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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 22. Januar 2014 um 8:56 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Jens Berger
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Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Anmerkung unseres Lesers H.H. (eines ehemaligen Redakteurs der Frankfurter Rundschau) aus München: Es ist eher der Ausnahmefall, doch ein dpa-Bericht, den die „Frankfurter Rundschau“ zu de Guchts angeblichem Einlenken brachte, war diesmal qualitativ besser als der Korrespondentenbericht der „Süddeutschen“. Der dpa-Bericht spricht aus, worum es de Gucht in Wirklichkeit geht: nämlich den Europawahlkampf zu verschonen von Diskussionen um die Rolle der ominösen ICDS-Schiedsstellen (International Court of Dispute Settlements, angeschlossen an die Weltbank). Denn solche Diskussionen würden für CDU/CSU und SPD, die heute die Große Koalition bilden, und für andere Regierungsparteien in EU-Ländern notwendig deutliche Stimmeneinbußen zur Folge haben. In Deutschland ist – wegen eines fast flächendeckenden Versagens der Medien – den allermeisten Bürger_innen bis heute nicht klar, dass das von der Regierung Merkel/Gabriel forcierte TTIP-Abkommen zur Folge hätte, dass im Falle der Ratifizierung des Abkommens bis 2017 die Einführung des flächendeckenden Mindestlohns das TTIP-Abkommen verletzen und Schadensersatzklagen in Milliardenhöhe zur Folge hätte.
Diese Klagen würden nicht vor ordentlichen Gerichten verhandelt, sondern vor Schiedsstellen bestehend aus drei privaten Wirtschaftsjuristen.
Deren „Urteilen“ würde die deutsche Bundesregierung als letztinstanzlich anerkennen (müssen). Diskussionen über derart skandalöse Absichten will de Gucht – sicher in Einklang mit Merkel und Gabriel – unterbinden, deshalb sein „Einlenken“, das tatsächlich nur beschwichtigen soll, ohne wirkliche Zugeständnisse zu machen.
P.S. Der Bericht in der ARD-Tagesschau über de Guchts Vorstoß war sehr wenig informativ, der im ZDF-Börsenbericht des „heute-Journals“ klarer.
Anmerkung Orlando Pascheit: In einem hat der gute Mann recht. Deutschland hat bereits eine Reihe von Investitionsabkommen [PDF – 169 KB] mit anderen Staaten abgeschlossen. Das wirft eigentlich die Frage auf, warum sich bis jetzt noch niemand darüber aufgeregt hat. Sollte es etwa daran liegen, dass wir dieses Mal mit einem potenten Handelspartner verhandeln. Was drücken wir denn gerade den Indern auf oder was haben wir in unseren bilateralen Investitionsförderungs- und -schutzverträgen gefordert – meist von Entwicklungsländern?
Anmerkung Orlando Pascheit: Manchmal vergessen wir vor lauter Klagen über die gefährliche USA, dass a) die Kritik an den Freihandelsverträgen in den USA selbst substanziell ist, dass b) Entwicklungsländer (nicht nur durch die USA) am stärksten von solchen Verträgen betroffen sind und dass c) der mit der Bedrohung der Mittelschicht durch die kurzfristige Profitorientierung des Neokapitalismus die Entwicklung zur bzw. der Erhalt der Demokratie in allen Unterzeichnerländern bedroht wird.
Anmerkung WL: Man mag das, was Christodoulakis sagt, als Verharmlosung oder als schlitzohrig betrachten, aber klar ist auch, wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen nach den Griechen werfen.
Anmerkung Orlando Pascheit: Wie so oft in den Wirtschaftswissenschaften, proportional zur Zahl der hinzugenommenen Studien, kommt es zu keiner eineindeutigen Aussage. Wer eine eindeutige Aussage zur Belastung der Sozialkassen erhofft, muss sich damit abfinden, dass der mittelfristige Trend positiv ist. In der von der CSU angezündelten Diskussion dreht es sich vor allem um die Zuwanderer den Armutshäusern Europas, Bulgarien und Rumänien. Das IAB schreibt: “Die Arbeitslosenquote der Bulgaren und Rumänen lag zum Jahresende 2012 bei 9,6 Prozent. Im Durchschnitt der ausländischen Erwerbspersonen waren es 16,4 Prozent und im Bevölkerungsdurchschnitt 7,4 Prozent. Die entsprechenden Anteile der SGB-II- Leistungsbezieher sind ähnlich hoch: 9,3 Prozent im Vergleich zu 15,9 bzw. 7,4 Prozent.” Die Bulgaren und Rumänen gehören damit zu den am besten integrierten Ausländergruppen in Deutschland. Ihr Beitrag in die Sozialkassen übersteigt bei weitem die Belastung. Dass in einigen Städten wie Duisburg und Dortmund soziale Probleme zusammenballen, sollte die Bundesregierung endlich dazu veranlassen, diesen Städten wie versprochen beizustehn.
Natürlich müssen wir uns darauf einstellen, dass unter den Neuzuwanderern auch ein hoher Anteil ohne abgeschlossene Berufsausbildung zu uns kommt. Hier sollten wir endlich die Programme realisieren, die wir bei der ersten “Gastarbeiterwelle” zu installieren versäumt haben. Wenn wir nur an ausgebildetem, jungem Humankapital interessiert sind und nicht an der Integration des Kontinents Europa, hätten wir es bei einer europäischen Freihandelszone belassen sollen. Stellt sich nur die Frage, ob die anderen zugesehen hätten, wie die Waren Kerneuropas ihre Märkte überschwemmt hätten. Wenn wir ein Europa über den Handelsraum hinaus haben wollen, müssen wir die Formen und Gesetze der Armut in Europa verstehen lernen. Einen intelligenten Versuch leistet Norbert Mappes-Niediek:
Die Gesetze der Armut verstehen
Die Logik der Armut wird nicht verstanden, auch in Osteuropa nicht. Überall hört man dort immer wieder die traurige Geschichte von dem begabten Roma-Jungen, dem wir alle helfen wollten, dem wir schließlich sogar unter erheblichen Mühen einen Arbeitsplatz beschafft haben – und der dann schon eine Woche später unentschuldigt der Arbeit fernblieb, weil er dem Onkel bei der Reparatur seiner Hütte zur Hand gehen musste. Die Interpretation der Geschichte ist dann meistens, dass sich da das “Ewigzigeunerische” durchgeschlagen habe. Dabei hat der Junge in der Geschichte nur vernünftig gehandelt. Der Job kann schnell wieder weg sein. Der Onkel bleibt. Man nennt das die Ökonomie der Armut. Sie ist nicht weniger vernünftig als unsere Ökonomie des Sparens und Investierens; nur ist sie eben den Bedingungen des Dauerelends angepasst. Bildung, Bildung, Bildung, pflegen wohlmeinende Politiker zu sagen, wenn sie einen Ausweg aus der Misere weisen sollen. Bildung sei der Schlüssel, heißt es in den einschlägigen Papieren der EU-Kommission, des Europaparlaments und des Europarats. An der Botschaft ist natürlich nichts auszusetzen – außer, dass sie nicht stimmt. Bildung ist nicht der Schlüssel, oder wenigstens nicht dort, wo die Armutszuwanderer herkommen. Überall in Ost- und Südosteuropa ist der Zusammenhang zwischen Bildung und gutem Leben zerrissen, und zwar für alle, nicht nur für Roma. Eine ganze Generation hat die Erfahrung gemacht, dass Bildung es eben nicht bringt. Sie haben es an ihren Eltern gesehen. Der Vater war Ingenieur, die Mutter Russischlehrerin. Heute geht die Mutter putzen, und der Vater säuft – aber der Nachbarsjunge, der die Schule abgebrochen hat, um finsteren Geschäften nachzugehen, fährt heute mit einem Porsche Cayenne durchs Viertel. Erst wenn die Verhältnisse sich ändern, ändert sich auch die Einstellung zur Bildung. Eine Studie der Soros-Stiftung unter Roma in Italien und Spanien auf der einen und in Rumänien und Bulgarien auf der anderen Seite hat gezeigt, dass die Bereitschaft, die Kinder zur Schule zu schicken, in den Aufnahmeländern deutlich höher ist als in den Herkunftsländern, und zwar bei denselben Familien.
Wer dagegen will, dass sich in Deutschland keine Slumverhältnisse breitmachen, muss für die bessere Alternative erst einmal die Voraussetzungen schaffen. Etwas verlangen kann man nur von einem Menschen, der etwas zu verlieren hat. Eine nach unseren Maßstäben vernünftige Ökonomie seines Lebens kann nur entwickeln, wer sicher sein darf, dass es morgen noch genug zu essen gibt, dass er nicht nächste Woche auf der Straße steht oder festgenommen und irgendwo hingeflogen wird. Das heißt nicht, dass Deutschland “das Sozialamt der ganzen Welt” werden muss. Es muss aber auch in seinem eigenen Interesse die Menschen, die hier leben, menschenwürdig behandeln. Dass dann “alle kommen”, ist bloß Propaganda – ebenso wie die Rede von den “ganzen Landstrichen”, die schon “entvölkert” seien, weil alle jetzt im Ruhrgebiet leben würden. Die Ärmsten der Armen, die in Rumänien überwiegend auf dem Lande leben, migrieren so gut wie überhaupt nicht.
Quelle: taz
Dazu: Mehr Geld fürs Tiereschlachten
Quelle: taz
Anmerkung Orlando Pascheit: Es ist zu hoffen, dass dies die Vorwehen der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns sind und auch die Arbeitgeberseite in anderen Branchen sich allmählich bewegt, statt sich eines Tages mit einem schlagartig eingeführten Mindestlohn konfrontiert zu sehen.
Anmerkung Orlando Pascheit: Mein Gott, was waren das für Zeiten, als die Arbeiter in den Niederlanden zum Teil in wilden Streiks, oft gegen die Gewerkschaftsführung, für den Mindestlohn auf die Straße gingen. Weiter erfahren wir, dass es 1894 in Amsterdam schon oder noch Politiker gab, die per Dekret einen Mindestlohn einführten. Er galt für die eigenen Beschäftigten und alle Firmen, die Aufträge für die Stadt erledigen. Viele Gemeinden folgten bald dem Beispiel Amsterdams. Heute wird allerorten als erstes am Lohn im öffentlichen Dienst gespart.
Anmerkung Orlando Pascheit: Leider eine Meldung, die viel zu wenig Beachtung findet. Sowohl die Meldung, dass die momentan niedrigen Preise nicht einmal die Produktionskosten einfahren, als auch die falsch eingeschätzte Ergiebigkeit der Schiefergasvorräte dürfte die Drohung einiger energieintensiver Unternehmen hierzulande, wegen Einsparungen bei der Stromrechnung das Land in Richtung USA zu verlassen, in Luft auflösen. Der britische Energiekonzern Shell musste erst vor einigen Monaten Abschreibungen in Höhe von zwei Milliarden Dollar auf seine Beteiligungen an nordamerikanischen Vorkommen vornehmen. Eine Korrektur mussten auch BP, Encana und die britische BG Group und viele kleinere Unternehmen vornehmen. Es stellt sich die Frage, ob die Industrie überhaupt noch genügend Geld in die Förderung stecken wird und viele Quellen gar nicht mehr erschlossen. Für die USA dürfte diese Entwicklung die Chance für Reindustrialisierung des Landes – zumindest über diesen Weg – beträchtlich reduzieren.
Anmerkung Orlando Pascheit: Jenseits der Frage, ob Todenhöfer recht damit hat, dass die religiösen Fanatiker eine größere Gefahr bilden als das Assad-Regime, dürfte es gar nicht so einfach sein, die saudisch-katarischen Waffenlieferungen zu stoppen. Schließlich weiß jeder, dass das wahabitische Saudi-Arabien seit Jahrzehnten nichts unversucht lässt, Muslime weltweit zu radikalisieren. Und dennoch hat sich der Westen nie aufraffen können, den Saudis Grenzen zu setzten. Dass Assad, wie Todenhöfer meint, die Bevölkerung mehrheitlich hinter sich habe, ist gerade heute, angesichts der gerade an das Tageslicht gelangten Fotos von systematischer Folter und Tötung von 11.000 Gefangenen, nicht vorstellbar. Ziemlich naiv ist die Annahme, dass Assad “nicht an einer lebenslangen Präsidentschaft interessiert” sei. Angesichts seiner Untaten bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als bis an sein Lebensende an der Macht zu bleiben. In letzter Konsequenz fordert Todenhöfer Friedhofsruhe in Syrien. Mag sein, dass der Westen dies bald ähnlich sieht und der Ruhe (Stabilität) wegen das Bündnis restaurativer Kräfte in Syrien, Ägypten bzw. im Nahen Osten sucht.
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