Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JB)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
- Wie die Banditen von Union und SPD die »Spiegel«-Leute ausplündern wollen
[…] Der Kern der »Spiegel«-Geschichte ist, wenn ich es richtig verstehe, dass Finanzminister Wolfgang Schäuble seine Fachleute schon mal etwas durchrechnen lässt, was unter dem Codewort »Nord-Ost-Verschiebung« läuft. Das Modell sieht vor, die sogenannte Reichensteuer für Einkommen ab 250.000 Euro bei Ledigen von 45 Prozent auf 46, 47 oder 48 Prozent zu erhöhen, dafür aber die Einkommensteuertarife so zu verschieben, dass die jeweiligen Sätze erst bei höheren Einkommen greifen. Die Reichsten zahlen ein bisschen mehr, dafür wird der Effekt der »kalten Progression« gemindert. Das heißt: Merkels und Gabriels Bankräuber-Forderung »Geld her!« vom Cover richtet sich gar nicht gegen den durchschnittlichen Bürger oder Leser, sondern eher an den, sagen wir, »Spiegel«-Ressortleiter. […]
Der »Spiegel« hingegen gefährdet nicht die Demokratie — dieser Satz gilt völlig unabhängig davon, was der »Spiegel« gerade macht, und sei es, Politiker noch vor dem ersten Sondierungstreffen einer möglichen Koalition schon einmal als Wahlbetrüger und Räuber darzustellen.
Die Versprechungen prominenter Unionspolitiker, unter keinen Umständen die Steuern zu erhöhen, hat der »Spiegel« jetzt schon einmal sicherheitshalber in Stein meißeln lassen. Ach nee, das war die »Bild«-Zeitung. Man kommt so leicht durcheinander dieser Tage.
Quelle: Stefan Niggemeier
dazu auch: Die VerBILDung des Spiegel
[…] Da diskutiert die Republik also nach vielen Jahren in denen die Steuersätze nach unten gingen über (moderate) Steuererhöhungen und das Sturmgeschütz der Demokratie zeigt Angela Merkel und Sigmar Gabriel als Banditen, die “den Deutschen” das Geld wegnehmen wollen. […] Wer “die Deutschen” sind, das zeigt ausgerechnet die FAZ und hat dabei den Mut, sich in der nachrichtlichen Berichterstattung nicht von ihrer Kommentarlinie beeinflussen zu lassen. […] Das schreiben die Frankfurter Kollegen und zeigen, dass eine Kombination der Pläne von SPD und CDU/CSU dazu führen würde, dass Single-Haushalte erst ab einem Jahresbruttoeinkommen von 81334 Euro belastet würden und ein Ehepaar mit zwei Kindern bis zu einem Monatseinkommen von 14000 Euro entlastet würde.
Quelle: ZEIT Herdentrieb
- Europeans divided over austerity, want alternatives
As the European Commission is about to present proposals to strengthen the “social dimension of the economic and monetary union”, a new poll shows that up to 60% of Europeans believe there are better ways of solving the economic crisis than austerity. […]
n crisis-hit countries of Southern Europe, support for austerity measures is very low: as many as 94% of Greeks, 81% of Portuguese and 80% of Spaniards believe there are better alternatives.
More than half of the respondents (51%) argued austerity policies have failed to fight the crisis. Just 5% said the policies were in fact delivering results. Europeans with the most trust in austerity policies were Bulgarians (67%) and Hungarians (62%).
When asked who benefits from austerity policies, 67% of respondents said “only certain countries,” with 77% of this group pointing the finger at Germany.
Quelle: EurActiv
- Frank Schirrmacher – Vom digitalen Zwilling
Erstmals stellt ein Bundespräsident das Ringen um das digitale Ich in den Mittelpunkt einer Rede. Gaucks Ansprache ist ein Appell an die deutsche Politik, die Neudefinition von Freiheitsrechten nicht allein den Konzernen zu überlassen. […]
Vielleicht ist Gaucks Rede endlich Grund dafür, die lächerliche Debatte wer „modern“ ist und wer von gestern zu beenden. Die Systeme sind längst implementiert, sie helfen uns und gefährden uns, wie jede Technologie es tat – nur dass sie mit einem „Zwilling“ von uns herumspielen, einem rein „empirischen“ Menschen, der keinen Schmerz kennt und nicht an uns zurückmeldet, was man mit ihm veranstaltet und der überdies, in den Worten Michel Foucaults, „eminent regierbar“ ist.
Quelle: FAZ
dazu: Schirrmacher und die SPD
[…] Frank Schirrmacher, der stets weit vorausschauende Feuilletonchef der FAZ, will deshalb der „überlebenden“ SPD ein neues Spielfeld eröffnen: Sie soll den digitalen Wandel gestalten. Nicht mit netzpolitischen Arbeitskreisen am Rande der Fraktion, nein, mit der ganzen ihr noch verbliebenen Kraft. Die SPD, so Schirrmacher, müsse erkennen, dass das Internet die „Dampfmaschine des Geistes“ sei; und dass Netzpolitik nicht bloß mit Kinderkram oder Geheimdienstschnüffelei zu tun habe, sondern mit den dramatischen Auswirkungen der „zweiten industriellen Revolution“ auf Demokratie, Arbeitsmarkt und Konsumgesellschaft. Entsprechend hoch müsse die Partei das Thema hängen und den „digitalen Kapitalismus“ (Peter Glotz 1999!) zu ihrem Kernthema machen. Nach dem Kleckerkram des Wahlkampfs wäre das in der Tat ein Befreiungsschlag. Denn mit der Gestaltung des digitalen Wandels würde die SPD über Nacht wieder zur Fortschrittspartei. Die Sozialdemokraten würden die Jugend und die Mittelschichten erreichen, sie wären – wie in den sechziger und siebziger Jahren – Vorreiter und Motor der Modernisierung.
Quelle: Der Freitag
- Retter sucht Kompass
Bei Spiegel Online hat er’s zum Aufmacher geschafft. “Kretschmann soll mit Merkel sondieren”, steht dort. Gescheiter wäre, der grüne Ministerpräsident würde seinen eigenen Laden auf Vordermann bringen. […]
Auch Kretschmann hat reichlich rasche, populäre, sogar widersprüchliche Erklärungen für das historische drittbeste Ergebnis der Grünen parat, das als so großer Misserfolg empfunden wird. Er nimmt eine Mitschuld auf sich und erledigt zugleich das Geschäft der Gegner. Ein Beispiel von mehreren: Sein Lamento über die “Bevormundung” der Menschen durch die Grünen “von der Wiege bis zur Bahre”. Das ist astreine neoliberale Paranoia, unablässig verbreitet seit Jahrzehnten von Wahlkämpfern von Union, FDP und konservativen Leitartiklern. Mit der gesellschaftlichen Realität haben solche Fantasien nichts zu tun, viel aber mit dem allgegenwärtigen Bestreben, linken Weltverbesserern am Zeuge zu flicken, um sich vorteilhaft von ihnen abzusetzen.
Quelle: Kontext:Wochenzeitung
- Silk Road: So jagte das FBI den Online-Drogenboss
Sie verkauften ihm Kokain und ließen sich für Auftragsmorde anheuern: Verdeckte FBI-Ermittler haben dem mutmaßlichen Chef der Internet-Drogenplattform Silk Road monatelang Scheingeschäfte angeboten. Womöglich half bei der Verhaftung nur ein Zufall.
Quelle: SPIEGEL Online
Anmerkung JB: Interessant an der ganzen Story ist vor allem, dass die US-Behörden den vermeintlichen Silk-Road-Betreiber mittels klassischer Ermittlungstätigkeit überführt haben – ganz ohne die Komplettüberwachung der NSA.
- Heiner Flassbeck über US-Haushaltsstreit – „Das spürt auch Europa“
Mit einem Bankrott der USA ist nicht zu rechnen, sagt Ökonom Heiner Flassbeck. Doch könnte die Blockadepolitik der Republikaner eine neue globale Rezession auslösen.
Quelle: taz
passend dazu: If It Happened There … the Government Shutdown
This is the first installment of “If It Happened There,” a regular feature in which American events are described using the tropes and tone normally employed by the American media to describe events in other countries. […]
While the country’s most recent elections were generally considered to be free and fair (despite threats against international observers), the current crisis has raised questions in the international community about the regime’s ability to govern this complex nation of 300 million people, not to mention its vast stockpiles of weapons of mass destruction.
Americans themselves are starting to ask difficult questions as well. As this correspondent’s cab driver put it, while driving down the poorly maintained roads that lead from the airport, “Do these guys have any idea what they’re doing to the country?”
Quelle: Slate
- EU-unemployment – a Euro problem?
Quelle: Real World Economics Review
- Wem nützt Bernankes Geldpolitik?
Der Offenmarktausschuss der amerikanischen Notenbank (Fed) hat am 18. September die Finanzmärkte mit dem Entscheid, das so genannte Quantitative-Easing-Programm nicht zu drosseln, überrascht. Die Bilanz der Zentralbank wird weiterhin mit 85 Milliarden Dollar pro Monat vergrössert. Ziel von Fed-Chef Ben Bernanke ist es, die Arbeitslosenquote unter den Wert von 6,5 Prozent zu bringen. Doch wer profitiert tatsächlich von der unkonventionellen Geldpolitik?
Die Statistik von Emmanuel Saez an der University of California in Berkeley bringt Klarheit. Der Ökonom Saez erhebt regelmässig Daten von der US-Steuerbehörde IRS (Internal Revenue Service) und berechnet damit den Grad der Einkommens-Ungleichheit in der amerikanischen Bevölkerung. Saez’ Erhebung zeigt: In der kruden Unterscheidung zwischen «Top 1%» und «Bottom 99%» haben nur die reichsten 1% in den vergangenen vier Jahren, seit dem Höhepunkt der Finanzkrise, nennenswerte Einkommensgewinne erzielt. Und das ist genau der Zeitraum, in dem Bernankes unkonventionelle Geldpolitik aktiv war. Die plausibelste Erklärung dafür sind die Kapitalgewinne, die Saez in seiner Berechnung zu den Einkommen zählt. Mit anderen Worten: Bernankes Geldpolitik hat primär den Aktienmarkt aufgepumpt, und die dort erzielten Kapitalgewinne flossen zu einem weit überproportionalen Teil in die Taschen der reichsten 1%. Der Rest der Bevölkerung hatte nicht viel davon.
Quelle: FuW
Anmerkung Orlando Pascheit: Hier die von Saez erhobenen Daten: Seit der Krise (2007-2009) haben die Einkommen reichsten 1% um 31,4 Prozent und der Rest um 0,4 Prozent zugelegt. Und dann natürlich die Zuwachsraten für den Zeitraum 1993 bis 20012, die sich natürlich nicht allein aus der US-Geldpolitik erklärten, sondern dem Wirtschaftssystem angelsächsischer Prägung geschuldet sind. Ein Kapitalismus der sich neuen feudalen Zeiten nähert, nur dass die Leibeigenen heute Arbeiter heißen. Und lieber Mark Dittli, der mit Tobias Straumann und Markus Diem Meier den Leser auf “Never Mind the Markets” immer wieder mit interessanten, aus dem Mainstream herausfallenden, statistisch gesättigten Artikeln verwöhnst, die Unterscheidung Saez’ ist nicht krude im heute gebräuchlichen Sinn, sondern bringt die Dinge auf den Punkt – krude höchstens im Sinne des Lateinischen ‘crudus’ also blutig, grausam. Dittli bietet ferner etliche interessante Links, so auch dem Beitrag von Diem Meier zu “Statuswettbewerb, Ungleichheit und Finanzkrise”.
- Die Zombieregierung in Großbritannien
Zum zweiten Mal seit 2011 halten die britische Konservativen ihren Parteitag im nordwestenglischen Manchester ab. Schon damals demonstrierten Zehntausende dagegen. Freundschaftliche Gefühle in der Bevölkerung gibt es auch jetzt nicht. 50.000 Demonstranten folgten am 29. September laut Polizeiangaben einem Aufruf des britischen Gewerkschaftsbundes TUC, etwa 80.000 waren es laut den Organisatoren. die Demonstration in Manchester hatte die geplante Zerschlagung des öffentlichen Gesundheitswesens NHS als zentrales Thema. Das NHS ist tief im Massenbewusstsein als größte Errungenschaft der Nachkriegszeit verwurzelt. Der geplante Verkauf dieser Institution an multinationale Gesundheitskonzerne hat Aufstandspotential. Ein Ende der Einsparungen ist nicht in Sicht. Finanzminister Osborne warb in seiner Parteitagsrede für die Idee, in Jahren des Wirtschaftsaufschwungs ein Haushaltsplus zu erzielen. Außerdem sollen zukünftig Arbeitslose zu gemeinnütziger Arbeit gezwungen werden. Das ist eine Weiterentwicklung von Workfare-Konzepten, die von britischen Gerichten bereits für illegal erklärt wurden. Es ist noch rund anderthalb Jahre bis zu den nächsten Wahlen. Bis dahin möchte seine Regierung einiges umsetzen: Die Privatisierung des Gesundheitswesens und der Post, neue Gesetzgebung, die die finanziellen Möglichkeiten von NGOs und Gewerkschaften drastisch einschränkt, die Errichtung von Fracking-Anlagen in vielen ländlichen Gebieten sowie die Reduzierung der Dachspopulation im Interesse der Fleischindustrie, um nur einige zu nennen.
Quelle: Telepolis
Anmerkung Orlando Pascheit: Das Tragische ist, dass es wie bei uns seit Schröder, in Großbritannien seit Blair eigentlich keine zahlenmäßig große Opposition gibt. So geht es denn auch im Artikel weiter: “Was hält diese Regierung an der Macht? Die Schwäche der Opposition. Die Labour-Partei hat einen internen Krieg gegen die Gewerkschaften begonnen. Sie möchte die historische Verbindung mit den Gewerkschaften kappen. Gewerkschaften haben die Labour-Partei gegründet. Der Großteil des Parteieinkommens kommt aus Gewerkschaftskassen. Doch der politische Einfluss, den Gewerkschaften auf die Parteipolitik haben, ist in den vergangenen Jahrzehnten auf ein fast nicht mehr wahrnehmbares Minimum abgesenkt worden. … Die Gewerkschaften stehen unter steigendem Druck, etwas zu unternehmen. Lehrer, Feuerwehrleute, Postler und viele andere Berufsgruppen stehen in Arbeitskämpfen gegen die Regierung. Hinzu kommen Auseinandersetzungen im privaten Sektor” – Bleiben nur die alten Lieder: “Babylon’s burning”, “London’s Burning”, “White Riot” usw.
dazu: “Land der Chancen”
Nach dem britischen Regierungschef Cameron müssen Steuern gesenkt, der Sozialstaat beschnitten und junge Menschen zur Arbeit oder Ausbildung durch Geldentzug gezwungen werden
Die Tories nennen ihre Partei die für hart arbeitende Menschen. Gestern ging der Parteitag der Konservativen mit der Abschlussrede von Regierungschef David Cameron zu Ende, der natürlich versprach, dass unter seiner Führung alles besser werde – zumindest eben für die hart arbeitenden Menschen.
Was Cameron darunter genauer versteht, bleibt allerdings sein Geheimnis. Für ihn sind es die Menschen, die niemals aufgeben, die Überstunden schieben, die mit den von der Regierung verordneten Sparmaßnahmen zurechtkommen, und die britischen Unternehmer, die ihre Mitarbeiter nicht entlassen. Beide würden das Schlamassel aufarbeiten, das die Labour-Partei hinterlassen habe. Dabei rühmte er Margaret Thatcher, die ein gutes Stück daran mitgearbeitet hat, den “Kasinokapitalismus” zu schaffen, den Cameron nun geißelt, allerdings nur rhetorisch.
Quelle: Telepolis
- Die stärksten Schultern werden geschont
Top-Verdiener in Deutschland werden durch Steuern und Abgaben relativ wenig belastet. Der Trend zu höheren Verbrauchssteuern hat das noch verschärft. […]
“Entscheidend ist nicht die Betrachtung einzelner Komponenten, sondern der Gesamtbelastung”, fassen die IMK-Forscher zusammen. “Diese ist stark progressiv in der unteren Hälfte der Einkommensverteilung, flacht sich zwischen dem sechsten und neunten Zehntel jedoch signifikant ab.” Beim obersten Zehntel liegt die Gesamtquote aller Steuern und Abgaben mit 35,5 Prozent sogar niedriger als beim sechsten Zehntel.
Quelle: Hans-Boeckler-Stiftung [PDF – 300 KB]
- Steigende Arbeitslosigkeit wirbelt spanischen Haushalt durcheinander
Nur die Ausgaben für Zinsen steigen deutlich, auch Lokalfürsten der spanischen Regierungspartei wettern und Gewerkschaften drohen erneut mit Generalstreik […]
Angesichts der Lage wurde wegen des angekündigten Erholungshaushalts auf eine Stimulierung des Arbeitsmarkts gehofft. Doch das Gegenteil ist der Fall. Experten schließen nun nicht aus, dass im Winter der Rekord von knapp 27 Prozent überschritten wird. Auch Regionalfürsten der konservativen Volkspartei (PP) von Mariano Rajoy begehren gegen neue Kürzungen auf. Die PP-Regierungschef der Balearen José Ramón Bauzá spricht von einer “Verachtung” der Region. Dass auch auf den Inseln Investitionen zusammengestrichen wurden, sei “absolut ungerecht”, damit werde die Bevölkerung verspottet.
Quelle: Telepolis
- Das Die entscheidet
Die Vermögen am oberen Ende wachsen seit Jahren. Alle reden über soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Doch wie stehen die Vermögenden eigentlich selber zu dieser Entwicklung? […]
In Wohlstand oder Reichtum aufgewachsene Elitenangehörige sehen das völlig anders. Sie empfinden ihre Einkommen und Vermögen als gerechtes Ergebnis ihrer Anstrengungen wie der ihrer Vorfahren. Je größer das ererbte Vermögen ist, umso stärker wird auf die eigene Leistung bzw. die der Väter und Großväter als Ursprung hingewiesen. Der Staat wird in diesen Kreisen mehrheitlich eher skeptisch betrachtet, als eine Institution, die einem vom hart erarbeiteten Geld stets viel zu viel wegnimmt und, anders als die Wirtschaft, mit Geld auch nicht wirklich umgehen kann. Vor allem die Sozialleistungen stehen dabei immer in der Kritik.
Angesichts der klaren Verknüpfung von sozialer Herkunft und Einstellung muss es nachdenklich stimmen, dass die große Mehrheit der deutschen Eliten aus bürgerlichen oder großbürgerlichen Elternhäusern stammt. In der Wirtschaft trifft das auf vier Fünftel, in den privaten Medien auf drei Viertel, in Justiz und Verwaltung auf ca. zwei Drittel zu.Wirklich stark ist die durchschnittliche Bevölkerung nur in den Spitzen von Gewerkschaften und Kirchen repräsentiert, also in den Eliten, die den geringsten Einfluss haben.
Quelle: The European
- Christoph Butterwegge – Wer hat, dem wird gegeben
Entsolidarisierung, Erosion der Mittelschicht und Zerfall der Gesellschaft sind logische Folgen der aktuellen Politik.
Bedingt durch den Siegeszug des Neoliberalismus, der Finanzmärkte und des Marktradikalismus nehmen die soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit seit geraumer Zeit fast überall auf der Welt zu. Trotzdem begreift sich die Bundesrepublik seit ihrer Gründung als „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ (Helmut Schelsky), in der es weder ernst zu nehmende Armut noch großen privaten Reichtum, sondern den Anspruch auf „Wohlstand für alle“ (Ludwig Ehrhard) gibt. Noch gegen Mitte der 1980er-Jahre sprach Ulrich Beck von einem „Fahrstuhl-Effekt“, der während des Wirtschaftswunders alle zusammen nach oben befördert habe.
Heute sorgt ein Paternoster-Effekt unübersehbar dafür, dass die einen nach oben und die anderen zur selben Zeit nach unten fahren. Auch in der Bundesrepublik gibt es die Tendenz zur sozialen Polarisierung, zur Pauperisierung und zur Prekarisierung der Lohnarbeit, weshalb die Reichen immer reicher und die Armen eher zahlreicher geworden sind. Wer ohne ideologische Scheuklappen durch unsere Städte geht, kann erkennen, dass sich die Armut bis in die Mitte der Gesellschaft hineinfrisst, wo sie sich verfestigt und auch eine sozialräumliche Spaltung (in Luxus- und Elendsquartiere) hervorruft.
Quelle: The European
- Soziales Europa adé
Die EU-Kommission sorgt sich um die soziale Schieflage der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Sozialkommissar Andor hat nun Vorschläge zur “sozialen Dimension” der Währungsunion gemacht. Doch sie sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurden.
Quelle: Lost in EUrope
- Fast jeder Vierte mit Niedriglohn
Der Niedriglohnsektor stagniert auf hohem Niveau: Über 8 Millionen Beschäftigte sind betroffen.
Auch wenn sich der Arbeitsmarkt zuletzt positiv entwickelt hat: Niedriglöhne bleiben ein Problem, von dem fast jeder vierte Beschäftigte betroffen ist. Das zeigt eine Auswertung des Sozio-oekonomischen Panels durch Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ). Im Jahr 2011, so die aktuellsten vorliegenden Daten, verdienten 8,1 Millionen Personen weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns, also unter 9,14 Euro. Das sind 23,9 Prozent der Beschäftigten. Im Vergleich zu 2010 ist der Anteil zwar leicht zurückgegangen – um 0,7 Prozentpunkte. Seit 1995 hat sich die Zahl der Betroffenen aber um 2,6 Millionen erhöht.
Der durchschnittliche Stundenlohn der prekär Bezahlten liegt noch deutlich unter der Niedriglohnschwelle: 2011 bei 6,46 Euro pro Stunde in Westdeutschland und 6,21 Euro im Osten. Deutschlandweit mussten sich 1,8 Millionen Beschäftigte mit Stundenlöhnen unter 5 Euro begnügen. 2,9 Millionen verdienten weniger als 6 und 4,4 Millionen weniger als 7 Euro. Minijobber bekommen besonders oft sehr niedrige Löhne: Über die Hälfte von ihnen arbeitete 2011 für weniger als 7 Euro pro Stunde, ein Drittel für weniger als 5 Euro. Von einem gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro würde ein Fünftel der gesamten Arbeitnehmerschaft profitieren, so die IAQ-Forscher: Anspruch auf eine Lohnerhöhung hätten fast 7 Millionen Beschäftigte. Bei den geringfügig Beschäftigten wären es zwei Drittel.
Quelle: Hans-Boeckler-Stiftung [PDF – 200 KB]
- Feuer unterm Bahnhofsdach
Stuttgart 21 bleibt brandgefährlich: Reisende können in Rauchgasen ersticken, wenn ein brennender Zug im Tiefbahnhof steht. Trotz zusätzlicher Fluchttreppenhäuser lässt sich die Bahnhofshalle im Brandfall nicht immer schnell genug evakuieren, kritisieren Stuttgarter Branddirektion und Regierungspräsidium das überarbeitete Brandschutzkonzept der Deutschen Bahn. Teile des Gutachtens seien sogar wissenschaftlich strittig.
Quelle: Kontext:Wochenzeitung
- Öffentliche Auftragsvergabe: Die Kosten der Korruption
Die Europäische Betrugsbehörde OLAF stellt eine neue Studie vor: “Public Procurement: costs we pay for corruption: Identifying and Reducing Corruption in Public Procurement in the EU“.
Quelle 1: Deutsche Kurzausgabe [PDF – 510 KB]
Quelle 2: Englischsprachige Langfassung [PDF – 4.6 MB]
- Frust essen Vertrauen
Sie zählten nach Zehntausenden, manchmal sogar auch mehr als hunderttausend – die Demonstranten gegen Stuttgart 21. Fast zwei Jahre nach der gescheiterten Volksabstimmung sucht die bürgerliche Protestbewegung, die ein ganzes Land politisiert hat, nach alten Gemeinsamkeiten und neuen Zielen.
Sie waren geeint durch die berechtigte Hoffnung, den unsinnigen Tiefbahnhof zu verhindern: stark, konsequent, ideenreich. Viel ist davon geblieben – und zugleich zu wenig. Drei Jahre nach dem Schwarzen Donnerstag demonstrieren sie wieder: 7000 Teilnehmer melden die Veranstalter der 191. Montagsdemo am 30. September. Ein langer Zug, viele bekannte und manche prominente Gesichter, eine friedliche Stimmung, wie sie kennzeichnend war für so viele Veranstaltungen. “Wir werden immer mehr”, singt ein Gitarrist. An der Ecke Bolzstraße steht ein Polizist und lobt wartende Autofahrer für ihre Geduld. “Es ist fast wie früher”, sagt er.
Fast. Denn selbst die 7000 können nicht darüber hinwegtäuschen, wie die Proteste von früherer Stärke entfernt sind. Wie Geschichtenerzählerinnen unterhalten sich einige Frauen an der Markthalle über den ersten Ratschlag im Rathaus. Damals, eine Woche nach der Volksabstimmung, als fast 800 Kopfbahnhofbefürworter gegen Resignation und Entmutigung ankämpften: mit identitätsstiftendem Erfolg, Stunden, wie geschaffen für ein Handbuch zum Thema politische Motivation und Partizipation.
Quelle: Kontext:Wochenzeitung