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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Nicht wundern – handeln!
Datum: 10. Dezember 2013 um 15:17 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Finanzkrise
Verantwortlich: Jens Berger
Ob Libor, Edelmetallpreise oder Devisenkurse – die Skandale um tatsächliche oder vorgebliche Manipulationen von Finanz-Referenzwerten häufen sich. Am letzten Mittwoch verdonnerte die EU-Kommission sechs Großbanken wegen der Manipulation von Zinssätzen zu einer Kartellbuße von 1,7 Milliarden Euro. Die Deutsche Bank war mit 725 Millionen Euro dabei. Dass solche Skandale immer wieder publik werden, ist schlimm genug. Erstaunlich ist jedoch die in den Medien regelmäßig artikulierte Verwunderung über die Auswüchse eines längst aus dem Ruder gelaufenen Finanzsystems. Von Günther Wierichs[*]
Diese Verwunderung ist völlig fehl am Platze, denn seit dem großen Lehmann-Knall vor gut fünf Jahren hat sich hinsichtlich einer dringend notwendigen Zähmung oder Eindämmung des spekulationsgetriebenen Agierens der Finanzmarktakteure nichts Grundlegendes geändert. Es sind vor allem zwei Faktoren, die dieses Agieren nach wie vor kennzeichnen.
Geradezu aberwitzig wird die Sache bei den Zinsfeststellungssystemen. Beispiel Libor bzw. Euribor: Hierbei handelt es sich um so genannte Referenzzinssätze, die als Grundlage für unzählige Finanzprodukte fungieren, darunter auch ganz alltägliche wie Baudarlehen oder Kontoüberziehungskredite (“Dispo”). Allein der in London ermittelte Libor vereinigt ein Geschäftsvolumen von etwa 500.000 Milliarden US-Dollar auf sich. Ermittelt wird der Libor aufgrund von Meldungen einer Handvoll Geschäftsbanken. Diese informieren eine zentrale Stelle telefonisch darüber, zu welchem Zinssatz sie einer anderen Bank einen Kredit gewähren würden. Wohlgemerkt: Würden! Es geht nämlich nicht um reale Transaktionen, die auch wirklich stattfinden bzw. stattgefunden haben (immerhin liegen solche realen Transaktionen beim Devisenfixing noch vor), sondern quasi um Absichtserklärungen. Absichten zu äußern, so wissen wir alle, ist billig; man muss die Absicht, die man kundgetan hat, ja nicht wirklich verfolgen. Absichtserklärungen, an denen Geschäftsvolumina in Billionenhöhe hängen, sind da schon eine andere Nummer. Besonders erschreckend ist hierbei, dass auch beim Zinsfixing jegliche Kontrolle fehlt. Anders kann man sich den jetzt aufgedeckten Skandal nicht erklären.
Die Fälle, in denen Banken mit satten Strafzahlungen belegt werden, häufen sich. Die von der EU-Kommission verhängten 1,7 Milliarden Euro nehmen sich, gemessen an der Rekordstrafe von umgerechnet knapp 10 Milliarden Euro, zu der kürzlich die amerikanische Großbank JP Morgan wegen ihrer dubiosen Immobilienkredite zur Kasse gebeten wurde, fast bescheiden aus. Solche Strafzahlungen sind für die betroffenen Banken gewiss schmerzlich. Angesichts des weiterhin enormen Gewinnpotenzials tun die Geldbußen ihnen jedoch nicht wirklich weh. Schlimmer ist da schon der Imageschaden. Aber was nützt das alles; es bedarf härterer Maßnahmen. Allgemein werden jetzt natürlich schärfere Kontrollen im Zusammenhang mit Zins- und Kusfeststellungssystemen gefordert. Schön und gut, aber was ist mit Maßnahmen, die nicht nur ein Herumdoktern am bestehenden System darstellen, sondern zu einem wirklichen Systemwechsel führen? Solche Maßnahmen gibt es. Sie werden bereits seit langem diskutiert und reichen von einer Finanztransaktionssteuer über ein Verbot bestimmter Derivate, ein Unterbinden von Eigenhandelstätigkeiten der Banken bis hin zur Abtrennung des spekulativen Investmentbanking vom regulären Bankgeschäft. Aber zur Umsetzung solcher Maßnahmen fehlte unseren Politikern bislang der Mut. Die Macht der Finanzlobby ist immer noch zu groß. Konsequente Maßnahmen sind jedoch notwendiger denn je. Denn dies ist das Gebot der Stunde: Nicht wundern – handeln!
[«*] Günter Wierichs (* 1955) studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und promovierte zum Dr. rer. pol. Er arbeitet als Fachleiter am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Düsseldorf und ist Autor mehrerer Lehrbücher, eines Bank- und Börsenlexikons sowie zahlreicher Aufsätze zu wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Themen. Ende August 2013 erschien im Westend-Verlag sein Buch: „Das kritische Finanzlexikon“.
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