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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Die FAZ auf Bild-Niveau – vier Artikel vom 5. Juli 2013
Datum: 12. Juli 2013 um 7:13 Uhr
Rubrik: Überwachung, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Eine auffällige Massierung von plumper Meinungsmache hat sich die Frankfurter Allgemeine am 5. Juli 2013 in mehreren Artikeln zum Thema NSA-Skandal und Edward Snowden geleistet. Es sind eigentlich nur kleine Artikel – ein Nachrichtenartikel und drei Kommentare – aber wenn man sie gründlich liest, merkt man, wie hier durch Formulierung und Wortwahl gerade auch im Kleinen manipuliert wird. Von Dietrich Klose
Auf Seite 4 wird über die Stellungnahme des hessischen Justizministers Jörg-Uwe Hahn, der die Aufnahme von Edward Snowden in Deutschland gefordert hat, „berichtet“ – oder, besser gesagt, es wird Häme über Hahn ausgegossen (in der Internetversion andere Überschriften und andere Bilder). So etwas hat in einem Nachrichtenartikel eigentlich nichts zu suchen. Die Vermischung von Nachricht und (meist einseitiger) Meinung ist freilich nicht neu. Das ist für unsere Mainstream-Medien, die immer mehr ein bestimmtes politisches Geschäft besorgen wollen, mittlerweile typisch geworden. Im Übrigen kann man bei diesem Artikel nicht einmal von „Meinung“ sprechen – billige Polemik trifft den Sachverhalt eher. Wir sollen eben nicht informiert, sondern beeinflusst (manipuliert) werden, möglichst ohne dass wir das so deutlich merken, denn die Manipulation kommt ja als Nachricht daher.
Im Einzelnen: „Dreihandkäsehoch“ lautet die Überschrift des Artikels – sonst nichts. Kann sich jemand darunter etwas vorstellen? Dieses neu erfundene Wort hat den einzigen Zweck, Hahn als Person lächerlich zu machen, als kleinen Wicht hinzustellen (aus der hessischen Provinz, daher Handkäse), der meint, es mit dem amerikanischen Präsidenten aufnehmen zu können. „Dreihandkäsehoch“ ist Bild-Jargon. Der Spott geht gleich in den Unterüberschriften weiter: „Jörg-Uwe Hahn spricht Klartext / Obama in Angst? / Snowden gerettet?“ Der Dreihandkäsehoch, der sich aufbläst, der meint, er kann den amerikanischen Präsidenten in Schrecken versetzen und Snowden beschützen?
In den gewählten Bildern und der Bildunterschrift (Druckversion) setzt sich die Manipulation zu Lasten von Hahn fort. Da wird von ihm – sicherlich ganz bewusst – ein ziemlich unvorteilhaftes Bild gewählt, das ihn grimmig, mit wohl zum Losschimpfen geöffnetem Mund zeigt; daneben ein über das ganze Gesicht lachender bestgelaunter Obama (auch das in bewusstem Kontrast gewählt zu der höhnischen Schlagzeile: „Obama in Angst?“) Und in der Bildunterschrift dazu heißt es: „Ready to rumble: Jörg-Uwe Hahn und Barack Obama“. Zu übersetzen etwa: „Bereit zum Poltern/Rumpeln“. Der einzige, der hier rumpelt, ist die FAZ bzw. ihr Autor Thomas Holl. Der Vorwurf der manipulativen Propaganda bleibt auch bestehen, wenn man sich berechtigterweise fragt, wie glaubwürdig Hahns Aussage eigentlich ist. Wir haben Wahlkampf, und drei Monate vor Landtags- und Bundestagswahl dürfte es für die FDP von Vorteil sein, sich als Datenschutz- und Bürgerrechtspartei zu positionieren (was Holl in seinem Artikel immerhin ganz nüchtern auch feststellt). Dass Hahn nicht gerade ein besonders glaubwürdiger Politiker ist, zeigte sich etwa in dessen Meinungswechsel in der hessischen Steuerfahnderaffäre nach dem Wechsel von der Opposition in die Regierung. Wenn man das zum Ausdruck bringen will, dann sollte man mit Fakten argumentieren und sich nicht auf billige Polemik beschränken.
Auf Seite 10 finden sich gleich drei Kommentare zum Thema NSA und Snowden, überschrieben Whistleblower I bis III. Hier hätte allemal einer genügt, zumal die Tendenz bei allen dreien völlig gleich ist.
In „Whistleblower I“ (die Internetversion ist verkürzt) heißt es: „Angela Merkel würde von Barack Obama wohl nicht mehr ganz ernst genommen, wenn sie all den Ratschlägen folgte, die im heimischen Wahlkampf […] auf sie einprasseln.“ Als ein solcher – wahlkampfbedingter -Ratschlag an Merkel wird dann die Forderung genannt, den Beginn der Freihandelsgespräche mit den USA zu verschieben, was der Autor (Jasper von Altenbockum) natürlich ablehnt. Sind aber Politiker, die an solchen Verhandlungen festhalten, obwohl sie mittlerweile erfahren haben, dass sie von ihrem Verhandlungspartner abgehört werden, ernster zu nehmen? Wer so windelweich reagiert wie Angela Merkel, der signalisiert doch: Egal wie groß der Tisch bei den Verhandlungen auch ist, du kannst mich auf jeden Fall über denselbigen ziehen.
Auch die zweite Forderung an Merkel, den automatisierten Datenaustausch zwischen der EU und den USA einzustellen, wird von Altenbockum natürlich abgelehnt. Er meint sogar noch dick auftragen zu können: Der amerikanische Datenschutz ist für ihn allenfalls ein „Nase rümpfen“ wert. „Die Amerikaner, die auf Freiheit mehr Wert legen als die Deutschen, werden sich nicht vorschreiben lassen, ihre Rechtskultur zu germanisieren.“ Woher hat Altenbockum bloß die Idee, dass „die Amerikaner […] auf Freiheit mehr Wert legen als die Deutschen“? Ja, in der NSA-Affäre geht es in der Tat um Freiheit und Unfreiheit, und hier scheint es doch so zu sein, dass die Deutschen (und die Europäer) auf die Freiheit vor Überwachung und Beschnüffelung wesentlich mehr Wert legen als die Amerikaner (jedenfalls als das Gros der Amerikaner und als deren Regierung sowieso).
Weiter: Die Amerikaner „werden sich nicht vorschreiben lassen, ihre Rechtskultur zu germanisieren.“ Sicher brauchen die Amerikaner sich für ihr Rechtssystem nichts „vorschreiben lassen“, aber warum sollten das umgekehrt die Europäer mit sich machen lassen? Aber genau das verlangt Altenbockum, nämlich den automatischen Datenaustausch mit den USA weiterzuführen und damit gegenüber den USA auf die Einhaltung der strengeren europäischen und zumal deutschen Datenschutznormen zu verzichten.
Und auch das übliche Totschlagargument, dass die Amerikaner den Europäern mit der Überwachung „einen Gefallen tun bei der Verbrechensbekämpfung“, wird hier wieder aufgetischt. Verbrechensbekämpfung durch Bespitzelung von europäischen Botschaften oder chinesischen Eliteunis? Kein Wort vom Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit, kein Wort davon, dass Prism und Tempora millionenfache Rechtsbrüche in Form des Eingriffs in Persönlichkeitsrechte begehen und damit Gegenstand von rechtlicher Anklage sein müssten.
Dann bekommt auch noch der FDP-Mann Lindner sein Fett weg: „Wer dagegen, wie der FDP-Politiker Lindner, Sanktionen fordert, bis die Amerikaner begriffen hätten, was ‚bürgerliche Freiheitsrechte’ sind, macht sich lächerlich.“ Wenn man danach schaut, was Lindner nun tatsächlich geäußert hat, sieht das jedoch ganz anders aus. Lindner hat – offenbar in einem Gespräch mit der „Welt“ zwei Dinge gefordert: 1.) schärfere Regeln für die Zusammenarbeit der großen Internetfirmen mit Geheimdiensten, und 2.) die automatische Datenübermittlung mit den USA auszusetzen und erst wieder aufzunehmen, „wenn es ein gemeinsames Verständnis von bürgerlichen Freiheiten gibt.“
Man könnte es in der Tat für „lächerlich“ halten, „Sanktionen“ gegen ein Land wie die USA zu fordern. Von „Sanktionen“ seitens der EU gegenüber den USA hat Lindner allerdings gar nicht gesprochen. Ebenso wenig hieß es bei ihm, die Datenübermittlung sollte ausgesetzt werden, „bis die Amerikaner begriffen hätten“ usw. Man erkennt die polemische Absicht: Lindner soll als der großmannsüchtige Deutsche dargestellt werden, der die anderen, in diesem Fall sogar die Großmacht in deutscher Überheblichkeit belehren will, bis eben „die Amerikaner begriffen hätten“. Nur, auch das hat Lindner nie gesagt. Es gäbe ausreichende Gründe, Lindner bzw. die FDP in der Sache zu kritisieren, etwa wenn deren Parteivorsitzender als Bundeswirtschaftsminister den Beginn der Gespräche zum Freihandelsabkommen verteidigt, während die Justizministerin und offenbar auch Lindner für die FDP als „Bürgerrechtspartei“ politisches Kapital aus der NSA-Affäre schlagen wollen und der FDP-Außenminister den Abhörskandal wiederum verharmlost. Aber auf solche offenkundigen Widersprüche geht die FAZ natürlich nicht ein.
Schlichtweg demagogisch ist auch die Formulierung, die Amerikaner „werden sich nicht vorschreiben lassen, ihre Rechtskultur zu germanisieren.“ Der Ausdruck „germanisieren“ wurde vom Autor wohl ganz bewusst gewählt: gezielt „germanisiert“ wurde schließlich vor 1945.
Und wieso soll sich Lindner nun mit seiner Forderung nach einem „gemeinsamen Verständnis der bürgerlichen Freiheitsrechte“ nach Meinung des Autors „lächerlich“ gemacht haben soll, weiß wohl nur der FAZ-Redakteur? Wenn sich schon jemand „lächerlich“ macht, dann der Autor dieses unsäglichen Kommentars.
In „Whistleblower II“ (kostenpflichtig) muss natürlich auch die SPD eins ausgewischt bekommen. Skandalisiert wird nicht etwa der Abhörskandal, sondern die Forderung von Sigmar Gabriel, ein Verfahren gegen die Verantwortlichen der amerikanischen und britischen Geheimdienste einzuleiten. Dabei steht er mit dieser Forderung nicht einmal allein, auch im konservativen Lager, etwa von Peter Gauweiler von der CSU wird Ähnliches verlangt. Aber was sollen schon solche Details, wenn es gilt, gegen die SPD zu holzen.
Der Autor Majid Sattar weiter: „Das erinnert an 2002, als die SPD schon einmal – es ging um Schröder und den Irak-Krieg – ihren Wahlkampf in einen Feldzug gegen Amerika verwandelte.“ Hinterher ist man immer klüger – das gilt zwar meistens, aber ganz offensichtlich nicht für Sattar in Bezug auf den Irak-Krieg. Dass die seitens der USA angeführten Kriegsgründe gefälscht waren, dass der Krieg in zehn Jahren nicht zu einer Befriedung des Irak geführt hat, dass er in zehn Jahren ca. 2 Millionen Menschenleben gekostet hat, dass er in zehn Jahren die USA ca. 800 Milliarden Dollar gekostet hat, eine Summe, die ausreichen würde, jedem Menschen im Irak 27.600 Dollar in die Hand zu drücken, dass Schröders Ablehnung eines Irak-Kriegs in der deutschen Bevölkerung auf größte Zustimmung stieß (Politbarometer 5. August 2002: 81%) – dem Autor Sattar ist das alles egal. Stattdessen spricht er vom damaligen SPD-Wahlkampf als einem „Feldzug gegen Amerika“.
Weiter geht’s mit „Whistleblower III“ (kostenpflichtig, Auszüge). Nun wird über den bolivianischen Präsidenten Evo Morales hergezogen, der seine „außerplanmäßigen Zwischenlandung in Wien“ (so kann man den Vorfall natürlich auch verharmlosen) als einem „historischen Fehler“ genannt hat. Der Autor, Daniel Deckers, meint zu dieser Äußerung von Morales: „Es zeugt nicht von einer auch nur halbwegs realistischen Einschätzung der weltgeschichtlichen Bedeutung seiner Person“. Doch erstens hat Morales nicht von einem „weltgeschichtlichen Fehler“ gesprochen, zweitens meint Deckers offenbar, dass Landeverbote nur für Personen von „weltgeschichtlicher Bedeutung“ – also etwa für Barack Obama oder Angela Merkel – einen Skandal ausmachen, aber eben nicht für den Präsidenten eines kleinen Andenstaates.
Deckers will uns wohl sagen, dass mit den Repräsentanten kleinerer Länder anders umgesprungen werden darf, als mit denen der wichtigeren – eine seltsame Auffassung von internationaler Staatengemeinschaft und der Souveränität großer und kleiner Länder.
Aber nur gegen Morales zu schießen, reicht Deckers noch nicht. Dem Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Insulza, der geäußert hatte, in der Person von Morales sei Lateinamerika als Ganzes gedemütigt worden, wirft er eine „verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit“ vor. Begründung: „Bezeichnend ist vielmehr, dass von Mexiko und Kolumbien über Peru und Chile bis nach Brasilien die Regierungen ob der vermeintlichen Demütigung eines Helden des antiimperialistischen Kampfes lautstark schweigen.“ Daran stimmt nun wirklich gar nichts. Alle genannten Länder haben mehr oder weniger deutlich gegen diese Behandlung von Morales protestiert.
Brasiliens Präsidentin Rousseff erklärt ihre „Empörung“ (Siehe auch hier). Kolumbiens Präsident erklärt: „Wir solidarisieren uns mit Evo Morales, weil es unerhört ist, was sie mit ihm gemacht haben, aber wir lassen nicht zu, dass sich das zu einer diplomatischen Krise zwischen Lateinamerika und der EU entwickelt“. Perus Präsident fordert eine Sondersitzung der Staatengemeinschaft UNASUR zu dieser Angelegenheit. „Im Abschlussdokument fordern die Unasur-Staaten „Antworten und öffentliche Entschuldigungen“ von Frankreich, Spanien, Italien und Portugal. Diese vier Staaten hatten Morales den Überflug verweigert. Brasilien, Chile und Peru unterstützten diese Position ausdrücklich“. Jetzt bliebe nur noch Mexiko in der Staatenliste unseres Autors übrig. Dort hat sich die Regierung in der Tat nicht geäußert, dafür aber eindeutig der Ständige Ausschuss des Parlaments (Siehe auch hier).
Aber Deckers setzt noch einen drauf: Da heißt es, die Präsidenten von Bolivien, Nicaragua, Ecuador, Venezuela und Argentinien „haben mit der Achtung demokratischer Grundrechte nicht halb so viel im Sinn wie der verhasste große Bruder im Norden“. Bei allen fünf handelt es sich um mehr oder weniger „linke“ Präsidenten bzw. Regierungen, die immerhin alle auf demokratischem Wege an die Macht gekommen sind. Alle sind angetreten, um die Interessen der breiten Mehrheit der Bevölkerung gegen die – in der Vergangenheit stets von den USA unterstützten – reichen Eliten zu vertreten, die in früheren Zeiten mit einmal mehr, einmal weniger nackter Gewalt ihre Länder regiert und ausgeplündert haben. Damals hielten sich die Vorwürfe seitens der „freien Welt“ über Menschenrechtsverletzungen sehr in Grenzen. Ja, in den fünf genannten Staaten mit „linker“ Regierung kommen leider auch Verstöße gegen demokratische Grundrechte vor. Aber das war in den Zeiten vor diesen „linken“ Regierungen auch nicht anders, im Gegenteil es war oftmals viel schlimmer.
Dass trotz aller vorkommenden Verstöße diese „linken“ Regime in vielfacher Hinsicht auch die „Achtung demokratischer Grundrechte“ verbessert haben, bleibt bei dem Vorwurf des Autors außen vor. Der Widerwille von Herrn Deckers gegen einen Präsidenten wie Evo Morales trieft aus jeder Zeile dieses Artikels heraus. So etwa, wenn er diesen als „ehemaligen Kokabauern“ abstempelt. Zwischenfrage: Wer wird eigentlich als Präsident geboren? Hätte die FAZ im Zusammenhang mit Gerhard Schröder abschätzig von einem „Putzfrauensohn“ oder über Nelson Mandela als „ehemaligen Strafgefangenen“ geschrieben?
Man fragt sich: Warum diese völlig gleichgerichtete Propagandaschreibe in so vielen verschiedenen Beiträgen an einem Tag abgedruckt wird?
In der FAZ-Chefredaktion scheint man wohl nervös geworden zu sein. Wenn man sich nämlich die Meinungsumfragen ansieht, dann musste man in den Redaktionsstuben des konservativen Blattes besorgt sein. Die große Mehrheit der Deutschen hält die Schnüffelei der Amerikaner und Briten für skandalös und Snowden eher für bewundernswert. Die Bildzeitung hatte das auf die einfache Frage heruntergebrochen: „Ist Snowden ein Held oder ein Schuft?“ und dazu eine Umfrage gestartet; das eindeutige Ergebnis von mittlerweile über 100.000 Abstimmenden: Held 85 %, Schuft 15 %. Das dürfte die Meinung der Deutschen zu diesem ganzen Thema doch ziemlich gut widerspiegeln. Die Zustimmung zu „Muttis“ Schmusekurs mit den USA ist jedenfalls begrenzt, also muss das merkeltreue Blatt alle Anstrengungen unternehmen, damit nicht noch mitten im Wahlkampf womöglich ein Stimmungsumschwung eintritt.
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