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Titel: Dritter Arbeitsmarkt als Test für Arbeitswilligkeit

Datum: 8. Januar 2007 um 7:25 Uhr
Rubrik: Arbeitslosigkeit, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Von Gert G. Wagner (DIW) war in der TAZ ein Artikel mit dem Titel „Verschwendung, die sich lohnt“ erschienen. Wie die SPD-Abgeordnete Iris Gleicke plädiert auch Gert G. Wagner für einen so genannten Dritten Arbeitsmarkt, mit dem angeblich mehr für Langzeitarbeitslose getan werden könne. Der Beitrag ist widersprüchlich und teilweise erschreckend. Kai Ruhsert.

Es folgen Kommentare zu einige Absätzen des Artikels (letztere in kursiv).

Zwar wirbt Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Neujahrsansprache für weitere Reformen, die wie die Rente mit 67 erst einmal mehr von den Bürger verlangen, bevor sie positiv wirken, aber Merkel hat auch ausdrücklich mehr Chancen für Langzeitarbeitslose als ein wichtiges Ziel genannt.

Wie soll die Rente mit 67 positiv auf den Arbeitsmarkt wirken? Gerade kürzlich hat das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung [PDF – 1 MB] in einer Studie prognostiziert, dass die Rente mit 67 eher zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen dürfte, sofern nicht zwischen 1,2 bis über 3 Millionen zusätzliche Jobs entstehen. Aber Wagner glaubt offenbar, dass die „Reform“ Rente mit 67 „positiv wirkt“.

In der großen Koalition ist ein Programm für erst einmal 100.000 Langzeitarbeitslose im Gespräch. Unvermittelbare Langzeitarbeitslose sowie psychisch und körperlich Kranke sollen Jobs in kommunalen oder gemeinnützigen Einrichtungen zur Verfügung gestellt bekommen. Vornehmlich im Hilfsbereich – ob in der Küche oder beim Rasenmähen -, denn es hätte keinen Sinn, ungelernte Kräfte zum Beispiel mit der schwierigen Aufgabe der Pflege zu betrauen.

Das hört sich äußerst mildtätig an, wenn für unvermittelbare Langzeitarbeitslose und psychisch und körperlich Kranke „Jobs“ zur Verfügung gestellt werden sollen. Wenn das aber bei „Kranken“ mit dem ökonomischen Zwang verbunden ist, deren Arbeitsfähigkeit und die Arbeitswilligkeit zu „testen“, dann wird daraus ein zynisches Experiment.

(…) selbst Erwerbstätige, die trotz Vollzeitarbeit nur einen “Armutslohn” beziehen, sind im Durchschnitt mit etwa 6,5 nicht viel weniger zufrieden als normal verdienende Erwerbstätige.

Na, dann – wenn die Zufriedenheit fast wie bei einem normal Verdienenden ist – ist gegen einen „Armutslohn“ ja gar nicht so viel einzuwenden!

(…) Insofern sollte eine klare Befristung des neu geschaffenen Dritten Arbeitsmarktes erwogen und öffentlich diskutiert werden.

Also befristet. Das steht aber im Widerspruch hierzu:

(Mit Workfare, KR) wird eben nicht nur die Arbeitswilligkeit getestet, sondern wirklich ein Job angeboten und womöglich dauerhaft gewährleistet. Macht man das konsequent, werden 100.000 Arbeitsplätze im Dritten Arbeitsmarkt also wahrscheinlich nicht ausreichen.

Nun also “dauerhaft gewährleistet”. Was denn nun?

Alle Fachleute schätzen, dass es nicht nur 100.000 Langzeitarbeitslose gibt, die keinerlei Chance mehr auf einen normalen Job haben, sondern etwa 400.000. Vielleicht sogar noch mehr. Insofern sollte erwogen werden, ob man nicht jetzt auch damit beginnt, die Arbeitsfähigkeit und -willigkeit aller Langzeitarbeitslosen durch staatliche Jobangebote zu testen.

400.000 Menschen antreten zum Zwangstest auf Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit!

Ein letztes Wort: Mit einem “Grundeinkommen für alle”, von dem immer wieder geträumt wird, sind die Probleme der derzeit Langzeitarbeitslosen nicht zu lösen. Denn diese Gruppe hat ja nicht nur den Anschluss an die Erwerbsarbeit verloren, sie ist aufgrund unzureichender Bildung und der Gewöhnung an Perspektivlosigkeit auch kaum noch in der Lage, sich außerhalb der Erwerbswelt sinnstiftend zu betätigen.

Die Langezeitarbeitslosen können also nur noch durch Arbeitszwang zur Sinnstiftung ihres Lebens gezwungen werden?
Ich würde gerne wissen, wie viele qualifizierte, kreative, jederzeit zu Engagement bereite Langzeitarbeitslose unter unseren Leserinnen und Lesern sind und nicht fassen können, was da von Gert G. Wagner über sie geredet wird.

Eine gute Bildung und jede Menge kreativer Energie ist aber die Voraussetzung, damit ein Grundeinkommen für alle eine sinnvolle Perspektive sein könnte. Solange die nicht gegeben ist, lohnt es sich nicht, über die vielfältigen Probleme eines Grundeinkommens im Detail zu diskutieren.

Für Gebildete und Kreative lohnte es sich also über das Grundeinkommen nachzudenken, für unvermittelbare Langzeitarbeitslose, psychisch und körperlich Kranke aber nicht, ihnen muss die Sinnstiftung für ihr Leben durch den Test auf ihre Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit vermittelt werden.

Man muss wahrscheinlich Professor sein, um diese verquaste Logik nachvollziehen zu können.

Ergänzung am 9.1.2007:

Die Konsequenzen einer Ausweitung der Ein-Euro-Jobs für die Gesamtwirtschaft werden von Gert Wagner auf fahrlässige Weise unterschätzt. In der Praxis gibt es keine klare Grenze zwischen Tätigkeiten des ersten und des dritten Arbeitsmarkts. Um beim konkreten Beispiel zu bleiben: Der Übergang vom Rasenmähen über das Gießen und Düngen bis zur Neuanlage von Grünanlagen ist fließend. Das Ergebnis wird eine massive Verdrängung regulärer Beschäftigung durch Ein-Euro-Jobs sein. Gert Wagner kann dies in Berlin heute schon beobachten:

“Schon jetzt sollen dort (bei den Grünflächenämtern, KR) nach Angaben der Gewerkschaft ver.di einige tausend Ein-Euro-Jobber im Einsatz sein, während die Zahl der Beschäftigten seit 2003 von 3070 auf 2500 Arbeiter gesunken sei. … Schon jetzt seien beispielsweise in Tempelhof-Schöneberg nur noch 160 der 230 Stellen bei den Grünflächenämtern besetzt, sagte Uwe Januszewski vom Hauptpersonalrat. Gleichzeitig würden dort Ein-Euro-Jobber eingesetzt. Auch in Lichtenberg seien 150 Arbeitsgelegenheiten beantragt. In Marzahn-Hellersdorf soll der Bezirk nach Verdi-Angaben sogar 525 Ein-Euro-Jobs planen; bei 178 festangestellten Kollegen.”

Eine Ausweitung des Dritten Arbeitsmarkts wird einen Dammbruch zur Folge haben. Die Löhne für einfache Tätigkeiten werden weiter sinken, ein immer größerer Teil der Bevölkerung wird staatliche Unterstützung benötigen. Ein Teil der Handwerksbetriebe wird förmlich ausradiert werden. Angst und Verunsicherung werden noch stärker um sich greifen und den Konsum wie die Lebensplanung einschränken. Die Umverteilung der Einkommen von unten nach oben erhält einen weiteren Schub, und die Abhängigkeit vom Export wie die Anfälligkeit für den Fall einer weltweiten Rezession werden noch einmal zunehmen, da der Binnenmarkt unter solchen Umständen die Konjunktur nicht stützen kann.

Peter Bofinger hat derartige Vorschläge angemessen kommentiert: „Viele Ökonomen denken stark in der Kategorie des Kartoffelmarktes. Sie sagen, solange Arbeitslosigkeit da ist, müssen die Löhne sinken. Sie verkennen halt, dass der Arbeitsmarkt kein Kartoffelmarkt ist, sondern ein gesamtwirtschaftlicher Markt. Lohnentwicklung ist eben eine entscheidende Größe dafür, wie die Nachfrage nach Arbeit ausfällt.“
Quelle: Merkur Online

Die Angebotstheoretiker dominieren die Volkswirtschaft weltweit, auch in den USA. Eine so ausgeprägte Faktenresistenz wie in Deutschland gibt es dort aber nicht. So verbreitet sich unter US-Ökonomen die Auffassung, dass der Mindestlohn Nutzen für Niedriglohn-Beschäftigte und Unternehmen bringen kann – und das ohne negative Effekte für die Beschäftigung. Alan Blinder, Professor in Princeton und ehemaliger Vize-Präsident der US-Zentralbank, hat gar sein Lehrbuch umgeschrieben. In der neuen Auflage erklärt er, überraschende Forschungsergebnisse zögen “die konventionelle Ökonomen-Weisheit” in Zweifel.
Quelle: Hans-Böckler Stiftung

Gäbe es ein weltweites Ranking für die Qualität der Beratung, so müssten immer mehr deutsche Wirtschaftsforschungsinstitute sich ganz hinten anstellen.


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