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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 19. Dezember 2013 um 8:57 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Willy Brandt wurde Opfer einer Treibjagd
  2. Hessen
  3. Merkels GroKo-Kabinett: Deutschland fällt in den Tiefschlaf
  4. Der neue Geheimdienst-Staatssekretär, die NSA-Affäre und einige offene Fragen
  5. Freihandelsabkommen
  6. Schweden und die Zombie-Ökonomie
  7. Axel Troost – Krise der Euro-Zone überwunden?
  8. Sahra Wagenknecht »Frau Merkel, Sie haben uns den Banken ausgeliefert«
  9. Herzloser Herzenskandidat
  10. Die neoklassische Arbeitsmarkttheorie
  11. Stefan Mappus: Das Phantom von Pforzheim
  12. Neoliberalismus und Feminismus: Eine gefährliche Liaison
  13. Wie die Kanzlerin von der SPD das Siegen lernte
  14. Die Stunde der Linken
  15. „Unstatistik des Monats“ – Positive PISA-Studie – mehr Glück als Verstand?

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Willy Brandt wurde Opfer einer Treibjagd
    Albrecht Müller über den damaligen und den aktuellen Medienrummel um den Ex-Bundeskanzler
    Heute wäre Willy Brandt 100 Jahre alt geworden. Während die Medien an einer negativen Brandt-Legende basteln, nach der seinerzeit der Hoffnungsträger der SPD zu labil für das große Amt gewesen wäre, zeichnet Albrecht Müller in seinem unlängst publizierten Buch Brandt aktuell ein anderes Bild: Nicht Brandt selber, sondern innerparteiliche Intrigen und eine von den Wirtschaftsverbänden lancierte Hetzkampagne hätten ihn politisch erledigt und persönlich zermürbt. Ein Gespräch mit den Autor und Betreiber der Nachdenkseiten, der 1972 Brandts Wahlkampf führte.
    Quelle: Telepolis
  2. Hessen
    1. System Merkel erfolgreich kopiert
      Die schwarz-grüne Koalition in Hessen hilft der Union, sich zu modernisieren. Die Anhänger eines sozial-ökologischen Politikwechsels werden im Land der neuen Bündnisse heimatlos…
      Nach der großen Koalition in Berlin nun auch noch Schwarz-Grün in Wiesbaden: Das ist für viele Menschen im rot-grünen Lager einfach zu viel des Bitteren…
      Lautstark haben die Grünen der Bouffier-Partei im Wahlkampf vorgeworfen, sie würde die Energiewende torpedieren. Nun geben sie im Koalitionsvertrag ihr Ziel auf, diese Wende so zu beschleunigen, dass eine Stromversorgung aus erneuerbaren Energien bis 2030 möglich ist…
      Auch vom Kampf gegen Fluglärm ist nicht viel übrig geblieben. Die Kernforderung der Grünen, ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr, wird nicht erfüllt. Kein Wunder, dass die Bürgerinitiativen sauer sind…
      Am Ende schnurrt das schwarz-grüne Vorhaben auf eine Sparkoalition zusammen.
      Quelle: FR

      Anmerkung unseres Lesers M.H.: Ein wichtiges Argument in Diskussionen ist immer wieder die Generationengerechtigkeit in der Frage der Staatsverschuldung. Auch in einem Artikel in der FR von heute, wird dieses Thema den herben Kompromissen in anderen Kernbereichen der Grünen Programmatik entgegengestellt. Nach Aussage von Al Wazir, war es insbesondere dieser Punkt, der eine Koalition mit der Linken in Hessen im Wege stand. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diesen Artikel in der FR und zugleich einen Artikel von Frau Spiecker als aktuellen Hinweis des Tages oder besser als einen eigenen Beitrag aufnehmen würden. „Belgiens Grüne plädieren gegen die Schuldenbremse – und sind damit Deutschlands Grünen Meilen voraus

    2. “Hessen ist eine Blaupause für den Bund”
      In Hessen haben CDU-Ministerpräsident Bouffier und Grünen-Landeschef Al-Wazir ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. tagesschau.de sprach mit Parteienforscher Kronenberg über die Bedeutung des ersten schwarz-grünen Bündnisses in einem Flächenstaat.
      Quelle: Tagesschau
  3. Merkels GroKo-Kabinett: Deutschland fällt in den Tiefschlaf
    Was die SPD zu verantworten hat, ist etwas anderes: Sie hat einen Koalitionsvertrag unterschrieben, der an der Ungerechtigkeit im Land zu wenig ändert. Dabei war selten soviel von Gerechtigkeit die Rede. Der Koalitionsvertrag strotzt nur so davon: Er verspricht “Generationengerechtigkeit” und “Chancengerechtigkeit”, er redet von “gerechter Bildung” und “gerechter Weltordnung”, und überhaupt soll es bei uns künftig “altersgerecht”, “tiergerecht” und “geschlechtergerecht” zugehen.
    Aber ein Wort sucht man vergebens: Verteilungsgerechtigkeit.
    Mit dieser Großen Koalition wird es kein Ende der Umverteilung von unten nach oben geben. Dieses einzige wirkliche Interesse ihrer Klientel hat Merkel durchgesetzt. Warum lobt sich die SPD für diesen Vertrag? Der Mindestlohn kann bis 2017 auf sich warten lassen, und die Rente mit 63 kommt nur einer schmaler werdenden Elite von langjährig Beschäftigten zugute.
    Die Wahrheit ist, dass sich viele der “kleinen Leute”, auf die sich Parteichef Gabriel beruft, längst von der SPD abgewendet haben, von der Politik überhaupt. Nie wurde das deutlicher als bei dieser Bundestagswahl. Eine große Studie hat jetzt den Zusammenhang zwischen sozialer Stellung und Wahlverhalten untersucht. Das Ergebnis ist eindeutig: Die gesellschaftlichen Verlierer wenden sich vom System ab. Sie fühlen sich nicht mehr vertreten – und sie werden auch nicht vertreten. 17,6 Millionen Deutsche verweigerten die Wahl. 2,7 Millionen mehr als für die CDU stimmten. Und je niedriger der Status, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass ein Wähler zu Hause bleibt. Die Autoren der Studie sprechen von einer “sozial prekären” Wahl.
    Quelle: SPON

    Anmerkung J.K.: So ganz kann man Augsteins einleitenden Worten nicht folgen. Wo sieht Augstein einen Frühling der Demokratie? Meint er den, sicher perfekt inszenierten, Mitgliederentscheid der SPD? Der, hier hat Augstein recht, vielen aus der konservativen und neoliberalen Ecke schon zu weit ging. Oder das seitenlange Geschreibe der Mainstreampresse darüber wer wohl welchen Kabinettsposten bekommt? Das ist sicher alles andere als eine lebendige politische Diskussion.
    Was Augstein über das Hartz IV System und dessen Folgen schreibt ist allerdings völlig richtig. Das Hartz IV System ist nichts anderes als ein brutales, repressives System, dass den Betroffenen, durch teilweise groteske Sanktionen (hier), jeden Willen zum Widerstand rauben soll und diese gesellschaftlich und politisch paralysiert (nochmals zur Abhängigkeit der Wahlbeteiligung von der sozialen Herkunft). Was aber genauso wenig nachvollziehbar ist, wie Augsteins Einleitung, ist die Kritik, die Parteien würden “zu wenig Politik für diese Menschen” machen. Erwartet er von einer SPD, die dieses unmenschliche System erfunden, eingeführt und weiterhin als “historische Leistung” verteidigt, etwas anderes als Ignoranz gegenüber den betroffenen Bürgern?

  4. Der neue Geheimdienst-Staatssekretär, die NSA-Affäre und einige offene Fragen
    In der alten Bundesregierung war Kanzleramtschef Ronald Pofalla mit dieser Aufgabe sichtlich überfordert gewesen, als er die NSA-Affäre einmal für beendet erklärte und dann wiederum nicht. Nun soll der erfahrene Geheimdienstmann Klaus-Dieter Fritsche dem neuen Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) bei dieser Aufgabe zur Seite stehen. Fritsche war zuvor viele Jahre lang Vizepräsident des Verfassungsschutzes und Regierungskoordinator für die Geheimdienste, ist also ein Insider der Geheimdienstszene. In seiner letzten großen Rede anlässlich der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA) in Wiesbaden forderte Fritsche eine erhebliche Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung und ging damit sogar über seinen Vorredner, BKA-Chef Jörg Ziercke, hinaus. Man brauche vor allem Daten und nochmals Daten, “nicht nur Verkehrsdaten, sondern auch Inhalte von E-Mails”, um der Internet-Kriminalität Herr zu werden. Dabei gehe es nicht um die E-Mails unbescholtener Bürger, sondern um die Kommunikation der Kriminellen. So diese verschlüsselt erfolgt, müssten die Daten für weitere Ermittlungsansätze aufbewahrt werden. Dieser von Fritsche vertretene Ansatz ist nicht weit von der bisher bekannt gewordenen Praxis der NSA entfernt, erst einmal alles zu speichern, was gespeichert und vielleicht erst später entschlüsselt werden kann. Ob er darum der richtige Mann ist, den Vertretern der NSA die richtigen Fragen zu stellen, ist daher mehr als fraglich.
    Quelle: heise online

    Anmerkung: Dem Leser soll nicht ein Zitat des Sicherheitsexperten der CSU, Hans-Peter Uhlaus vorenthalten werden. Der hatte in der hitzigen Bundestagsdebatte zum Staatstrojaner scharf den Chaos Computer Club angegriffen und seine Rede mit der Aussage beendet, dass Deutschland nicht von Piraten und Chaoten regiert werde: “Es wird regiert von Sicherheitsbeamten, die dem Recht und dem Gesetz verpflichtet sind.” Diese Aussage wurde später im Protokoll verändert zum Satz, dass deutsche Sicherheitsbeamte Recht und Gesetz verpflichtet sind.- Die Träume eines Sicherheitsexperten.

  5. Freihandelsabkommen
    1. Angriff auf Löhne, Soziales und Umwelt – Was steckt hinter dem transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP?
      Forderungen und Perspektiven aus gewerkschaftlicher Sicht.
      Quelle: ver.di [PDF – 217 KB]
    2. Welle der Kritik am Freihandelsabkommen TTIP
      Die dritte Verhandlungsrunde wird von einem wahren “Shitstorm” im Netz begleitet. Auslöser waren abfällige Äußerungen der Kommission gegenüber Konsumentenschützern.
      Seit Montag läuft die dritte Runde der Gespräche zum transatlantischen Handelsabkommmen (TTIP) zwischen den USA und Europa in Washington. Wie davor wird auch diese Runde hinter verschlossenen Türen abgewickelt und wie zuvor gab es zum Auftakt gleich einmal ein Leak. Dessen Inhalte und die abfällige Reaktion des Sprechers der EU-Kommission John Clancy über die Kritiker des Abkommens am Dienstag lösten dann einen “Shitstorm” im Netz aus, der noch immer andauert.
      Der veröffentlichte TTIP-Text enthält die Vorschläge zur Gestaltung der künftigen Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA. Bekanntlich sollen ja die für das Abkommen prognostizierten Mehreinnahmen von jeweils etwa 100 Milliarden Euro pro Jahr durch Angleichung von Regulationen und Normen kommen. John Clancy, Pressesprecher der Kommission, hatte das Papier als “ohnehin bekannte Position” der EU heruntergespielt und die Konsumentenschützer von CEO, die das Dokument veröffentlicht hatten, als “Feinde des Handels” abqualifiziert.
      Quelle: ORF FM4
  6. Schweden und die Zombie-Ökonomie
    Spar- und Strukturmassnahmen waren für die Schwedische Wirtschaft notwendig und haben das Land weitergebracht. Doch sie waren nicht die Ursache dafür, dass das Land in den 1990er Jahren rasch der Krise entkommen konnte. Insofern taugt das Land auch nicht als Beispiel für die heutigen Krisenländer der Eurozone. Auch hier sind Reformen notwendig. Doch die Instrumente, dank denen Schweden seine Krise so rasch überwinden konnte und Reformen umsetzen konnte, stehen den Euro-Krisenländern nicht zur Vefügung: Eine Währungsabwertung und eine eigene Geldpolitik: Die Vorstellung, dass Schweden ein Beispiel für die Eurokrisenländer bereithält, wurde schon beerdigt – aber als Zombie lebt sie dennoch weiter.
    Quelle: Never Mind the Markets

    Anmerkung Orlando Pascheit: Irgendwie wirkt das Bemühen wirtschaftsliberaler Blätter wie der NZZ oder auch letztlich der SZ im Falle Irlands, Länder auszumachen, die über Spar- und Strukturmaßnahmen ihre Krisen bewältigten, doch ziemlich verzweifelt. Diese Beispiele lassen sich, wie oben im Falle Schwedens, relativ leicht als widerlegen. Leider gibt es im Bundestag für die Opposition allein schon zeitlich keine Möglichkeit mehr zu erklären, warum die Kanzlerin, wie sie selbst einräumt, “zum wiederholten Male” in Brüssel europäischen Strukturreformen einfordern muss. Wie weit muss man von den Menschen, einem Lieblingswort der Kanzlerin, entfernt sein, um an Griechenland oder Zypern den Erfolg von Spar- und Strukturmaßnahmen festzumachen. – Verwiesen sei noch auf einen älteren Beitrag zum Heraussparen aus der Krise auf den NachDenkSeiten.

  7. Axel Troost – Krise der Euro-Zone überwunden?
    Folgt man den Argumenten der Konjunktur-Prognose der Wirtschaftsberatungsgesell-schaft Ernst & Young (EY), “mehren sich die Anzeichen, dass in einigen Krisenländern die wirtschaftliche Talsohle durchschritten ist.” Demnach werden Spanien, Italien und Portugal der Prognose zufolge im kommenden Jahr wieder leicht wachsen. Kräftiger wachsen wird die französische Wirtschaft, für die manche Forscher ein Plus von einem Prozent prognostizieren. Ein wesentlicher Grund: eine auf Vollbeschäftigung zusteuernde deutsche Volkswirtschaft. Die Euro-Zone wird im kommenden Jahr die schwere Wirtschaftskrise endlich hinter sich lassen. Nach zwei Jahren Rezession soll das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der Währungsunion im Jahr 2014 um 0,9 Prozent zulegen. Im Jahr 2015 könnte die Wirtschaft im Euro-Raum um 1,5 Prozent wachsen.
    Mit dieser Prognose bekommt die bisherige Krisenbewältigungsstrategie der EU-Eliten, insbesondere der von der deutschen Kanzlerin durchgesetzte Austeritätskurs, scheinbar seine Bestätigung. Ende November bekräftigte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Führungstreffen Wirtschaft der Süddeutschen Zeitung: Deutschland darf seine Exportstärke nicht künstlich verringern. Vielmehr muss Europa insgesamt wettbewerbsfähiger werden. Der Abbau der Gesamtverschuldung sei ein zentrales Projekt für die nächsten vier Jahre. Europa könne Erfolge vorweisen: Gesunkene Haushaltsdefizite, niedrigere Lohnstückkosten und geringere Leistungsbilanz-Defizite. Mit Blick auf die Programmländer verwies die Kanzlerin auf die Erfolge in Irland und Spanien. Irland werde das Euro-Rettungsprogramm verlassen, auch das spanische Programm werde auslaufen. “Portugal ist auf einem harten, aber sehr sehr guten Weg” und auch Griechenland habe “unglaublich viel geleistet”, die Arbeit sei aber noch nicht beendet.
    Quelle: Axel Troost/Die Linke
  8. Sahra Wagenknecht »Frau Merkel, Sie haben uns den Banken ausgeliefert«
    Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, Frau Bundeskanzlerin! Während der fast drei Monate, in denen Sie mit der SPD über den Koalitionsvertrag gefeilscht haben, haben sich in Griechenland aus Verzweiflung über ihre soziale Situation schätzuungsweise 120 Menschen das Leben genommen. Während der gleichen haben in Spanien etwa 45.000 Familien ihre Häuser oder ihre Wohnungen durch Zwangsversteigerung verloren.
    Quelle: Die Linke via YouTube
  9. Herzloser Herzenskandidat
    Eigentlich deutet Joachim Gaucks mahnender Zeigefinger ja eher ganz weit gen Osten. Wir können aber beruhigt sein: Der Vater des Vaterlands macht sich nicht nur um russische Homosexuelle, sondern auch um uns alle Sorgen. Er befürchtet, wir könnten “erschlaffen”, hielte uns nicht staatliche Verfolgungsbetreuung ständig mit nötigenden Vorschriften auf Trab. Vieles was Gauck seit seiner Wahl von sich gegeben hat, wäre schon zum Lachen im Sinn einer Selbstparodie neoliberaler Phrasen, wenn es nicht für viele Menschen bittere Konsequenzen hätte. Etwa sein Lob für den “Mut” Gerhard Schröders. Mut bedeutet, als Politiker genau das Gegenteil von dem zu tun, was für die Menschen gut ist und was sie wollen und dann ihre berechtigte Kritik an sich abtröpfeln zu lassen. Das ganze nennt sich dann “Demokratie”. Holdger Platta mit einem “Worst of Gauck” zum Thema “Soziales”.
    Quelle: Hinter den Schlagzeilen
  10. Die neoklassische Arbeitsmarkttheorie
    Im Sommer 1929 waren nur 3,2% der Arbeiter in den USA arbeitslos. Danach sanken die Löhne und im Frühjahr 1933 war mit 25% Erwerbslosen der Gipfel der Arbeitslosigkeit erreicht. Die Industrieproduktion war von 1929 bis 1932 um fast 45% gefallen, obwohl sinkende Löhne doch zu mehr Beschäftigung und damit steigender Produktion führen sollten, wie die VWL mit dem Modell des neoklassischen Arbeitsmarktes bis heute lehrt.
    Niemand wundert sich, die höchsten Löhne in den Ländern zu finden, in denen Mangel an Arbeitskräften herrscht, wie in der Schweiz. Dabei müssten nach der neoklassischen Theorie die höchsten Löhne dort schon die höchste Arbeitslosigkeit verursacht haben, weil der Mangel an Arbeitskräften zwar die Löhne erhöht, aber sicher nicht im genau gleichen Ausmaß die Produktivität. Würde die Theorie an der Realität gemessen, bräuchten wir den neoklassischen Arbeitsmarkt nicht weiter diskutieren.
    Quelle: flassbeck-economics
  11. Stefan Mappus: Das Phantom von Pforzheim
    An diesem Mittwoch beschließt der baden-württembergische Landtag einen zweiten Untersuchungsausschuss, um die Umstände des gewaltsamen Polizeieinsatzes im Stuttgarter Schlossgarten im Herbst 2010 aufzuklären. Der wichtigste Figur dabei, der frühere CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus, ist von der Bildfläche verschwunden. Kontext hat sich auf die Suche gemacht.
    Quelle: Kontext: Wochenzeitung

    Hinweis: Auch in dieser Woche finden sie wieder interessante Beiträge in Kontext:Wochenzeitung (morgen im Kiosk, am Samstag in der taz), u.a.:

    • Albträume in Hohenstadt: Dem einen ist seine Wiese abgesackt. Der andere hat es amtlich, dass seine Existenz gefährdet ist. Hohenstadt liegt auf der Schwäbischen Alb und seit Anfang des Jahres am Steinbühltunnel. Das Bahnprojekt S 21 hat das Dorf gespalten.
    • Mister Samthandschuh: Stuttgart-21-Gegner ärgert seine Zurückhaltung gegenüber der Staatsanwaltschaft, Antifaschisten treibt allein die Erwähnung seines Namens die Zornesröte ins Gesicht. Doch Baden-Württembergs Justizminister Rainer Stickelberger ist mit sich im Reinen.
    • Rot-Grüne Gesinnungsschnüffelei: Baden-Württemberg möchte Staatsdiener vor ihrer Einstellung schon bald über ihre Zugehörigkeit zu politischen Organisationen befragen. Der Rechtsprofessor Wolfgang Däubler hält diese Gesinnungsschnüffelei für unzulässig.
    • Landesverrat, Justiz und Medienmacht: Whistleblower wie Edward Snowden und Bradley Manning gab es auch früher. Etwa den Verfassungsschützer Werner Paetsch. Meist wurden sie als Landesverräter verfolgt, häufig standen die Medien nicht auf ihrer Seite. Eine Bestandsaufnahme.
    • Wider das Duckmäusertum: 1977 verfasste der langjährige Präsident des Stuttgarter Oberlandesgerichts Richard Schmid einen Appell für mehr Zivilcourage unter Staatsdienern und gegen die Verfolgung Andersdenkender. Der ist immer noch aktuell.
    • Apo – so wertvoll wie nie: Wetterer Peter Grohmann über die Groko, die Apo und den Weihnachtsfrieden.
  12. Neoliberalismus und Feminismus: Eine gefährliche Liaison
    Die zweite Welle der Frauenbewegung entstand einst als Kritik an zentralen Institutionen des Nachkriegskapitalismus. Inzwischen aber ist sie selbst zur Handlangerin eines neuen, deregulierten Kapitalismus geworden. Diese gefährliche Liaison gilt es aufzubrechen, fordert Nancy Fraser.
    Als Feministin habe ich immer angenommen, mein Kampf für die Frauenemanzipation diene der Errichtung einer besseren Welt – egalitärer, gerecht und frei. Doch seit einiger Zeit erfüllt mich die Sorge, dass ursprünglich feministische Ideale für gänzlich andere Zwecke eingespannt werden. Besonders beunruhigt mich, dass unsere Sexismus-Kritik heute als Rechtfertigung neuer Formen von Ungleichheit und Ausbeutung herhalten muss.
    Ich befürchte, eine Laune des Schicksals hat die Frauenbewegung auf gefährliche Weise in neoliberale Bestrebungen verstrickt, die auf den Aufbau einer Marktgesellschaft abzielen. Das würde erklären, wieso feministische Vorstellungen, die ehemals Bestandteil einer radikalen Weltanschauung waren, zunehmend in individualistischen Kategorien Ausdruck finden. Anders als früher, als sie eine auf Karrierismus ausgerichtete Gesellschaft kritisierten, raten Feministinnen den Frauen heute, sich in einer solchen einzurichten. Eine Bewegung, für die ehemals soziale Solidarität Vorrang hatte, feiert heute weibliches Unternehmertum. Eine Perspektive, die einst der Sorgearbeit (care) und der Erkenntnis wechselseitiger Abhängigkeit, der Interdependenz, Wert beimaß, fördert heute das individuelle Vorankommen und meritokratisches Denken.
    Quelle: Blätter
  13. Wie die Kanzlerin von der SPD das Siegen lernte
    Ausgerechnet die Erkenntnisse einer von der SPD in Auftrag gegebenen Studie über politische Milieus in Deutschland lieferten Angela Merkel das Rezept für ihren Erfolg: Wähler gewinnt man nicht durch rationale Überzeugungsrhetorik, sondern mit dem Image der sicheren Problemlöserin…
    Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer hatte in seiner Studie akribisch nachgewiesen, warum die SPD mit all ihren Bemühungen gescheitert war, der eigenen Anhängerschaft die Notwendigkeit schmerzhafter Reformen wieder und wieder zu erklären. Ein simpler Grund war dafür entscheidend:
    “Etwas pathetisch formuliert hieße es: Die Politiker müssten sich daran erinnern, dass sie ein eigener Stand mit einer eigenen Sprache sind, die nicht notwendigerweise außerhalb ihres Standes verstanden wird.”…
    Angela Merkel zog aus Neugebauers Studie einen radikalen Schluss: Man kann Politik in der Kommunikation mit den zunehmend unberechenbaren Wählermassen nicht rational erklären. Wenn es darum geht, in der heterogenen Mediengesellschaft Mehrheiten zu mobilisieren, zählen andere, weichere und irrationalere Kriterien.
    In einer immer vielschichtigeren und schwer verständlicheren Welt kommt es nicht mehr auf ausgiebige Erklärungen oder auf die Zuspitzung einfacher Botschaften an. Was zählt, ist die Lösung von Problemen.
    Quelle: Deutschlandfunk

    Anmerkung unseres Leser G.F.: Dieses Konzept wurde im Wischi-Waschi-Programm der CDU/CSU zum Bundestags-Wahlkampf 2013 erfolgreich angewandt und auch weiter umgesetzt in dem schwarz-roten Koalitionsvertrag, der damit eindeutig die Handschrift nicht der CDU, sondern Angela Merkels trägt. Der Autor der Studie, Gero Neugebauer, sagt dazu:

    “Ich glaube, das hat sie gut begriffen, dass man Gesellschaften, die sich in einem Wandel befinden, ein notwendiges Maß an Sicherheit und Orientierung geben muss. Also anders als eine Parole, die sagt: Ich sag euch jetzt mal, wo es lang geht, so eine Art: Basta, nun marschieren wir mal voran und sehen zu, was kommt – so sagt sie jetzt: Ich fahre auf Sicht. Und dieses Auf-Sicht-Fahren vermittelt gleichzeitig denen, die im Anhänger sitzen oder hinten im Bus das Gefühl: Die weiß, wo es hingehen soll. Und wir werden auch nicht mit unsicheren Situationen hinter der Kurve oder hinter dem Tunnel konfrontiert.”

    Damit komme ich zu dem recht deprimierenden Schluss: sich hinstellen, die Hände zur Raute formen und Sätze sagen wie: “Sie kennen mich.” und “Schönen guten Abend.” – das reicht vollkommen aus, um von den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes zum Kanzler gewählt zu werden. Mehr braucht es nicht und ist auch nicht erwünscht. Debatten im Bundestag nerven das geneigte Volk nur und sind damit überflüssig geworden.
    Das Parlament kann abgeschafft werden.

  14. Die Stunde der Linken
    Im Bundestag kam es zum ersten Schlagabtausch. Die Mehrheit der Großen Koalition ist erdrückend, die Opposition machtlos wie lange nicht. Umso deftiger müssen ihre Reden sein – wie Linken-Frontfrau Wagenknecht bewies.
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung WL: Der Artikel ist an und für sich unbedeutend, ja sogar in gewisser Weise sogar fair gegen die Linkspartei und die Grünen. Aber achten Sie einmal auf den Unterton: Er zeigt, dass die verbliebene Opposition eigentlich nicht mehr ernst genommen wird.

  15. „Unstatistik des Monats“ – Positive PISA-Studie – mehr Glück als Verstand?
    Die Unstatistik des Monats Dezember ist die aktuelle PISA-Studie der OECD. Über sie und auch über das im Vergleich zu früheren Studien bessere Abschneiden deutscher Schüler haben fast alle deutschen Medien ausführlich berichtet…
    Dennoch muss man aus mehreren Gründen vor einer Überinterpretation dieser Zahlen warnen. Zum einen kann man sich grundsätzlich darüber streiten, welche Kompetenzen im Rahmen der PISA-Studie gemessen werden und ob die im Rahmen der Studie durchgeführten Tests bestimmte Lernformen bevorzugen. Zudem ist nur eine kleine Stichprobe deutscher Schüler getestet worden, bei einer anderen Stichprobe wäre etwas anderes herausgekommen. So erreichten die Schüler in der deutschen Stichprobe im Jahr 2012 in der Mathematik 514 Punkte, 11 Punkte mehr als in der letzten Studie 2003. Unter insgesamt 65 untersuchten Ländern belegen sie damit Rang 16. Aber aufgrund des Stichprobenfehlers hätten es auch 508 (Rang 18) oder 520 Punkte (Rang 12) werden können.
    Zur Unstatistik des Monats wird die PISA-Studie jedoch, weil in der öffentlichen Diskussion weitgehend ignoriert wird, welchen Einfluss die Zusammensetzung der Stichprobe auf die Ergebnisse der Studie hat. Richtig ist, dass – in der Stichprobe – die Schüler in Deutschland in Mathematik besser abschneiden als der durchschnittliche Schüler in der OECD und dass sich die Mathematikergebnisse im Vergleich zu den Schülern in der Stichprobe des Jahres 2003 verbessert haben. Dabei wird aber außer Acht gelassen, dass sich über die Jahre hinweg die Zusammensetzung der Stichprobe verändert hat. Berücksichtigt man die Unterschiede der befragten Schüler in den verschiedenen Stichproben hinsichtlich beispielsweise des Alters, des Geschlechts, des sozio-ökonomischen Hintergrunds und des Migrationshintergrunds, haben sich die Leistungen der Schüler in Deutschland seit 2003 nicht signifikant verändert.
    Quelle: RWI, Rheinisch-westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung

    Anmerkung G.L.: Es ist noch viel schlimmer! Bei so großen Untersuchungsgruppen wie bei PISA wird jeder Unterschied “signifikant” und wenn er noch so klein ist. Wenn, wie die Autoren zeigen, die Veränderungen nicht mehr “signifikant” sind, wenn man die Veränderungen in der Zusammensetzung der Schülerschaft berücksichtigt, dann sind sie nur noch kleiner als klein. Wenn es in den Redaktionsstuben unserer Zeitungen ein bisschen Kompetenz gäbe, würden alle Überschriften zu PISA widerrufen werden.


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