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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: 30 Jahre Kommerzfernsehen – Der Niedergang des wirkmächtigsten Mediums
Datum: 3. Januar 2014 um 9:38 Uhr
Rubrik: Lobbyismus und politische Korruption, Medien und Medienanalyse, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien, Privatisierung
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Am 1. Januar 1984 startete in Ludwigshafen mit dem Kabelpilotprojekt Ludwigshafen der erste private Fernsehsender in Deutschland, die Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk (PKS) aus der ein Jahr später – im Jahre 1985 – Sat.1 wurde. Einen Tag danach nahm RTL Plus – damals noch aus Luxemburg – seinen Sendebetrieb auf.
Die damals beginnende Kommerzialisierung des Fernsehens (auch von ARD und ZDF) hat das kollektive Bewusstsein, die Kultur, das politische Engagement und vor allem die Sozialisation (die Bildung) der jungen Menschen mehr verändert, als die meisten anderen Veränderungen in unserer Gesellschaft. Von Wolfgang Lieb
Vor der Einführung des Kommerzfernsehens bis zur „geistig moralischen Wende“ durch Helmut Kohl ab Oktober 1982 waren Albrecht Müller und ich im Kanzleramt auch mit der Medienpolitik befasst. Albrecht Müller konnte als Leiter der Planungsabteilung Kanzler Schmidt lange davon abhalten, öffentliches Geld für die Verkabelung des Landes einzusetzen.
Schmidt plädierte sogar damals in der „Zeit“ für einen „fernsehfreien Tag“. Wir beide haben uns schon sehr früh intensiv mit den Folgen der Kommerzialisierung des Fernsehens befasst. Man konnte doch längst im Ausland beobachten, welche Idee hinter den werbefinanzierten Sendern steckte und stecken musste: „Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“, auf diese zynische Formel brachte das Helmut Thoma, der frühere Chef von RTL – dem Konkurrenzsenders von Kirchs SAT.1 – und rechtfertigte damit z.B. die Busendarbietungen in der Sendung „Tutti-Frutti“. (Wenn man heute nächtens durch das Sendeangebot zappt, dann wirkt Tutti-Frutti von damals allerdings geradezu als Hort der Prüderie.)
Über negativen Auswirkungen des Kommerzfernsehens war alles bekannt. Das hat die „Christlichen Demokraten“, die ansonsten ihr hohes Lied auf Sitte und Anstand und auf die heile Familie gesungen haben, aber nicht daran gehindert, die Kommerzialisierung des Fernsehens mit aller Macht voranzutreiben. Die Ministerpräsidenten der CDU/CSU-regierten Länder drängten den damaligen sozialdemokratischen Bundeskanzler Helmut Schmidt, mehrere hundert Millionen für die Verkabelung von zwölf deutschen Städten auszugeben; was angesichts der damals beschränkten Frequenzen im Äther (es gab noch keine Satelliten und noch keine Digitalisierung) die technische Voraussetzung für die Programmvermehrung und damit für die Kommerzialisierung des Fernsehens war. (Jedoch keineswegs eine rechtliche Notwendigkeit, wie fälschlicherweise immer behauptet wurde.)
Nach der „geistig moralischen“ Wende mit Helmut Kohl, ab September 1982, wurden dann Milliarden (von 10 Milliarden war die Rede) an öffentlichen Geldern für die Verkabelung und für die Propaganda zugunsten der Kommerzialisierung des Fernsehens freigegeben und zugleich – auch unter dem massiven Druck der privaten Printmedien – die politischen Entscheidungen getroffen, die wirkmächtige öffentliche Meinungsbildung über das Fernsehen dem (Werbe-)Markt zu überlassen.
Woran schon Konrad Adenauer am Bundesverfassungsgericht scheiterte, nämlich ein „Adenauer-Fernsehen“ einzuführen, hat dann – mit der Vermehrung der Übertragungsmöglichkeiten über Kabel – Leo Kirch zusammen mit seinem Freund Helmut Kohl durchgesetzt: Die Hofberichterstattung für die CDU im Fernsehen. (Etwa mit den devoten Interviews „Zur Sache Kanzler“.)
Dieser CDU-Gefälligkeitsberichterstattung blieb SAT.1 auch nach Kirchs Pleite im Jahre 2002 treu, bis hin zu Johannes B. Kerners PR-Interview mit dem damaligen Verteidigungsminister zu Guttenberg vor der Kulisse der Soldaten in Afghanistan und nicht zuletzt mit der Berufung von Edmund Stoiber (CSU) in den Beirat von Pro Sieben SAT.1. (Seit 2011 Vorsitzender des Beirats.) Schon 1988 schrieb Stoiber an Franz Josef Strauß: „Unsere Politik bezüglich RTL-plus war immer darauf ausgerichtet, eine Anbindung von RTL an das konservative Lager zu sichern beziehungsweise ein Abgleiten nach links zu verhindern“.
Der Deal zwischen Kirch und Kohl war folgender: Ich (Kirch) gebe Dir (Kohl) Deine exklusiven Interviews auf SAT.1 und Du (Kohl) gibst mir Milliardensubventionen, damit ich (Kirch) über meine Fernsehkanäle mit meinen Ramschfilmen, mit Soft-Pornos und Sensations- und Massenunterhaltung die Bevölkerung ruhig stelle und dabei viel Geld verdiene. (Siehe dazu: Wege zum Geld: Politiker haben das Land umgekrempelt)
Kohl war aber nicht nur beim Einstieg von Kirch ins Kommerzfernsehen für Kirch aktiv. Nach einem Bericht von Panorama intervenierte er z.B. in Brüssel, als der damalige Wettbewerbskommissar van Miert versuchte, die Zusammenarbeit von Leo Kirchs Medien-Reich mit Telekom und Premiere aus wettbewerbsrechtlichen Gründen zu stoppen.
„Niemand zahlt 800.000 Mark für nichts“
Als kleines „Dankeschön“ hat dann Leo Kirch nachträglich, dem Altkanzler Kohl von 1999 bis 2002 jährlich umgerechnet etwa 400.000 Euro für „Beratertätigkeiten“ spendiert und auch der verkabelnde damalige Postminister Christian Schwarz-Schilling (CDU) (über seine Firma Schwarz-Schilling GmbH), der frühere Verteidigungsminister Rupert Scholz (CDU) und der frühere Vizekanzler und Wirtschaftsminister, Jürgen Möllemann (FDP) waren vertraglich mit Leo Kirch verbandelt.
„Niemand zahlt 800 000 Mark oder 300 000 Mark, dazwischen lagen ja wohl die Verträge, für nichts. Das kann ich mir nicht vorstellen. Da muss es also Interessen gegeben haben, die verflochten worden sind“, kommentierte das der rheinland-pfälzische Ministerpräsident in gebotener Vorsicht. (Panorama 15.5.2003.)
Die persönliche Verbindung von Kohl und Kirch war so eng, dass der Altkanzler ihn sogar zum Trauzeugen bei seiner zweiten Eheschließung bestellte.
Kurz nachdem die Kohl-Regierung Leo Kirch den roten Teppich ausgelegt hat, passten sich die „Roten“ mal wieder an. Der damalige Bundesgeschäftsführer der SPD, Peter Glotz, wollte „den Fuß in die Tür schieben“ und das Privatfernsehen „mitgestalten“. So wurde gesteuert und finanziert vom Bertelsmann-Konzern mit Hilfe von Wolfgang Clement (damals noch Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei) und dessen späterem Medienberater, RTL- Geschäftsführer Helmut Thoma, der Sender RTL in Nordrhein-Westfalen (und später auch noch VOX) angesiedelt – sozusagen als „sozialdemokratisches Gegengewicht“ (kein Witz!) zu dem Kohl-Sender SAT.1.
Die RTL Group ist inzwischen zu einem der Hauptgewinnbringer der Bertelsmann AG geworden. Der Bertelsmann Konzern gehört wiederum zu Dreiviertel der Bertelsmann Stiftung, die sich ja so gern das Image eines Bildungsförderers geben möchte. Schaut man sich allerdings die Nachmittags-Sendungen von RTL an, dann tragen diese geradezu zu Unbildung, ja zu Verrohung der Jugendlichen bei. Von den dort gebotenen negativen Verhaltensvorbildern sind nach wissenschaftlichen Untersuchungen vor allem Kinder aus sog. bildungsfernen Schichten betroffen, die statistisch auch mehr fernsehen. Selbst in Nachmittagsprogrammen mit hohen Einschaltquoten von Jugendlichen werden Filme mit brutalen Gewaltdarstellungen angeboten. Und nicht zuletzt werden die Gewinne dadurch gemacht, dass mit psychologischer ausgeklügelter Werbung, die gerade auf Jugendliche und Kinder abzielt, gewissenlos deren Identitätssuche ausgenutzt wird.
Man mag es tragisch nennen, dass der Patriarch und Einzelkämpfer Leo Kirch, nachdem im Jahre 2002 eine Übernahme der Kirch-Gruppe durch den Springer-Konzern aus kartellrechtlichen Gründen scheiterte und der Axel Springer Verlag über eine dreiviertel Milliarde Euro zurückforderte, zahlungsunfähig wurde und sein „Lebenswerk“ damit vollends zusammenbrach. Wenn aber Fernsehen nur noch als Geschäft betrachtet wird, war es eben auch nur konsequent, dass die „Heuschrecke“ Haim Saban sich 2003 über das Opfer hermachte. Doch diesem amerikanischen Investor, war das Geschäft offenbar auch nicht profitabel genug, so dass er die Sender bald andere Finanzinvestoren abstieß. Der nächste Heuschreckenschwarm mit Permira und KKR nagte die Pro-Sieben-Sat.1-Gruppe auf das ab, was das werbefinanzierte Fernsehen letztlich ist: Eine „Plattformen für den Kommerz, wobei es hier nicht einmal mehr um Kunden, sondern nur noch um Anleger geht“. Inzwischen ist er Medienkonzern an der Börse.
Fernsehen, das wirkmächtigste Medium
219 Minuten betrug die durchschnittliche tägliche Fernsehnutzung der Deutschen im Jahr 2013. Selbst 3 bis 13-jährige Kinder verbringen eineinhalb Stunden am Tag vor der Glotze. Fernsehen ist nach wie vor das wirkmächtigste Medium.
Die Kommerzialisierung des Fernsehens (auch von ARD und ZDF) hat das kollektive Bewusstsein, die Kultur, das politische Engagement und vor allem die Sozialisation (die Bildung) der jungen Menschen mehr verändert, als die meisten anderen Veränderungen in unserer Gesellschaft. Kommerzfernsehen lebt von der Flucht in die Ablenkung und Unterhaltung von beruflich oder sozial gestressten Menschen. Es ist Überwachung durch Ruhigstellung, wie sich bezeichnenderweise auch noch die Sendung „Big Brother“ nannte. Es liefert Quote durch Tote und Sex, es befriedigt Sensationslust und Voyeurismus (Dschungelcamp) und spielt zum Wohlgefallen der gesellschaftlich Privilegierten die abgehängten sozialen Schichten und die noch Ärmeren gegeneinander aus (Hartz IV „Sozialfahnder“-Show). Wie die Welt von SAT.1 aussieht, dazu muss man nur einmal die Homepage aufrufen, das sagt mehr als tausend Worte.
Sogenannte Reality-Formate nahmen nach einen Programmbericht der Landesmedienanstalten im Jahre 2011 fast die Hälfte des Gesamtprogramms ein. Umgerechnet auf Programmstunden bedeutet das, dass VOX und RTL an einem durchschnittlichen Tag jeweils etwa neun Stunden mit Reality-Formaten bestreiten, bei Sat.1 sind es etwa sieben Stunden [PDF – 2.2 MB].
Wer sich je einmal die mittäglichen oder vorabendlichen „Soaps“ oder die sog. „Reality-TV“-Sendungen der privaten Sender angesehen hat, kann nur den Eindruck gewinnen, dass die Kommerz-Fernsehsender die niedrigsten und primitivsten Instinkte ihrer (meist noch jungen) Zuschauer ansprechen, um damit ihre Einschaltquoten zu steigern und die Werbung zu verkaufen. Das gilt inzwischen auch für die Massensendungen des Abendprogramms, etwa für die Sendung „Deutschland such den Superstar“ oder die Casting Show „Germany next Top Model“. (Siehe dazu „Hohle Idole, Was Bohlen, Klum und Katzenberger so erfolgreich macht“).
Kein Wunder, dass RTL, ProSieben, Sat.1, Vox und RTL“ bei den 14- bis 49-Jährigen die höchsten Marktanteile haben.
Quelle: MEEDIA
Ich bin mir bewusst, dass ich mir mit dieser Kritik an den Kommerzsendern wiederum heftige Kritik bei den jüngeren Fernsehzuschauern einhandle. Diese Kritik erfahre ich sogar von meiner eigenen Tochter, die eben nach einem stressigen Pauktag ihres Studiums, abends nur noch vor dem Fernseher „chillen“ möchte. Meine Kritik richtet sich jedoch nicht gegen die jungen Leute, sondern sie richtet sich gegen ein Bildungssystem (G8-Gymnasium und Paukstudien) und vor allem auch gegen eine Lebenswelt, in der Menschen systematisch „ausgepowert“ werden, so dass sie keine Kraft mehr haben, sich mit politischen oder gesellschaftlichen Problemen oder überhaupt mit anspruchsvolleren Themen zu beschäftigen und eben in ein bisschen anspruchslose Entspannung flüchten. “Amüsement ist die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus. Es wird von dem gesucht, der dem mechanisierten Arbeitsprozess ausweichen will, um ihm von neuem gewachsen zu sein”, analysierten schon vor vierzig Jahren Frankfurter Soziologen.
Die Anpassung der öffentlich-rechtlichen Sender
Man mag das Fernsehen der öffentlich-rechtlichen Sender anfangs der 80er Jahre als betulich, bildungsbeflissen oder selbstgefällig kritisiert haben, aber es war jedenfalls ein Fernsehen, das seinen grundgesetzlichen Programmauftrag einigermaßen erfüllt hat – nämlich pluralistische Meinungsbildung und kulturelle Vielfalt zu gewährleisten und einen Bildungsauftrag zu erfüllen. Seit der Einführung des Kommerzfernsehens herrscht weniger dieser gesetzliche Programmauftrag sondern vor allem das Gesetz des Wettbewerbs um Einschaltquoten und damit der Zwang zur Anpassung an die Kommerzsender auch für die damals so „bräsigen“ ARD und ZDF. Auch die öffentlich-rechtlichen Sender bieten mehr und mehr leicht Verdauliches, Familienserien, Ratesendung; Informationssendungen werden gekürzt und Dokumentationen auf Mitternacht verlegt, Anspruchsvolleres wird in Minderheitensender verdrängt. (Siehe dazu „Die Quote ein Hindernis für die Erfüllung des öffentlichen-rechtlichen Programmauftrags?“)
Wie wichtig die Quote inzwischen geworden ist, kann jeder Fernsehzuschauer selbst beobachten, etwa wenn er pro Woche inzwischen fünf Talk-„Shows“ ertragen muss und dies noch als ein „Mehr an Information“ angepriesen wird.
Statt mehr Vielfalt, mehr Einfalt und mehr vom Gleichen
Statt mehr Vielfalt gibt es mit Einführung der Kommerzsender im Fernsehen heute mehr Einfalt, mehr vom Gleichen und das auf teilweise erschreckend niedrigem Niveau.
Es gibt ja durchaus noch Kultur im öffentlich-rechtlichen TV, und darauf verweisen die Verantwortlichen in jeder Debatte: die Literatur- und Kulturmagazine wie etwa „Lesezeichen“, „aspekte“, „ttt“, „Druckfrisch“ etc. Solche Sendungen haben ihre Nischen, aber durchwegs erst gegen Mitternacht, zumeist auf 30-40 Minuten begrenzt. Dagegen und davon überlagert steht aber längst der immer irrsinniger werdende Wahn, die marktbeherrschenden Privaten, vor allem RTL und SAT1, nachzuahmen, im Quotenrennen mitzulaufen – und so das Porzellan zu zerschlagen, von denen man auf lange Sicht noch speisen müsste, wenn man an die eigene Daseinsberechtigung glaubte.
Die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben sich den privaten Medienkonzernen an den Hals geworfen. Man denke nur an die Bambi-Verleihung, eine Werbesendung des Burda-Konzerln oder an die Benefiz-Show „Ein Herz für Kinder“ oder die Preisverleihung der „Goldenen Kamera“, Werbeveranstaltungen für die Medienmacht des Springer-Konzerns.
Die Folge von 30 Jahre Kommerzfernsehen: Eine ständige Verletzung des gesetzlichen Auftrags der Öffentlich-Rechtlichen.
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