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Titel: Schwarz-Grüner hessischer Löwe als Bettvorleger
Datum: 19. Dezember 2013 um 9:43 Uhr
Rubrik: Bildungspolitik, Energiewende, Steuern und Abgaben, Wahlen
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Der sich aufbäumende rot-weise Löwe im hessischen Wappen ist mit dem Koalitionsvertrag zwischen der CDU und Bündnis 90/Die Grünen als schwarz-grüner Bettvorleger gelandet. Wobei bestenfalls der Schwanz noch grün eingefärbt ist. Der Koalitionsvertrag trägt die Überschrift „Verlässlich gestalten, Perspektiven eröffnen“. Mit diesem Koalitionsvertrag ist nicht ein von den Grünen vor der Wahl geforderter „Wechsel“ in der hessischen Politik vollzogen. Noch weniger: Es werden nicht einmal „Perspektiven eröffnet“. Nur zwei von zehn Ministerien sollen an die Grünen gehen. In Hessen wird „verlässlich“ die Politik weitergemacht, die die CDU nun schon seit 14 Jahren betrieben hat. Kein Wunder, dass der konservative Hardliner Volker Bouffier nach den Koalitionsverhandlungen sein gelassenes Raubtiergrinsen aufsetzen konnte. Von Wolfgang Lieb.
Dieser schwarz-grüne Löwe ziert das Deckblatt des Koalitionsvertrags zwischen der CDU Hessen und Bündnis 90/Die Grünen Hessen [PDF – 1.3 MB]
Dass tatsächlich bestenfalls der Schwanz des hessischen Wappentiers in grüne Farbe getaucht wurde, wird deutlich, wenn man das Grüne „Regierungsprogramm 2014 -2019“ [PDF – 647 KB] dem nun vereinbarten Koalitionsvertrag vergleicht. Im Verhandlungsort Bad Schlangenbad sind die Grünen in eine Schlangengrube gesprungen.
Das geht schon bei der Überschrift los: „Verlässlich gestalten, Perspektiven eröffnen“ soll die Botschaft der schwarz-grünen Koalition sein.
„Hessen will den Wechsel“ hieß es bei den Grünen vor der Wahl.
In der für ein Flächenland erstmaligen Koalition mit den „Schwarzen“ begnügt man sich damit, dass „Perspektiven eröffnet“ werden sollen – also bestenfalls damit, dass ein Wechsel in der hessischen Politik für eine unbestimmte Zukunft in Aussicht gestellt wird. Die CDU beharrte auf „verlässlichem gestalten“, was ja, wenn man Sprache ernst nimmt, nichts anderes bedeutet, als dass nach altbewährtem Muster Politik gemacht werden soll.
Aber lassen wir einmal das auch in dieser Vereinbarung über hundert Seiten verbreitete Wortgeklingel beiseite und schauen nach den konkreten Politikvorhaben.
An erster Stelle stand im Regierungsprogramm der Grünen die Gestaltung der Energiewende. Für einen „konsequenten Aufbruch ins Zeitalter der erneuerbaren Energien“ wollten sie eintreten, „weg von Kohle und Atom“. „Bis 2030 wollen wir in Hessen
eine Stromversorgung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien erreichen“, hieß es da.
Übrig geblieben ist der nichtssagende Satz: „Wir werden durch die Unterstützung des Ausbaus der erneuerbaren Energien und die Steigerung der Energieeffizienz auf dem Weg zu einer sicheren, bezahlbaren und zukunftsfähigen Energieversorgung vorangehen und die Energiewende vorantreiben.“
„Sicher, bezahlbar, ökologisch“ ist übrigens auch die Formel, mit der die Große Koalition im Bund die Energiewende neu gestalten will. Auch dass die Förderung Erneuerbarer Energien „marktwirtschaftlich“ auszugestalten sei, findet sich nahezu wortgleich in den Plänen der neuen Bundesregierung wieder, mit denen erklärtermaßen der Ausbau der Erneuerbaren ausgebremst werden soll.
Die Forderung nach einer „100-prozentigen Energieversorgung aus erneuerbaren Energien“ wurde als „Ziel“ kurzerhand um 20 Jahre auf einen Sankt-Nimmerleins-Termin im Jahre 2050 verschoben. Von einer Ersetzung von Kohle- durch Gaskraftwerke zur Gewährleistung der Energiesicherheit ist im Koalitionsvertrag nicht mehr die Rede. Eine dezentrale Energieversorgung durch Kraft-Wärme-Koppelung kommt nicht vor. Auch ein Abbau der Hürden für Windkraft im Landesentwicklungsplan wird erst einmal verschoben.
Kräftige Impulse für die Energiewende sind also aus dem Land Hessen kaum zu erwarten.
Auch die hochfliegenden Pläne der Grünen im Bildungsbereich sind nur noch schemenhaft erkennbar. Von der „Bildungs- und Betreuungsgarantie von 7:30 bis 17:00 Uhr für alle Grundschulkinder“ ist ein „Pakt für den Nachmittag“ übrig geblieben, bei dem ab 14.30 Uhr die Kommunen in die Pflicht genommen werden sollen. Über die Finanzierung wird nichts gesagt und das Grundschulprogramm geht zu Lasten der Ganztagsangebote bei weiterführenden Schulen. („Wir geben aber der Schaffung eines landesweiten Angebots für alle Grundschulen Priorität.“)
Die Grünen traten für ein längeres gemeinsames Lernen bis zum Ende der Mittelstufe ein. Die schwarz-grüne Koalition will nun „sowohl Schulen des gegliederten Schulwesens als auch Schulen, in denen länger gemeinsam gelernt wird, verlässlich ausstatten“.
Erfreulich ist, dass an der 105prozentigen Lehrerversorgung festgehalten werden soll und die durch den Rückgang der Schülerzahlen frei werdenden Lehrerstellen im Bildungssystem belassen und für Verbesserungen genutzt werden sollen.
Von der von den Grünen angekündigten Einrichtung von 10.000 zusätzlichen Studienplätzen für Studienanfänger/innen ist im Koalitionsvertrag nicht mehr die Rede. Schwarz-Grün will sich nur noch für die Verlängerung des Hochschulpaktes 2020 zwischen dem Bund und den Ländern einsetzen und an der Kofinanzierung mit Landesmitteln weiterhin beteiligen. Von der Einrichtung zusätzlicher Masterstudienplätze ist die Absichtserklärung geblieben, bei den Hochschulen darauf hinzuwirken, dass sie im Rahmen ihrer Budgets bedarfsorientiert Kapazitäten zur Verfügung stellen.
Versprochen haben die Grünen eine Reduzierung des Einflusses der Hochschulräte auf eine beratende Funktion. (Siehe zur Kritik an der Hochschulratsstruktur hier) Im Vertrag soll jedoch die Funktion der Hochschulräte weiterhin erhalten werden. Noch mehr, die Macht des Hochschulrats wird sogar gestärkt. Wurde bislang der/die Präsident/in vom Senat gewählt (§ 39 des Hessischen Hochschulgesetzes), soll künftig eine von Hochschulrat und Senat paritätisch besetzte Findungskommission einen Wahlvorschlag machen. Im Übrigen soll die Geltungsfrist des Hessischen Hochschulgesetzes verlängert und eine Novellierung erst 2015 vorgenommen werden.
Fehlentwicklungen des Bologna-Prozesses müssen beseitigt werden, hieß es bei den Grünen vor der Wahl. Vereinbart wurde jetzt, dass die „teilweise noch bestehenden Fehlentwicklungen“ erst noch evaluiert und danach angegangen werden sollen. Die Privatisierung des Universitätsklinikums rückgängig zu machen, hatten beide Parteien von Anfang an nicht den Mut. Das Gegensteuern gegen die ausufernden prekären Beschäftigungsverhältnisse soll den Hochschulen überlassen bleiben. Wie verlassen der wissenschaftliche Nachwuchs dabei ist, haben die letzten Jahre gezeigt.
Immerhin müssen Studierende in Hessen nicht erneut Studiengebühren befürchten. Aber der Erfindungsreichtum auch von Grünen die Studierenden zur Kasse zu bitten, ist ja von Baden-Württemberg bekannt.
Statt einer vollständigen Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaften mit der Ehe (insbesondere im Einkommensteuer- und Adoptionsrecht), wie sie die Grünen forderten, soll nun in der kommenden Legislaturperiode nur noch um mehr gesellschaftliche Akzeptanz von Menschen mit unterschiedlichen sexuellen und geschlechtlichen Identitäten geworben werden und auf eine stärkere Sensibilisierung für dieses Thema in den Schulen hingewirkt werden.
Bei der Überwachung und dem Datenschutz war schon das Regierungsprogramm der Grünen äußerst zurückhaltend, aber dass sie in Kenntnis von Bouffiers „Law-and-Order“-Mentalität Aussagen wie diesen zustimmten, ist erschütternd: „Daher sprechen wir uns für die Anwendung modernster Ermittlungs- und Fahndungsmethoden in der Strafverfolgung aus.“ Und bezüglich der Vorratsdatenspeicherung heißt es im Koalitionsvertrag lapidar, dass CDU und Grünen nicht übereinstimmen. Das heißt aber gleichzeitig, dass von Hessen aus kein Widerstand gegen die Pläne der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung auf Bundesebene zu erwarten ist.
Eine Volksabstimmung über die Abschaffung der Todesstrafe (die es noch nach Art. 21 der Hessischen Landesverfassung gibt) ist eher eine Groteske.
Beim Flughafenausbau hat man sich nur darauf geeinigt, dass man sich grundsätzlich nicht einig ist. Statt eines Verzichts auf den Bau des Terminals 3 soll es nun eine „Bedarfsprüfung“ dieses Bauvorhabens geben. Statt eines absoluten Nachtflugverbotes von 22.00 bis 6.00 Uhr, sollen weitere „Maßnahmen zur Begrenzung der Fluglärmbelastung“ ergriffen werden, insbesondere soll es dabei um Entlastungen von 22 bis 23 Uhr und von 5 bis 6 Uhr gehen. Regelmäßige Lärmpausen von 7 Stunden in der Nacht werden durch den abwechselnden Verzicht auf die Nutzung einzelner Bahnen für möglich gehalten. Das alles soll aber erst noch mit dem Flughafenbetreiber Fraport und der Deutschen Flugsicherung verhandelt werden.
Beim „Millionengrab für Steuergelder“, dem Flughafen Kassel-Calden hat man sich auch nur darauf verständigt, dass man gegensätzliche Positionen vertritt.
Bis auf den „Pakt für den Nachmittag an den Grundschulen“, 18,1 Millionen zusätzlich für das 2004 massiv gekürzte Sozialbudget (z.B. Frauenhäuser, Schuldnerberatung, Drogenberatung), eine Garantie für die Sportförderung und für den Katastrophenschutz sind im Koalitionsvertrag alle Maßnahmen unter Finanzierungsvorbehalt gestellt, der vor allem von der sog. „Schuldenbremse“ vorgegeben wird. Eine Milliarde muss eingespart werden.
In der „Sparpolitik“ trifft sich die neoliberale Ideologie der CDU mit der Verzichtsideologie der gesättigten Wählerschicht der Grünen. Der CDU, die schon immer die Zurückdrängung des Staates und die Einschränkung der staatlichen Leistungen (vor allem im Sozialbereich) als „Wert“ an sich betrachtet, fällt es leicht in das Grüne Klagelied von der angeblichen Überlastung der künftigen Generationen durch die Schulden von heute einzustimmen. Die Grünen wollen seit langem nicht wahrhaben, dass jetzt und in aller Zukunft die Schulden der einen (auch des Staates) die Geldvermögen der anderen sind. Sie leugnen den grundlegenden Sachverhalt, dass die Verschuldung des Staates vor allem auch eine Verteilungsfrage und eben kein Generationenkonflikt ist. Aber mit diesem Denkfehler der Grünen kann die Partei der Besserverdienenden gut leben.
In ihrem Regierungsprogramm hatten die Grünen aber immerhin noch die Forderung nach einer gerechten Steuerpolitik verankert. Sie forderten die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent, eine Vermögensabgabe für Millionäre und eine Besteuerung großer Erbschaften. In der Koalitionsvereinbarung ist davon nur noch eine einmalige Erhöhung der Grunderwerbssteuer übrig geblieben. Nachdem auch die schwarz-rote Koalition in Berlin jede Steuererhöhung für die kommende Legislaturperiode ausgeschlossen hat, war es für die hessischen Grünen nicht mehr schwer ihr Wahlversprechen an diesem Punkt zu brechen. Aus Hessen hat Berlin jedenfalls keine Initiative für mehr Steuergerechtigkeit zu befürchten.
Statt die Umverteilung von unten nach oben zu bremsen, werden nun von den 160.000 Landesbediensteten Opfer abverlangt. Sie sollen die Hälfte der Einsparsumme erbringen. Hier ist es für den Staat offenbar am einfachsten zuzulangen. Es sollen also 1.800 Stellen im Landesdienst abgebaut werden. (Um nicht die Bildungspolitik zu konterkarieren, werden wenigstens die Lehrerstellen ausgenommen.) In die schon beschlossene Besoldungserhöhung von 5,6 Prozent für die Jahre 2014/15 soll nicht nachträglich eingegriffen werden, der Besoldungszuwachs bis zum Sommer 2016 aber auf 2,8 Prozent gedeckelt werden und der Anstieg der Beamtengehälter soll danach auf 1 Prozent jährlich begrenzt werden. Natürlich werden freiwillige Leistungen weiter gestrichen und – besonders unsinnig – bei den Investitionsausgaben der Ressorts, also auch beim Schul- und Hochschulbau und der Forschung (Streckung der Programme „Heureka“ und „Loewe“) oder bei anderen Infrastrukturmaßnahmen soll – in Zukunft zunehmend – eingespart werden.
Es zeigt sich, dass die „Schuldenbremse“ eben doch eine Investitions- und Innovationsbremse ist.
Mit diesem Koalitionsvertrag ist nicht nur kein „Wechsel“ in der Politik vollzogen, es werden nicht einmal „Perspektiven“ für einen Politikwechsel eröffnet. Es wird in Hessen „verlässlich“ die Politik weitergemacht, die die CDU nun schon seit 14 Jahren betrieben hat. Kein Wunder, dass der „schwarze Sheriff“ Volker Bouffier nach den Koalitionsverhandlungen sein gelassenes Raubtiergrinsen aufsetzen konnte. Dieses Bild sollten sich die Delegierten der Grünen auf ihrem Parteitag am kommenden Samstag in Frankfurt vor Augen halten.
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