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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Der verschwiegene „Klassenkampf von oben“ – Wir dokumentieren einen politischen Skandal sondergleichen
Datum: 18. Dezember 2013 um 12:48 Uhr
Rubrik: Gedenktage/Jahrestage, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Wahlen
Verantwortlich: Albrecht Müller
Wenn Sie heute die hoffentlich guten Reden zum 100. Geburtstag von Willy Brandt hören, dann werden Sie selten etwas davon vernehmen, dass Willy Brandt und seine Partei im Wahlkampf 1972 einer massiven Kampagne finanziell potenter Kräfte ausgesetzt waren, einem Putschversuch. Damals rotteten sich Leute aus der Wirtschaft zusammen, gründeten Briefkastenfirmen und allerlei Initiativen und schalteten meist anonym über 100 Anzeigen. Diese Wahlhilfe für die CDU und CSU kostete nach Schätzungen rund 34 Million DM und damit mehr als der offizielle Wahlkampf der großen Parteien. In den meisten historischen Werken kommt diese politische Intervention des „großen Geldes“ nicht vor oder wird allenfalls am Rande erwähnt. Das ist offensichtlich ein Liebesdienst der Historiker für die finanziell gut ausgestattete Oberschicht. Deshalb dokumentieren wir den „Klassenkampf von oben“. – Wenn Sie politisch interessiert sind oder sich einfach für die jüngere Geschichte interessieren oder einfach nur wissen wollen, wie die Machtverhältnisse in Deutschland waren und sind, dann sollten Sie sich die Machwerke anschauen. Das kostet allerdings etwas Zeit. Aber es lohnt sich. Albrecht Müller.
Der Zugang zur Dokumentation:
Auf der folgenden Adresse erhalten Sie mit folgenden Zugangsdaten Zugriff auf die Dateien:
NAME: AMBRANDT
PASSWORT: AMBRANDT2013
Die Anzeigen sind von 50 verschiedenen Initiativen und Briefkastenorganisationen geschaltet worden. Um Ihnen die Orientierung zu erleichtern, sind am Ende dieses Textes als Anhang diese verschiedenen Organisationen und Hilfstruppen der CDU und CSU aufgelistet.
An dieser Stelle zunächst noch ein großer Dank an das Archiv der sozialen Demokratie. Dort lagern die Anzeigen aus dem Bundestagswahlkampf 1972. René Weigt hat sie zur Dokumentation aufbereitet. Ihm und dem Archiv gebührt unser Dank.
Die meisten Anzeigen sind vor 40 Jahren im rororo-Aktuell Band Nr. 1658 dokumentiert worden. Damals, 1973, herausgegeben von Jörg Richter unter dem Titel „Klassenkampf von oben? Oder Angstmacher von rechts“. Und diese Dokumentation wiederum basierte auf der vom SPD-Vorstand und seinem Bundesgeschäftsführer Holger Börner vorgelegten Dokumentation zu den Hintermännern der damaligen Kampagne der Union.
Der Begriff „Klassenkampf von oben“ stammt übrigens vom damaligen NRW-Ministerpräsidenten und stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Heinz Kühn.
Die Kampagne war ausgesprochen aggressiv. Die Hintermänner der Union hatten die Drecksarbeit übernommen.
Machen Sie sich bei den Anzeigen selbst ein Bild. Die Anzeigen gehen in Text und Bild weit unter die Gürtellinie. Willy Brandt wird unterstellt, dass er unser Land und unsere Freiheit verkauft. Rechtsnationale Töne sind gang und gäbe. Willy Brandts Familie wird in die Kampagne einbezogen und selbstverständlich auch die anderen Unterstellungen.
„Wir sind noch einmal davon gekommen“
In meinem neuen Buch „Brandt aktuell. Treibjagd auf einen Hoffnungsträger“ habe ich einige dieser Anzeigen schon dokumentiert und eingeordnet. Dort mache ich vor allem deutlich, wie aktuell dieser Vorgang ist. Auch heute wäre es dringend nötig, sich des vorherrschenden Einflusses des großen Geldes zu erwehren. Es wäre heute noch wichtiger, weil weite Teile der Politik von der finanzkräftigen Oberschicht bestimmt werden.
Die SPD hat sich damals gegen die Intervention der wirtschaftlich Mächtigen gewehrt.
Das war nur möglich, weil Willy Brandt mit dieser Gegenwehr einverstanden war und sie selbst wesentlich getragen hat. Schon damals gab es Kräfte in der SPD, die meinten, die Gegenwehr habe das Verhältnis der SPD zur Wirtschaft beschädigt. Das ist ziemlicher Unsinn. Mit der Gegenwehr, mit der Frage, was der Kanzlerkandidat der Union, Rainer Barzel, politisch für die Wahlhilfe versprochen habe, hat sich die damalige SPD wenigstens Respekt verschafft. Und im Übrigen wäre die Wahl verloren gewesen, wenn die Kampagne der Hilfstruppen der Union nicht gegen die Union selbst gewendet worden wäre.
„Wir sind noch einmal davongekommen“– so ist mein Beitrag in dem erwähnten rororo-Aktuell überschrieben. Später hat sich die SPD nicht mehr gewehrt – bis hin zur Anbiederung des bisherigen Fraktionsvorsitzenden und jetzigen Außenministers Steinmeier mit seiner Rede beim Arbeitgeberverband, die wir in den NachDenkSeiten schon dokumentiert hatten. Ich verlinke noch einmal darauf, weil kontrastreicher das Bild nicht sein kann, wenn man die hier dokumentierten Anzeigen des Großen Geldes und die Gegenwehr der damaligen SPD mit der Rede von Steinmeier vom 19.11.2013 vergleicht.
Sehr interessant ist das Versagen der Historiker und der Geschichten schreibenden Journalisten
Nahezu alle beschreiben zum Beispiel den hohen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst im Frühjahr 1974 und werten diesen als letzten großen Tritt gegen Willy Brandt, als Beleg seines angeblichen wirtschaftspolitischen und finanzpolitischen Versagens und als eine maßgebliche Ursache für den Rücktritt. Das ist alles maßlos übertrieben und wie immer von historischer Schrift zur nächsten historischen Schrift nachgeplappert. Gravierender aber: die Kampagne der Hilfstruppen der Union, die wir hier dokumentieren, wird von den Historikern und geschichtsschreibenden Journalisten verschwiegen oder nur am Rande erwähnt. Das hat vermutlich mit ihrer vermeintlichen Klassenzugehörigkeit zu tun. Der Wirtschaft war die damalige Kampagne zu Gunsten der Union peinlich. Darüber soll möglichst wenig berichtet werden. Also verfahren die Historiker wunschgemäß.
Einer der ersten Biografen von Willy Brandt, Gregor Schöllgen, verfährt schon so. Ihm folgen die geschichtsschreibenden Nachfolger – bei diesem Thema, wie bei anderen Themen auch.
Der Geburtstag Willy Brandts könnte so auch Anlass für einen Text über das jämmerliche Versagen der einschlägigen Historiker sein. Allein am Beispiel des Wahlkampes 1972 könnte ich Seiten mit Belegen für dieses Versagen füllen. Vielleicht ein andermal.
Anlage
Übersicht über die meist anonymen finanzstarken Gruppen, die im Bundestagswahlkampf 1972 Anzeigen gegen Willy Brandt und die SPD schalteten. Es ist also eine Übersicht zu den Hilfstruppen von CDU und CSU:
LEGENDE
Die übergeordneten Hilfstruppen = fett und unterstrichen
Regionale Initiativen, die wahrscheinlich zu dieser Hilfstruppe gehören= unterstrichen
Die Anzeige= Normale Schrift
Aktion Bonner Staatsbürgerinnen für die CDU
Aktion der Mitte
Fraueninitiative Aktion der Mitte
Jugendinitiative Aktion der Mitte
Aktion Junge Wähler für die CDU
Aktion Männer, denen wir vertrauen
Aktion Solidarität
Akzente, politischer Arbeitskreis Essen
Arbeitskreis Soziale Marktwirtschaft
Arbeitskreis zur Förderung der Aktie
Arbeitskreis zur Förderung der Stabilität
Bundesverband deutscher Banken
Bürgerinitiative für klare Entscheidungen
Bürgerinitiative Pro Union
Bürgerinitiative Wahlkreis 74
Freie unabhängige Wählergemeinschaft
Freie unabhängige Wähler-Initiative
Gemeinschaft für demokratisches Bewußtsein
Gesellschaft für konstruktive Politik
Aktion nüchterne Bürger
Haus- und Grundbesitzer-Verein Passau
Haus- und Grundeigentümerverein Bonn
Initiative ehemaliger SPD-Wähler
Initiative Kritischer Wähler
Initiative Mündiger Bürger
Initiative unabhängiger Wähler
Institut für Demokratieforschung
Liberale für die CDU
Konzentration demokratischer Kräfte
Parteilose Wählerinitiative
Präsidium des Bundes der Vertriebenen
Schleswiger Aktion
Studiengesellschaft für staatspolitische Öffentlichkeitsarbeit
Steuer-Notgemeinschaft
Studentenwahlinitiative für die CDU
Studiengesellschaft für staatspolitische Öffentlichkeitsarbeit
Unabhängige Wählerinitiative
Verband der Diplomingenieure und Naturwissenschaftler in Deutschland
Vereinigung zur Förderung der politischen Willensbildung
Verlag für Öffentlichkeitsarbeit und Politik
Wählerinitiative 1972
Wählerinitiative 1972 Sankt Augustin
Wählerinitiative Siegburg 72
Wählerinitiative Aktiver Demokraten
Wählerinitiative Arbeitnehmer
Wählerinitiative Bonner Arbeitnehmer
Wählerinitiative Bonner Ärzte
Wählerinitiative Bonner Lehrer
Wählerinitiative Deutsche Union
Wählerinitiative Hochschule
Wählerinitiative katholische und evangelische Christen
Wählerinitiative Mittelstand
Wählerinitiative Patriotische Mitte
Wählerinitiative der Realisten
Wählerinitiative der Vertriebenen und Flüchtlinge
Zentralverband der deutschen Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer e. V
= 50 Gruppen
Unbekannt:
50 Gruppen + 19 Anzeigereihen (inklusive Beilagen), die keine Angaben machten.
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=19701