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Titel: „SPD rückt von „Heuschrecken“- Kritik ab“

Datum: 20. November 2006 um 11:35 Uhr
Rubrik: Finanzpolitik, SPD, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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berichtet das Handelsblatt am 19.11. online und gedruckt in seiner heutigen Ausgabe.
Weiter heißt es: „Die SPD distanziert sich von ihrer massiven Kritik an den Aktivitäten von Finanzinvestoren: In einem Impulspapier [PDF – 68 KB] der Parteispitze zur Wirtschaftspolitik, das dem Handelsblatt vorliegt, heißt es: „Zu einem leistungsfähigen Finanzstandort gehört eine aktive Private-Equity-Branche“.
Selbst das Handelsblatt registriert erstaunt, dass sich in dem Papier weder die Forderung nach gesetzlichen Mindestlöhnen noch nach Einführung der Vermögensteuer findet. Die Unternehmensteuerreform werde ausdrücklich gelobt.
Wenn das alles stimmt, dann kann man wenigstens sagen, dass Reden und Handeln bei der SPD nicht mehr voneinander abweichen. Die SPD hätte sich damit auch damit programmatisch von allem verabschiedet, was ehedem noch als sozialdemokratisch verstanden werden konnte. Albrecht Müller.

Münteferings Klagen über „Heuschrecken“ passten nie zu der praktischen Politik seines Kanzlers Schröder und der folgenden großen Koalition. Schröder hatte die Gewinne der „Heuschrecken“ zum 1.1. 2002 steuerfrei gestellt.
In der Sache zeugt die jetzt offenbar neu formulierte Linie davon, dass die SPD-Spitze die Realität dessen, was ein Großteil dieser Art von Investoren hier in Deutschland anrichtet, nicht begriffen hat oder sie ignoriert. Sie hat damit gegenüber den Interessen der Finanzindustrie vollends kapituliert.
Über das Wirken dieser Investoren haben wir schon des Öfteren berichtet.
Ein neues praktisches Beispiel wird aus Leverkusen berichtet: „Stadt verzichtet auf 100 Millionen Euro“ heißt es im Leverkusener Teil des Kölner Stadtanzeigers am 15.11.2006. Hier die Geschichte und ein Kommentar.

Wir verweisen gleichzeitig auf einen früheren in der NachDenkSeiten schon verlinkten Beitrag von Harald Schumann im Berliner Tagesspiegel über den Fall Grohe. Am 5. Juni 2005 gaben wir den folgenden Hinweis: „Harald Schumann beschreibt die Plünderung der Firma Grohe durch Finanzinvestoren mit Hilfe von McKinsey“ (Quelle: Der Tagesspiegel). Beides ist im Kontext des neuen programmatischen Vorstoßes der SPD lesenswert.

Noch eine ergänzende Information zum Papier der SPD. Im Handelsblatt heißt es: „Das 17-seitige Papier mit dem Titel „Neue Werte schaffen!“ , an dessen Formulierung neben Parteichef Kurt Beck auch die Parteilinken Andrea Nahles und Heiko Maas beteiligt waren, stellt eine inoffizielle Skizze für den wirtschaftspolitischen Teil des neuen SPD-Grundsatzprogramms dar.“

Dass die SPD-Spitze unter dem Titel „Neue Werte schaffen“ nun ihr Verhältnis zu den Großinvestoren lockert, zeigt schon Ackermannsche Züge. Der meinte im Mannesprozess ja auch, dass bei der Spekulationsblase an der Börse bei der Übernahmeschlacht durch Vodafone „Werte“ geschaffen worden seien. Die SPD-Oberen meinen inzwischen offenbar auch, dass bei solchen Vermögenstransaktionen Werte geschaffen würden. Das Gegenteil ist in der Regel der Fall, es werden Unternehmen ausgeplündert und ausgepresst und anschließend filetiert oder verscherbelt. Unternehmerisch ist in der Regel nichts passiert, als dass Leute auf die Straße gesetzt werden, aber kein neues Produkt, keine Marktexpansion. Es geht um reine Anlagespekulationen.

Zudem: Wenn richtig ist, was im Handelsblatt steht, dass nach Meinung der SPD-Spitze die Hedgefonds (ein Teil der umworbenen Großinvestoren) „nicht nur spekulative Strategien verfolgen“, sondern „auch ihre Kontrollfunktion wahrnehmen“ müssten, dann muss ich auch hier anmerken: richtig ist die Warnung vor spekulativen Strategien, bemerkenswert ist, dass die Hedgefonds zur Kontrollfunktion aufgefordert werden. Tatsächlich ist aus meiner Sicht die Tatsache, dass solche Großinvestoren häufig schon nur mit einem minimalen Anteil bestimmen, wo es in einem Unternehmen langgehen soll, höchst problematisch. Die letzte Personalentscheidung bei der Telekom zum Beispiel wurde maßgeblich von dem Investor Blackstone betrieben. Blackstone besitzt gerade einmal 4,5% der Aktien der Telekom. Wer weiß, was der neue Chef der Telekom dafür schon dem Großinvestor (4,5%!) versprechen musste. Der Dank für die Personalentscheidung kann dann bei vielen anderen Gelegenheiten zu erstatten sein.
Zu unterstellen, dass die Bosse solcher Großinvestoren die Weisheit mit Löffeln gefressen haben und deshalb aufgefordert werden müssen, ihre „unternehmerische“ Kontrollfunktion auszuüben, ist abenteuerlich. So naiv gehen nicht einmal mehr gestandene Finanzkapitalisten mit dem Thema Hedgefonds um.
Man bekommt den Eindruck, die biederen Sozialdemokraten sind richtig stolz, endlich in der Finanzwelt angekommen zu sein. Sie schauen mit leuchtenden Kinderaugen auf das große Geld und bewundern alles, was dieses tut. Völlig egal, „was hinten rauskommt“, um mit Helmut Kohl zu sprechen.
Noch etwas: Sie sollten angesichts dieser Entwicklung genau beobachten, was bei der Privatisierung der Bahn geschieht. Schon war zu hören, dass die Bundesregierung nicht an einer breiten Streuung der Aktien, sondern am Einstieg eines Großinvestors interessiert sei, an einem, der z.B. mit knapp 5% die Kontrolle ausübt! Toll.
Die Kapitelüberschrift in „Machtwahn“ „Dumm, arglos oder korrupt?“ enthält vielleicht auch hier die passende Auswahl zur Erklärung des Geschehens.


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