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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Was für einen Unsinn sie uns alle erzählen, bis der Tag zu Ende geht. Und immer wieder Reformen!
Datum: 29. Dezember 2006 um 8:42 Uhr
Rubrik: Agenda 2010, Strategien der Meinungsmache, Wettbewerbsfähigkeit
Verantwortlich: Albrecht Müller
Am 7.12.2006 war mein Tagebucheintrag überschrieben mit „Ende der Aufklärung“. Heute könnte ich einfach eine (2) dahinter schreiben. Denn die Tage der Irrationalität und des Stumpfsinns wollen nicht enden. Ich übertreibe nicht. Schauen Sie sich selbst die Äußerungen von Politikern und Wirtschaft und die Produkte unserer Medien zur wieder einmal belebten Reformdebatte an. Zwischen den einzelnen Behauptungen zum Thema gibt es keine logischen Konnexe. Es werden einfach Sprechblasen abgelassen. Wortsignal neben Wortsignal.
Ein Beispiel aus den folgenden Dokumenten: Beck bezeichnete die Reformbeschlüsse als notwendig, es gebe allerdings für die Bürger auch „Grenzen der Zumutbarkeit“. Merkel entgegnet, „um im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können, müssen wir Strukturreformen vorantreiben“. – Beides so dahingesagt. Die Wirkungszusammenhänge erschließen sich nicht logisch sondern über angelernte Glaubenssätze. Die Politiker geben diese vor. Die Journalisten und die Wirtschaft beten sie nach. Oder umgekehrt. Albrecht Müller.
Ich beziehe mich in meinen folgenden Kommentaren, Hinweisen und Anstößen auf vier Medienberichte und Kommentare,
Die Beiträge sind mit Überschrift und Einführungstext übernommen und jeweils über einen Link für Sie greifbar.
Nun also einige Hinweise, Anstöße und Fragen:
Als Konstrukt zur Behauptung des Wirkungszusammenhangs wird wie üblich bei den herrschenden Kreisen der Begriff Lohnnebenkosten beziehungsweise Lohnzusatzkosten angeboten. Die Koalition habe sich darauf verständigt, die Lohnzusatzkosten unter 40% zu senken. Davon sei man weit entfernt, meint der CDU-Abgeordnete und Vorsitzende der Mittelstandgruppe der Union, Michael Fuchs gegenüber der Frankfurter Rundschau (siehe I.)
Hier wird wieder einmal eine Behauptung über einen Wirkungszusammenhang wie eine Monstranz vor dem großen Strom der Meinungen her getragen. Unangefochten. Ohne Kommentar. Ohne bösen Kommentar von Seiten der Frankfurter Rundschau.
Ob der SPD-Vorsitzende das nicht durchschaut oder es durchschaut und anders redet, weiß ich nicht. Wahrscheinlich Letzteres.
Die Frankfurter Rundschau steht SpiegelOnline in nichts nach, wenn der Kommentator ohne jede Begründung in seinem Schlussabsatz feststellt:
“Die Leut”, so darf vermutet werden, wollen gar nicht, dass es jetzt bald “mal gut ist” mit dem Reformieren, wie Beck sagt. Sie warten darauf, dass endlich Reformen beginnen, die diesen Namen verdienen.“
Was der Kommentator Stephan Hebel meint, sagt er leider nicht. Vielleicht meint er ja, dass endlich Reformen beginnen, die der Mehrheit der arbeitenden Menschen endlich einmal wieder etwas bringen, statt die Umverteilung von unten nach oben nur noch weiter voranzutreiben.
Und nun zu den Links und den Dokumenten:
I. Wirbel um Beck-Äußerung
Koalition streitet über Ende der Reformen
SPD-Chef Kurt Beck sieht bei Belastungen der Bürger Grenze erreicht/Unionspolitiker widersprechen
In der Union regt sich Widerstand gegen Äußerungen von SPD-Parteichef Kurt Beck. Dieser hatte gesagt, die Koalition habe mit ihren Reformvorhaben die „Grenze der Zumutbarkeit“ erreicht.
Berlin – Angesichts einer Arbeitslosenzahl von immer noch rund vier Millionen könne er “diese Einschätzung nicht teilen”, sagte der CDU-Abgeordnete Michael Fuchs der Frankfurter Rundschau. Beck hatte in der Zeitung Die Welt die jüngsten Reformbeschlüsse als notwendig bezeichnet; allerdings gebe es für die Bürger auch “Grenzen der Belastbarkeit”, die man nicht “überschreiten” dürfe.
[…]
M. Bergius/V. Gaserow
Quelle: FR
II. Kommentar
Becks Reform-Limit
Wer’s glaubt
[…]
Stephan Hebel
Quelle: FR
III. MERKEL ZU REFORM-DEBATTE – “Der größte Teil liegt noch vor uns”
Zunder für die Große Koalition: Kanzlerin Angela Merkel schätzt Deutschlands Reformbedarf ganz anders ein als Kurt Beck. Sie will “Strukturreformen vorantreiben, um im Wettbewerb zu bestehen” – der SPD-Chef hatte dagegen die “Grenze der es Zumutbarkeit” für erreicht erklärt.
Berlin – “Um im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können, müssen wir Strukturreformen vorantreiben, auf europäischer Ebene ebenso wie auf nationaler”, schrieb die Kanzlerin in einem Gastbeitrag für das Düsseldorfer “Handelsblatt”. Öffentlich entsteht damit der Eindruck, die Kanzlerin gehe auf Distanz zum SPD-Vorsitzenden Kurt Beck, der gestern erklärt hatte, wenn umgesetzt sei, “was wir auf den Weg gebracht haben, ist die Grenze der Zumutbarkeit erreicht”. Die Menschen müssten Veränderungen verarbeiten und verkraften können. “Ich glaube, dass wir in der Republik erkennen müssen, dass wir den Bogen in der sozialen Frage arg gespannt haben”, so der SPD-Chef.
[…]
sev/afp/dpa
Quelle: SPIEGEL ONLINE – 28. Dezember 2006
IV. PROTEST GEGEN SPD-CHEF – Wirtschaft erbost über Becks Reform-Bremse
Die Absage von Kurt Beck an härtere Reformen trifft auf immer mehr Widerstand. Kanzlerin Merkel pocht auf weitere Strukturänderungen – und nun zeigt sich auch die Wirtschaft verärgert über den SPD-Chef: Er habe wohl nicht verstanden, worum es gehe.
Berlin – Der Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA), Dieter Brucklacher, sagte der Tageszeitung “Die Welt”: “Wer Reformpolitik als Zumutung für den Bürger bezeichnet, hat nicht verstanden, worum es geht nämlich darum, unser Land zukunftsfest zu machen zum Vorteil der Bürger. Dieses Ziel vor Augen, stehen wir erst am Anfang und keineswegs am Ende des notwendigen Reformprozesses.”
[…]
asc/dpa/AP
Quelle: SPIEGEL ONLINE – 28. Dezember 2006, 17:36
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