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Titel: Weihnachten unter dem Stern des Wettbewerbs

Datum: 27. Dezember 2006 um 10:49 Uhr
Rubrik: Bundespräsident, Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Selbst in seiner Weihnachtsansprache fällt unserem Bundespräsidenten keine wichtigere Botschaft ein, als dass wir „in einem internationalen Qualitätswettbewerb“ stehen, „der alle Bereiche unseres Zusammenlebens betrifft: Welcher Nation gelingt es am besten, die schöpferischen Kräfte ihrer Menschen zu wecken? Wie offen ist eine Gesellschaft für Neues?“
Die „Qualität von Politik“ misst Köhler am Erfolg im internationalen Wettbewerb und nicht etwa an einer Wirtschaftspolitik die Wohlstand für alle schafft. Er misst „gute Politik“ nicht an der annäherungsweisen Umsetzung des politischen Willens des Parlaments oder gar der Wünsche und Vorstellungen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. „Gute Politik“ hat aus der Köhlerschen Sicht eines Diktats des Wettbewerbs nichts mit aufklärerischer Vernunft, nichts mit Fortschritt als Verwirklichung humaner Ideale oder gar mit Emanzipation im Sinne einer Befreiung der Menschen von irrationalen Zwängen zu tun. Wolfgang Lieb.

Nein, im Wettbewerb werden eben nur „Stärken und Schwächen“ gemessen. Die Stärken der anderen sind die Orientierungsgrößen „für Neues“ bei uns. Die „Qualität von Politik“ bemisst sich für Köhler daran, wie gut und wie erfolgreich sie den Wettbewerb auf allen Feldern organisiert. Politik hat für unseren Bundespräsidenten vor allemauf den Wettbewerb ausgerichtet zu sei, ja sie ist dem Wettbewerb geradezu nach- bzw. untergeordnet: „Deshalb geht es bei diesem Wettbewerb auch (!) um die Qualität von Politik.“ Die politisch Handelnden haben wie Unternehmensvorstände dafür zu sorgen, dass unser Land wie ein weltweit agierendes Unternehmen im Wettbewerb mit anderen besteht und sich möglichst gegen andere durchsetzt.

Das Messen von Stärken und Schwächen, also das Benchmarking ist für unseren „Bundesaufsichtsratsvorsitzenden“ letztlich die Grundlage für gute Politik: „Gute Politik – das heißt zunächst einmal Aufrichtigkeit bei der Einschätzung unserer Stärken und Schwächen. Das heißt Mut, sich Ziele zu setzen und sich daran auch messen zu lassen. Und das heißt Stetigkeit und Stimmigkeit im Handeln.“
Bei einem solchen Politikverständnis geht es nicht mehr um die „Stimmigkeit“ des Regierungshandelns mit des Volkes Willen, nicht einmal mehr um die Zusammenführung von unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen zu einem Allgemeininteresse. Nein, die Ziele der Politik ergeben sich aus dem Vergleich von Stärken und Schwächen mit anderen Ländern.
Benchmarking ist für ihn das Verfahren, um politische Handlungsweisen zu beurteilen und zu verbessern. Wenn dann in einem solchen Benchmark Schwächen ausgemacht werden, dann bedarf es nur noch „Mut“ diese Schwächen auszumerzen und „Stetigkeit und Stimmigkeit im Handeln“ um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Über die „Stimmigkeit im Handeln“ zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit soll dann der „unerlässliche“ und „faire Streit“ in der Demokratie stattfinden. Und eigentlich nur noch darüber.

Am Bestehen des Wettbewerbs messen sich „Erfolg und Misslingen“. Und: „Erfolge verdienen Anerkennung“ kosteten sie auch, was sie wollen, und verlangten sie auch Opfer von noch so Vielen. Denjenigen, „die Misserfolg haben“… „reichen wir…die Hand…damit sie sich wieder aufrichten.“ Also richtet euch wieder auf, die ihr vom globalen Wettbewerb an den Rand gedrängt wurdet!

Benchmarking und Wettbewerb, das sind die schlichten politischen Botschaften unseres Bundespräsidenten, die er in seiner Weihnachtsansprache verkündet.

Nun wird Köhler ja nicht nachgesagt, dass seine Reden gedankliche Höhenflüge auszeichnen, aber immerhin wird ständig behauptet, er habe großen ökonomischen Sachverstand. Das manager-magazin hat Köhler – wohlgemerkt in einem Ranking – sogar als den „ökonomisch kompetentesten deutschen Politiker“ gerankt.
Wohin diese Kompetenz geführt hat können wir alle an der falschen Finanzierung der Einheit Deutschlands und in deren Gefolge am drastischen Anstieg der Staatsverschuldung und an den Folgen der Privatisierungspolitik der Treuhand für die Wirtschaft in den neuen Ländern ablesen. Dafür trug Köhler als Staatssekretär im Finanzministerium ein erhebliches Maß an Verantwortung.
Unter anderem wird seine Wirtschaftskompetenz auf seine Erfahrungen aus seinem früheren Amt als geschäftsführendem Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) verwiesen.
Aus dieser Tätigkeit stammt wohl auch Köhlers Vorliebe für Benchmarks – ein beliebtes Konzept internationaler Wirtschaftsorganisationen wie der Weltbank oder der OECD, um weltweit ihre wirtschaftsliberalen Konzepte durchzusetzen. Auch die Propagandisten der sog. Strukturreformen im Inland, wie die Bertelsmann Stiftung mit ihren zahllosen Rankings, oder die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ bedienen sich regelmäßig Benchmarks, um Stärken und Schwächen – meist sind es die Schwächen – des „Standortes“ Deutschland herauszustellen, um daraus ihre Forderungen nach „Strukturreformen“ abzuleiten, damit Deutschland wieder aus dem Tal der Tränen komme.

Solche Benchmarks gelten unter den meisten Wirtschaftswissenschaftlern als ziemlich simple Verfahren: Man hat ein regional begrenztes Problem vor Augen, etwa die Arbeitslosigkeit in Deutschland, und sucht nun in anderen Regionen, wo dieses Problem in geringerem Maße auftritt, nach möglichst vielen Indikatoren, die anzeigen könnten, warum es dort besser geht. Also zum Beispiel die Abschaffung des Kündigungsschutzes nach dänischem Vorbild (wobei natürlich unterschlagen wird, dass man als Arbeitsloser dort achtzig Prozent seines Nettogehalts erhält).
Der Vergleich der einzelnen Benchmarks kann durchaus erkenntnisleitende Hypothesen liefern, wenn diese nicht korinthenpickerisch betrachtet, sondern im Lichte einer ökonomischen Theorie mit Substanz, auf kausale und funktionale Zusammenhänge und auf ihre Wirkungskreisläufe überprüft würden.
Doch um Letzteres geht es beim Benchmarking üblicherweise gerade nicht. Es geht in aller Regel um die weitgehend theorielose Aneinanderreihung möglichst vieler miteinander verbundener oder auch unverbundener Befunde. Heiner Flassbeck, der Direktor der UN Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) urteilt darüber so: „Was als ´Schwachstellenanalyse“ ausgegeben wird, ist ein wildes Sammelsurium von Daten, Vorurteilen und Voreingenommenheiten, die sich in massiven Widersprüchen niederschlagen.“
Einer dieser – von den Autoren meist völlig unterschlagenen – Widersprüche ist zum Beispiel, dass die ökonomisch relativ erfolgreichen skandinavischen Staaten mit ihren höchsten Staatsquoten eigentlich die „marktwirtschaftliche Demokratie“ längst erdrosselt haben müssten.
Selbst das Ifo-Institut des ziemlich marktradikalen Professor Hans-Werner Sinn hat in einer Studie nachgewiesen, dass solche Rankings kaum etwas darüber aussagen, wie gut oder schlecht es tatsächlich um die Wachstumsaussichten in den bewerteten Staaten steht.

Aber solche Kritik kann unseren Bundespräsident nicht nachdenklich stimmen. Er unterzieht sich nicht der geringsten Mühe, die „Stärken und Schwächen“ unseres Landes auf ihre Ursächlichkeiten zu analysieren. So ist für ihn auch der leichte Aufschwung in Deutschland nicht – wie für die meisten Ökonomen – eine Folge des weltwirtschaftlichen Wachstums, er behauptet vielmehr ohne jede Begründung einfach, dass die Reformen „greifen“ würden:
„Die Zahl der Arbeitslosen geht endlich zurück. Die Investitionen der Unternehmen steigen. Unsere Produkte sind weltweit gefragt, und die Reformen der vergangenen Jahre beginnen zu greifen.“ An dieser Schlussfolgerung stört ihn noch nicht einmal die Tatsache, dass Deutschland schon lange vor der „Reformpolitik“ Exportweltmeister gewesen ist. Solche Widersprüchlichkeiten können seinen Glauben nicht erschüttern, dass “unser Land noch am Anfang des Reformprozesses” stehe.

Die „Mühe“ der Reformen habe sich gelohnt, meint Köhler und lobt: „Viele haben zu der guten Entwicklung beigetragen. Ich danke allen herzlich dafür.“ Der Dank des Vaterlandes ist also denjenigen, denen die „Mühe“ – genauer gesagt – denen Opfer abverlangt wurden, immerhin gewiss.

Das Konzept des Benchmarkings und das Denken in Kategorien der volkswirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit sind gleichermaßen inhaltsleer und wertblind. Der bekannte amerikanische Ökonom Paul Krugmann kritisiert diese Ideologie des Standortwettbewerbs in seinem 1999 erschienen Buch als „Mythos vom globalen Wirtschaftskrieg“.

Nichts gegen Wettbewerb, weder im Sport und schon gar nichts gegen den Wettbewerb zwischen Unternehmen und ihren jeweiligen Produkten auf dem Markt. Der Wettbewerb hat zwischen den Marktteilnehmern eine unersetzbare steuernde Funktion. Das Wettbewerbsprinzip jedoch immer stärker auf die Gesellschaft und den Staat zu übertragen, birgt riesige Gefahren für den Zusammenhalt des politischen Gemeinwesens und für die Demokratie insgesamt.
Dazu braucht man sich nur einmal kurz auf die Prinzipien oder Motive zu besinnen, die hinter einer wettbewerbsgesteuerten im Unterschied zu einer demokratisch (politischen) gestalteten Gesellschaft stehen.

  • Man wird wohl kaum bestreiten können, dass hinter dem Wettbewerb das Motiv des Eigennutzes steht, während die demokratische Gesellschaft für das Gemeinnützige oder sogar für das Solidarische steht.
  • Wettbewerb richtet sich gegen die jeweils anderen Wettbewerber und ist diesen gegenüber tendenziell destruktiv (der Stärkere setzt sich durch), während die demokratische Gesellschaft und immer auch das Ganze im Auge haben sollte und von daher eher konstruktiv ist. Die Mitglieder der Gesellschaft sind auch füreinander da oder zumindest aufeinander angewiesen.
  • Wettbewerb lebt von der Konkurrenz, ein demokratisches Gemeinwesen aber auch von der Kooperation.
  • Wettbewerb misst sich am Anderen, er ist von außen gesteuert. Triebkräfte sind also eher extrinsische Motive. Ein demokratisches Gemeinwesen lebt aber auch von der intrinsischen Motivation seiner Bürger, einer Motivation die auch Anreizen folgt, die jenseits der ökonomischen liegen und auch inneren, wertbezogenen Antrieben Raum gibt.
  • Wettbewerb schielt auf den kurzfristigen Erfolg. Ein Staat muss auch die längerfristigen Interessen der Gesamtbevölkerung im Auge haben.
  • Der Wettbewerb schafft äußere, fremdbestimmte Zwänge, Demokratie macht aber Selbstbestimmung, Teilhabe oder wenigstens Mitbestimmung aus.
  • Es wird doch geradezu als Kult gepflegt, dass im einzelwirtschaftlichen Wettbewerb immer auch autoritäre Entscheidungen der „Unternehmensführer“ verlangt und erwartet werden, die Gesellschaft, der Staat oder die Länder untereinander, sind jedoch keine einzelwirtschaftlich agierende Unternehmen mit einem Unternehmer oder Managern an der Spitze, sondern sie sind jedenfalls nach unserer Verfassung demokratisch konstituiert.
  • Wettbewerb hält Ungleichheit aus, ja braucht sie geradezu als Antriebskraft, eine Gesellschaft bricht jedoch auseinander, wenn zuviel Ungleichheit herrscht.
  • Wettbewerb ist tendenziell am raschen Gewinn orientiert, eine offene demokratische Gesellschaft, die ihre Zukunft langfristig gestalten will, verlangt jedoch gerade mehr Spielraum für das Neue, das Unsichere, das sich nicht sofort und kalkulierbar in Profit Niederschlagende – man denke doch nur an Bildung und Forschung.
  • Wettbewerb mag zu einzelwirtschaftlicher Effizienz führen, die volkswirtschaftliche Effizienz misst sich aber auch am Allgemeinwohl und am allgemeinen Wohlstand und dafür bedarf es zumindest auch wertender Rahmensetzungen – z.B. der Prinzipien des Sozialstaats.

Um es noch einmal zu sagen: Es geht hier nicht um eine radikale Kritik am Wettbewerb oder gar dessen Ablehnung, dort wo er seinen Sinn und seinen Platz hat. Wenn der Wettbewerbsgedanke jedoch – wie offenbar bei unserem Bundespräsidenten – zum herrschenden Funktionsprinzip für Staat und Gesellschaft wird, dann gerät die demokratische Substanz in Gefahr.
Vielleicht spürt das Köhler sogar, wenn er in seiner Ansprache unvermittelt appelliert: „Lassen Sie uns gemeinsam auf unsere freiheitliche Demokratie acht geben.“ Vielleicht ist dieser Appell ein Reflex auf die historische Erfahrung, dass Wettbewerb durchaus ohne Demokratie auskommt. Für die Geltung von Wettbewerbsprinzipien ist die Demokratie vielleicht hilfreich, ja vielleicht sogar die adäquate konstitutionelle Gesellschaftsform, aber Wettbewerb ist keineswegs konstituierend für eine Demokratie. Es ist ja schließlich kein Zufall, dass in den faschistischen Diktaturen von Hitler bis Franco, von der griechischen bis zur portugiesischen Militärdiktatur der kapitalistische Wettbewerb weitgehend unangetastet blieb und unter Pinochet in Chile sogar geradezu radikalisiert wurde.

Daran zu erinnern, passt vielleicht nicht zu Weihnachten, aber wenn unser Bundespräsident mit seiner Weihnachtsansprache den Wettbewerb als die wichtigste Botschaft verkündet, dann muss man wenigstens ihn an dieses Missverhältnis erinnern.


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