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Titel: Rezension: „Der größte Raubzug der Geschichte“
Datum: 8. Januar 2014 um 9:24 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Erosion der Demokratie, Rezensionen, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Der Titel des Buches – „Der größte Raubzug der Geschichte“ – klingt eher nach einem historischen Krimi, aber die beiden Verfasser durchleuchten die heute agierende internationale Finanzwelt und wollen aufzeigen „Warum die Fleißigen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden“. Damit packen die als Finanzberater tätigen Autoren Matthias Weik und Marc Friedrich eine der aktuell wichtigsten politischen Fragen an. Eine Rezension von Hermann Zoller.
In ihrem unterhaltsam geschriebenen Buch führen Weik und Friedrich Leserin und Leser in das Gebaren der weltweit agierenden Spekulanten ein. Dass die beschriebenen Folgen eher einen Wutausbruch als ein Schmunzeln auszulösen vermögen, bändigen die Verfasser mit einer Prise Humor in ihrer Schreibe. Sie vermeiden aber, die Probleme zu verniedlichen, gar zu einem unterhaltsamen Krimi umzubiegen. Leser und Leserin wird es so nur erleichtert, sich in eine komplizierte Materie einzuarbeiten, gewissermaßen auf eine spannende Reise in eine Welt des Wahnsinns, der Lügen, des Betrugs, des größten Raubzugs der Geschichte zu begeben.
Bei allem Unterhaltungswert, das Buch zeigt auch glasklar auf, wer die Zeche bezahlt, die die Spekulanten und Betrüger im Casino hinterlassen. Die aufgeführten Fakten sind derartig erschreckend folgenreich, dass man sich kaum auf die Position des amüsierten Zuschauers zurückziehen kann. Die Folgen treffen die große Mehrheit der Bevölkerung: Ihr wird der Geldbeutel ausgeraubt und Freiheit und Demokratie beschnitten. – Das Buch liest sich wie ein Krimi, nur mit dem Unterschied, dass es Millionen von Opfern gibt und die Ganoven dennoch nicht im Gefängnis landen.
Für Bürgerinnen und Bürger, die sich bisher noch nicht so sehr tief in „die Krise“ eingearbeitet haben, ist das ein spannendes Buch, das Hunger macht auf mehr, auf mehr Wissen darüber, wie die „Kapitalverbrechen“ von wem wie begangen werden. Dass sich Bürgerin und Bürger mehr informieren sollten, das ergibt sich aus dem Fazit, das die Autoren ziehen: „Die Finanzbranche hat aus der sog. Lehman-Krise nichts, aber auch gar nichts gelernt.“ Und sie fügen hinzu: die Politik auch nichts. Zumindest sind viele Politiker trotz gewonnener Einsichten nicht bereit, die vorhandenen Werkzeuge einzusetzen, um die Finanzindustrie vom Kopf auf die Füße zu stellen.
„Eigentlich ist es gut, dass die Menschen unser Banken- und Währungssystem nicht verstehen. Würden sie es nämlich, so hätten wir eine Revolution vor morgen früh“, wird Henry Ford zitiert. Und das Buch liefert genug Hinweise dafür, dass man eigentlich auf die Barrikaden gehen müsste. Man wäre freilich zufrieden, wenn die Politiker das Heft des Handelns in die Hand nehmen würden, statt sich von den Spekulanten und Zockern am Nasenring durch die Manege führen zu lassen.
Nachvollziehbar wird geschildert, wie Banken Geld „schöpfen“ – was die Autoren zu der Feststellung führt: „Banken haben somit anscheinend das Recht zum schweren Betrug ohne Rechtsfolgen.“ Anschaulich erfährt der Leser, wie der Wahnsinn unseres Finanzsystems seinen Lauf genommen hat. Am 27. Oktober 1986 empfahl die damalige britische Premierministerin Margret Thatcher: „Lasst uns die Regeln wegwerfen, die den Erfolg bremsen!“ Ausgelöst wurde damit ein weltweites Wettrennen um die Deregulierung der Finanzmärkte. Am 22. Februar 1990 beschließt die Regierung Kohl die Abschaffung der Börsenumsatzsteuer. Ihre Wiederbelebung als Finanztransaktionssteuer ist bis heute nicht gelungen. Am 12. November 1999 hob US-Präsident Clinton ein Gesetz von 1933 auf, das die Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken beinhaltete. Von nun an mussten die Spekulanten nicht mehr mit dem eigenen Vermögen zocken, sondern sie bekamen Zugriff auf die Guthaben der Sparer. „Der Wahnsinn nimmt von jetzt an seinen Lauf“, stellen die Autoren fest.
Chronologisch wird nachgezeichnet wie das Roulette im Casino auf Touren gebracht wird – und wie die Politik, obwohl gut informiert, wegschaute, wenn nicht gar unterstützte. Das gab den Spekulanten jede Freiheit. Selbst Warnungen von Insidern wie der Investmentlegende Warren Buffet wurden nicht gehört. In einem Brief an die Aktionäre seiner Holding Berkshire Hathaway schreibt er: „Wir bemühen uns, wachsam gegenüber jedem Risiko einer Megakatastrophe zu sein. Diese Haltung mag uns übertrieben besorgt erscheinen lassen. (…) Unserer Ansicht nach sind Derivate finanzielle Massenvernichtungswaffen, und sie bergen Gefahren, die im Augenblick zwar verborgen, potenziell jedoch todbringend sind.“
Als einer, der die Finanzmarktkrise in Deutschland ausgelöst hat, wird Jörg Asmussens Treiben nachgezeichnet. So hat er den Handel mit ABS (Asset Backet Securities – festverzinsliche Wertpapiere, die durch offene Forderungen gesichert sind) vorangetrieben. Laut Süddeutscher Zeitung ist „auf ihn wohl auch jene Passage im schwarz-roten Koalitionsvertrag von 2005 zurückzuführen, nach der der deutsche Finanzmarkt von ‚überflüssigen’ Regulierungen befreit und Produktinnovationen und neue Vertriebswege gefördert werden sollen“.
Wie das weltweit befreite Spekulationsunwesen funktionieren konnte, wird am Beispiel der CDOs (Collateralized Dept Obligations) geschildert, die dann durch CDS (Credit Default Swaps) „gesichert“ werden sollten. Wie irrsinnig das Treiben der Finanzjongleure war, wird allein schon daran deutlich, dass 2007 der Nominalwert aller CDS mit 62 Billionen Dollar den Wert des Weltsozialprodukts überstieg. Die Autoren sehen in diesem Finanzprodukt eine der Hauptursachen der globalen Krise.
Die Schilderungen des Buches belegen nachdrücklich, dass die Rolle der Banken grundlegend überdacht werden muss, denn ihr Treiben gefährdet die wirtschaftliche und soziale Situation von Millionen von Menschen. Die Autoren können sich sogar auf den ehemaligen Finanzminister Theo Waigel berufen, von dem die Aussage überliefert ist: „Was da auf den internationalen Finanzmärkten läuft, ist doch Betrug.“
Wie die Geldmengen um den Globus gejagt werden, das schildert das Buch in anschaulicher Weise. In das Bild gehören auch die Summen, die die Steuerzahler in den betroffenen Ländern berappen müssen, nur damit die beteiligten Banken und damit eigentlich die Spekulanten gerettet werden. Dieser Skandal wird dann noch getoppt von den Abfindungen für die Super-Manager, die das falsche Spiel gespielt haben. Der Konzernchef von Lehman Brothers, Richard Fuld, erhielt zwischen 1998 und 2007 ungefähr 256 Millionen Dollar. Und in dem Buch wird weiter berichtet: „Rechtzeitig, bevor mögliche Schadensersatzansprüche gegen ihn geltend gemacht werden konnten, hat Fuld seine 13-Millionen-Dollar-Villa für den symbolischen Betrag von 100 Dollar an seine Ehefrau verkauft.“
Die Autoren benennen eine lange Liste von Vorschlägen, um dem Irrsinn ein Ende zu setzen. Und unterstreichen diese mit einer Aussage von Heiner Geißler: „Wenn es der Politik nicht gelingt, endlich die überfällige Reform der internationalen Finanzmärkte durchzusetzen, sind die westlichen Demokratien in der jetzigen Form nicht mehr zu retten.“
Es gibt einige Gründe dafür, nicht sonderlich optimistisch zu sein – denn die Autoren berichten: „Längst hat die Finanzindustrie die verheerende Krise der letzten Jahre abgehakt und sucht nach neuen Expansionsmöglichkeiten. Versuche von Politikern und Aufsichtsbehörden, das Wachstum zu bremsen, empfinden viele Geldmanager bestenfalls als sportliche Herausforderung. Risiken in Milliardenhöhe werden ausgelagert. Geschäftsbereiche, die die Banken aufgrund der strengen Auflagen nicht mehr fortführen können, verkaufen sie kurzerhand an Investoren oder gehen Minderheitsbeteiligungen ein. (…) Die Profiteure dieses Wandels sind vor allem Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften. Sie gehören im Branchenjargon zu den sogenannten ‚Schattenbanken’.“
So informativ das Buch bezogen auf die Umtriebe der Spekulanten ist, in volkswirtschaftlichen Fragen sind die Autoren außerordentlich oberflächlich. Bei der Darstellung des Verhaltens von Staaten und den volkswirtschaftlichen Umgang mit Schulden haben die Autoren offenbar manches von dem vergessen, was sie über die internationale Finanzwelt treffend analysiert haben. Sie folgen hier eher unreflektiert dem Mainstream. So klingt auch manches über die Lage in Südeuropa eher nach Stammtisch. Griechenland wird an den üblichen Pranger gestellt, statt die Entwicklung des Landes und die Ursachen für seine Lage zu analysieren. Und dass sich die Autoren in Sachen Rente ausgerechnet auf Raffelhüschen beziehen, ist dann schon mehr als ein Schönheitsfehler und unterstreicht, dass das Buch analytische Mängel aufweist.
Andererseits arbeiten sie deutlich heraus, dass der Abstand zwischen Arm und Reich immer größer wird – und benennen auch hier Übeltäter: „1996 schaffte die Regierung Kohl die Vermögenssteuer ab. Dies kostet den Staat … 4,8 Milliarden pro Jahr. Die Regierung Schröder senkte den Unternehmens- und Spitzensteuersatz – Kostenpunkt 30 Milliarden – pro Jahr. In den letzten 20 Jahren ist der Steuersatz für sehr Reiche (Jahreseinkommen über 1,5 Millionen Euro) von 42,1 auf 33,7 Prozent gesunken. Der Steuersatz von Superreichen (Jahreseinkommen über 174 Millionen Euro) ist von 43,6 auf sage und schreibe 23,7 Prozent gesunken.“ Aufgrund der Steuerreformen um das Jahr 2000 werde dem Staat Jahr für Jahr 50 Milliarden Euro vorenthalten.
Das Fazit, das die Autoren am Ende des Buches dem Leser präsentieren, ist niederschmetternd: „Die bisherigen Vorkommnisse zeigen, dass die Politik immer mehr ein ‚Handlanger’ der Finanzwirtschaft ist und deren Interessen gnadenlos gegen die Bevölkerung durchsetzt. (…) Weshalb wird immer noch nichts geändert? Ganz einfach, weil die Profiteure dieses Systems alles tun, damit sich nichts ändert. Selbst alle großen westlichen Demokratien sind gnadenlos verschuldet und somit von den Betreibern des privaten Finanzsystems schlicht und einfach abhängig.“
Damit dürfen wir uns nicht abfinden. Verstehen wir deshalb den letzten Spruch in dem Buch als Aufforderung zum Widerstand: „Ein positiv denkender Mensch weigert sich nicht, das Negative zur Kenntnis zu nehmen. Er weigert sich lediglich, sich ihm zu unterwerfen“ – Pfarrer und Autor Norman Vincent Peale.
Matthias Weik und Marc Friedrich
Der größte Raubzug der Geschichte – Warum die Fleißigen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden
Tectum Verlag, 382 Seiten, Paperback, 19,90 Euro
ISBN 978-3-8288-2949-7
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
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