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- Josef Foschepoth: “Die USA dürfen Merkel überwachen”
Die NSA hat deutsche Politiker schon immer ganz legal oberserviert, sagt der Historiker Foschepoth. Im Interview fordert er, Gesetze und geheime Verträge zu ändern.
ZEIT ONLINE: Der US-Geheimdienst hat offenbar auch das Handy der Kanzlerin abgehört. Überrascht Sie das?
Josef Foschepoth: Nein. Es gibt Verträge zwischen Deutschland und den ehemaligen Alliierten, die eine solche Überwachung erlauben. Da steht natürlich nicht drin, dass die Amerikaner die Kanzlerin abhören dürfen, aber auch nicht, dass sie das nicht dürfen. Ein Geheimdienst, der Interessantes erfahren will, observiert natürlich die Topleute. Daher ist völlig klar, dass die Kanzlerin wie andere führende Personen in Politik und Wirtschaft überwacht werden…
Das Besondere an der NSA-Affäre ist nur, dass die Geheimdienste jetzt über gigantische technologische Möglichkeiten verfügen, Milliarden an Überwachungsmaßnahmen gleichzeitig durchzuführen. Daneben gibt es aber weiterhin die Einzelüberwachung wichtiger Persönlichkeiten…
Die NSA wurde 1952 gegründet und ist gleichsam in Deutschland groß geworden. Die Bundesrepublik war für den US-Geheimdienst als Frontstaat im Kalten Krieg der bedeutendste Standort. Bei den Verhandlungen über den Deutschlandvertrag, den Truppenvertrag und die Rechte der Alliierten in den 1950er Jahren war eines der wichtigsten Themen die enge Zusammenarbeit der deutschen und der westlichen Geheimdienste. Die ist seitdem immer weiter ausgebaut worden. Ich habe kein einziges Dokument gefunden, in dem den USA und den anderen Alliierten irgendwelche Beschränkungen auferlegt wurden. Im Gegenteil: Mit der technischen Entwicklung wurden die Überwachungsformen immer vielfältiger – mit Kenntnis aller Bundesregierungen, egal welcher Couleur. Sie alle haben dem zugestimmt…
Als Regierungschefin dieses wichtigen Landes müsste sie von den Vereinbarungen wissen und über die Zusammenarbeit der Dienste informiert sein…Deshalb ist das schon ein bisschen Heuchelei, wenn sie sich nun öffentlich beschwert, nur weil sie jetzt selber betroffen ist….
Quelle: Zeit Online
Siehe dazu schon: “Die NSA darf in Deutschland alles machen”
Quelle: SZ
Anmerkung JB: Meines Erachtens führt Foschepoths Argumentation in eine Sackgasse. Niemand kann sagen, was in diesen geheimen Verträgen steht und ob sie überhaupt noch rechtskräftig sind. Und da diese Verträge, so sie denn überhaupt existieren, gegen das Grundgesetz verstoßen, würden sie ohnehin auf tönernen Füßen stehen. Ganz abgesehen davon, taugt die Argumentation, selbst wenn man sie akzeptiert, nur sehr partiell zur Verteidigung der NSA-Aktivitäten. Die NSA soll, so ein Memo, aus dem der Guardian letzte Woche zitierte, insgesamt 35 Staatschefs ausspioniert haben – für 34 von ihnen gelten mit Sicherheit keine Geheimverträge, die sich auf die Besonderheiten der Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg beziehen.
Es ist auch nicht sonderlich hilfreich, darüber zu diskutieren, ob die NSA im Ausland überhaupt abhören „darf“. Es gehört nun einmal – ob dies einem gefällt oder nicht – zu den ureigenen Aufgaben eines Auslandsgeheimdienstes im Ausland Gesetze zu brechen. Ein Dienst, der sich im Ausland an Gesetze und Vorgaben hält, wäre nun einmal kein Geheimdienst. Eine ganz andere Frage ist, ob die Länder, deren Gesetze gebrochen werden, dies auch akzeptieren und mit welchen Mitteln sie künftige Verstöße gegen eigene Gesetze verhindern und ahnden wollen. Hier hat die Diskussion in Deutschland gerade erst begonnen.
Dazu auch: 1000 Ohren in der Leitung
Von der Leichtigkeit, mobile Kommunikation zu überwachen
Dass die NSA offenbar auch das Handy von Angela Merkel abgehört hat, sorgte in der zurückliegenden Woche für viel Aufregung. Wie verhältnismäßig einfach es technisch sein kann, selbst das Telefon der Kanzlerin anzuzapfen, erläutert IT-Journalist Peter Welchering im Gespräch.
Quelle: Deutschlandfunk
- Orwell 2.0
- Das Ende der Anonymität
Was Drohnen und Facebook verbindet
David Lyon: In der von Ihnen als „flüchtig“ beschriebenen Moderne begegnet uns Überwachung in verschiedenen signifikant neuen Formen. Nach Ihrer Ansicht stehen für diese beispielhaft Drohnen und Soziale Medien. Beide erzeugen personenbezogene Daten zur digitalisierten Verarbeitung, allerdings auf unterschiedliche Weisen. Ergänzen diese beiden Medien einander dahingehend, dass wir uns durch den sorglosen Umgang mit dem einen, den Sozialen Medien, an die von uns weitgehend unbemerkte Erhebung personenbezogener Daten durch das andere, nämlich miniaturisierte Drohnen, gewöhnen? Und welche Folgen haben diese Entwicklungen für unsere Anonymität und relative Unsichtbarkeit im Alltag?
Zygmunt Bauman: Mit Ihrer Frage spielen Sie auf einen kleinen Text an, der vor einigen Monaten auf der Website „Social Europe“ erschienen ist. In diesem Essay habe ich mich mit zwei scheinbar unzusammenhängenden Zeitungsartikeln befasst, die an aufeinander folgenden Tagen, dem 19. und 20. Juni 2011, veröffentlicht wurden – wobei es keiner von beiden in die Schlagzeilen schaffte und man niemandem einen Vorwurf machen kann, der sie übersehen hat.
Der erste Artikel berichtet, dass die Drohnen der neuesten Generation nur noch so groß wie eine Libelle oder ein Kolibri sind und bequem auf einer Fensterbank landen können, damit sie, wie es ein Luftfahrtingenieur namens Greg Parker begeistert formuliert, selbst „bei bester Sicht verborgen bleiben“.[1] Im zweiten Artikel wird behauptet, dass das Internet das Ende der Anonymität herbeiführen werde.[2] Beide Mitteilungen sagen übereinstimmend den Untergang von Verborgenheit und Selbstbestimmung voraus, und sie sind unabhängig voneinander und ohne Kenntnis des jeweils anderen entstanden.
Die unbemannten Drohnen, die wie die berühmt-berüchtigten „Predator“-Modelle Spionage- und Kampfaufgaben übernehmen („Seit 2006 sind mehr als 1900 Aufständische in den pakistanischen Stammesgebieten von US-amerikanischen Drohnen getötet worden“), werden also demnächst zumindest im Bereich „Aufklärung“ auf die Größe kleiner Vögel schrumpfen, vorzugsweise auf die von Insekten.
Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik
- Hamburger Erklärung zur Totalüberwachung
- Erklären Sie, dass die anlass- und verdachtsunabhängige Totalüberwachung der deutschen Bevölkerung eine krasse Verletzung von Grundrechten sowie des deutschen (Straf-)Rechts darstellt, ganz gleich, wo sie stattfindet. Sie ist mit jeder freiheitlich-demokratischen Ordnung unvereinbar und daher sofort einzustellen.
- Bestellen Sie die Botschafter der USA und Großbritanniens förmlich ein, verdeutlichen sie diesen diese Haltung und fordern sie die sofortige Einstellung der Totalüberwachung.
- Prüfen Sie alle erdenklichen Maßnahmen auf EU-Ebene gegen Großbritannien als EU-Mitglied.
- Setzen Sie die Verhandlungen mit den USA über ein Freihandelsabkommen aus und kündigen Sie die »Safe-Harbour-Abkommen« sowie die Verträge zum Austausch von Fluggastdaten, bis die Totalüberwachung seitens der USA eingestellt wird.
- Schließen Sie sämtliche Standorte der NSA in Deutschland, damit die BRD ihre volle Souveränität erhält.
- Überprüfen Sie die Netze und Netzwerkeinrichtungen in Deutschland auf ihre Integrität hin, um ein »Abzapfen« von Daten auszuschließen.
- Veranlassen Sie strengere Kontrollen der deutschen Nachrichtendienste sowie des Bundesamts für Verfassungsschutz.
- Sorgen Sie dafür, dass Berichte vor Kontrollgremien künftig mit Vollständigkeitserklärungen unter Eid erstattet werden müssen.
- Stoppen Sie die Verwendung von Programmen wie XKeyscore oder stellen Sie diese zumindest unter eine strenge Prüfung der verdachtsbezogenen Verwendung.
Quelle: Rechtsanwälte gegen Totalüberwachung
- Who Buys the Spies? The Hidden Corporate Cash Behind America’s Out-of-Control National Surveillance State
Long before President Obama kicked off his 2008 campaign, many Americans took it for granted that George W. Bush’s vast, sprawling national security apparatus needed to be reined in. For Democrats, many independents, and constitutional experts of various persuasions, Vice President Dick Cheney’s notorious doctrine of the “unitary executive” (which holds that the President controls the entire executive branch), was the ultimate statement of the imperial presidency. It was the royal road to easy (or no) warrants for wiretaps, sweeping assertions of the government’s right to classify information secret, and arbitrary presidential power. When Mitt Romney embraced the neoconservatives in the 2012 primaries, supporters of the President often cited the need to avoid a return to the bad old days of the Bush-Cheney-Rumsfeld National Security State as a compelling reason for favoring his reelection. Reelect President Obama, they argued, or Big Brother might be back.
Quelle: AlterNet
- Chronik einer Affäre
Die Vorwürfe der Überwachung in Deutschland seien „vom Tisch“, Verdächtigungen „ausgeräumt“ und „Fragen, die aufgeworfen wurden, geklärt“. So redeten höchste Regierungsvertreter noch vor wenigen Monaten.
– Am 6. und 7. Juni berichten der britische „Guardian“ und die „Washington Post“ zum ersten Mal über das geheime Überwachungsprogramm „Prism“ des amerikanischen Geheimdienstes NSA. Mit dem Programm könne die NSA auf die Serverdaten fast aller großen Internetkonzerne zugreifen, heißt es. Die Informationen stammen von dem früheren amerikanischen Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der sich zu diesem Zeitpunkt auf der Flucht vor der amerikanischen Justiz in Hong Kong aufhält.
Quelle: FAZ
- CDU will Rechte des Bundestags beschneiden
Freie Hand für die Regierung für manche Einsätze deutscher Soldaten im EU-Rahmen: Verteidigungsminister de Maizière soll bei den Koalitionsgesprächen auf diese CDU-Forderung pochen. Die Causa könnte zum Knackpunkt werden – denn die SPD ist dagegen. (…)
Bereits in der vergangenen Legislaturperiode hatte die CDU versucht, die Zustimmungsrechte des Bundestags zu begrenzen. Nach den Vorstellungen des stellvertretenden Fraktionschefs Andreas Schockenhoff, der der Unions-Verhandlungsgruppe angehört, sollen bestimmte Einsätze im EU-Rahmen von der Bundesregierung ohne das Plazet des Parlaments beschlossen werden können. Dem Bundestag bliebe dann nur ein Rückholrecht.
Das Zusammenlegen von bestimmten militärischen Fähigkeiten in der EU, so argumentieren de Maizière und Schockenhoff, könne sonst scheitern. Denn die europäischen Bündnispartner könnten besorgt sein, dass der Bundestag den Einsatz verweigere. Der SPD-Verhandlungsführer, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, entgegnete, seine Partei sehe keinen Anlass für eine Gesetzesänderung. Das Thema gilt als kniffligster Punkt in den Koalitionsgesprächen über die Außen- und Sicherheitspolitik.
Quelle: Süddeutsche.de
Dazu: Militäreinsätze: Weniger Rechte fürs Parlament
Laut Spiegel (Printfassung) will Bundesverteidigungsminister de Maizière bei den Koalitionsgesprächen erreichen, dass die Mitwirkungsrechte des Bundestages bei Auslandseinsätzen eingeschränkt werden sollen, um die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Europa zu erleichtern. Dem Bundestag bliebe dann nur noch ein Rückholrecht. SPD-Fraktionschef Steinmeier sehe keinen Anlas für ein Gesetzesänderung.
Quelle: Spiegel (Printfassung, nicht im Netz)
- Sinnlos wanderndes Geld
Viele Sparer und Anleger haben Angst um ihr Finanzvermögen – und kaufen hektisch Immobilien, Aktien oder Gold. Aber damit ist das Geld nicht aus der Welt, sondern hat nur die Hände gewechselt. Der Käufer hat jetzt eine Aktie oder ein Haus, während der Verkäufer den finanziellen Gegenwert auf seinem Konto wiederfindet.
Mit dem Geld ist auch das Problem gewandert: Nun steht der Verkäufer der Aktie oder Immobilie vor der Frage, wie er sein Finanzvermögen wieder anlegen könnte. Zur Ironie des Kreisverkehrs gehört, dass der Verkäufer meist neue Wertpapiere oder Häuser erwirbt, um sein Geldvermögen zu “sichern”. Die Aktien wandern genauso wie das Geld.
Dieser Kreisverkehr ist zwar bizarr, aber nicht folgenlos, er treibt die Aktienkurse und Immobilienpreise nach oben, weil die rege Nachfrage suggeriert, dass die Kurse noch weitersteigen könnten…
Die deutsche Wirtschaft dürfte in diesem Jahr nur um mickrige 0,5 Prozent wachsen, wie Noch-Minister Philipp Rösler am Mittwoch bekannt gab.
Das viele Geld scheint also nicht in der Realwirtschaft anzukommen, sondern wird zwischen reichen Anlegern nur hin und her geschoben – solange es im Inland bleibt. Aber es gibt ja noch das Ausland, und dorthin fließt das überschüssige Geld der Deutschen am Ende ab. Dieses Phänomen hat auch einen Namen: “Exportüberschuss”…
Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht: Im Inland kreist das Geld von einer Hand zur nächsten und befeuert scheinbare “Wertsteigerungen”, während es im Ausland bereits abgeschrieben werden muss.
Quelle: taz
- The Dirty War for Europe’s Integrity and Soul
On 23rd October 2013, I was honoured by the Department of History of the University of Western Sydney with an invitation to deliver their inaugural Europe Public Lecture. The event took place in the State Library of New South Wales, in Sydney. The talk will be transmitted by ABC Radio National’ ‘Big Ideas’ program on 30th October (watch this space for a link). You can also hear this interview, on the theme of my talk, with Philip Adams on Late Night Live. Read on for the full transcript of the talk… (…)
Europe has been a beacon on humanity’s proverbial hill since the end of the Second World War. Unifying hitherto warring nations on the basis of popular mandates founded on the promise of shared prosperity, the erection of common institutions, the tearing down of ludicrous borders that previously scarred the land – this was always both a tall order and an enchanting dream.
The EU could even pose as a blueprint that the Rest of World might draw courage and inspiration from so as to move closer together.
- To create a common land without an authoritarian Empire.
- To forge bonds that rely not on kin, language, ethnicity, a common enemy – but on common values and humanist principles.
- A commonwealth were Reason, Democracy, respect for human rights, and a decent social safety net provide its multi-national, multi-lingual, multi-cultured citizens a canvass on which to become the men and women that their talents allow them to grow into.
When I was growing up in Greece’s neofascist dictatorship the thought of one day joining this emergent Europe of free nations had a magnetic effect. We all saw the prospect of becoming part of an inclusive Europe as an escape from irrationality and from barbarism. Similarly for the peoples on the wrong side of the iron curtain who, two decades later entertained similar thoughts.
Quelle: Yanis Varoufakis
- Die Börsen im Rekordrausch und die herrschende politische und ökonomische Leere
Dieser Tage kann man wieder das wundervolle Spektakel erleben, wie sich halbwegs erwachsen aussehende Menschen vor Börsensäle mit vielen Computern und Bildschirmen stellen und wie im Rausch davon reden, ob diesmal die magische Marke genommen, ob der 9000er endlich bestiegen wird. Die Börsen sind auf Rekordjagd und es ist kein Ende abzusehen. Schöner könnte man nicht belegen, dass jeder Versuch, diesen Märkten Effizienz zu bescheinigen, nur aus unsinnigen Modellen abgeleitet werden kann.
Seit Monaten schon wird der Rausch an den Börsen hauptsächlich von zwei Nachrichten getrieben. Erstens: Die Lage bessert sich, was auch die Lage der Unternehmen verbessert. Ein Grund für die Kurse zu steigen. Zweitens: Die Lage verschlechtert sich, was die Notenbanken dazu nötigt, auch weiterhin die Zinsen sehr niedrig zu lassen und etwa im Falle der USA weiter Geld in die Märkte zu pumpen durch Aufkauf amerikanischer Staatsanleihen. Wiederum ein Grund für die Kurse zu steigen – denn wohin sonst mit dem ganzen Geld? Was auch immer geschieht, die Kurse an den Börsen ziehen an, und die Spekulationsblase wird immer dicker.
Quelle: flassbeck-economics
- Das systemische Risiko der Dummheit
Im Hochfrequenzhandel kommunizieren Maschinen mit Maschinen und bewegen in Sekundenschnelle riesige Finanzsummen. Die elektronische Parallelwelt birgt auch das Risiko, ganze Volkswirtschaften in die Krise zu stürzen. (…)
In einem elektronischen Paralleluniversum von Daten und Maschinen geschehen also Dinge jenseits der Wahrnehmung durch uns Menschen, von denen wir nichts wissen und, schlimmer noch, deren Auswirkungen auf unser reales Leben wir nicht mehr einschätzen können. Das Auftreten jener ultraschnellen Micro Flashes, so das Forscherteam, habe während der jüngsten Krisen zugenommen, verursacht durch immer schnellere Algorithmen, uns geläufig als Hochfrequenzhandel oder „High Frequency Trading“.
Obwohl das Forscherteam die Antwort schuldig bleibt, ob Hochfrequenzhandel und Micro Flashes die großen Krisen der vergangenen Jahre mit ausgelöst haben könnten, drängt sich der Gedanke auf: Ultraschnelle Handelsalgorithmen sind ein systemisches Risiko für unsere Volkswirtschaften – das umso mehr, wenn offenbar niemand in der Lage ist, ihr Verhalten zu kontrollieren. Hier also steht uns das nächste Risiko ins Haus, nachdem man sich vor dem Credit Crunch 2008/9 zu sehr auf finanzmathematische Modelle verlassen hatte, von denen man glaubte, sie hätten das Kreditausfallrisiko amerikanischer Hauseigentümer so weit gestreut, dass es nicht mehr relevant sei. Eine fatale Fehleinschätzung der Banker, wie wir heute wissen.
Quelle: FAZ
- Wanderarbeiter in Deutschland – Unsere neuen Hungerlöhner
Sie kommen aus Rumänien und Bulgarien nach Deutschland und machen Arbeiten, die sonst keiner machen will. Unter Bedingungen, die menschenunwürdig sind. Eine Reportage. […]
Dass die Ausbeutung der Wanderarbeiter funktioniert, folgt einer Logik. Der rumänische Subunternehmer und der rumänische Bauarbeiter bilden ein Kartell: Zum deutschen Mindestlohn will der Unternehmer den Bauarbeiter nicht – also willigt der in den Dumpinglohn ein, schließlich ist das immer noch mehr, als er in Rumänien verdienen würde.
Weg zum Anwalt meist aussichtslos
Zumindest meistens. Der Offenbacher Arbeitsrechtsanwalt Frederic Raue berichtet von Hunderten Fällen, in denen Wanderarbeiter monatelang gar kein Geld mehr bekommen haben. Wer aufmuckt, dem wird das Eisenbett im Zimmer gekündigt. Schon ist der Wanderarbeiter auf der Fahrt nach Hause. Wer es trotzdem zum Anwalt schafft, hat schlechte Karten. Wenn Raue den Generalunternehmer verklagt, meldet der gegnerische Anwalt im Gegenzug schriftliche Zweifel an: Ob es sich bei dem Kläger tatsächlich um einen Rumänen handele? Der Papierkrieg schindet Zeit, und irgendwann muss der Kläger nach Hause fahren. Dass in keinem anderen Land der EU so wenige Menschen Zugang zum Internet wie in Rumänien haben, macht den Klageprozess nicht einfacher.
Quelle: FAZ
Anmerkung unseres Lesers J.A.: Ob die FAZ dann immer noch argumentieren will, ein Mindestlohn und weitere Arbeitsmarktregulierungen (z. B. die Bekämpfung des Mißbrauchs von Werkverträgen) würden “nur den Arbeitsmarkt verriegeln”?
- Umfassende SGB II–Änderungen geplant
Unter Federführung der Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) wurde eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet, die massive Änderungen und Verschärfungen zum SGB II plant. Dazu gibt es eine erste Veröffentlichung in der die Änderungen unter dem Motto: „Vereinfachung des passiven Leistungsrechts – einschl. des Verfahrensrechts – im SGB II” dargestellt werden. Diese möchten wir der interessierten Fachöffentlichkeit nicht vorenthalten. Werden die Vorschläge konkreter, ist es wichtig sich dazu öffentlich zu positionieren.
Quelle: Tacheles e.V.
- Zwangsweise zum Psychiater
Jobcenter dürfen Erwerbslose nicht unter Androhung von Sanktionen zu medizinischen Behandlungen nötigen, entschied das Sozialgericht Schleswig
Um dessen »Leistungsfähigkeit zu verbessern«, wollte das Jobcenter Schleswig-Flensburg einen Klienten dazu zwingen, sich psychiatrisch behandeln zu lassen. Damit habe es eindeutig gegen Grundrechte verstoßen, wies das Sozialgericht Schleswig die Behörde jetzt in die Schranken, wie die Rechtsanwältin des Klägers, Luisa Milazzo, informierte.
Quelle: junge Welt
Anmerkung C.R.: Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor in den letzten Jahren entschieden, dass die Anordnung einer Psychotherapie einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte darstellt; z.B. hier nachzulesen.
Derartige Eingriffe bedürfen der gesetzlichen Grundlage, die auch im beschriebenen Sachverhalt fehlte.
- SPD uneins über Tempo der Energiewende
Führende SPD-Politiker verlangen beherzten Klimaschutz und eine schnelle Energiewende. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft bremst hingegen: Arbeitsplätze zu erhalten habe Vorrang.
In der SPD zeichnet sich eine Richtungsdebatte über den künftigen Kurs in der Energie- und Umweltpolitik ab. Prominente SPD-Politiker machen sich in einem offenen Brief an den SPD-Parteivorstand dafür stark, den Themen Umwelt und Klima in den Koalitionsverhandlungen mit der Union größere Bedeutung zu geben. „Wir erwarten von unserer Verhandlungsführung ein klares Eintreten für Langfristigkeit, Klima und Umwelt“, machten Erhard Eppler, Monika Griefahn, Volker Hauff, Jo Leinen, Gesine Schwan und Ernst-Ulrich von Weizsäcker in ihrem Schreiben deutlich. Es müsse wieder einen klaren Schwerpunkt der SPD bei Klima- und Nachhaltigkeitspolitik geben.
Im Einzelnen forderten die Unterzeichner des Briefes, dass bei der Energiewende auch ein Schwerpunkt auf Energieeffizienz gelegt werden müsse. „Die Subventionen für klimaschädliche Energieträger müssen konsequent abgebaut werden“, hieß es in dem Schreiben. Klimaschutzgesetze wie in Bundesländern mit SPD-Regierungsbeteiligung müssten „Vorbild für den Bund“ sein. Entsprechend müsse sich der Bund auf EU-Ebene einsetzen.
Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) stellte sich demgegenüber hinter Forderungen von Industrie und Stromkonzernen. Kraft machte in dem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ deutlich, dass Arbeitsplätzen zu erhalten Vorrang haben müsse vor einer schnellen Energiewende. „Wichtig ist, dass wir die Industriearbeitsplätze in unserem Land erhalten“, sagte die Regierungschefin des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslandes.
Quelle: FAZ
Passend dazu: Kraft setzt die Grünen unter Druck
Das ging schnell. Am Donnerstag machte Post-von-Horn die Leser darauf aufmerksam, dass die rot-grünen Bündnisse in den Ländern unter Druck geraten, weil Hannelore Kraft bei den Verhandlungen über eine große Koalition in Berlin die Energiewende bremsen werde. Zwei Tage später trat Kraft auf das Bremspedal. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung macht sie die Differenzen zu den Grünen deutlich.
Die Energiewende dürfe keine Arbeitsplätze kosten, betont sie. Der Strom müsse für Unternehmen und Haushalte bezahlbar bleiben. Beide Ziele sind nur zu erreichen, wenn die regenerativen Energien langsamer ausgebaut und konventionelle Kraftwerke gesichert werden. Behalte die Energiewende ihr Tempo, seien Arbeitsplätze in der Industrie gefährdet, sagt Kraft.
Damit trifft sie vor allem ihren kleinen grünen Düsseldorfer Koalitionspartner. Der rot-grüne Koalitionsvertrag sieht einen noch schnelleren Ausbau der alternativen Energien vor. Die Grünen sind längst alarmiert. Sie warnen Kraft, den Bündnisvertrag zu brechen.
Quelle: Post von Horn
- Menschen, Tiere, Kostenexplosionen!
In der fortdauernden Posse um den Berliner Flughafen geht es nicht mehr nur um die handelnden Personen und deren Unfähigkeit – sondern um ein System, das unfähig ist zur Korrektur und Erneuerung. (…)
Niemand glaubt ja seit der Banken- und Finanzkrise von 2008 ff. ernsthaft mehr an die Rationalität der Märkte – außer natürlich die Ökonomen. Und immer weniger glauben bei einem Spektakel wie dem Berliner Flughafen noch an die Rationalität der Politik – außer natürlich die Politiker.
Das ist der Schaden und die Gefahr bei all dem: Der Zynismus der Handelnden überträgt sich auf das System. Anders gesagt: Der finanzielle Schaden lässt sich in Euro beziffern, der politische Schaden nicht.
Quelle: Spiegel Online
- Tea Party: Extremismus der Mitte
Der Haushaltsstreit in den USA illustriert den zunehmenden Einfluss rechtsextremer Kräfte innerhalb der Republikanischen Partei […]
Tatsächlich handelt es sich bei der neu aufkommenden Ideologie der extremen amerikanischen Rechten um eine regressive und irrationale Verarbeitung von Krisenängsten, die mit einem zunehmenden Rassismus in der erodierenden weißen US-Mittelsicht angereichert wird. Im Hass auf die als “allmächtig” empfundene US-Regierung kommt die Ohnmacht zum Vorschein, die angesichts der unkontrollierbaren Krisendynamik und der damit einhergehenden sozialen Verwüstungen viele amerikanische Vorstädte erfasste.
Man will zurück in eine idyllisch ausgemalte Vergangenheit, die es eigentlich nie gab. Den sich beschleunigenden Abstieg der weißen Mittelsicht will die Tea-Party aufhalten, indem die in dieser “Mitte” bestehenden ideologischen Anschauungen ins extrem getrieben werden: Die irrationale Zuspitzung der neoliberalen Litanei von Selbstverantwortung, Leistungswillen, Unternehmergeist und Regierungsskepsis bildet eigentlich den Kern der Tea-Party-Ideologie.
Es ist somit ein klassischer “Extremismus der Mitte”, bei dem die im Mainstream herrschenden weltanschaulichen Vorstellungen ins extrem getrieben werten, der sich in Reaktion auf die Krisenverwerfungen der US-amerikanischen Rechten bemächtigt. Was den US-Wirtschaftsverbänden in ihrer eigenen traditionellen Partei urplötzlich feindlich gegenübertritt, ist das extreme Resultat jahrzehntelanger neoliberaler Indoktrination, die gerade von diesen Wirtschaftsverbänden maßgeblich gefördert wurde. Die Tea-Party benutzt die Polemik gegen Steuererhöhungen und “Big Government” nicht rein taktisch, um sich geldwerte Steuer- und Standortvorteile zu verschaffen, wie es die amerikanische Wirtschaftslobby tut. Die rechten Hardliner glauben tatsächlich daran, dass der Kapitalismus wieder reanimiert würde, wenn der Staat weitestgehend zerschlagen und jedwede Daseinsvorsorge einfach den betroffenen Menschen selbst überlassen würde.
Quelle: Telepolis
passend dazu: Inside the GOP – Report on focus groups with Evangelical, Tea Party, and moderate Republicans
If you want to understand the government shutdown and crisis in Washington, you need to get inside the base of the Republican Party. That is what we are doing in the Republican Party Project and these focus groups with Evangelicals, Tea Party, and moderate Republicans. All the passion, nuances and divisions found expression when we conducted this work in the summer.
Quelle: Democracy Corps [PDF – 1.2 MB]
- “Das tut weh”: Aus für Premier Juncker nach 18 Jahren
Luxemburg: Liberaler erhält Regierungsbildungsauftrag. Im Fürstentum steht ein historischer Machtwechsel bevor. Großherzog Henri beauftragte nun nicht Juncker sondern den Liberalen Bettel als Regierungschef.
Quelle: Die Presse
Anmerkung unseres Lesers M.W.: Nun trifft es mit Jean-Claude Juncker (CSV) den dienstältesten Regierungschef der gesamten EU. Gerade die Menschen in Deutschland sollten nun ganz genau nach Luxemburg gucken, zeigt sich dort doch, dass in einer Demokratie keinerlei Regierungsanspruch für die mit Abstand stärkste Partei besteht und ein solcher Prozess des Wandels auch nicht von Medien mit Wählertäuschung, mangelnder Staatsverantwortung etc. begleitet werden muss. In Luxemburg stellt sogar mit den Liberalen (DP) höchstwahrscheinlich den zukünftigen Regierungschef, obwohl die Sozialdemokraten (LSAP) 2% mehr Wählerstimmen erhalten haben. Es gibt also auch hier keinerlei Selbstverständlichkeit, dass eine schwächere Partei nicht im Zuge von Verhandlungen zum Amt des Regierungschefs kommt. Die voraussichtliche neue Regierung in Luxemburg aus LSAP (Sozialdemokraten), DP (Liberalen) und Greng (die Grünen) wird in Zukunft 32 von 60 Sitzen im luxemburgischen Parlament haben – die knappe Mehrheit hindert aber keine der beteiligten drei Parteien die historische Chance auf einen nationalen Machtwechsel zu ergreifen.
Nachdenkseiten-Lesern ist es vielleicht noch bewusst, weite Teile der Bevölkerung haben es aber nicht vor Augen: Auch in Deutschland wäre eine Ablösung von Bundeskanzlerin Merkel von einer drei Parteienkoalition aus SPD, Linke und Grünen nach der BTW 2013 zum zweiten Mal nach 2005(!) möglich. Alle drei Parteien haben in Ihren Wahlprogrammen viel größere Übereinstimmungen als die nun angestrebte Koalition aus CDU/CSU und SPD.
Es wäre interessant, wenn auch in Deutschland die Medien neutral und überparteilich berichten würden und ihren Lesern und dem Volk demokratische Selbstverständlichkeiten vermitteln würden, statt mit Umfragen inkl. geschickter Fragestellungen einen angeblichen Wählerwillen für die große Koalition zu zementieren.
Schön, dass es auch noch eine andere Berichterstattung in Europa zum gleichen Sachverhalt gibt, schade jedoch das weite Teile der Bevölkerung in Deutschland bereits der Meinungsmache erlegen sind und scheinbar sogar demokratische Selbstverständlichkeiten nicht mehr kennen. Aber nicht nur über weite Teile der Bevölkerung, sondern auch über das Spitzenpersonal insbesondere der SPD sollten sich alle Wähler Gedanken machen. Wenn die derzeitige Parteiführung der SPD Wählerwillen und den Willen der Parteibasis ignoriert, dann sollte die Basis eine neue Parteiführung wählen, die die Option zu nutzen weiß und die Chance auf einen Machtwechsel mit SPD Kanzler und den Inhalten der SPD durchsetzt. Andernfalls muss die SPD sich nicht wundern, dass ihr kaum noch ein Wähler glaubt und die nächsten Partei- und Wahlprogramme können direkt 1:1 von der CDU/CSU oder direkt von Arbeitgeberverbänden und Think Tanks übernommen werden.
Zur Verdeutlichung hier das Wahlergebnis 2013 in Luxemburg:
- CSV 33,7% (23 Sitze)
- LSAP 20,3% (13 Sitze)
- DP 18,3% (13 Sitze)
- Greng 10,1% (6 Sitze)
- ADR 6,6% (3 Sitze)
- Lenk 4,9% (2 Sitze)
Quelle: Wort.lu
- Transnationales Staatshaftungsrecht? Kundus vor Gericht
Nächste Woche beginnt vor dem Landgericht Bonn die Beweisaufnahme in der Verhandlung über die Schadensersatzklagen der Opfer des Kundus-Angriffs. Nur wenige Wochen zuvor hat das Bundesverfassungsgericht seine Kammerentscheidung zu den Verfassungsbeschwerden der Opfer der Bombardierung der Brücke von Varvarin im Kosovo-Krieg veröffentlicht. Zwar hat die Erste Kammer des Zweiten Senats die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, aber sie hat doch einige entscheidende Hinweise zur Kontur eines transnationalen Staatshaftungsrechts gegeben. Vor dem Landgericht Bonn wird sich zeigen, wie die Zivilgerichte dies aufnehmen werden. (…)
Mehr als vier Jahre ist es nun her, dass die Bundeswehr in Kundus am Abwurf von zwei 500-Pfund-Bomben auf von Taliban entführte Tanklaster beteiligt war. Durch den Einsatz, den Oberst Klein am 04. September 2009 befohlen hatte, starben mehr als 100 Menschen. Seither beschäftigt das Kundus-Bombardement die deutsche Justiz. Während die staatsanwaltlichen Ermittlungen schon 2010 durch den Generalbundesanwalt eingestellt worden sind und über die hiergegen anhängige Verfassungsbeschwerde durch das BVerfG noch nicht entschieden wurde, kommt mittlerweile Bewegung in die zivilgerichtlichen Verfahren. Am 30. Oktober 2013 wird vor dem LG Bonn eine erste Beweisaufnahme stattfinden.
Quelle: Verfassungsblog
- Illegale Praxis
Die UN-Vollversammlung befaßte sich erstmals mit dem Einsatz von Kampfdrohnen
Seit rund zehn Jahren werden regelmäßig unbemannte Flugkörper, sogenannte Drohnen, zur Tötung von Menschen benutzt, hauptsächlich von den USA. Am Freitag wurde das Thema zum ersten Mal von der Vollversammlung der Vereinten Nationen diskutiert. Übertönt von dem geräuschvollen Theater um Kanzlerin Angela Merkels abgehörtes Handy blieb die menschenrechtlich sehr viel wichtigere Debatte um die ferngesteuerten Mordmaschinen in den deutschen Medien fast unbeachtet.
Zwei Zwischenberichte lagen der Vollversammlung vor: Der eine vom Briten Ben Emmerson, dem UN-Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Schatten der »Terrorismusbekämpfung«. Der andere vom Südafrikaner Christof Heyns, dem Berichterstatter zu außergerichtlichen, summarischen und willkürlichen Tötungen. Beide Berichte bezogen auch Tötungen durch Angriffe mit Flugzeugen, Hubschraubern und Raketen mit ein und waren nicht ausschließlich auf US-Aktionen beschränkt.
Gegenwärtig sind es jedoch nur drei Länder, die bewaffnete Drohnen für Tötungsoperationen einsetzen: neben den Vereinigten Staaten, in sehr viel geringerem Umfang, auch Großbritannien und Israel. Während sich die ersten beiden grundsätzlich bereit erklärt haben, mit den UN-Berichterstattern zu kooperieren, lehnt Israel ausdrücklich jede Zusammenarbeit ab.
Quelle: junge Welt
- Studenten mit 70-Stunden-Woche
Die Ergebnisse der DSW-Studie sind insgesamt wenig schmeichelhaft für die bisherige Bildungspolitik. So ist beispielsweise die soziale Selektivität beim Hochschulzugang nach wie vor erschreckend stabil. Von 100 Akademiker-Kindern studieren 77; von 100 Kindern aus Familien ohne akademischen Hintergrund schaffen hingegen nur 23 den Sprung an eine Hochschule.
Die Studie verdeutlicht zudem ein weiteres Mal, wie wichtig eine staatliche Studienförderung ist. Während vier Prozent der Studierenden Stipendien und sechs Prozent Studienkredite erhalten, ist für immerhin ein Viertel aller Studierenden das Bafög neben dem Elternunterhalt und dem Zuverdienst durch Erwerbstätigkeit die wichtigste Säule der Studienfinanzierung. Die durchschnittliche Höhe der außerstaatlichen Stipendien, die dabei ganz überwiegend eher für herausragende Leistungen denn zur Kompensation materieller und familiärer Nachteile vergeben werden, beträgt dabei 336 Euro im Monat. Eine Summe also, die alles andere als auskömmlich ist – zeigt die Studie doch ebenfalls auf, dass der durchschnittliche Studierende 864 Euro im Monat an Einkommen hat und auch braucht.
»Was uns auffällt und aufstößt: Differenziert nach der Bildungsherkunft sind es häufiger Studierende mit niedriger Herkunft, die einen Kredit aufnehmen – und bei den Stipendien ist es genau umgekehrt«, konstatiert DSW-Präsident Timmermann…
Im Vergleich zu 2009 geben zudem bedeutend mehr Studierende der Bildungsherkunft »niedrig« an, den Förderungsanspruch aufgrund einer nicht erbrachten Leistungsbescheinigung verwirkt zu haben (2012: 20 Prozent, 2009: 15 Prozent). Deutlich seltener trifft das auf Studierende der Herkunftsgruppe »hoch« zu (2012: vier Prozent, 2009: neun Prozent).
Positiv hebt die Studie hervor, dass die mittels der »Bologna-Reform« eingeführten Bachelor- und Masterstudiengänge allmählich zu greifen beginnen. So zumindest deutet man das Ergebnis, dass die Studierenden 2012 nur noch 42 statt wie noch 2009 44 Stunden pro Woche für Studium plus Jobben aufwandten. Der Rückgang der Erwerbstätigenquote sei dabei auch eine Folge der Abschaffung der Studiengebühren. Insbesondere ist der Anteil laufend erwerbstätiger Studierender in den Herkunftsgruppen »niedrig« und »mittel« um neun bzw. sechs Prozentpunkte gesunken…
Vier Prozent der Studierenden, überproportional solche aus Nicht-Akademiker-Familien, kommen dabei sogar auf eine Belastung von mehr als 70 Stunden in der Woche.
Quelle 1: ND
Quelle 2: Sozialerhebung des DSW
- Sahra Wagenknecht liest Safranski: Goethe sah die Gefahren einer durchkommerzialisierten Gesellschaft vor Marx
Was Goethes Unbehagen verursachte, waren nicht die Telegraphen und nicht die Dampfmaschine. Es war die sich ankündigende Diktatur der Märkte und des Profits, die der Dichter als existentielle Bedrohung empfand. Wenn Marx über die kapitalistische Ordnung schreibt, sie habe „kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übrig gelassen als das nackte Interesse, die gefühllose ,bare Zahlung . . . Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt“, trifft er ziemlich genau den Grund, aus dem Goethe mit seiner Epoche haderte.
Goethe hat die drohende Zerstörung von Kultur, Zivilisation und Humanität in einer durchkommerzialisierten Gesellschaft bereits lange vor Marx mit verblüffender Klarheit vorhergesehen. Ihm graute vor Verhältnissen, in denen sich alles rechnen muss. Eine gesellschaftliche Ordnung, die die wertvollsten Eigenschaften des Menschen – Liebesfähigkeit, Sehnsucht nach menschlichen Bindungen, nach Harmonie und Schönheit – verkümmern lässt und seine schlechtesten – Habsucht, Egoismus, soziale Ignoranz – gnadenlos kultiviert, musste Goethe als Affront gegen den Kerngedanken seiner Literatur empfinden. Der Homo oeconomicus, der Mensch als von niederen Instinkten angetriebener roboterhafter Nutzenoptimierer, ist die fundamentalste Infragestellung des klassischen Menschenbildes, die sich denken lässt.
Quelle: FAZ