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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Habermas und der „verschluckte“ Zettel: Die späte Rache der National-Konservativen an der Linken – und der Zeitgeist dreht sich mit.
Datum: 30. Oktober 2006 um 10:55 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
„Vergesst Habermas!“ steht über dem Konterfei des Sozialphilosophen auf der Titelseite des Zeitgeistmagazins „Cicero“. Der konservative Journalist Jürgen Busche, einer, der überall den Geist der 68er-Generation wittert, darf unter der Überschrift „Hat Habermas die Wahrheit verschluckt?“ den weltweit anerkannten kritischen Aufklärer als jugendlichen Anhänger des NS-Regimes denunzieren. Im Windschatten des Wirbels um die pubertäre SS-Mitgliedschaft von Günter Grass versuchen die National-Konservativen, die in den 80er Jahren den Deutschen „die Schamröte über Auschwitz“ ausreden wollten, nun auch an Jürgen Habermas späte Rache zu üben. Kritische Geister sollen als Glashausbewohner angeprangert werden, die mit Steinen geworfen haben (Markus Schwering).
Der Ausgangspunkt der Herabwürdigung von Jürgen Habermas ist eine Insinuation des jüngst verstorbenen konservativen Historikers und ehemaligen FAZ-Mitherausgebers Joachim Fest. In seiner gerade erschienen Autobiografie „Ich nicht“ kolportiert Fest eine Geschichte über eine vorgedruckte „Aufforderung“, die der junge Habermas 1945 als Leiter eines Sanitätskurses an seinen damaligen Altersgenossen, den späteren Historiker Hans-Ulrich Wehler, geschickt hatte, um diesen zur regelmäßigen Teilnahme an dem Kurs aufzufordern.
„Feldscher“ zu werden, also sich zu einer Art Hilfssanitäter ausbilden zu lassen, war damals eine Möglichkeit, den Hitlerjugendpflichten zu entgehen. (Siehe dazu die Stellungnahme von Habermas an Cicero).
Fest machte aus diesem „Zettel“ – den Wehler 1975 an den inzwischen befreundeten Habermas geschickt hatte – ein „leidenschaftliches Bekenntnis zum Führer und die unerschütterliche Erwartung des Endsiegs“ (Auszug aus „Ich nicht“ im Kölner Stadt-Anzeiger vom 27 Oktober 06 S. 28).
Dem hat zwar Wehler auf eine schriftliche Anfrage von Fest schon im April 2006, also lange vor der Veröffentlichung von dessen Autobiografie energisch widersprochen, dennoch hat der angeblich so penible und feingeistige Historiker daraus eine „Belastung der Vergangenheit“ (Fest) für Habermas konstruiert.
Daraus machte Fests „ehemaliger Angestellter“ bei der FAZ Jürgen Busche jetzt im Cicero einen vergifteten Essay voller Anspielungen und Andeutungen, in denen er Habermas – und Wehler gleich mit – als jugendliche Gesinnungsgenossen in die Nähe der Nazis rückte.
Trotz aller Sprachtänzeleien ist die Botschaft, die da an den Leser übermittelt werden soll, ziemlich klar: Diejenigen die selbst Nazi-Dreck am Stecken haben (also Habermas und Wehler), haben nicht das moralische Recht, sich als Kritiker gegenüber denjenigen aufzuschwingen, die als Mitläufer oder gar als (geistige) Mittäter die Nazis unterstützt haben.
Es ist der uralte Trick: Man denunziert seine Kritiker, um ihrer Kritik die moralische Legitimation zu entziehen.
Das allein ist schon ziemlich schofel, aber dahinter steckt noch etwas anderes:
Die National-Konservativen haben nach der „Befreiung“ (so Bundespräsident von Weizsäcker zum 40. Jahres Tages der Beendigung der NS-Gewaltherrschaft) immer wieder den Versuch gemacht, die Naz-Barbarei zu verharmlosen, sie als Ausrutscher in der ansonsten glorreichen deutschen Geschichte abzutun, ja sogar als eine „aus Angst geborene Reaktion auf die Vernichtungsvorgänge der russischen Revolution“ (Ernst Nolte) zu legitimieren. Gegen diese „Art Schadensabwicklung“ haben Habermas und andere im sog. Historikerstreit Mitte der 80er Jahre energisch angekämpft. Das hat Habermas eine jahrelange politische Hetze der FAZ und von national-konservativer Seite eingetragen.
Welche Absicht verfolgten diese National-Konservativen in dem sie die „Singularität“ des Holocausts bestritten?
Etwas zugespitzt gesagt,
Das sind in etwa die Motive, die National-Konservative dazu treiben, ihre Kritiker zu denunzieren. Sie bedienen sich dabei des Tricks, ihre Gegner als „Scheinheilige“ zu verunglimpfen.
Wie weit in die Mitte des politischen Spektrums die national-konservativen Kräfte inzwischen vorgedrungen sind, zeigt sich darin, dass das „Magazin für politische Kultur“ „Cicero“, das sich geradezu als Hauspostille der Schröderschen „Reform“-Politik gegeben hat, für solche Denunziationen den Resonanzboden liefert. Cicero gehört übrigens dem in der Schweiz ansässigen Ringier-Verlag, dem der Bestsellerautor und ehemalige Kanzler inzwischen als Berater dient.
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