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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Kurzer Dienstweg eines Agenda-2010-Ingenieurs u.a.m. – Nachtrag zu Wolfrums Werk
Datum: 16. Oktober 2013 um 12:32 Uhr
Rubrik: Agenda 2010, Rezensionen, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Albrecht Müller
Zu meinem Beitrag vom 18.9.2013 über das Buch des Heidelberger Professor Wolfrum „Rot-Grün an der Macht“? „Müssen Historiker so tendenziös und so schlecht arbeiten wie der Autor Wolfrum …“ erhielten wir einige interessante Beiträge von NachDenkSeiten-Lesern. In diesen Beiträgen wird davon berichtet, wie sich Wissenschaftler, namentlich die Historiker Winkler, Wehler und der Autor Wolfrum instrumentalisieren lassen bzw. selbst versuchen, Politik zu machen. Im konkreten Fall geht es um das Programm und die Durchsetzung der Agenda 2010. Das abgekartete Zusammenspiel von Politik, Geldgebern und Wissenschaft wird sichtbar. – Wer sich für die Entstehungsgeschichte der Agenda 2010 und auch für die Tücken der Geschichtsschreibung nicht besonders interessiert, sollte diesen Text vielleicht nur überfliegen. Für Interessierte enthält er viel Material und gute Gedanken. Der Dank dafür gebührt den NachDenkSeiten-Lesern. Albrecht Müller.
Beitrag I:
Der erste zitierte NachDenkSeite-Leser weist auf die Finanzierung des Buches von Wolfrum und die Mitgliedschaften des Autors hin:
„Die Finanzierung des Buches ist … Schnell geklärt.
Die Erstellung war ein Forschungsprojekt der Fritz Thyssen Stiftung, dessen Ergebnisse im Buch publiziert werden.
Sehen Sie zu Mitgliedschaften Wolfrums in Stiftungen etc. dessen Profilseite ein.
Beitrag II
Hagen Kühn, ehemaliger Mitarbeiter des Wissenschaftszentrums Berlin:
Lieber Herr Müller,
noch einige Anmerkungen zu Ihrer Rezension bzw. dem Buchautor:
Soweit ich im Internet sehen kann ist Herr Edgar Wolfrum eine Normalfigur des heutigen etablierten Wissenschaftsbetriebs. Im Vergleich zu Leuten wie Kocka oder Wehler ist sein “akademisches Kapital” (Prestige, Mitgliedschaften. Einladungen etc.) wie Zweite Bundesliga zu Champions League. Aber er hat seine Investitionen getätigt und seine Netzwerke geknüpft. Zu den “Investitionen” würde ich sein Buch mit dem vielsagenden Titel “Die geglückte Demokratie”, Geschichte der Bundesrepublik … zählen. Das ist zwar nicht die hohe (am besten in Pseudokritik verpackte) ‘Kunst des Speichelleckens’, aber 2005 in der Blüte des Neoliberalismus hatte ja das Wort “Erfolgsgeschichte” Konjunktur und hier schloss sich “geglückt” doch recht gut an. Außerdem symbolisiert das auch “Positivdenken” und “Optimismus”, neoliberale Grundtugenden.
Ebenso aufdringlich und offensichtlich anbiedernd wie dieser Buchtitel scheint Wolfrum beim Knüpfen seiner Netzwerke vorgegangen zu sein. Er ist im Beirat der grünen Böll-Stiftung ebenso wie in dem der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung ebenso wie in dem des John-Stuart-Mill-Instituts “für Freiheitsforschung” (!), das radikal wirtschaftsliberal ausgerichtet ist. In dessen Beirat sitzt neben “Unternehmerpersönlichkeiten” ein Vorstand der Friedrich-Naumann-Stiftung “für Freiheit” und auch von Allensbach. Also wir haben es mit einem “freiheitlichen” Menschen zu tun, der bei Bedarf auch grün oder sozialdemokratisch sein kann. Auch seine “geglückte Demokratie” wurde bereits in allen wichtigen Zeitungen dieser geglückten Republik freudig und positiv rezensiert. Wenn man so viele Leute trifft in diesen Gremien, dann ist das auch keine Kunst.
Es ist nicht auszuschließen, dass hier mit Stipendien, Forschungsaufträgen usw. nachgeholfen worden ist, aber das ist meiner Erfahrung nach keinesfalls eine Notwendigkeit und daher letztlich auch unwichtig. Diese Leute tun das auch ohne eine solche unmittelbare Vorlage. Der implizite Wissenschafts- und Wahrheitsbegriff des Wissenschaftsbetriebs, Abt. Gesellschaft ist nur vergleichbar mit dem der Diplomatie. Hier wie dort wird man danach beurteilt, dass man sagt, was “geht” und nicht sagt, was “nicht geht”. Das meine das keineswegs satirisch, sondern knochentrocken nüchtern und sachlich.
Und was “geht” und “nicht geht” ist letztlich eine Funktion des gesellschaftlichen Status quo und der jeweiligen Machtkonstellationen. So einfach ist das. Was aber auf gar keinen Fall “geht” ist, dieses explizit zu machen. Das äußerst komplexe Gespinst aus Intellektualität, Methodenstrenge und Kommunikationsritualen sorgt dafür, dass dies sogar denen verborgen bleibt, die nach den ungeschriebenen impliziten Erfolgsregeln handeln und denken. Es muss implizit bleiben, sonst verlöre der Wissenschaftsbetrieb seine Weihen und Privilegien. Wer das Tabu bräche würde exkommuniziert. Daher müssen die ungeschriebenen Regeln zu Beginn der Karriere erspürt werden. Die berufliche Sozialisation ist dann erfolgreich, wenn man ein untrügliches Gefühl, einen Instinkt dafür entwickelt hat, sozusagen den “Sinn fürs Spiel”. Bourdieu nannte das den beruflichen Habitus. Man kann das vergleichen mit einem guten Fußballspieler, der nicht nur sieht, wo der Ball sich gerade befindet, sondern automatisch und intuitiv dahin läuft, wo dieser Ball in den nächsten Sekunden hinkommen wird. Er hat den “Sinn für das Spiel”, erfasst und handelt automatisch. So auch erfolgreiche Historiker, Ökonomen, Politologen usw. Vielleicht zählt unser Wolfrum nicht zu den wirklich Prominenten, weil das bei ihm alles ein bisschen zu aufdringlich, wenig elegant, zu wenig nur implizit sozusagen mit Schweißgeruch behaftet ist? Um beim Fußball zu bleiben, ist er deshalb über den Status des braven Ballschleppers nicht hinausgekommen.
…
Betrag III
Markus Mohr:
Kurzer Dienstweg eines Agenda-2010-Ingenieurs
Auf 850 langen Seiten hat sich der Heidelberger Historiker Edgar Wolfrum in seiner jüngsten Abhandlung abgemüht die Zeit der Rot-Grünen Regierung zwischen 1998-2005 beschreibend zu analysieren. Selbstredend sieht er sich dabei wissenschaftlichen Maßstäben verpflichtet. Keine geringeren als die Doyens der Geschichtswissenschaft sozialdemokratischer Provenienz Hans-Ulrich Wehler und Heinrich August Winkler sind Wolfrum bereits beigesprungen. Der Doktorvater von Wolfrum, Winkler, hat für das dicke Buch seines Schülers bereits auf dem Buchumschlag lobende Worte gefunden, was ja bedeutet, dass er es bereits vor Erscheinen aufmerksam gelesen hat.
Wehler hat es sich in einer Laudatio im Tagesspiegel nicht nehmen lassen, diesem „Meisterwerk der deutschen Zeitgeschichte“ nicht nur eine „überaus sorgfältige Interpretation“ zu bescheinigen. Mehr noch: Vor allem dessen „Kapitel über die Agenda 2010“ hat es Wehler besonders angetan: Es sei „noch nie im historischen Diskurs so eindringlich, so überzeugend als größte sozialstaatliche Leistung des 20. Jahrhunderts gewürdigt worden“. Nirgendwo „deutlicher“ als hier zeige sich die „wesentliche Tugend des gestandenen Historikers: die Fähigkeit zum gerechten Urteil.“ Wolfrum habe hier eine „Verbindung von empirischer Quellennähe und souveräner Deutung“ realisiert, die dessen „großem Opus seinen Rang“ verleihe. [1]
„Das ist aber ganz schön laut gebrüllt, sie Löwe!“ mag man da dem gewohnt streitbaren Wehler zurufen, der sich gut auf die Blendwirkung seiner donnernd vorgetragenen Verdikte versteht. Nun ja. Auf die zweifelhafte Dignität in einer ganzen Reihe von zentralen Sachverhalten in dem Buch von Wolfrum hat Albrecht Müller bereits aufmerksam gemacht. [2]
Daran anknüpfend soll hier eine Anmerkung zu dem umfangreichen Kapitel zur Agenda 2010 von Wolfrum nachgetragen werden. Sicher, im vibrierenden intellektuellen Koordinatensystem des vielfach verdienten Großhistorikers Wehler wird das nur als eine Marginalie vermerkt werden.
Gleichwohl berührt es sein sicher gleichfalls aus dem Geist der Gerechtigkeit gefälltes Urteil, das Wolfrum gerade in diesem Kapitel eine „Verbindung von empirischer Quellennähe und souveräner Deutung“ gelungen sei. Und das regt immer noch die stets lebendig sein sollende Diskussion über die Grundlagen an, mit dem so weit reichende Gütesiegel verteilt werden.
Das Buch von Wolfrum stützt sich wesentlich auf Einschätzungen aus Gesprächen mit etwa 30 hochrangigen Funktionären des rot-grünen Regierungspersonals. Den Zugang dazu eröffnete ihm auch kein geringerer als sein Doktorvater selbst, worauf Wolfrum am Ende seines Buches dankbar verweist: „Prof. Dr. Heinrich August Winkler gab Rat, wann immer ich ihn suchte, auch öffneten seine Empfehlungen manche Türen zu Interviews, die sonst verschlossen geblieben wären. Dafür danke ich herzlich.“ (S. 719)
Von der Sache her völlig angemessen widmet Wolfrum unter dem Titel: „Agenda 2010 – Die Umorientierung Deutschlands“ der Zerschlagung der alten Sozialverfassung der Bundesrepublik über 50 Seiten (S. 528 – 583)
Auch wenn Wolfrum durchaus eine Vielzahl von Kritikpunkten aus den zeitgenössischen öffentlichen Debatten um das Hartz IV-Regime referiert: Sein von Wehler als ziemlich „gerecht“ belobigtes Urteil dazu fällt positiv aus. Die BILD-Zeitung war davon so begeistert, dass sie Wolfrum mit seinen Worten, dass es sich bei der Agenda 2010 um die „imponierendste Reform eines deutschen Staates“ gehandelt haben soll, auf der Titelseite dafür benutzte den „Kanzler der Reformen“ Gerhard Schröder als „Gewinner“ zu feiern. [3] Wenn das stimmt, dann findet Schröder bestimmt diesen Professor aus Heidelberg nicht so schlecht wie einen anderen Kollegen vom gleichen Ort, namentlich Paul Kirchof. Über dessen Steuerpläne hatte er sich im Wahlkampf 2005 als „Professor aus Heidelberg“ süffisant-despektierlich verbreitet. [4]
In dem besagten Agenda-Kapitel widmet sich ein Unterabschnitt in anspielungsreicher Formulierung einem „Alarm im Maschinenraum der Agenda-Ingenieure.“ (S. 530 – 535) Ende des Jahres 2002 seien die Arbeitslosenzahlen hochgeschnellt, und die Sozialkassen seien leer gewesen: „Überall leuchteten die Alarmlampen“ lautet hier die Eintragung von Maschinenraumbesucher Wolfrum im Betriebshandbuch, und so brach „Ende des Jahres 2002 (…) im Kanzleramt hektische Betriebsamkeit“ aus.
Der Historiker verweist dann auf ein im Bundeskanzleramt am 5. Dezember 2002 entstandenes Thesenpapier unter dem Titel: „Auf dem Weg zu mehr Wachstum, Beschäftigung und Gerechtigkeit“, welches „die Keimzelle der späteren Agenda 2010“ darstelle. Wenn das so stimmt, dann ist das ein wirklich wichtiges Dokument der Zeitgeschichte! Da will man doch gerne genau wissen, wer es geschrieben hat. Ein Zeithistoriker, der auf sich hält, muss sich quasi zerrreisen, um so eine Frage zu beantworten. Doch überraschenderweise findet sich als Antwort dazu bei Wolfrum nur eine laxe Formulierung: Es sei „im Arbeitsbereich „Planung“ des Bundeskanzleramtes, dem Heiko Geue vorstand (…), entwickelt“ worden. (S. 530 – 531) – Kann es denn angehen, dass hier der Wissensbestand der zeitgeschichtlichen Forschung weit hinter das zurückfällt, was man zeitgenössisch in der Presse lesen konnte? Immerhin hatte die Frankfurter Rundschau schon kurz vor Weihnachten 2002 von einer „hochkarätigen Planungsgruppe“ im Kanzleramt mit dem Namen „Strategie 2010“ gesprochen, die an Vorschlägen für „grundlegende Reformen der Sozialsysteme“ arbeite. [5] Ein Reporter der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung war dann einen Tag später so freundlich, das Geheimnis um jene Hochkaräter zu lüften: „Das Papier war am 5. Dezember von einer neuen Strategiegruppe des Kanzleramtes in einer vertraulichen Sitzung im Berliner Sony-Tower erarbeitet worden. Das Strategiepapier soll als Grundlage für ein weiteres Treffen der Gruppe im Januar dienen. Deutschland befinde sich in einer „Wachstums- und Vertrauenskrise”, schreiben die Autoren in ihrer 24 Seiten umfassenden Analyse; die sozialen Sicherungssysteme müssten „grundlegend reformiert” werden. Die intern “Strategie 2010” genannte Gruppe tagt unter der Leitung von Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier. Ihr gehören Steinmeiers Stabschef Stephan Steinlein, Schröders Büroleiterin Sigrid Krampitz, die Regierungssprecher Bela Anda und Thomas Steg, der Planungschef von Wirtschaftsminister Clement, Henry Cordes, sowie Schröders Kommunikationsberater Reinhard Hesse an. Hinzu kommen Fachleute wie der Berliner Historiker Heinrich August Winkler.“ [6] Von Herrn Geue ist also wenigstens hier als Autor schon mal nicht, von einigen anderen aber allemal die öffentliche Rede. – Wie kann es nur kommen, das der Zeithistoriker Wolfrum die Autorenschaft dieses von ihm wohl zurecht als bedeutsam interpretierten Dokumentes der Zeitgeschichte nicht verifiziert hat? Er verletzt dadurch allemal die ihm von Wehler bescheinigte „empirische Quellennähe“. Im weiteren Verlauf seiner diesbezüglichen Beschreibung weist Wolfrum jedenfalls die „Behauptung“ zurück, das eben dieses von einer „neuen Strategiegruppe des Kanzleramtes in einer vertraulichen Sitzung“ (FAS) erstellte Thesenpapier „innerhalb der SPD unbekannt gewesen sei: ganz im Gegenteil: Selbst der Tagesspiegel und die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatten darüber berichtet.“ (S. 534) In der dazu nachgereichten Fußnote 14 hat sich der Professor aus Heidelberg aber leider nur auf den Nachweis des diesbezüglichen Artikels im Tagesspiegel beschränkt, den noch im Text erwähnten FAZ-Artikel sucht man vergeblich. [7]
Das alles kann nun wirklich nicht überzeugen: Eben dieses Thesenpapier ist doch von der Gruppe „Strategie 2010“ sehr gezielt hinter dem Rücken der SPD-Fraktion und dem von den „umfassenden Sozialreformen“ betroffenen Gesundheitsministerium erstellt worden. Als es fertig gestellt war, wurde es zunächst als „Testballon“ in die Presse lanciert, um so Wolfrum wenigstens hier in nuancierter Formulierung „die Reaktionen in der Partei auszukundschaften.“ (S. 533): Kurz: Die SPD als Partei war aus der Sicht der im Kanzleramt verdeckt operierenden Gruppe „Strategie 2010“ das feindliche Terrain, das es „auszukundschaften“ galt.
Das ist doch alles sehr traurig. Nur ein bisschen Neugier und Rechercheeifer vorausgesetzt, dann wäre Wolfrum sicher auf jenen hier zitierten Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) gestoßen. Er hätte ihm helfen können, die Autorenschaft jenes Thesenpapieres zu klären. Wenn die FAS hier nicht gepfuscht hat, dann war es doch sein eigener Mentor Heinrich August Winkler, der die „Keimzelle der späteren Agenda 2010“ mit verfertigt hat. Mit Verlaub: Das propagandistische Wirken des Schlachtrosses für die Exekution der Agenda 2010 auf Kosten seiner eigenen Partei und über alle Bevölkerungsproteste hinweg damals wie heute kann als bekannt vorausgesetzt werden. Unmittelbar vor dem Sonderparteitag der SPD am 1. Juni 2003 hatte dieser in einem Interview mit der Parteizeitung Vorwärts „die weitere Zukunft der deutschen Sozialdemokratie in den kommenden Jahren und Jahrzehnten“ beschworen und gegenüber der alten BRD-Sozialverfassung einen „Befreiungsschlag“ eingefordert. [8] Winkler wusste offenbar sehr genau, wovon er sprach, denn er kann wohl als ein bedeutender – um hier einen Begriff von Wolfrum selbst in Anschlag zu bringen – operativ umsichtig tätiger „Agenda-Ingenieur“ des auf Geheiß des Kanzleramtes im Dezember 2002 erarbeiteten Angriffsplanes betrachtet werden. Doch ausgerechnet in der Abfassung des Kapitels über die Agenda 2010 will Wolfrum den „Rat“ seines Mentors, dessen „Empfehlungen“ ihm immer mal wieder verschlossene Türen geöffnet haben, nicht gesucht haben?
Eine plausible Erklärung könnte auf den kurzen Dienstweg zwischen dem Schüler Wolfrum und seinem Lehrer Winkler verweisen. Gut möglich, dass sie ein stilles Arrangements darüber vereinbart haben, dessen politisch aktivistische Seite bei der ganzen rot-grünen Chose nicht in der Weise hervorzuheben, wie es von der Sache geboten ist. Die Aufgabe des Schülers bestand in seinem Buch vielleicht ja auch darin, die Vita seines Lehrers zu polieren. Immerhin recherchiert er für ihn – wenn auch ohne Quellenbeleg – sogar bis in das Schlafzimmer von Bundeskanzler Schröder „auf dessen Nachttisch im Kanzleramt“ das Buch seines Doktorvaters „Der lange Weg nach Westen“ gelegen haben soll. (S. 631).
… Natürlich weiß er an jenem Werk die „wissenschaftliche Qualität und darstellerische Kraft“ zu rühmen. Wenn es denn der Wunsch von Professor Dr. Winkler gewesen sein mag, sich lieber als ein hell erleuchtetes intellektuelles Juwel am Firmament der Berliner Republik denn als verdreckter Ingenieur in irgend einem verölten Maschinenraum des Kanzleramtes für die Nachwelt überliefern zu lassen, wie hätte es ihm sein Schüler abschlagen können?
Allerdings muss so natürlich jeder Anspruch auf „empirische Quellenähe“ außer Kraft gesetzt werden. Insofern kann das eingangs referierte Diktum von Hans-Ulrich Wehler über das Wolfrum zugeschriebene „große Opus“ präzisiert werden: Dessen gemeinsam mit Winkler in politischer Absicht verfolgte „souveräne Deutung“ der rot-grünen Regierungszeit musste leider auf der Basis gravierender Quellenmängel mit einigen windschiefen Interpretationen erkauft werden.
Zum Autor dieses Beitrags:
Markus Mohr beteiligte sich als autonomer Aktivist an der Kampagne Agenturschluss.
Sie verfolgte am 3. Januar 2005 in den Arbeitsämtern der Republik das Ziel, gemeinsam mit den dort lohnabhängig Beschäftigten eine kollektive Diskussion gegen das Hartz IV-Regime zu erzwingen.
Literaturangaben von Markus Mohr:
Wolfrum, Edgar, Rot-Grün an der Macht / /Deutschland 1998 – 2005/ 2013.
848 Seiten: mit 37 Abbildungen. Gebunden C.H.BECK ISBN
978-3-406-65437-4, 24, 80 Euro
Ein Nachtrag von Markus Mohr:
Beitrag IV
Eine Rezension des Wolfrum Buches durch Gert Weißkirchen:
Das Folgende stammt nicht aus einer Mail an die NachDenkSeiten zu meinem Artikel. Es ist die Rezension eines früheren Fraktionskollegen, des ehemaligen Bundestagsabgeordneten meines Heimatswahlkreises Rhein-Neckar im vorwärts. Dass sich mein alter Kumpel Gert Weißkirchen zu einer solchen Lobeshymne hinreißen lässt, na ja, vielleicht aus Heimatverbundenheit:
Rot-Grün: erneut an die Macht!
[«1] Hans-Ulrich Wehler, Gerechtes Urteil / Edgar Wolfrums Studie über Rot-Grün ist ein Meisterwerk der deutschen Zeitgeschichte, in Tagesspiegel vom 5.8.2013
[«2] Albrecht Müller, Müssen Historiker so tendenziös und so schlecht arbeiten wie der Autor Wolfrum mit seinem Buch über „Rot-Grün an der Macht“? vom 18.9.2013
[«3] O.N.; Gewinner, in BILD-Zeitung vom 8.8.2013
[«4] Vgl. Gerhard Schröder im Fernsehduell mit Angela Merkel am 4.9.2005
[«5] Karl Doemens, Kanzleramt widerspricht Schmidt / Strategiepapier empfiehlt Wahltarife bei Krankenkassen, in Frankfurter Rundschau vom 21.12.2002
[«6] M.I, Reformpapier entzweit die SPD, in Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 22.12.2002
[«7] Lutz Haverkamp, Kanzleramt plant radikale Reformen, in Tagesspiegel vom 20.12.2002.“
Möglicherweise könnte es sich bei dem von Wolfrum angesprochenen, aber nicht nachgewiesenen FAZ-Artikel um folgenden handeln: O.N., Auf dem Weg zu mehr Wachstum, Beschäftigung und Gerechtigkeit / Aus dem Strategiepapier des Kanzleramtes, in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4.1.2003
[«8] Interview Lars Haferkamp „Das wird ein Schicksalsparteitag“ / Die SPD braucht ein neues Godesberg, so der Historiker Heinrich August Winkler. Am 1. Juni entscheidet sie in Berlin über ihre Regierungsfähigkeit – für Jahrzehnte, in vorwärts.de 5 / 2003
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