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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Quo vadis Bildung?
Datum: 11. Dezember 2013 um 9:30 Uhr
Rubrik: Bildungspolitik, Interviews, Wahlen
Verantwortlich: Redaktion
Seit Jahr und Tag werden uns die „Bildungsrepublik Deutschland“ und „Vorrang für Bildung“ versprochen. Geschehen ist in all der Zeit nicht wirklich viel. Wird sich dies nun ändern – mit und dank der Großen Koalition? Jens Wernicke sprach mit Ulrich Thöne, ehemaliger Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Herr Thöne, inzwischen liegt der Vertrag der geplanten Großen Koalition vor. Wie bewerten Sie diesen?
Bis zu den Zeiten der Formulierung eines gemeinsamen Koalitionspapiers war es der SPD in ihren Veröffentlichungen wichtig, die Kernaussage von CDU/CSU zu kritisieren, ein Gegenkonzept vorzulegen und für die Notwendigkeit eines Wechsels zu werben. Die CDU/CSU sagen mit der FDP: “Deutschland hat sich in den letzten Jahren wirtschaftlich so gut entwickelt wie kaum ein anderer Staat in Europa.” Das steht jetzt als eine der ersten Aussagen im Koalitionsprogramm. Alles sei auf dem richtigen Weg und es gehe darum, diesen Weg weiterzuverfolgen und ihn auszubauen. Oder anders ausgedrückt: Kritik an den Grundlinien dieser Politik sind völlig verkehrt.
Vor den Wahlen hat sich die SPD völlig zu Recht und in Übereinstimmung mit einer großen Mehrheit in der Bevölkerung für die Korrektur der ökonomisch schädlichen stark ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen ausgesprochen. Trotz einer parteiübergreifenden Mehrheit im Bundestag für diese Position hat sie sich jetzt für die vermutlich künftige Regierung davon total verabschiedet. Natürlich hat das Folgen. Der Staat hat bei dieser Finanzpolitik kein Geld, um die Ausgaben für Bildung z.B. nennenswert zu steigern.
Und was bedeutet das für den Bildungsbereich?
Dieses Koalitionsprogramm geht davon aus, dass in den Jahren “2009 und 2010 in Deutschland jeweils 9,5% des BIP für Bildung, Forschung und Wissenschaft ausgegeben” (Destatis, Bildungsfinanzbericht 2012, S.16) wurde. Das Ziel des “Bildungsgipfels von Dresden 2008”, nämlich 10% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Bildung (7%) und Forschung (3%) einzusetzen sei damit erreicht. Deshalb formuliert der Koalitionsvertrag vage, dass die neue Bundesregierung “die Mittel für Bildung … nochmals erhöhen” wolle.
Das aber steht in direktem Gegensatz zu dem, was die SPD, aber auch der DGB, auf Bundesebene dazu beschlossen hat. Ein solches Bild kann von niemandem gemalt werden, die oder der
vor Augen hat.
Aber die Bildungsausgaben wurden in den letzten Jahren doch massiv erhöht.
Nicht wirklich. Stattdessen haben die Statistiker der abgewählten Schwarz-Gelben Regierung kurzerhand u.a. geschätzte Ausgaben von 5,5 Mrd. € der Privathaushalte für den Nachhilfeunterricht, 7,6 Mrd. € für das Kindergeld und 8,7 Mrd. € aus den damaligen Konjunkturprogrammen, mit denen die Wirtschaft stabilisiert wurde, den Bildungsausgaben zugeschlagen. (Bildungsfinanzbericht 2012)
In ihren öffentlichen Beschlüssen ist die SPD immer von den Grundlagen der international vergleichbaren OECD Statistik ausgegangen. Danach hat Deutschland 2010 5,3 % für Bildung ausgegeben. Allein um die Bildungsausgaben an die durchschnittlich in der OECD üblichen Ausgabequoten angleichen zu können, müssten die Ausgaben um jährlich ca. 20 Mrd. € gesteigert werden. Dann wären di deutschen Bildungsausgaben OECD weit durchschnittlich, allerdings ohne den Nachholbedarf ausgeglichen zu haben.
Im Koalitionsvertrag wurde festgehalten: “Bildung, Wissenschaft und Forschung sind ein Kernanliegen der Koalition.” Geht man so mit einem Kernanliegen um?
Was wäre also stattdessen notwendig…?
Die schwarz-gelbe Koalition hatte 2009 in ihren Zielen formuliert: “Wir wollen Deutschland zur Bildungsrepublik machen, mit den besten Kindertagesstätten, den besten Schulen und Berufsschulen sowie den besten Hochschulen und Forschungseinrichtungen, d.h. die bestmögliche Bildung für alle.”
“Schwarz-Rot” zieht sich dagegen viel weiter ins Nirwana des “Kernanliegens” zurück. Die Koalitionäre wissen, dass der Staat für die dringend benötigen Verbesserungen Geld braucht. Aber das wollen sie ihm nicht geben. Im Vergleich zu den Bildungsausgaben von Dänemark z.B. müssten die Bildungsausgaben in Deutschland um 77 Mrd. € jährlich gesteigert werden.
Schwarz -Rot wird mit nahezu 80% den Bundestag majorisieren. Ein kräftiges Argument könnte die Notwendigkeit sein, starke Mehrheiten für einen Aufbruch schaffen zu müssen – so wie in Finnland in den 70er. Aber nicht einmal das mittlerweile von fast allen als falsch angesehene Kooperationsverbot, das heißt die finanzielle Beteiligungsmöglichkeit des Bundes an Bildungsausgaben der Länder, soll korrigiert werden. Dafür droht im Länderfinanzausgleich eine weitere Entsolidarisierung. Gleichzeitig wird die Chance leichtfertig vertan, aus der Verpflichtung zur inklusiven Bildung einen Schritt zur Verbesserung der Bildungseinrichtungen zu machen und den Kinder und Jugendlichen sowie den beteiligten Pädagoginnen und Pädagogen drohen weitere unzumutbare Verschlechterungen.
So wird Deutschland die Abhängigkeit des Bildungserfolgs der Kinder vom Geldbeutel der Eltern festigen und ausbauen. Was wir aber brauchen, ist das genaue Gegenteil. Und das ist unmöglich zu erreichen ohne eine massive Erhöhung der Mittel.
Sie empfehlen den über den Vertrag abstimmenden Sozialdemokraten also … was?
Ich bin kein Mitglied der SPD. Ich werbe dafür, den Koalitionsvertrag aufmerksam und genau zu lesen und sich dann ein eigenes Urteil zu bilden.
Die Positionen des Interviewpartners geben nicht zwingend die Positionen der NachDenkSeiten-Redaktion wieder. Sehr wohl aber sollen sie eines: …zum Nachdenken anregen.
Ulrich Thöne, geboren 1951 in Paderborn. Nach erfolgreichem Abschluss einer Berufsausbildung zum Bankkaufmannsgehilfen studierte er Wirtschafts- und Sozialwissenschaft sowie Pädagogik an der Uni Münster. 1999 übernahm er den Vorsitz der GEW Berlin, 2002 wurde er als Vorsitzender der GEW Berlin bestätigt. 2005 wählten ihn die Delegierten des 25. Gewerkschaftstages der GEW in Erfurt zum Vorsitzenden.
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