu sehen.

  10. 1968 – Gesetzlicher Mindestlohn in den Niederlanden
    In den Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD war die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns ein zentrales Thema. Deutschland ist spät dran. Die USA führten ihn nach der Weltwirtschaftskrise ein. Als eines der ersten europäischen Länder entschieden sich die Niederlande am 27. November 1968 dafür
    Quelle: WDR5 [Audio – mp3]

    Anmerkung Orlando Pascheit: Mein Gott, was waren das für Zeiten, als die Arbeiter in den Niederlanden zum Teil in wilden Streiks, oft gegen die Gewerkschaftsführung, für den Mindestlohn auf die Straße gingen. Weiter erfahren wir, dass es 1894 in Amsterdam schon oder noch Politiker gab, die per Dekret einen Mindestlohn einführten. Er galt für die eigenen Beschäftigten und alle Firmen, die Aufträge für die Stadt erledigen. Viele Gemeinden folgten bald dem Beispiel Amsterdams. Heute wird allerorten als erstes am Lohn im öffentlichen Dienst gespart.

  11. PCB-Kontamination von öffentlichen Gebäuden – „Bundesregierung verweigert Antworten“
    Die Bundesregierung hat in dieser Woche die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei zu Gesundheitsschäden durch Polychlorierte Biphenyle (PCB) veröffentlicht. Zentrale Fragen zur PCB-Kontamination öffentlicher Gebäude blieben dabei unbeantwortet. Auch die Verantwortung der Hersteller – in erster Linie der Firmen MONSANTO und BAYER – wurde in der vom Bundesumweltministerium verfassten Stellungnahme ausgeklammert.
    Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) verurteilt die Kumpanei der Regierung mit den Verursachern des PCB-Desasters. Philipp Mimkes vom Vorstand der CBG: „Die Bundesregierung behauptet allen Ernstes, dass aus den letzten zehn Jahren keine Gesundheitsschäden durch PCB bekannt wären. Hier würde ein Blick in die Zeitung genügen: allein in Dortmund wurden Hunderte Arbeiter der Firma Envio mit PCB vergiftet.“ Dass die Regierung zudem keinerlei Angaben zur Belastung öffentlicher Gebäude sowie zu den daraus resultierenden Gesundheitsrisiken macht, bezeichnet Mimkes als „Armutszeugnis“.
    Dagmar von Lojewski-Paschke vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) ergänzt: „Die Ruinierung der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sowie die „Nichtzuständigkeit“ und das Versagen der zuständigen Behörden und Aufsichtsämter bis hinauf in die obersten Bundesämter ist ein Verbrechen gegen die nächste und weitere Generationen. Dies geschieht allein im Interesse des wirtschaftlichen Wachstums und der ausufernden Profitgier der Industrie.“
    Weltweit wurden von 1930 bis 1990 rund 1,3 Millionen Tonnen PCB produziert. Die Chemikalien kamen u.a. in Elektrogeräten, Fugendichtungen, Lacken und Bodenbelägen zum Einsatz. Die Entsorgung dauert Jahrzehnte und kostet Milliarden. Die Hersteller MONSANTO und BAYER wälzen die Kosten auf die Allgemeinheit ab.
    Der nordrhein-westfälische Landesverband des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), die Coordination gegen BAYER-Gefahren, die Naturfreunde und der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) forderten in einer Stellungnahme, die Produzenten an den horrenden Entsorgungskosten zu beteiligen.
    Quelle 1: CBG Network
    Quelle 2: Antwort der Bundesregierung [PDF – 169 KB]
  12. Schiefergas in Amerika: Das Fracking-Wunder bleibt aus
    In nackten Zahlen ist die Erdgasförderung in den Vereinigten Staaten um 30 Prozent gestiegen, die von Öl sogar um 50 Prozent. Doch der Öl-Spuk könnte so schnell wieder vorbei sein, wie er angefangen hat. Für Aufsehen sorgte besonders eine Studie der amerikanischen Ökonomin Deborah Rogers. Auf 30 Seiten legt sie dar, wie Unternehmen offenbar systematisch die Vorkommen künstlich hochgerechnet haben. Einige könnten ihre Schiefergasvorräte um bis zu 500 Prozent hochgerechnet haben. Sie haben auch gute Gründe dafür: Je mehr Gas in einer Schieferformation vermutet wird, umso mehr Investoren werden angezogen. Eine Studie der Unternehmensberatung IHS Herold kommt zu dem Schluss, dass seit 2008 sogar mehr investiert wurde, als durch den Verkauf von Schiefergas- und Öl wieder in die Kassen gespült wurde – ein Minusgeschäft also. Im vergangenen Jahr waren daher für viele Unternehmen eine Reihe an Abschreibungen fällig – verursacht durch die sinkenden Energiepreise und enttäuschenden Förderraten, wie die Finanzagentur Bloomberg feststellte.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Leider eine Meldung, die viel zu wenig Beachtung findet. Sowohl die Meldung, dass die momentan niedrigen Preise nicht einmal die Produktionskosten einfahren, als auch die falsch eingeschätzte Ergiebigkeit der Schiefergasvorräte dürfte die Drohung einiger energieintensiver Unternehmen hierzulande, wegen Einsparungen bei der Stromrechnung das Land in Richtung USA zu verlassen, in Luft auflösen. Der britische Energiekonzern Shell musste erst vor einigen Monaten Abschreibungen in Höhe von zwei Milliarden Dollar auf seine Beteiligungen an nordamerikanischen Vorkommen vornehmen. Eine Korrektur mussten auch BP, Encana und die britische BG Group und viele kleinere Unternehmen vornehmen. Es stellt sich die Frage, ob die Industrie überhaupt noch genügend Geld in die Förderung stecken wird und viele Quellen gar nicht mehr erschlossen. Für die USA dürfte diese Entwicklung die Chance für Reindustrialisierung des Landes – zumindest über diesen Weg – beträchtlich reduzieren.

  13. Jürgen Todenhöfer: Verhandelt mit Assad!
    In Syrien haben religiöse Fanatiker das Lager der Rebellen übernommen. Al-Qaida ist die größere Gefahr als das alte Regime. Der Westen ist mitverantwortlich dafür, dass aus einem Terroristenhaufen eine schlagkräftige Armee wurde. In Afghanistan gab es 2001 gerade einmal einige hundert Al-Qaida-Kämpfer, im Irak 2006 waren es kaum mehr als tausend. In Syrien aber kämpfen inzwischen mehr als 25.000 Al- Qaida-Terroristen ihren unheiligen Krieg. Sie kämpfen nicht nur gegen Assad, sie kämpfen auch gegen andere Rebellengruppen und gegen Teile des Volkes. In Afghanistan und im Irak war al-Qaida eine äußerst umstrittene, meist geächtete Minderheit. In Syrien jedoch stellt al-Qaida mit “Jabhat al Nusra” und “ISIS” inzwischen die mächtigsten, effektivsten und bestbezahlten Rebelleneinheiten. Respektiert werden sie wegen ihrer Kampfkraft und ihres Todesmutes, gefürchtet wegen ihrer grenzenlosen Brutalität. Ihre Kämpfer verachten jede Form westlicher Demokratie. Sie streben eine Diktatur religiöser Fanatiker an, die sie in völliger Verkennung der arabischen Geschichte islamisches Emirat oder Kalifat nennen. Der Westen muss diese absurde Politik beenden. Er muss hierzu, ob es ihm gefällt oder nicht, auch direkt mit dem syrischen Präsidenten verhandeln.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung

    Anmerkung Orlando Pascheit: Jenseits der Frage, ob Todenhöfer recht damit hat, dass die religiösen Fanatiker eine größere Gefahr bilden als das Assad-Regime, dürfte es gar nicht so einfach sein, die saudisch-katarischen Waffenlieferungen zu stoppen. Schließlich weiß jeder, dass das wahabitische Saudi-Arabien seit Jahrzehnten nichts unversucht lässt, Muslime weltweit zu radikalisieren. Und dennoch hat sich der Westen nie aufraffen können, den Saudis Grenzen zu setzten. Dass Assad, wie Todenhöfer meint, die Bevölkerung mehrheitlich hinter sich habe, ist gerade heute, angesichts der gerade an das Tageslicht gelangten Fotos von systematischer Folter und Tötung von 11.000 Gefangenen, nicht vorstellbar. Ziemlich naiv ist die Annahme, dass Assad “nicht an einer lebenslangen Präsidentschaft interessiert” sei. Angesichts seiner Untaten bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als bis an sein Lebensende an der Macht zu bleiben. In letzter Konsequenz fordert Todenhöfer Friedhofsruhe in Syrien. Mag sein, dass der Westen dies bald ähnlich sieht und der Ruhe (Stabilität) wegen das Bündnis restaurativer Kräfte in Syrien, Ägypten bzw. im Nahen Osten sucht.

  14. Anti-Lanz-Protest wird immer stärker
    Die Online-Petition gegen Markus Lanz findet im Web enormen Zuspruch. Die Zahl der Unterzeichner klettert von Minute zu Minute. Aktuell sind es 24.000. ZDF-Moderator Markus Lanz ist nach seiner Talksendung am vergangenen Donnerstag in die Kritik geraten. Er habe seinen Gast, die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht, mehrfach unterbrochen und unhöflich behandelt. In einer Stellungnahme versichert das ZDF, Wagenknecht habe sich nach der Sendung zufrieden geäußert – sie widerspricht.
    Wagenknecht: „Liebes ZDF, nach dem breiten Protest gegen markus #Lanz´ Gesprächsstil zu behaupten, ich sei zufrieden gewesen, ist doch etwas arg frech.“
    Mittlerweile hat das ZDF auf den Tweet von Sahra Wagenknecht reagiert. Via Twitter entschuldigte sich der Sender bei der Poltikerin dafür, dass ihre Äußerungen im Nachgespräch nach der Sendung “falsch angekommen” seien. Es gebe “sicher noch mal die Möglichkeit dies auszuräumen”, so der Sender. Wagenknecht reagiert in der Bild-Zeitung. “Vorerst ist mein Bedarf gedeckt.”
    Quelle: MEEDIA
  15. Rezension: Owen Jones: Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiterklasse
    Darin beschreibt der britische Historiker und Journalist den Untergang der britischen Arbeiterklasse als politisches Projekt Margaret Thatchers und der Wirtschaftseliten. Die Deindustrialisierung sei weitaus stärker politisch als wirtschaftlich motiviert gewesen. Damit sind hunderttausende gut bezahlte Arbeitsplätze verloren gegangen, und die Macht der Gewerkschaften wurde gebrochen. Für einen Teil der einst so starken und stolzen britischen Arbeiterklasse war dies der Beginn eines enormen wirtschaftlichen Abstiegs: schlecht bezahlte Dienstleistungsjobs, Arbeitslosigkeit, Ghettoisierung, Perspektivlosigkeit. Das Wort Arbeiterklasse wurde aus dem politischen Sprachschatz getilgt; es gab nur noch Mittelschichten und Prolls.
    Die Übersetzung des Wortes „Chav“ ist mit Proll nur sehr ungenau, doch naheliegend…
    Natürlich wurde Deutschland nicht so deindustrialisiert wie Großbritannien, und eine derartige Deklassierung hat auch nicht stattgefunden. Doch gibt es diesseits des Kanals nicht auch eine Karikatur der Proll-Frau im Trainingsanzug aus einer wenig schicken Gegend? Finden wir in niveauvollen Tageszeitungen nicht negative Werturteile mit „prollig“ als Ausdruck? Haben auch bei uns Politiker den Kontakt zur arbeitenden Bevölkerung verloren? Ist das Wort Arbeiterklasse auch in unserer Republik weitgehend verbannt?
    Quelle: Gegenblende
  16. TV-Tipp: Arm trotz Arbeit
    Im Einzelhandel sind in den vergangenen Jahren viele Vollzeitstellen abgebaut worden. Mehr als die Hälfte der rund drei Millionen Arbeitskräfte arbeitet in Teilzeit, fast 700.000 als Minijobber. 300.000 verdienen laut ver.di weniger als 5 Euro pro Stunde. Nur etwa 40 Prozent der Arbeitsverträge in der Branche sind durch Tarifverträge reguliert.
    Ungefähr drei Viertel der Beschäftigten im Einzelhandel sind Frauen, die durch diese Arbeitsbedingungen z.B. keine Rentenansprüche erwerben und somit langfristig auch noch in der Altersarmut landen.
    Sendetermin: WDR1, frau TV, Donnerstag 23. Januar, 22.00 bis 22.30
    Quelle: WDR.de


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