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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Wie die griechische Linke die Krise überwinden will – Ein Interview mit dem Linksparteichef Alexis Tsipras
Datum: 17. September 2013 um 9:35 Uhr
Rubrik: Euro und Eurokrise, Griechenland, Schulden - Sparen
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Die Athener Zeitung „Kyriakatiki Elevtherotypia“ hat am 8. September ein langes Interview mit dem Vorsitzenden der griechischen Linkspartei Syriza, Alexis Tsipras, veröffentlicht. Die beiden KE-Redakteure Spyros Karalis und Kostas Kalloniatis legten dem Oppositionsführer präzise und kritische Fragen vor, die sich auch die meisten griechischen Bürgerinnen und Bürger stellen müssten, würde man sie in nächster Zeit zu einer Wahlentscheidung aufrufen. Aus den ausführlichen Antworten von Tsipras lässt sich deutlicher als je zuvor erkennen, wie der Vorsitzende der Syriza – den die internationale Presse bereits als Symbolfigur und als „das Gesicht“ der europäischen Linken darstellt – die politische Zukunft seiner Partei, seines Landes und der Europäischen Union beurteilt und vor allem selbst gestalten will. Das Interview ist auch deshalb für unsere Leserinnen und Leser interessant, weil es auf viele Fragen eingeht, die Niels Kadritzke in seinem Beitrag „Geht die alte Kumpanei geht weiter oder gibt es eine Chance für eine politische Alternative?“ gegenüber der „neugeborenen“ griechischen Linkspartei Syriza aufgeworfen hat.
Niels Kadritzke hat für uns das Interview übersetzt und einige Anmerkung zur derzeitigen politischen Situation vorweggestellt.
Meine Übersetzung hält sich, jenseits stilistischer Bedenken, eng an den griechischen Interview-Text, um die Ausdrucksweise, also auch die Denkweise des Sprechers der nicht-kommunistischen griechischen Linken möglichst authentisch vorzustellen. Im Übrigen wurde der Text in dem übersetzten Teil nur ganz unwesentlich gekürzt. Dabei handelt es sich um kurze Passagen, die für den deutschen Leser ohne größere Erläuterungen unverständlich sind. Alle eingeklammerten Sätze oder Hinweise stammen von mir und sollen nur der Klärung oder Präzisierung dienen. Ganz verzichtet habe ich auf einen Schlussteil, in dem Tsipras auf Fragen der klassischen Außenpolitik eingeht.
Zur Einführung will ich einige Punkte benennen, die verständlich machen sollen, woraus sich die erstaunliche Siegesgewissheit nährt, die Tsipras in seinen Antworten erkennen lässt.
Die neuesten Umfragen zeigen vor allem, dass die Enttäuschung über die Politik der Regierung Samaras/Venizelos (einer Allianz der verbrauchten Parteien ND und Pasok) nicht nur anhält, sondern über die letzten Monate noch stärker geworden ist. Nach der September-Umfrage des Instituts Public Issue glauben in der Tat drei Viertel der Bevölkerung, dass die Entwicklung ihres Landes in die falsche Richtung geht. Ablehnend zur Sparpolitik der Regierung (im Tsipras-Interview als „Memorandum“-Politik bezeichnet) äußern sich 76 Prozent der Befragten (8 Prozent mehr als noch vor einem Jahr); und genau so wichtig: 72 Prozent beschreiben ihre persönliche Lage als zumindest „schwierig“ (3 Prozent mehr als noch im Juli).
Ein weiterer Indikator für die Stimmung ist, dass 81 Prozent der Befragten im Herbst mit anhaltenden Streiks und Demonstrationen rechnen (die auch die Syriza ankündigt und in den meisten Fällen mittragen will). Dieser Prozentsatz ist besonders bemerkenswert, weil er seit dem Juli um 25 Punkte gestiegen ist.
Die zunehmend regierungskritische Stimmung schlägt sich auch in der „Sonntagsfrage“ nieder. Nach der (gewichteten) Hochrechnung der Demoskopen würde die Syriza bei Wahlen auf 30,5 Prozent der Stimmen kommen und damit um einen Prozentpunkt vor der ND liegen. Die Wahlprognose für die anderen Parteien lautet: 15 Prozent für die Neonazi-Partei Chrysi Avgi, 8 Prozent für die Pasok, 7,5 Prozent für die KKE (orthodoxe Kommunisten), 7 Prozent für die rechtspopulistische ANEL und nur 3,5 Prozent für die linkssozialdemokratische Dimar, die durch ihr Ausscheiden aus der Regierung im Gefolge des ERT-Skandals viele Anhänger verloren hat.
Damit sind die Syriza und die Neonazis die einzigen Parteien, die im Vergleich mit den Juli-Umfragen zulegen konnten, während beide Regierungsparteien leicht verloren haben. Insbesondere die sozialdemokratische Pasok geht schweren Zeiten entgegen, was sich darin ausdrückt, dass 80 Prozent der Griechen eine explizit negative Meinung über sie haben (noch negativer werden nur die Neonazis gesehen).
Bemerkenswert ist allerdings, dass im Falle vorzeitiger Neuwahlen immer noch mehr Befragte die konservativen ND als stärkste Partei erwarten (46 Prozent), während 40 Prozent die Syriza vorn sehen. Aber: Nach wie vor ist aber eine klare Mehrheit von 60 Prozent gegen vorgezogene Wahlen, die von der Syriza angestrebt werden. In einer ähnlicher Größenordnung liegt die negative Meinung über alle politischen Führungsfiguren, die für Samaras wie für Tsipras bei 61 Prozent liegt; alle übrigen Politiker sind jedoch noch weit unbeliebter; so wird etwa der Pasok-Vorsitzende und Vizeministerpräsident Venizelos von 76 Prozent negativ gesehen.Das Misstrauen gegen „die Politiker“ schlechthin zeigt sich auch in der wichtigen Frage, welche Regierung die Wähler bevorzugen: 28 Prozent votieren für die aktuelle Regierung Samaras, 23 Prozent für eine Syriza-Regierung unter Tsipras. Aber 45 Prozent geben die Antwort: keine von beiden!
Diese Umfrageresultate spiegeln zwar die tiefgehende Vertrauenskrise zwischen Regierung und Wählervolk, sind aber auch für die Syriza höchst ambivalent. Es ist deshalb interessant, wie Tsipras in dem dokumentierten Interview auf diese demoskopischen Befunde reagiert.
Dass die Regierung Samaras/Venizelos weiter an Zustimmung einbüßt, liegt vor allem an den anhaltend negativen Wirtschaftsdaten. Ganz offensichtlich hat die „Optimismus“-Kampagne, die insbesondere Samaras selbst in den letzten Monaten fast bis zur Farce forciert hat (siehe dazu meine Berichte auf den Nachdenkseiten vom 11. Juli und vom 25. Juli), keinerlei Wirkung erzielt. Im Gegenteil: Nach der Verkündung des nunmehr seit einem Jahr beschworenen „Wirtschaftsaufschwungs“ wird die ökonomische und soziale Misere, die fast jeder Einzelne am eigenen Leibe spürt, als noch schmerzhafter empfunden. Und auch der prognostizierte Überschuss im „Primärhaushalt“ (also ohne die Zinsbelastung), den Finanzminister Stournaras für das Haushaltsjahr 2013 ankündigt, musste nicht nur heruntergerechnet werden (von 2,6 Milliarden auf neuerdings 1,1 Milliarden Euro). Der „Primärhaushalt“ erweist sich auch zunehmend als eine Größe, die fast nichts über die ökonomische Perspektive des Landes aussagt. In einem Gutachten des griechischen Unternehmerverbandes wurde mit Recht festgestellt, der „Primärüberschuss“ sei im Grunde nur eine „symbolische Ziffer“: Sie könne als solche keine ausländische Investitionen anziehen und sei für die einheimischen Investoren irrelevant; ebensowenig werde sie den Konsum ankurbeln oder Arbeitsplätze schaffen. Kurzum: Ein „Primärüberschuss“ bringt noch kein Wirtschaftswachstum. Daraus folgt eine scharfe Kritik an der Regierung: „Indem man einen Krieg der Zahlen in Sachen Staatsdefizit geführt hat, ist das Wachstumsziel auf der Strecke geblieben.“ Und dann stellt der Unternehmerverband die entscheidende Frage, auf die Samaras und Stournaras die Antwort schuldig bleiben: „Welche Position soll Griechenland innerhalb der internationalen Arbeitsteilung haben?“(Zitate nach Kathimerini vom 9. September).
Mit Hinweis auf den „drohenden“ Primärüberschuss verleugnet die Regierung auch eine Entwicklung, die außer ihr inzwischen fast die gesamte Wirtschaftswelt als unvermeidlich ansieht: einen neuen Schuldenschnitt im kommenden Jahr, und zwar bei den „offiziellen“ Gläubigern (wie der EZB und nationalen Zentralbanken der Euroländer, inklusive der deutschen Bundesbank). Unklar ist derzeit nur noch, wie viele Schulden dem Land durch diesen zweiten „haircut“ erlassen werden sollen/müssen. Diese Unklarheit wird erst dann beseitigt sein, wenn die Griechen Ende des Jahres Kassensturz machen. Die inländischen Experten gehen schon heute von einer erneuten „Deckungslücke“ in Höhe von mindestens 10 Milliarden Euro aus.
Bei diesen Prognosen ist allerdings noch völlig offen, wie viel Geld aus dem Staatshaushalt in die Rentenkassen nachgeschossen werden muss, die wieder einmal riesige Defizite akkumuliert haben. Das liegt vor allem an der Tatsache, dass die Unternehmen ihre Pflichtbeiträge in das Rentensystem nicht mehr abführen (können), und dass auch viele Freiberufler nichts mehr in ihre eigenen Kassen einzahlen.
Das Problem ist höchst akut. Die größte Sozial- und Krankenkasse IKA musste bereits einen fünf Tage laufenden Notkredit von 150 Millionen Euro bei der Staatskasse aufnehmen, damit sie die Renten im Oktober auszahlen kann. Im Grunde ist die IKA illiquide, und kein Mensch weiß, wie man die Löcher im Lauf dieses Jahres noch stopfen soll. Jedenfalls hat die Kampagne, mit der bei mehreren zehntausend Firmen die rückständigen IKA-Beiträge eingetrieben werden sollten, bei weitem nicht die erwarteten Resultate erbracht. (Bericht in der Kathimerini vom 13. September)
Angesichts der Löcher in den Sozialkassen klingt die Zusicherung der Regierung Samaras ausgesprochen hohl, man werde selbst für den Fall, dass ein neues „Memorandum“ nötig werden sollte, auf keinen Fall neue Sparprogramme akzeptieren, die weitere soziale Belastungen oder Einschnitte bringen würden. Denn viele Beobachter rechnen – jenseits formeller Sparbeschlüsse – inzwischen fest damit, dass die Rentenkassen schlicht gezwungen sein werden, die Rentenbezüge noch weiter zu kürzen. Ob sich das dann einem neuen „Memorandum“ zurechnen lässt oder nicht, wird den griechischen Rentnern ziemlich egal sein.
Angesichts der ökonomischen Lage und der pessimistischen bis verbitterten Volksstimmung machen sich auch in der zwangsoptimischen Koalition inzwischen ernste Sorgen um das eigene Überleben breit. Offiziell wird das niemand zugeben, aber es mehren sich die Anzeichen, dass Samaras und seine Pasok-Partner immer nervöser werden. Zumal sich im Herbst zeigen wird, dass der sommerliche Tourismus-Boom keinen nachhaltigen Aufschwung und vor allem keine langfristige Beschäftigung gebacht hat. Im übigen bleibt dieser viel gefeierte Boom auf das Wachstum der Einnahmen von ausländischen Besuchern beschränkt, während der Binnentourismus völlig eingebrochen ist, weil sich sieben von zehn griechischen Familien keine Ferien mehr leisten können. Entsprechend hat die Beschäftigtenzahl im Sommer nur sehr bescheiden zugenommen; mit der Folge, dass die Arbeitslosenrate auch Ende dieses Jahres noch bei 27 Pozent liegen wird.
Ernstzunehmende Anzeichen für die politischen Befürchtungen, die sich im Regierungslager breit machen und die sich mit dem zu erwartenden „heißen Herbst“ noch verstärken dürften, werden in der griechischen Presse aufmerksam registriert. Allerdings werden sie auch – je nach Orientierung der betreffenden Medien – entweder heruntergespielt oder zu einer akuten Regierungskrise aufgeblasen. In den letzten drei Jahren sind schon zu viele dieser Gerüchteblasen geplatzt, als dass man jede ernst nehmen könnte.
Ich möchte mich deshalb auf ein Anzeichen beschränken, das allerdings von erheblicher Aussagekraft ist. In der Tageszeitung Kathimerini hat der gut vernetzte – und eher regierungsfreundlich kommentierende – Chefredakteur Alexis Papachelas am 9. September glaubhaft beschrieben, wie stark in den letzten Wochen die Angst vor einem Regierungswechsel im Lager der ND und der Pasok angewachsen ist. Es gebe ernsthafte Diskussionen über die Frage, wie man eine Syriza-Regierung verhindern könne. Für die ND stelle sich dabei vor allem die Frage, wie man die Regierung erhalten kann, wenn nach den nächsten Wahlen kein Koalitionspartner mehr zur Verfügung stehe (etwa weil die Pasok weiter zerfällt oder an der 3-Prozent-Hürde scheitert). Eine Koalition mit den Neonazis (die manche Linke in Griechenland fast herbeischreiben wollen) sei im Hinblick auf „Europa“ völlig ausgeschlossen. Wenn die ND aber Stimmen an die Xhrysi Avgi verlieren sollte, könnte die Stunde der Syriza so oder so gekommen sein. Als Gegenstrategie, berichtet Papachelas, denke man in der Umgebung Samaras ernsthaft über die Gründung einer echten „Partei der Mitte“ nach, die als Koalitionspartner für die Rechtspartei ND dienen könnte.
Das klingt alles sehr spekulativ, und Papachelas weiß auch keine Antwort auf die Frage, wer eine solche Partei mit welchem Programm gründen sollte. Er vermutet im Gegenteil, dass auf der politischen Bühne Griechenland so viele Egozentriker und Primadonnen posieren, dass man sich „eine gemäßigte, rationale Partei ohne überzogene Ambitionen“ nur schwer vorstellen könne. Aber allein der Traum von einer solchen neuen „Partei der Mitte“ zeigt an, welch schwere Zeiten der heutigen Athener Regierung bevorstehen. Vor allem angesichts des politischen Potentials, das die Syriza entfalten könnte, wenn sie eine kluge Strategie entwickelt.
Die Frage, ob die die linke Opposition dazu in der Lage ist, kann und sollte sich jeder Leser bei der Lektüre des folgenden Interview mit dem Vorsitzenden Alexis Tsipras selbst stellen.
Interview mit dem Vorsitzenden der griechischen Linkspartei Syriza, Alexis Tsipras, aus: Elevtherotypia vom 8. September 2013
Die Fragen wurden gestellt von Spyros Karalis und Kostas Kalloniatis
Syriza eine „neue Pasok“?
Elevtherotypia: Die Menschen sind offensichtlich erschöpft – und misstrauisch gegenüber der Politik und den Parteien. Man hat es satt, immer nur Ankündigungen zu hören. Auch Sie dürften mitbekommen haben, dass ziemlich viele Leute heute die Syriza mit der Pasok gleichsetzen, die einmal sehr viel Versprechungen gemacht hat, um dann genau das Gegenteil zu tun. Was würdet ihr zu den Leuten sagen, die der Syriza skeptisch gegenüber stehen und sie als „neue Pasok“ betrachten?
Tsipras: Die Leute tun sehr gut daran, misstrauisch zu sein; schließlich haben sie ja schon einiges erlebt. Aber die Syrizia ist weder eine neue noch eine „andere“ Pasok. Die Syriza bringt die Wut der Menschen zum Ausdruck: ihre Wut über das Scheitern des verfaulten und maroden politischen Systems der „metapolitevsi“ (gemeint ist die Zeit nach der Obristendiktatur 1967-1974); aber auch das Bedürfnis nach einem radikalen Kurswechsel und nach gesellschaftlichen Umwälzungen.
Daraus folgt, dass ein Vergleich mit anderen Verhältnissen zumindest unglücklich ist. Im Übrigen haben wir deutlich gesagt, dass wir weder über ein Zaubermittel noch über automatische Lösungen für jedes Problem verfügen. Und wir haben bereits sehr frühzeitig dargelegt, dass es an dem Punkt, den wir jetzt erreicht haben, weder leichte noch schmerzlose Lösungen gibt.
Und doch muss es ja Lösungen geben. Deshalb müssen wir mutige Entscheidungen treffen. Der jetzige Zustand kann nur durch Kämpfe, durch Konflikte und eine veränderte Mentalität überwunden werden. Was aber vor allem nottut, ist die Beteiligung der Menschen selbst. Wo immer die Gesellschaft ihre Passivität überwunden und eine aktive Rolle gespielt hat, da ist es vorangegangen, und zwar in ziemlich schnellem Tempo.
Warum sollte die Troika Neuverhandlungen über Kreditvereinbarunen akzeptieren?
Elevtherotypia: Das erklärte Ziel der Syriza ist es, die Kreditvereinbarungen (mit der Troika) neu zu verhandeln, den größeren Teil der Staatsschuld abzuschreiben und (den Rest) erst nach einer gewissen Gnadenfrist zurückzuzahlen, die wiederum vom Entwicklungstempo der Wirtschaft abhängen soll. Warum aber sollten die Deutschen und die anderen ausländischen Gläubiger Ihre Vorschläge akzeptieren?
Tsipras: Weil es der einzige realistische und gangbare Ausweg aus der Krise ist. Alle Rezepte, die bis heute angewandt wurden, sind doch jämmerlich gescheitert. Die Gläubiger selbst haben die ursprüngliche Vereinbarung von 2010 bereits drei Mal korrigiert. Zuerst mit dem PSI (private investors involvement), also dem haircut für die privaten Anleger in griechische Bonds, sodann mit der Fristenverlängerung für die Abzahlung der öffentlichen Schulden von 300 Milliarden: vom (ursprünglichen) Jahr 2020 auf den Zeitraum 2040 bis 2050; und schließlich mit der Reduzierung der Zinsen für die Schulden, die bis 2020 abgezahlt werden müssen.
Trotz dieser drei Korrekturen ist die Staatsschuld heute nicht bedienbar. Das belegt auch die Tatsache, dass der IWF selbst einen Schuldenschnitt in Höhe von 40 Prozent fordert. Folglich handelt es sich um ein existierendes, ein anerkanntes Problem – was damit zu tun hat, dass die Sparpolitik und die wirtschaftliche Depression die öffentliche Verschuldung nicht vermindern, sondern im Gegenteil erhöhen, womit die Ausweglosigkeit nur verewigt wird. Der einzige Ausweg ist die Entscheidung für eine machbare Lösung (des Schuldenproblems), und die kommt erst dann, wenn eine neue Regierung mit Unterstützung des Volkes sich weigert, die falsche Lösung weiter zu betreiben.
Unser Vorschlag tut genau dieses. Er stellt eine Lösung dar, die der griechischen Wirtschaft die Zeit geben wird, um sich zu erholen, sie zugleich aber fähig macht, in der Zukunft eine tragbare Staatsschuld zu bedienen.
Ein Schuldenschnitt um 40 bis 50 Prozent als Ausweg?
Elevtherotypia: Was verstehen sie unter „bedienbare Staatsschuld“ (Wörtlich: lebensfähige Schuld)? Welcher Schuldenschnitt ist nötig, damit die Schuld bedienbar wird?
Tsipras: Zunächst einmal will ich, dass wir alle eines erkennen: Die Strategie der Regierung, die Staatsschuld als bedienbar darzustellen, und das dann wieder zu dementieren, wenn sie neue Sparmaßnahmen beschließen und ein neues „Memorandum“ (Vereinbarung mit der Troika) unterschreiben muss, ist eine verderbliche Politik. Sie schadet der Glaubwürdigkeit des Landes – und im Übrigen schreckt sie auch die Investitionen ab, um die man sich angeblich bemüht.
Aber natürlich sind die Größenordnungen in der politischen Ökonomie, wie Sie wissen, ziemlich relativ. Auch wenn die Verschuldung bei Null liegen würde, wäre sie nicht „lebensfähig“, wenn es kein Wirtschaftswachstum gibt. Die Schulden sind bedienbar, wenn sie – als Prozentsatz des Bruttoinlandsprodukts ausgedrückt – schrumpfen oder zumindest nicht ständig weiter steigen, wie es bei der griechischen Staatsschuld der Fall ist. Entscheidend ist also vor allem, dass die ständige ökonomische Depression aufhört – und das heißt, dass wir ein für alle Mal die Politik der „Memoranden“ los werden müssen. Im übrigen schätze ich, dass ein Schuldenschnitt um 40 bis 50 Prozent, der die Staatsschuld auf 85 bis 90 Prozent des BIP und damit auf den europäischen Durchschnitt herunterbringen würde, den Ausweg aus der Krise eröffnen und eine rasche wirtschaftliche Erholung bringen wird – und zwar in Verbindung mit einer Beendigung der Austeritätspolitik und einem Sofortplan für öffentliche Entwicklungsinvestitionen.
Was folgte nach einem Zahlungsstopp?
Elevtherotypia: Sie haben folgendes angekündigt: Wenn ein vierjähriges Zinsenmoratorium nicht akzeptiert wird (von der Troika), werden wir einseitig beschließen, unsere Zahlungen einzustellen. Damit würden Sie sofort vor dem Schreckensszenario stehen, dass keine Gelder mehr fließen und der Austritt aus dem Euro droht. Das wäre doch der „schlimmste Ausgang“, von dem die Syriza in ihren programmatischen Thesen spricht. Werden Sie angesichts eines solchen möglichen Ausgangs wirklich einen einseitigen Zahlungsstopp beschließen?
Tsipras: Wenn das Zinsmoratorium nicht akzeptiert würde, hieße das doch, dass sie selber (die Mitglieder der Troika) jeden Ausweg verstellen wollen. Das aber halte ich für irrational. Und zwar nicht, weil sie Mitleid mit uns haben, sondern weil eine solche Perspektive schlichtweg nicht in ihrem Interesse liegt, denn damit wäre ja die ganze Eurozone in ihrem Zusammenhalt gefährdet.
Aber selbst wenn es im Rahmen harter Verhandlungen zunächst so kommen sollte (wie die Frage unterstellt), dann würden auch wir auf gebührende Weise reagieren. Es ist ja keineswegs unser Wunsch, einseitige Schritte in Bezug auf die Bedienung unserer Schulden zu unternehmen, aber wenn man uns in diese Situation hineintreibt, werden wir nicht zögern, das Leben und die Würde unseres Volkes wie auch die Souveränität unseres Landes zu verteidigen.
Wissen Sie, wir sind ja nicht die Pasok oder die ND – die nur so tun, als würden sie verhandeln, während sie im Grunde schon von Anfang an zu allem „Ja“ gesagt haben. Und das Allerwichtigste: Gegen uns haben sie keine schwarzen Listen in der Hand, mit denen sie uns erpressen können, wie die Lagarde-oder die Siemens-Liste (gemeint sind die Listen von Auslandsguthaben bzw. von bestochenen Amtsträgern). Aber unabhängig davon ist es simplifizierend und unsinnig, zu behaupten, dass unsere Haltung automatisch zum Ausscheiden aus dem Euro führen würde.
Niemand kann uns aus der Eurozone „ausschließen“. Und in dem Fall, auf den Sie Bezug nehmen, werden wir richtig harte Verhandlungen führen, um tatsächlich eine tragfähige Lösung für alle zu finden. Und ich glaube, dass wir das am Ende schaffen werden. Da bin ich mir sicher.
Es gibt nach wie vor eine gigantische Finanzierungslücke
Elevtherotypia: Woher beziehen Sie diese Sicherheit, woraus nährt die sich? Sie reden über eine rationale und tragfähige Lösung. Halten Sie es für ausgeschlossen, dass es auch ohne Schuldenschnitt und Zahlungsaufschub gehen könnte?
Tsipras: Wenn sie rational und tragfähig sein soll, ist das völlig ausgeschlossen. Und ich will Ihnen erklären warum. Unsere Zinsverpflichtungen belaufen sich nach dem heutigen Programm der Troika bis 2020 auf 83 Milliarden Euro. Davon sollen 61 Milliarden aus Haushaltsüberschüssen abgezahlt werden, von denen man annimmt, dass sie ab 2014 bei 4,5 Prozent des BIP liegen werden.Die restlichen 22 Milliarden Euro sollen akkumulierend aus Privatisierungen gewonnen werden. Diese Berechnungen beruhen allerdings auf der Annahme, dass die griechische Wirtschaft ab 2014 wieder wachsen und bis 2020 ein stabiles jährliches Wachstum von 3 bis 3,5 Prozent aufweisen wird.
Gibt es irgendwo auf der Welt einen ernstzunehmenden Menschen, der nicht merken würde, dass dies völlig phantastische Szenarien sind? Noch nie in der Geschichte hat ein Land es aus einer wirtschaftlichen Depression heraus geschafft, zugleich Haushaltsüberschüsse und ein hohes Wirtschaftswachstum zu erzielen. Und was die Privatisierungen betrifft, so sei daran erinnert, dass die 50 Milliarden Erlöse, die im ersten Memorandum vorgesehen waren, inzwischen auf 22 Milliarden Euro reduziert wurden. Und die TAIPED (die griechische Privatisierungsbehörde) rechnet nach ihren ehrgeizigsten Schätzungen nur noch mit 15 Milliarden.
In Wahrheit wissen Alle, dass angesichts des aktuellen Verfalls der Werte (v.a. der Immobilien) nicht einmal 7 oder 8 Milliarden an Erlösen leicht zu erzielen sein werden, selbst wenn ein Totalausverkauf stattfinden und man Griechenland zum einzigen Land der Welt machen würde, das keinerlei öffentliches Eigentum mehr hat.
Das heißt, dass es eine gigantische Finanzierungslücke gibt, die allein für die Jahre 2014 und 2015 bei 10 Milliarden Euro liegen dürfte. Und die sich bis 2010 auf 77 Milliarden erhöhen würde, wie die deutschen Sozialdemokraten vor kurzem festgestellt haben.
Auf der anderen Seite läuft die Finanzierung durch die europäischen Gläubiger im Mai 2014 aus. Der IWF finanziert noch bis 2016 weiter, aber nur die Zinsen für ihre eigenen Kredite. Und jetzt frage ich Sie: Wie sollen wir die Zinsen von 83 Milliarden Euro in der Zeitspanne 2014 bis 2020 bezahlen? Aus unseren eigenen Mitteln? Völlig unmöglich, es sei denn wir schließen unsere Krankenhäuser, unsere Schulen, zahlen keine Renten mehr und eliminieren auch noch Tausende von Arbeitslosen.
Aus neuen Krediten? Die müssten wir erst mal kriegen, aber auch hier stellt sich die Frage: Bis wann werden die europäischen Steuerzahler und ihre Parteien noch weiteren Ausgaben zustimmen, die nur einem einzigen Zweck dienen, nämlich die Banken zu retten und die Ausweglosigkeit nur noch weiter zu verlängern. Und warum sollten sie davon ausgehen, dass dieselbe Rezeptur, die bereits gescheitert ist, das nächste Mal erfolgreich sein wird?
Deshalb ist die von uns vorgeschlagene Lösung die einzig realistische: eine Konferenz im Format der Londoner Konferenz von 1953 über Deutschland (gemeint sind die deutschen Kriegsschulden), auf der eine tragfähige (griechische) Staatsschuld beschlossen wird: mit einem Aufschub der Zinszahlungen gemäß der wirtschaftlichen Entwicklung, das heißt bis die Wirtschaft wieder zu Wachstum zurückfindet. Es ist die einzig realistische Lösung auch für Europa, wo heute die endlose Verlängerung und der erneute Ausbruch der Krise im ganzen Süden drohen.
Ich glaube auch, dass wir, wenn wir (die Wahlen in Griechenland) gewinnen, keineswegs allein gegen die Merkel dastehen werden. Diese Lösung werden breitere Kräfte begrüßen und unterstützen. Und das nicht nur im Süden, sondern sogar in Deutschland selbst.
Ein Ausscheiden Griechenlands wäre der Anfang vom Ende der EU
Elevtherotypia: Aber bislang lassen die internationalen Machtzentren offenbar nicht mit sich spaßen. Das zeigt sich ganz klar am Beispiel Zypern, als das anfängliche „Nein“ der Zyprioten mit einer vollständigen Unterwerfung unter die Forderungen (der Troika) endete. Werden Sie also auf Ihrer Position beharren, selbst angesichts der unliebsamen Alternative eines Ausscheidens aus der Eurozone?
Tsipras: Griechenland ist nicht Zypern. Wer behauptet, das Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone sei eine Gleichung mit lediglich ökonomischen und währungstechnischen Parametern, ist entweder naiv oder dumm. Eine Eurozone, der man ihre südöstliche Extremitäten amputiert hat, eine Europäische Union mit einer tiefen Wunde in der sensiblen Mittelmeerregion, das wird eine verkrüppelte und unstabile Eurozone bzw. EU sein. Das wird der Anfang vom Ende (der EU) sein.
Aber selbst wenn die beiden Fälle (Griechenland und Zypern) ähnlich liegen würden, können Sie eine Syriza-Regierung, die vom Volk den klaren Mandat eines Aussstiegs aus dem Memorandum (also der Sparpolitik) erhalten hat, nicht mit der neu gewählten Regierung Anastassiadis in Zypern vergleichen, die mit Unterstützung der Frau Merkel gewählt wurde und sich schon vor den Wahlen auf eine rasche Einbindung in die Memorandums-Politik verpflichtet hat.
Eine Syriza-Regierung wird einen klaren Auftrag des Volkes haben, ihre Politik umzusetzen, das Land von dem Memorandum zu befreien, in neue Verhandlungen über eine tragbare Staatschuld einzutreten und den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wiederaufbau des Landes voranzutreiben. Und das wird sie auch tun, ungeachtet möglicher Erpressungsmanöver. Und die Gläubiger wissen das. Sie wissen, dass die Syriza nicht das Gleiche ist wie der Papandreou, wie der Samaras oder wie der Anastassiadis.
Auf der anderen Seite müssen wir allerdings zugeben, dass der Fall Zypern etwas klar gemacht, was wir schon wussten – und deshalb arbeiten wir in diese Richtung: Hier hat sich gezeigt, dass viele Völker und viele Regierungen gemeinsam „Nein“ sagen müssen, das heißt nicht mehr dem Selbstbetrug des „Musterschülers“ (im Sinne der Deutschen) aufsitzen.
Die politische Wende in Griechenland wird Teil eines umfassenderen historischen Einschnitts sein. Deshalb arbeiten wir an möglichst breiten europäischen Bündnissen, sowohl im Süden als auch in den Ländern des Nordens.
Eine „Allianz des Südens“ für die Aufkündigung der Sparprogramme?
Elevtherotypia: Die Neuverhandlung der Kreditvereinbarungen bedeutet doch, dass wir die Fortsetzung des Kreditprogramms mit günstigeren Konditionen fordern, damit Gelder, die für die Zinszahlungen draufgehen, für die Gesellschaft und die wirtschaftliche Entwicklung verfügbar sind. Wie sieht die Agenda aus, mit der eine Allianz des Südens zustande kommen soll, damit die Beziehungen (zwischen den Südländern) sich verändern und die Neuverhandlungen von Erfolg gekrönt sein werden?
Tsipras: Frau Merkel behauptet, dass man die Probleme der Staatsschulden nicht mit noch mehr Schulden löst. Deshalb besteht sie auf der harten Sparpolitik, obwohl diese Politik ständig den Bedarf an neuen Krediten, also einen Teufelskreis erzeugt. Andererseits spricht jedoch Herr Streinbrück ganz offen von der Notwendigkeit eines neuen Marshall-Plans für den Süden.
Wir sollten also begreifen, dass das Problem ein europäisches ist, und dass seine grundlegenden Dimensionen längst benannt wurden: das gemeinsame Angehen der öffentlichen Verschuldung, die Krise des Bankensystems, die ökonomische Entwicklung und natürlich das gigantische Problem der Arbeitslosigkeit.
Die Länder des (europäischen) Südens können bei diesen Themen einen Konsens finden, wobei sie sich immer auch an die Arbeiter des Nordens wenden müssen. Damit formulieren sie zugleich den Anspruch auf substantielle Demokratie, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliches Wachstum auf der Basis der gesellschaftlichen Bedürfnisse. Der erste Schritt zur Umsetzung dieser Agenda ist die Aufkündigung der Politik der oktoryierten Sparprogramme, die den europäischen Süden „verbrennen“. Dieses Feuer ist heute schon in Frankreich angekommen und wird morgen auch Deutschland selbst erfassen.
Woher soll das Geld für eine Wachstumspolitik kommen?
Elevtherotypia: Wenn es aber zu keiner Vereinbarung über neue günstigere Kredite kommt, wo wollen Sie dann das Geld für diese angestrebte Sozial- und Wachstumspolitik finden?
Tsipras: Die Notwendigkeit, die humanitäre Krise in Griechenland mit besonderen sozialen Schutz- und Hilfsmaßnahmen zu bekämpfen, ist eine höchst akute und kann nicht bis zum Ende der Verhandlungen aufgeschoben werden. Das gilt im großen Ganzen auch für die wirtschaftliche Wachstumspolitik. Die Mittel dafür kommen normalerweise aus drei Quellen, und auf die werden wir uns konzentrieren: Europäische Gelder (gemeint sind die EU-Finanzhilfen), Investitionen der öffentlichen Hand und Bankkredite. Bei jeder dieser drei Quellen ist natürlich eine konkrete Strategie erforderlich.
Was die europäischen Gelder betrifft, so dürfen sie nicht mehr vergeudet und müssen stattdessen richtig genutzt werden, und zwar für den Schutz der Schwachen. Die öffentlichen Investitionen sind wieder auf das Niveau anzuheben, auf dem sie vor der Sparpolitik waren, und sie müssen als Hebel für ein tatsächliches Wachstum eingesetzt werden. Und die Stabilisierung des Bankensektors erfordert eine radikal andere Herangehensweise als die, mit der die Troika das Problem angegangen ist.
Die Syriza bemüht sich an allen drei Fronten um konkrete Vorstellungen über die notwendigen Veränderungen. Zur Stabilisierung der Wirtschaft wird im Übrigen bereits die Abschaffung des Memorandums als solche beitragen. Zum Beispiel wird die Anhebung der Mindestlöhne den Konsum beleben und damit die Wirtschaft ankurbeln helfen. Der größte Impuls muss also von der Wiederbelebung der Wirtschaft kommen. Denn nur dann werden ausreichende private Investitionen fließen, die nötig sind, damit die Wirtschaft sich wieder in Richtung einer Erneuerung ihrer produktiven Basis entwickelt.
Finanzmittel in der Dimension eines Marschall-Plans sind nötig
Elevtherotypia: Haben sie die sozialpolitischen Maßnahmen, die Sie etwa zur Bekämpfung der Armut und der Arbeitslosigkeit vorschlagen, auch durchgerechnet? Wie sollen die finanziert werden? Und reicht das Geld für die Erhöhung der öffentlichen Investitionen, oder braucht man einen neuen Marshall-Plan (also Geld von außen)?
Tsipras: Wie bereits gesagt, haben die Maßnahmen gegen die Armut für die Syriza die allerhöchste Priorität und sie werden kommen, was immer es uns kostet. Und was die Finanzierung betrifft, so wird ein Teil durch die Umschichtung der öffentlichen Ausgaben gedeckt, ein weiterer Teil durch die Aktivierung der EU-Mittel. Und ein dritterTeil wird durch die Umverteilung der Steuerlasten gewonnen, die steuerliche Entlastungen für die ärmeren Schichten bringen wird. Damit werden deren verfügbare Einkommen erhöht, was heißt, dass ein Teil der besonders hart getroffenen Haushalte wieder aus der Armutszone herausfinden kann.
Jenseits dessen sind aber in der Tat Finanzmittel von der Dimension eines Marshall-Plans nötig, und zwar nicht nur, um die humanitäre Krise in Griechenland zu bekämpfen, sondern auch zugunsten der gesellschaftlichen Entwicklung in ganz Europa.
Ein radikaler Umbau des Steuersystems ist notwendig
Elevtherotypia: Sie setzen bei der Beschaffung öffentlicher Gelder auf die Besteuerung des Reichtums. Da es nun aber noch Jahre dauern wird, bis die Vermögens- und Besitzverhältnisse staatlich erfasst sind, stellt sich die Frage, welche anderen steuerpolitischen Maßnahmen Sie vorschlagen.
Tsipras: Ein radikaler Umbau des Steuersystems ist absolut notwendig, dasselbe gilt im Übrigen für die Methoden und Mechanismen der Steuereintreibung. Es geht einfach nicht, dass wir über so viele Jahre die Armut besteuern und den Reichtum unangetastet lassen. Aber es stimmt schon, dass es einige Zeit dauern wird, bis das gerechte Steuersystem, das wir vorschlagen, die erwünschten Einnahmen erzielen wird.
Andererseits gibt es eine Vielfalt steuerlicher Instrumente, mit denen man eine gerechtere Verteilung der Steuerlasten erreichen kann. Ich denke dabei etwa an die „tekmiria“ (wörtlich: Indizien; gemeint ist die Erfassung von Vermögenswerten wie Häuser, Autos als Indizes für das – verschleierte – Einkommen), an die Pflicht zur Offenlegung der finanziellen Verhältnisse (bei Politikern und öffentlichen Bediensteten), an die Kontrolle der offshore-Firmen (die häufig der Verschleierung von Immobilien- und anderen Vermögen dienen), an den Kampf gegen Geldwäsche, an Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug, an die Eindämmung von Benzin- und Zigarettenschmuggel, an die Kontrolle der elenden Plage gefälschter Rechnungen. All das ist eine Frage des politischen Willens, die richtigen Instrumente einzusetzen, um für eine gerechtere Besteuerung der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu sorgen.
Den Klientilismus zerschlagen
Elevtherotypia: Als Rezept gegen die Krise fordert die Linke traditionellerweise immer eine Stärkung des öffentlichen Sektors. Aber in Griechenland ist der öffentliche Sektor durch Intransparenz, Korruption, Bestechung und Verschwendung gekennzeichnet. Wie wollen Sie den öffensichtlichen Sektor sanieren, damit er aufhört, eine Quelle der Bereicherung für den Privatsektor zu sein? Werden sie jede Privatisierung stoppen? Haben Sie vor, alle privatisierten Unternehmen wieder in die öffentliche Hand zu bringen, also auch nicht gemeinnützige Unternehmen wie OPAP (das privatisierte Wett- und Lotterieunternehmen)? Und wie werden Sie es mit den Entlassungen halten, die derzeit laufen?
Tsipras: In Griechenland haben die Verflechtungen (gemeint ist: Gefälligkeiten aufgrund persönlicher Beziehungen) und das politische System ungeheuerliche Pathologien im öffentlichen Sektor entstehen lassen. Wir haben den Ehrgeiz, dieses System der Verflechtungen zu zerschlagen, deshalb sind wir bereit, tiefgreifende Reformen im öffentlichen Bereich durchzusetzen. Vor allem wollen wir Gesetzesänderungen in vielen Bereichen, mit der Herausbildung allgemeiner Regeln für Bereiche wie Raumordnung, Umwelt und Besteuerung, wir wollen eine selbständige öffentliche Verwaltung ohne politische Kontrolle, mehr Transparenz und einfachere bürokratische Abläufe, und wir wollen die Regeln im Inneren der Verwaltung (etwa bei Beförderungen) auf das Leistungsprinzip ausrichten. Bei diesen Veränderungen wollen wir die öffentlichen Bediensteten als Mitstreiter haben und nicht als Feinde.
Bei den Entlassungen, und zumal wenn sie horizontal erfolgen (gemeint sind pauschale Einschnitte ohne qualitative Kriterien), handelt es sich nicht um eine Reform, sondern um die Auflösung des öffentlichen Dienstes. Wir streben danach, alle Bürger zu überzeugen, ihren Beitrag zur Neubegründung des Staates zu leisten, damit die Beziehung zwischen dem Staat und den Bürgern eine andere wird. Damit wir einen öffentliche Verwaltung bekommen, die dem Bürger und der Gesellschaft als Ganzes Nutzen bringt. In diesem Rahmen werden wir prüfen, wie und mit welchen Prioritäten wir uns als öffentlicher Sektor diejenigen Bereiche wieder aneignen, die für die Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse wichtig sind.
Was nun aber die OPAP betrifft, so muss ich folgendes sagen: Ein Wettunternehmen mag zwar keine gemeinnützige Organisation im engeren Sinne sein, und dennoch ist es unsinnig, in Zeiten einer öffentlichen Finanzklemme gewinnbringende (öffentliche) Unternehmen zu privatisieren. Ganz abgesehen von dem bedeutenden gesellschaftlichen Nutzen, der entsteht, wenn über die Verteilung der Gewinne der Staat befindet, und nicht irgendwelche privaten Eigentümer. Wir jedenfalls werden Mittel und Wege finden, das öffentliche Interesse zu verteidigen. Und wir sagen: Wer jetzt in die Verschleuderung des öffentlichen Reichtums investiert, soll nicht meinen, er könnte in Zukunft ruhig schlafen.
Wie soll Wachstum gefördert werden?
Elevtherotypia: Eine Studie des INE/GSEE (des Arbeitsforschungsinstituts des griechischen Gewerkschaftsverbands) kommt zu der Einschätzung, dass die Arbeitslosenrate selbst bei wirtschaftlichem Wachstum noch weitere 20 Jahre lang über 20 Prozent liegen wird. Mit welchen wachstumsfördernen Maßnahmen wollen Sie die Arbeitslosigkeit senken? Hoffen sie auf einen Zustrom privater Investitionen? In welchen Bereichen soll neue Beschäftigung entstehen, und mit welchen Anreizen?
Tsipras: Die INE/GSEE-Studie besagt doch: Je größer die Zerstörung des produktiven Potentials, desto schwrer wird es, die Entwicklung der Arbeitslosigkeit umzukehren. Deshalb planen wir einen unverzüglichen Strategiewandel. Wir wollen die Nachfrage stärken und damit den Markt für die Klein- und Mittelunternehmen, die vor allem auf dem Binnenmarkt aktiv sind. Das ist ein erster Schritt zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit.
Des weiteren brauchen wir ein Programm kräftiger öffentlicher Investitionen, wir brauchen politische Maßnahmen für eine rasche Entwicklung des gesellschaftlichen und genossenschaftlichen Wirtschaftssektors, einen Plan für die Stärkung der Kleinunternehmen und der Genossenschaften durch Bankkredite, die gesetzliche Absicherung für Beschäftigte, die ihr Unternehmen in Selbstverwaltung weiterführen wollen, aber auch umfangreiche Privatinvestitionen.
Der grundlegende Anreiz, den wir den Investoren bieten, ist eine Reihe von Prinzipien: die Glaubwürdigkeit, die Stabilität des Steuersystems, die Abschaffung des labyrinthischen Gestrüpps gesetzlicher Bestimmungen, das wir heute haben und das die Korruption begünstigt; und schließlich die positive Psychologie, die sich entwickeln wird, wenn die falsche Sparpolitik ein Ende findet – das heißt die Psychologie des Auswegs aus der Krise. Dabei werden wir (von den Investoren) fordern, die Umwelt zu respektieren und die Arbeitsgesetze einzuhalten.
Verstaatlichung der Banken?
Elevtherotypia: Haben Sie vor, alle großen Banken zu verstaatlichen, und wenn nicht alle, dann welche? Und wie werden Sie das hinbekommen, wenn der Hauptanteilseigner (der Banken) eine vom Staat nicht kontrollierte Institution ist, nämlich der Finanzstabilitätsfonds? (englisch: HFSF oder Hellenic Financial Stability Fund, Näheres unter: hfsf.gr )
Tsipras: Dieser Stabilitätsfond ist ein Unternehmen des griechischen öffentlichen Sektors, wobei die Regierung allerdings zugelassen hat, dass die Gläubiger das letzte Wort haben. Daraus folgt, dass die Banken schon staatlicher Kontrolle unterliegen, auch wenn die Regierung auf ihre Ausübung verzichtet hat. Wir aber werden diese Kontrolle ausüben. Reden wir also nicht darum herum: Die vier systemrelevanten Banken, die sich praktisch das gesamte Bankensystem einverleibt haben, sind bereits „verstaatlicht“, denn der HFSF hält die überwiegende Mehrheit der Aktien, und die öffentliche Hand, sprich der griechische Steuerzahler, wird durch die Rekapitalisierung mit den Milliardenschulden belastet.
Das widersprüchliche Resultat ist freilich, dass diese „verstaatlichten“ Banken unter dem Kommando der Banker stehen, die ihren Zusammenbruch zu verantworten haben. Das heißt: Die einen gewinnen, die anderen zahlen. Aber diese Party werden wir beeenden.
Jenseits dessen haben wir aber das Problem, wie das Bankensystem stabilisiert und wieder zu einem Finanzinstrument werden kann, das zur Stärkung der Realökonomie beiträgt. In diesem Sinne arbeiten wir an Plänen, etwa zur Gründung neuer Banken und Finanzinstitutionen mit besonderen Aufgaben (nach dem Vorbild etwa der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW), die das Wachstum und der gesellschaftliche Zusammenhalt gezielter und erfolgreicher stärken sollen.
„Krieg“ gegen das vernetzte Trio aus Banken, Medien und Memorandums-Politikern
Elevtherotypia: Nun ist es aber doch so, dass die Syriza nicht der Wunschpartner des griechischen und des europäischen Establishments ist, geschweige denn der einheimischen Oligarchie. Deshalb ist es fast sicher, dass Ihnen ein Klima des Misstrauens und starke Feindseligkeit, entgegenschlagen wird, was bis zur offenen Sabotage gehen könnte. Wie wollen sie einer solchen Situation begegnen, die mit dem erneuten Abfluss von Bankeinlagen und einer Kapitalflucht ins Ausland enden könnte? Wie werden Sie also ein solches chaotisches Gemisch von Steuerflucht und Fluchtgeldern kontrollieren?
Tsipras: Auf den Krieg, den das untereinander vernetzte Trio aus (griechischen) Banken, Medien und Memorandums-Politikern führen wird, müssen wir natürlich vorbereitet sein. Aber wir werden die stärkste Waffe haben, die es überhaupt gibt: die Menschen, die Mehrheit der Gesellschaft, die an unserer Seite steht. Denn die Leute werden sehen, werden beurteilen können, in wessen Interesse unsere Politik ist, und sie wird uns mit allen Mitteln unterstützen. Wir sind uns sicher, dass die entschlossene Unterstützung der Bevölkerung sogar die Oligarchie von willkürlichen Reaktionen abhalten wird. Vor diesem Hintergrund bin ich mir sicher, dass unser bereits ausgearbeiteter Plan zur Verhinderung eines plötzlichen koordinierten Geldabflusses volle Wirkung entfalten wird.
Wahlkampfbotschaft: Erlösung vom Memorandum
Elevtherotypia: Nach der Schließung von ERT (der staatlichen Rundfunk-und Fernsehanstalt) hat die Syriza einen entschlossenen Kampf ausgerufen, mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen. Mit welcher inhaltlichen Botschaft wollen Sie diesen Kampf führen?
Tsipras: Wir müssen Griechenland von dem Memorandum erlösen, und vor einer schrecklichen Zukunft bewahren, die für das Land geplant ist. Wir müssen den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie verteidigen. Dies müssen die Ziele unseres Kampfes sein. Es handelt sich um einen Kampf, an dem sich alle beteiligen müssen, jenseits politischer Spielchen und kleinlicher Parteipolitik. Und wir werden an allen Fronten kämpfen: in den Wohnvierteln, in den Städten, bei der Arbeit, in den Schulen und in den von Schließung bedrohten Krankenhäusern. Es handelt sich um einen Kampf zur Verteidigung der Gesellschaft, und er wird erst zu Ende sein, wenn die heutige Regierung am Ende ist, mitsamt dem schändlichen Memorandum.
Woher soll die Unterstützung kommen?
Elevtherotypia: Aber zu den Kundgebungen kommen nicht viel Leute, die Plätze sind leer. Schafft es die Syriza vielleicht nicht, die Bürger zu überzeugen?
Tsipras: Im Lauf der großen Mobilisierungskampagnen gibt es ein Auf und Ab. Das bedeutet nicht, dass die Leute aufgehört haben zu leiden, und auch nicht, dass sie angesichts des Memorandums resignieren. Die Gesellschaft ist am Kochen, und sie wird ihre Empörung erneut zum Ausbruch bringen, sei es auf die alte, sei es auf eine neue Weise. Und das wird sie noch selbstgewisser und noch stärker in dem Moment tun, in dem sie überzeugt ist, dass sich das politisch auszahlt. Und bei alledem ist es die spezifische Aufgabe der Linken, die Bewegung der Empörten in eine Bewegung umzuwandeln, die die fälligen politischen und gesellschaflichen Veränderungen anstrebt.
Das Volk an den Entscheidungsprozessen beteiligen
Elevtherotypia: Sie haben gesagt, dass die Syrizia nicht regieren kann, ohne das Volk ständig und direkt an den politischen Entscheidungen zu beteiligen. Wie wollen Sie dieses Prinzip umsetzen?
Tsipras: Es gibt sehr bedeutsame Reformen, die eine substantiellere Beteiligung der Gesellschaft gewährleisten können. Zum einen die Volksabstimmungen auf nationaler und lokaler Ebene, neue konkrete Beteiligungsstrukturen, neue Formen der gesellschaftlichen Organisation, genossenschaftliche Wirtschaftsformen und natürlich die radikale Umorganisierung im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung und der Gewerkschaften. Das Alles muss man nur wollen. Denn mit jedem Schritt, der das Volk näher an die Entscheidungsprozesse heranrückt, werden zugleich jene starken Interessengruppen zurückgedrängt, die derzeit die Politik und die Wirtschaft auf allen Ebenen manipulieren.
Früher oder später wird das Volk die Regierung zum Rücktritt zwingen
Elevtherotypia: Neulich haben Sie als Ihr Ziel benannt, die Regierung möglichst schnell zu stürzen. Auf welche Weise wollen Sie das schaffen?
Tsipras: Mit der täglichen kämpferischen Anklage gegen die verbrecherische und ausweglose Memorandum-Politik, die auf allen Gebieten durchgesetzt wird. Diesen Kampf führen wir im Parlament wie außerhalb, auf den Straßen und Plätzen, am Arbeitsplatz, in den Städten und Dörfern, innerhalb wie außerhalb Griechenlands. Das ist unsere Pflicht: Die Beschäftigten, die Arbeitslosen und die kleinen Gewerbetreibenden zu ermutigen und zu mobilisieren, und damit die Angst zu besiegen.
Und wissen Sie was? Ich glaube, dass wir das schaffen werden. Früher oder später wird die Mobilisierung unseres Volkes sie (die jetzige Regierung) zum Rücktritt zwingen, unter der Last des totalen Scheiterns des Memorandums und aufgrund der allgemeinen Empörung. Die Regierung hat gegenüber der Troika die Politik des „Musterschülers“ praktiziert. Diese Politik hat sich als verheerend erwiesen, und einen Fluchtplan gibt es nicht. Die heutige Regierung wird auf genau dieselbe Weise abtreten wie die beiden vorherigen Memorandums-Regierungen. Aber sie wird die letzte sein, die sich dem Memorandum unterworfen hat. Das griechische Volk wird den Schritt zum Umsturz machen, und jeder weitere Versuch, es zu betrügen und einzuschüchtern, wird erfolglos bleiben.
Die Suche nach einer „gesellschaftlichen Mehrheit“
Elevtherotypia: Mit welchen politischen Kräften werden Sie regieren? Denken Sie an eine Regierung mit Kräften aus dem Bereich der Linken – was derzeit nicht sehr erfolgversprechend scheint, da sich die KKE (die orthodoxe Kommunistische Partei Griechenlands) verweigert – oder an eine Regierung der nationalen Rettung, zusammen mit anderen Parteien?
Tsipras: Wie die Dinge heute stehen, gibt es einen Ausweg: je stärker nämlich die Syriza ist, desto erfolgreicher wird der Kampf des Volkes für die Befreiung vom Memorandum sein.Bei den letzten Wahlen war der Erfolg der Syriza die große Überraschung; heute jedoch kann und muss die Partei zum Magnetpol werden, an dem sich eine sehr breite politische und gesellschaftliche Mehrheit kristallisiert. Das bedeutet nicht, dass wir aufhören, für die Einheit und die möglichst breite Sammlung auf Basis eines fortschrittlichen alternativen Programms zu kämpfen. Und Sie können ganz sicher davon ausgehen, dass die politische Szene nach den (kommenden) Wahlen von einer ganz anderen Dynamik geprägt sein wird.
Elevtherotypia: Falls die Syriza zwar stärkste Partei wird, aber nicht die notwendige Mehrheit im Parlament hat, halten Sie es dann für möglich, dass sie die Bildung einer Regierung versucht, die sich (von anderen Parteien oder einigen Abgeordneten) tolerieren lässt?
Tsipras: Die Antwort lautet klar und einfach: Je stärker die Syriza ist, umso stärker wird auch das Volk gegenüber dem Memorandum sein. Es wird also nicht die Syriza sein, die das Memorandum abschafft, sondern das Volk selbst mit seinem Wahlverhalten. Und je deutlicher am Wahlabend der Auftrag des Volkes ausfällt, desto größer die Chance, das unser Volk den harten Kampf der Verhandlungen mit den Partnern (in der EU) und den Gläubigern gewinnt.
Wie will Syriza die Wahl gewinnen?
Elevtherotypia: Der Ministerpräsident (Samaras) meinte kürzlich in einem Interview, die Syriza sei außerstande, stärkste Partei zu werden. Seine Begründung: selbst in den letzten Monaten, in denen harte Maßnahmen (vom Regierungsbündnis ND-Pasok) beschlossen wurden, habe es die Syriza nicht geschafft, bei den Umfragen die Führung zu übernehmen. Was sagen Sie dazu?
Tsipras: Wenn er (Samaras) das Verhalten und die Unzufriedenheit der Gesellschaft ermessen will, während er sich in seinem Regierungssitz verschanzt und nur die Resultate der Umfragen anstarrt, dann kann er nur total verfehlte Schlüsse ziehen. Meine Einschätzung ist dagegen, dass es wieder so kommen wird wie (bei den Wahlen) im Mai 2012: Da sagten die Umfragen ein völlig anderes Ergebnis voraus als das, was wir dann am Wahltag erzielt haben. Genau so wird es auch dieses Mal beim tatsächlichen Wahlergebnis eine überwältigende Überraschung geben.
Und was die Umfragen betrifft – schreiben Sie das auf – , so werden die von dem Tag an, an dem die Wahlen ausgeschrieben werden, radikal anders ausfallen; denn dann werden dem griechischen Volks die tatsächlichen Dilemmata vor Augen gestellt.
Bei den heutigen Umfragen dagegen wird ein enttäuschtes, erschöpftes, wütendes Wahlvolk mit Fragen konfrontiert, die sich nicht auf die Entscheidung beziehen, vor der sie am Wahltag stehen werden – nämlich, wer am folgenden Tag regieren wird. Bei den heutigen Umfragen lautet die Frage, wen man bevorzugt, wen man für besser oder fähiger hält. Mir erscheint es völlig plausibel, wenn derzeit bei dieser Frage eine Mehrheit für die Antwort „keiner“ oder „weiß ich nicht“ herauskommt, weil der größere Teil des Wahlvolks, und besonders der schwer gebeutelten Mittelklassen, sich derzeit in einer Phase der Hoffnungslosigkeit und der Verzweiflung befindet.
An dem Tag aber, an dem die Neuwahlen feststehen, ist jedem Wähler und jeder Wählerin klar, um was es tatsächlich geht: Werden wir mit einer Regierung der Jasager weitermachen, die nur so tut, als werde sie (mit der Troika) verhandeln? Oder stimmen wir dafür, auf andere Weise aus dieser Krise herauszukommen? Angesichts dieser realistischen Alternative wird die Syriza mehr politische Kräfte für sich gewinnen als diejenigen, die sie (normalerweise) unterstützen. Deshalb habe ich keinerlei Zweifel, dass der nächste Wahlsieger die Syriza sein wird.
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