Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (WL/JB)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
- WikiLeaks-Informant Bradley Manning: Keine Gnade für den Whistleblower
Hartes Urteil gegen den WikiLeaks-Informanten Bradley Manning: In nahezu allen Anklagepunkten hat eine Militärrichterin den 25-Jährigen für schuldig befunden. Nur den Vorwurf der Unterstützung des Feindes ließ sie nicht gelten – damit setzt sie ein Signal.
Die erste und schwerste Anklage lautet auf Unterstützung des Feindes. Darauf steht theoretisch die Todesstrafe, doch die Regierung fordert für Manning nur lebenslängliche Haft, ohne Chance auf vorzeitige Entlassung… “Not guilty” – nicht schuldig…
Und dann macht Richterin Lind weiter, einen Anklagepunkt nach dem anderen. Guilty, sagt sie. Guilty, guilty, guilty. Am Ende hört Bradley Manning das bei insgesamt 20 von 22 Punkten. Schuldig der Spionage, schuldig der Weitergabe der geheimen Botschaftsdepeschen und der Irak-Kriegstagebücher, schuldig des Diebstahls von Regierungseigentum, schuldig der Computerkriminalität, schuldig des Verstoßes gegen interne Regeln des Militärs. Schuldig, schuldig, schuldig
Quelle: SPIEGEL Online
Anmerkung WL: Das scheint ja für die Spiegel-Journalisten ein positives Signal sein: Der Informant geht lebenslang ins Gefängnis, aber die Pressefreiheit ist nicht ausgehöhlt. So zynisch kann bornierter Professionalismus sein.
Anmerkung JB: Der Fall Manning ist um einiges komplexer als der Fall Snowden. Die Weitergabe des Armee-Videos „Collateral Murder“, das den Beschuss von Zivilsten und Journalisten im Irak durch einen US-Militärhelikopter zeigt, verdient zweifelsohne das Prädikat „Whistleblowing“, da Verbrechen des Staates offengelegt wurden. Anders sieht es jedoch beim Fall „Cablegate“ aus. Die Veröffentlichung von mehr als 250.000 Depeschen der US-Botschaften und des State Departements, von denen rund die Hälfte als geheim oder vertraulich eingestuft wurde, hat eine andere Qualität. Hier wurden wahllos und willkürlich Informationen der Regierung zu Veröffentlichung weitergegeben – ohne Rücksicht auf „Kollateralschäden“ für Informanten und US-Diplomaten. Hier ging es nicht mehr darum, Verbrechen oder Missstände aufzudecken, weshalb der Begriff „Whistleblowing“ hier auch überdehnt wird. Unter der Oberfläche geht es hier vielmehr um die grundsätzliche Frage, ob wirklich sämtliche Regierungsinformationen frei sein sollten – eine Frage, die man durchaus kritisch beantworten kann. Als lupenreiner Whistleblower taugt Bradley Manning vor diesem Hintergrund jedenfalls nicht und dass er sich in diesem Zusammenhang strafbar gemacht hat, wird niemand ernsthaft bezweifeln können. Dennoch hat es einen schalen Beigeschmack, wenn er eine hohe Haftstrafe bekommt und die Piloten von „Collateral Murder“ noch nicht einmal angeklagt wurden.
- Jakob Augstein: Am Schmelzpunkt des sozialen Systems
Die Welt steckt in der Krise: Das Vertrauen in das kapitalistische System ist verlorengegangen. Was sind Begriffe wie Gerechtigkeit, Verantwortung oder Demokratie noch wert? Bei der Wahl sein Kreuzchen zu setzen, ist zu wenig…
Schuld und Verantwortung werden zu Begriffen, die nicht mehr meinen, was sie bedeuten. Geld ist eine Frage des Vertrauens. Aber es geht um viel mehr als um die Wiederherstellung des Vertrauens der Märkte in sich selbst. In Wahrheit geht es um eine Krise des Vertrauens in das System und seine Begriffe: Gerechtigkeit, Recht, Verantwortung, Gesetz, Pflicht, Gleichheit, Vernunft, Fortschritt, Öffentlichkeit, Parlament, Regierung, Wahlen, Demokratie. Wir erleben die Aushöhlung und dann den Verlust dieser Begriffe…
Ein trübsinniger Kapitalismus hat uns diese Begriffe geraubt. Wir haben unsere Verantwortung delegiert – und dann ist sie im Dickicht furchtsamer Politiker, gieriger Banker und verständnisvoller Journalisten einfach verschwunden…
Quelle: Spiegel Online
- Robert von Heusinger – Deutsche Bank: Regulierung wirkt
Es stimmt zwar, dass der Gewinn des Geldhauses im zweiten Quartal enttäuschte, die Aktien deshalb am Dienstag zu den größten Verlierern zählten. Aber auch das hat mehr mit der neuen Solidität im Hause Deutsche Bank zu tun, als mit einer wahren Ertragsschwäche. […]
Besser schauen dagegen die für den Bürger und Steuerzahler viel relevanteren Zahlen aus, nämlich die Eigenkapitalquote. Sie gibt an, mit wie viel haftendem Eigenkapital die risikogewichteten Anlagen unterlegt sind. Auf zehn Prozent bringt es die Bank inzwischen. Vor der Krise waren vier Prozent schon viel! Und selbst bei der Lieblingskennziffer aller Bankenkritiker, der Relation Bilanzsumme zu Eigenkapital, kommt die Deutsche Bank in die Nähe von drei Prozent. Das gilt zurzeit international als ausreichend, wenngleich die Ziffer sagt, dass jeder Euro Eigenkapital immer noch 33-mal ausgeliehen werden darf.
Quelle: Frankfurter Rundschau
Anmerkung JB: Über Heusingers Kommentar kann man nur bitter schmunzeln. Bei der offiziellen Eigenkapitalquote werden die Risiken der Bilanzposten gewichtet. Papiere, die als besonders sicher gelten, fallen da nicht ins Gewicht. Vor der Finanzkrise galten jedoch auch viele strukturierte Papiere, die heute als toxisch gelten, als besonders sicher und bekamen ein AAA-Rating. Man sollte sich also nicht auf diesen Indikator verlassen. Wenn man sich dennoch einmal einen internationalen Vergleich der größten Banken [PDF – 366 KB] anschaut, fällt auf, dass die risikogewichtete Eigenkapitalquote der Deutschen Bank mit 5,8% keineswegs als internationaler Benchmark gelten kann. Die Bank of America weist hier 8,6% auf, japanische Banken haben meist mehr als 10% und auch die britischen Großbanken sind besser aufgestellt als die Deutsche Bank. Dies kann jedoch nicht wirklich verwundern, schließlich haben die USA, Japan und Großbritannien auch allesamt Gesetze erlassen, die ihre Banken zwingen, die Eigenkapitalquote zu erhöhen.
Ganz bitter sieht es jedoch bei der von Heusinger angesprochenen „Relation Bilanzsumme zu Eigenkapital“ aus, dem berühmten „Leverage Ratio“. Hier wies die Deutsche Bank im letzten Jahr den zweitschlechtesten Wert Europas auf und landete in einem Vergleich der 50 größten Banken der Welt auf dem siebtletzten Platz. Ein Wert „in der Nähe von drei Prozent“ ist da nur eine marginale Verbesserung, die den Hebel von 1:44 auf 1:33 senkt – Ende 2007 lag der Hebel übrigens noch bei schwindelerregenden 1:68. Doch auch drei Prozent ist noch viel zu niedrig. Die Deutsche Bank war und ist eine der unterkapitalisiertesten Großbanken der Welt. Und dies wird dem Vorstand noch einige Kopfschmerzen bereiten, da die USA planen , eine „Leverage Ratio“ von 5% verbindlich vorzuschreiben. Um diesen Wert zu erreichen, müsste die Deutsche Bank ihre Bilanzsumme um fast die Hälfte schrumpfen oder ihr Eigenkapital fast verdoppeln. Erst wenn dies geschafft ist, kann man in Heusingers Loblied einstimmen und von einer „neuen Solidität“ sprechen. Bis dahin ist der Weg jedoch noch sehr lang und steinig.
- ‘markt intern’ – Tag des Mittelstandes
Dr. Gerhard Schick (Bündnis 90/Die Grünen), Christian von Stetten (CDU), Dr. Sahra Wagenknecht (Die Linke), Dr. Volker Wissing (FDP) und Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) stellten sich auf Einladung von ′markt intern′ im Rheingoldsaal der Rheinterrasse den Fragen der Moderatoren Dr. Frank Schweizer-Nürnberg und Prof. Dr. Malcolm Schauf.
Quelle: markt intern via YouTube
Anmerkung unserer Leserin L.E.: Bitte bitte verlinkt dieses Video einer Podiumsdiskussion mit Sahra Wagenknecht. Es ist am Ende Frau Wagenknecht, die, als einzige während der ganzen Diskussion vom Mittelstandspublikum Applaus erhält! Den beiden – offenbar hauptsächlich “Welt-Online”-konsumierenden – Moderatoren bleibt mehrfach die Luft weg angesichts der schlagenden Argumente. Ihre steigende Verunsicherung zu beobachten ist eine pure Freude!
- Krisenbekämpfung in der Euro-Zone: Hilfe von Freunden
Wenn Mario Draghis vor einem Jahr abgegebenes Versprechen, alles Notwendige zur Rettung des Euro zu unternehmen, das Ziel gehabt hat, an den Finanzmärkten für Ruhe zu sorgen, war es erfolgreich. Der Euro existiert noch, kein Land hat sich aus der Währungsunion verabschiedet, die Zinsspreads sind enger geworden, und es gab keine großen Pleiten von Banken oder gar Staaten. Zudem musste das Kaufprogramm für Anleihen (Outright Monetary Transactions, OMT), mit dem Draghi seine Ankündigung untermauert hatte, bisher nicht in Kraft gesetzt werden. Dass Draghi OMT nicht zu aktivieren brauchte, ist für einige Kommentatoren einer der Gründe, warum das Experiment bis jetzt gutgegangen ist. Erst wenn das Programm umgesetzt werden müsste, würden sich seine Mängel offenbaren, meint Nicholas Spiro von Spiro Sovereign Strategy. Darren Williams von Alliance Bernstein sieht eine inkonsistente Haltung der EZB: Während Länder, die neu ein Hilfsprogramm beantragen würden, sich für OMT-Käufe qualifizieren, wenn sie den Marktzugang verloren haben, können sich bereits unter einem Rettungsschirm stehende Staaten nur bewerben, wenn sie einen vollen Marktzugang haben. Die gewonnene Zeit ist dabei schlecht genutzt worden.
Quelle: NZZ
- Austerity and Income Distribution in Europe
Austerity hit debtor countries much harder in 2012 than in 2011. In Spain, Greece and Portugal growth fell dramatically. How this affects cohesion overall also depends on how falls in income within the debtor countries are distributed. If it affects especially the poor, then inequality will increase. Failing that, it could diminish, even if improved cohesion by means of general, albeit asymmetric shrinking of incomes is certainly hardly a desirable way to reduce inequality.
Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung Perspective [PDF – 98.1 KB]
- Bank of Cyprus erhöht Zwangsabgabe
Zur Abwendung der Staatspleite Zyperns werden die Einleger der Bank of Cyprus offenbar noch stärker zur Kasse gebeten als bisher bekannt. Zypern und seine internationalen Geldgeber hätten sich auf eine Zwangsabgabe von 47,5 Prozent für vermögende Kunden der Bank geeinigt.
Quelle: Financial Times (Printausgabe)
- Wie viel Geld spart Schäuble durch den Niedrigzins?
Der Bund nimmt mit seinen Staatsanleihen jährlich rund 250 Milliarden Euro am Kapitalmarkt auf und refinanziert damit vor allem auslaufende Schuldtitel. Und da Deutschland in der derzeitigen Krisensituation in Europa bei Investoren als zuverlässiger Schuldner gilt und sich zudem die Zinssenkungen der EZB auch auf die Refinanzierungskosten auswirken, muss der Bund Anlegern derzeit nur rund 1,6 Prozent Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen bieten. Jetzt hat das Institut für Weltwirtschaft (IfW) das Zinsniveau von 2009 bis heute mit dem von 1999 bis 2008 verglichen und ausgerechnet, wie viel Zinsen Schäuble gespart hat. Es sind rund 80 Milliarden Euro. Da sich die Ersparnis auf die gesamte Laufzeit der jeweiligen Anleihen bezieht, wird auch Schäubles Nachfolger noch von den derzeit niedrigen Zinsen profitieren.
Quelle: Handelsblatt
- “Raten” oder Raten? – Das (un)heimliche Treiben der Ratingagenturen
Ob sie wollen oder nicht: Viele Institutionen und Privatunternehmen folgen weiterhin den Ratings der Agenturen, weil ihnen das so in Gesetzen und Statuten vorgeschrieben wird. Prompt lassen sich die Ratingagenturen ihre Bewertungen fürstlich bezahlen – oft ohne zu verraten, wie sie zustande kommen.
Nun erzählen der erste deutsche Rating-Analyst an der New Yorker Wall Street, ein Ex-Leiter von Moody’s politisch brisantem Länderrisiko-Komitee, der Chef-Analyst einer deutschen Landesbank, ein geschasster Reformer von Standard & Poor’s und ein Wirtschaftsprofessor, wie es hinter den Kulissen zugeht: Dabei wird einer zufälligen Café-Bekanntschaft die Verantwortung für Dutzende von Banken-Ratings übertragen.
Ein Veteran berichtet, wie “Quants” und “Fundis” miteinander um Modelle und Buchstaben ringen – und wie die Klitschen der Familien Poor, Moody und Fitch, die zuerst nur die Eisenbahnen des Wilden Westens rateten, zu Entscheidern für globale Finanzströme mutierten.
Quelle: dlf
- Redezeit: Prekäre Beschäftigung – ein Dauerzustand?
Dass die deutsche Wirtschaft seit einigen Jahren trotz Eurokrise boomt, führen Teile aus Politik und Wirtschaft auf die von Gerhard Schröder eingeleiteten Hartz-IV-Gesetze zurück. Damit seien erheblich mehr Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen worden, die zu einer Zunahme der Beschäftigten und mehr Leistungsfähigkeit der Wirtschaft geführt habe. Eine völlig falsche Sichtweise, sagt dazu Gerhard Bosch, Professor für Arbeits- und Wirtschaftssoziologie an der Uni Duisberg-Essen. Deutschland habe ein Höchstmaß an prekärer Beschäftigung, so Bosch, also Vergütungen unter dem Minimum, was zwingend eine Neuordnung des Arbeitsmarktes erforderlich mache. Wie diese Neuordnung aussehen sollte, erörtert Gerhard Bosch im Gespräch mit Ralph Erdenberger.
Quelle: WDR5 [Audio – mp3]
- Rückkehr in den Job?
Wenn Hartz-IV-Empfänger zu spät kommen oder einen Job ablehnen, bekommen sie weniger Geld. Inge Hannemann will die Bezüge nicht kürzen, weil das menschenunwürdig sei. Daraufhin suspendierte das Jobcenter in Hamburg-Altona seine rebellische Mitarbeiterin. Hannemann zog vor Gericht, klagte auf Wiedereinstellung.
Inge Hannemann musste heute eine Niederlage hinnehmen. Das Hamburger Arbeitsgericht hat ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Damit bleibt die als Hartz-IV-Rebellin bekannt gewordene Sachbearbeiterin eines Hamburger Jobcenters auch weiterhin vom Dienst freigestellt.
Quelle: dlf
Anmerkung eines betroffenen Lesers: Übrigens erhielt ich neulich von einem Bekannten den Flyer eines Jobcenters, in denen Teilnehmern der Informationsveranstaltung eines Zeitarbeitsunternehmens, das wieder einen “Großauftrag” zu vergeben hatte, pauschal ein “Einstiegsgeld” (§16b SGBII) angeboten wurde, wenn ihnen ein Vertrag mit einem Stundenlohn von unter x€ angeboten werden würde. Wieder ein Hinweis darauf, wohin das vielgepriesene “Führen durch Ziele” in der Bundesagentur für Arbeit führt: Mittelverschwendung als Quersubventionierung von Lohndumping, diesmal zugunsten der Arbeitnehmer, deren Motivation, einen unterbezahlten Job für den es auf dem freien Markt keine Interessenten gibt, mit einer “großzügigen Zuwendung” erhöht werden soll. Zusätzlich durfte ich mich auch an einer Präsentation erfreuen, in der den Mitarbeitern eines Jobcenters aufgezeigt wird, welcher “Vorteilsübersetzungen” man sich während eines Kundengespräches bedienen sollte, um die ZA-Branche ins rechte Licht zu rücken. Selbstverständlich fehlt auch nicht der Hinweis darauf, dass ein Job, ganz gleich ob gut oder schlecht bezahlt, allemal besser ist, als sich staatlich “alimentieren” zu lassen. Arbeit stärke ja auch das Selbstwertgefühl… Auch der Hinweis auf den “Klebeeffekt”, der in der Realität eher bei verschwindenden 7 – 8 % liegt, wird hier als große Chance vermarktet.
Zusammenfassend muss ich konstatieren, dass sich die BA, insbesondere Jobcenter in strukturschwachen Regionen, aller öffentlichen Kritik zum Trotz, auch heute noch vielfach eher als verlängerte Rekrutierungsabteilungen von Personalservicegesellschaften hervortun, als erwerbslosen Menschen langfristige Perspektiven in sicheren und armutsfesten Beschäftigungen zu bieten. Warum? Weil nur kurzfristige Zielerreichungen intern als Erfolge gefeiert werden, hier geht es um Kennzahlen und nicht um die Lebenswirklichkeit. Die damit ausgelösten dramatischen gesellschaftlichen Verwerfungen sind im Geiste der BA nichts weiter als Kollateralschäden, ganz im Sinne der vulgärökonomischen “Experten”-Ideologie, alles sei sozial was Arbeit schaffe. Wenngleich es vielerorts mittlerweile schon Führungskräfte gibt, deren Zugang zur volkswirtschaftlichen Realität bereits gänzlich verschlossen ist, weil sie sich während ihrer Arbeitszeit mit nichts anderem mehr beschäftigen, als der Auswertung und “Analyse” interner Statistiken.
- Warum sich Menschen für Kinder entscheiden?
Ab 1. August können daheim erziehende Eltern Betreuungsgeld beantragen – doch das Interesse ist noch gering. Die Entscheidung für Kinder hänge eben nicht vom Geld ab, meint die Familienforscherin Christiane Dienel. Wichtiger sei es, in die Zukunft vertrauen zu können – zum Beispiel durch eine feste Partnerschaft und einen stabilen Sozialstaat.
So gut wie keiner will die sogenannte Herdprämie, wertfreier auch Betreuungsgeld für daheim erziehende Eltern genannt. In den meisten Bundesländern ist das Interesse an diesen 100 bis 150 Euro monatlich tatsächlich so gut wie nicht vorhanden. Beispiele: Thüringen null Anträge, Mecklenburg-Vorpommern 44 Anträge, und in Bayern, wo der Familienzuschuss umfangreich beworben wurde, sind es bisher schlappe 500 Interessenten. Im Moment kann man also sagen, das Betreuungsgeld ist ein Flopp…
Dienel: „Ich bin überzeugt davon, dass die Hauptgründe, warum sich Menschen für Kinder entscheiden, tatsächlich eben nicht in der wirtschaftlichen Situation liegen, sondern in der Frage, was man sich von der Zukunft erwartet und ob man sich traut, diese Zukunft anzugehen. Also letztlich das, was Vertrauen stiften kann. Dazu gehört eben eine feste Partnerschaft und gehört insofern ganz sicher die Ehe, weil die Ehe natürlich dieses Dauer-Versprechen noch überzeugender transportieren kann als eine Partnerschaft, die nicht rechtlich abgesichert ist. Dazu gehören sicher auch alle anderen Dinge, die einem Zukunftshoffnung geben können: Ein stabiler Sozialstaat, der verlässlich funktioniert, gute Infrastrukturen, Kinderbetreuung, Schulen, die nicht gleich wieder geschlossen werden. Sicherlich auch Dinge wie Freundschaft, Verwandtschaft und auch Glaube…
Ich denke, dass heutige Familien, auch mit beiden erwerbstätigen Eltern am Ende mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, intensiver etwas mit ihnen zusammen unternehmen als die, sagen wir mal, 1950er-Familie in Westdeutschland.“
Quelle: Deutschlandradio Kultur
- Lohn und Gerechtigkeit – Ist unsere Marktwirtschaft noch sozial?
Deutschland geht es gut – auch in der Krise. In den letzten Jahren wurden zahlreiche neue Jobs geschaffen, die Steuereinnahmen sprudeln, die meisten Unternehmen machen gute Gewinne und der Dax hat ein neues Allzeithoch erreicht. Aber viele Menschen haben den Eindruck, an diesem Wohlstand nicht ausreichend beteiligt zu sein. Sie verstehen nicht, dass Manager mehrere Millionen Euro pro Jahr kassieren, während die Krankenschwester Schwierigkeiten hat, die steigenden Miet- und Stromkosten zu bezahlen. – Gäste in der Sendung: Dr. Dominik H. Enste, Wirtschaftsethiker beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln; Dr. Dierk Hirschel, Chefökonom von Verdi; Johannes Pöttering, Geschäftsführer der Unternehmensverbände NRW.
Quelle: WDR [Audio – mp3]
Anmerkung Orlando Pascheit: Zu lesen für diejenigen, die sich kräftig über die mit so großer Selbstverständlichkeit vorgetragenen dreisten Arbeitgeberargumente ärgern möchte. – Dierk Hirschel schlägt sich tapfer. – “Wirtschaftsethiker” Dominik H. Enste vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft hätte vielleicht in den von ihm mitverfassten “Internationaler Gerechtigkeitsmonitor 2013” schauen und sich bescheiden sollen. Im zitierten Gerechtigkeitsindex der Bertelsmann Stiftung steht Deutschland in der OECD auf Rang 15 nach Island, Schweden, Dänemark, Norwegen, Finnland, Niederlande, Schweiz, Österreich, Frankreich, Neuseeland, Vereinigtes Königreich, Kanada und Tschechien. Also viel Nachholbedarf, selbst wenn in den eigenen Berechnungen des IW Deutschland im Gesamtindex zur Gerechtigkeit auf Platz 7 landet. Seltsamerweise in der Einkommensgerechtigkeit im internationalen Vergleich 2012 auf Rang 14. – Ärger setzt allerdings auch Kräfte frei.
- Solidarität mit Inge H.
Hartz-IV-Kritikerin erfährt große Unterstützung. Hamburger Arbeitsgericht sieht keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung im Jobcenter. Linke wertet Urteil als »Politikum«
Der Maulkorb gegen eine Hamburger Jobcenter-Mitarbeiterin hat jetzt einen richterlichen Segen. Das Arbeitsgericht der Hansestadt lehnte am Dienstag einen Antrag auf einstweilige Verfügung von Inge Hannemann ab, die auf Wiederbeschäftigung an ihrem alten Arbeitsplatz geklagt hatte. Sie war vom Dienst suspendiert worden, weil sie öffentlich auf Mißstände im Jobcenter des Stadtteils Altona hingewiesen hatte. Unter anderem kritisierte Hannemann die Praxis, Arbeitslosen die Unterstützung zu kürzen, wenn sie Termine nicht wahrnahmen. Das gestrige Urteil hat allerdings nur vorläufigen Charakter, bis das Gericht im August einen Beschluß im Hauptsacheverfahren fällt.
Quelle: Junge Welt
- Verantwortung: Je Glauben, desto Gesinnung
Besonders Männer sprechen öffentlich ganz gern von Verantwortung. Aber was meinen sie damit? Einige Übersetzungen von Arno Frank
Quelle: taz
Anmerkung Orlando Pascheit: Thomas de Maizière:
“Wir leben in einer Kultur der Verantwortung”
“Der Preis von Einfluss ist Verantwortung”
“Verantwortung, die aus einem festen Glauben übernommen wird, tut gut, uns selbst und allen”
Die Mehrfachnennung von Thomas de Maizière ist wohl der tagespolitischen Aktualität geschuldet. Die allgemeine Einschätzung lautet, dass ein Rücktritt de Maizières aufgrund der Wahlen kaum wahrscheinlich sei. Sollten allerdings immer neue Details ein schiefes Licht auf den Minister werfen, der in der Öffentlichkeit als Inbegriff der Seriosität gilt, dürfte auch das Image der Kanzlerin leiden. Was die politische Verantwortung de Maizières betrifft, lässt sich darüber streiten, wie informiert der Minister war oder hätte sein sollen. Allerdings spricht es nicht für die Effizienz des Ministers, dass er sich anscheinend bei Amtsantritt damit begnügte, sich die vom Ministerium benannten 10 wichtigsten Angelegenheiten des Verteidigungsministeriums schildern zu lassen. Er hätte auch eine eigene Liste mitbringen können, beispielsweise mit der Frage: Welche Projekte überschreiten die Summe von 100 Millionen Euro. Aber wichtiger noch: Wie glaubwürdig ist es, in einer solch offensiven Weise den Einsatz von Drohnen zu fordern, ohne über den monetären Rahmen des Projekts informiert sein? Gut, man kann darüber streiten, aber für den Umgang mit der Affäre ist der Minister voll verantwortlich. Wie ist es mit der viel gerühmten Seriosität, dem Pflichtbewusstsein dieses Ministers bestellt, wenn er der allgemeinen politischen Praxis folgt und wie die Rücktreter der letzten Zeit nur noch damit beschäftigt ist, in fast kindlicher Weise nach jeder Enthüllung eine neue Verteidigungslinie aufzubauen? – Ganz abgesehen von dem immer seltsamer werdenden Konstrukt der politischen Verantwortung, auf welche Julian Nida-Rümelin in einem Gespräch mit Jan Feddersen und Jörg Koopmann eingeht. Wo bleibt die Cleverness des Berufspolitikers. Er hätte doch in Absprache mit der Kanzlerin seinem Rücktritt anbieten können: Er habe sich wohl zu wenig informiert und die falschen Schlussfolgerungen gezogen. Gleichzeitig hätten die beiden Staatssekretäre Stéphane Beemelmans und Rüdiger Wolf, wie jetzt geschehen, die Verantwortung übernehmen können und sich vor den Minister stellen können. Frau Merkel hätte mit dem Hinweis auf die jahrelange Fehlentwicklung des Projekts das Angebot zurückweisen können. Oder ist das zu machiavellistisch gedacht?
- Weltwirtschaftlicher Preis 2013 verliehen an Gro Harlem Brundtland, Mo Ibrahim und Joseph E. Stiglitz
Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat heute in einer gemeinsamen Veranstaltung mit der Landeshauptstadt Kiel und der IHK Schleswig-Holstein zum neunten Mal den Weltwirtschaftlichen Preis verliehen. „Auf ganz unterschiedliche Art und Weise zeigen unsere diesjährigen Preisträger, wie wichtige weltwirtschaftliche Probleme lösungsbezogen angegangen werden können. Joe Stiglitz hat verdeutlicht, wie Regierungen ein informationsbedingtes Marktversagen verhindern können. Mo Ibrahim hat die Rolle von Regierungen auf andere Weise erläutert: Durch seinen Index of Governance hat er eine Rangskala entwickelt, die Transparenz, Unkorrumpierbarkeit und Effizienz von Regierungsführung in Afrika misst. Gro Harlem Brundtland hat ein weit gefasstes politisches Konzept für nachhaltige Entwicklung geschaffen, das zeigt, wie Umwelt und Entwicklung in Einklang gebracht werden können“, hob IfW-Präsident Dennis Snower in seiner Laudatio hervor.
Quelle: IfW
Anmerkung Orlando Pascheit: Man muss dem Institut für Weltwirtschaft nicht nahestehen. Es ist weitgehend neoklassisch fundiert und einige Forscher hängen nur allzu deutlich neoliberalen Glaubensgrundsätze an, dennoch kommt man in Außenwirtschaftsfragen bzw. globalen Wirtschaftsfragen trotz der genannten Einschränkungen nicht an ihm vorbei. Der Preis an Joseph E. Stiglitz u.a. signalisiert, dass es dem Institut ernst ist mit der von seinem Präsidenten aufgestellten Forderung: “Wir brauchen Menschen, die die Fähigkeit haben, die wichtigen Probleme der Weltwirtschaft zu antizipieren und lösungsbezogen darauf zu reagieren. Wir brauchen Menschen, die im gleichen Atemzug auch für mehr Gerechtigkeit kämpfen. … Wir brauchen Menschen, die ausgetretene Pfade verlassen und Etabliertes in Frage stellen. Wir brauchen Menschen, die den Mut mitbringen, ihre Prinzipien umzusetzen und sich durch nichts und niemanden von ihrem visionären Weg abbringen lassen, auch wenn es zunächst Einzelkämpfertum bedeuten kann. Wir brauchen Menschen wie Joe Stiglitz, Mo Ibrahim und Gro Harlem Brundtlandt.” Denis Snower begründet den Preis für Stiglitz wie folgt [PDF – 259 KB]:
“Unsere Aufgabe ist es, dieses ganzheitliche System zu verbessern. Deshalb muss die wirtschaftspolitische Leitfrage nunmehr lauten: Welche Rahmenbedingungen muss die Regierung setzen, damit das politisch-ökonomisch-soziale System Wohlstand in weitem Sinne erzeugt? Joe Stiglitz hat sich in diesem Zusammenhang mit der Rolle der Regierung beschäftigt und dabei insbesondere deren Funktion bei der Bekämpfung von Ungleichheit thematisiert. Außerdem hat er die Konsequenzen von Informationsdefiziten im Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern erläutert. Joe Stiglitz bringt den Mut auf, sich gegen den Mainstream seines Faches zu stellen und das zu propagieren, was er für richtig hält. Und er ist ein unerschütterlicher Optimist: Die meisten Menschen hätten eine Seite, die das moralisch Richtige tun will, ist sein Credo. Woran es fehlt, sind oft die richtigen Rahmenbedingungen.”
- IG-Bau-Chef Wiesehügel – Brachialkritik zum Abschied
Im Herbst will Klaus Wiesehügel Arbeitsminister werden: Die SPD wollte ein Signal an die Arbeitnehmer setzen, als sie ihn in Steinbrücks Schattenkabinett berief. Doch nun rechnen zahlreiche Gewerkschafter massiv mit ihrem scheidenden IG-Bau-Chef ab…
Nach dem Streit um Agenda 2010 und Rente mit 67 wollte die SPD ein Signal an die Gewerkschafter unter der Wählerschaft setzen: Seht her, Sozialdemokraten und Gewerkschaften haben sich versöhnt; wir wollen jetzt sogar einen von euch zum Arbeitsminister machen…
Am Donnerstag verschickte eine Gruppe, die anonym bleiben will und nach eigenen Angaben aus “ehren- und hauptamtlichen Funktionären” besteht, einen “Brandbrief” an die “lieben Kolleginnen und Kollegen”, in dem sie schreibt: “Unsere Organisation sieht sich in ihrer Existenz bedroht.”…
Quelle: SZ
- Plagiatsvorwurf gegen Norbert Lammert
Ergiebigste Gesamtquelle für regelwidrige Übernahmen scheint ein Sammelband des Politologen Wolfgang Jäger zur Parteienforschung zu sein. Insgesamt gibt der Verfasser vor, eine Literaturrezeption geleistet zu haben, die er in diesem Umfang nicht selbst erbracht hat. Einen erheblichen Teil der als verwendet angegebenen Literatur hat er ganz offenbar nicht gelesen; dies wird insbesondere anhand der Übernahme zahlreicher charakteristischer Fehler aus der Sekundärliteratur deutlich. Genuine Fehler des Verfassers – also solche, die nicht mit Übernahmen aus Sekundärquellen im Zusammenhang stehen – habe ich in der Regel nicht erfasst. Die Arbeit enthält einen Hauptteil von 116 Seiten, auf denen ein wissenschaftlicher Diskurs stattfindet. Inhaltsverzeichnis, Vorwort des Herausgebers, Vorbemerkung, Dokumentation, Literaturverzeichnis und Sachregister habe ich nicht gesondert untersucht. Der 91 Seiten umfassende Dokumentationsteil, dessen einzelne Punkte und Unterpunkte nicht in der Gliederung aufgeführt sind, besteht lediglich aus der Reproduktion von Satzungen, Anträgen, Geschäftsberichten, Rundschreiben etc. pp.
Quelle: lammertplag
Anmerkung WL: Der Titel der Dissertation von Norbert Lammert lautet: „Lokale Organisationsstrukturen innerparteilicher Willensbildung. Fallstudie am Beispiel eines CDU-Kreisverbandes im Ruhrgebiet“. Es ist auffällig, dass Politiker, die offensichtlich ihre berufliche Karriere in der Politik suchen, offenbar zur Karriereförderung einen Doktortitel anstreben. Warum also nicht ein Thema wählen, bei dem sich politische Arbeit mit dem Erwerb wissenschaftlicher Meriten verbinden? Dieser Verdacht drängt sich auf. Hier hat man Zugriff auf alle internen Unterlagen und möglicherweise auch auf Zuarbeit. So war es jedenfalls bei Kristina Schröder (geborene Köhler) die den hochtrabenden Titel wählte: „Gerechtigkeit als Gleichheit? Eine empirische Analyse der objektiven und subjektiven Responsivität von Bundestagsabgeordneten“ wählte. Was auf deutsche heißt: Wie sich die Wertvorstellungen von CDU-Bundestagsabgeordneten von CDU-Mitgliedern an der Basis unterscheiden. Dazu hat Schröder 1000 Parteimitglieder befragt und die Fragebögen wurden sozusagen in wissenschaftlicher Amtshilfe von der Bundeszentrale der CDU verschickt.
Den Doktoranden kann man möglicherweise nur vorhalten, dass sie ihre Doktorarbeit mit ihrer Parteiarbeit verbunden haben. Die viel wichtigere Frage ist, warum solche Doktorarbeiten überhaupt von den Fakultäten angenommen wurden und wohl immer noch werden.