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Titel: Wie geht es eigentlich den russischen Oligarchen in Zypern?
Datum: 25. Juni 2013 um 15:58 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Euro und Eurokrise, Europäische Union, Länderberichte
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Wir erinnern uns, wie speziell die deutsche Regierung mit dem Oligarchen-Argument Stimmung gemacht hat. Sie ließ sogar den BND – eigentlich nicht als Sitz von ökonomischem Sachverstand bekannt – eine „Analyse“ anfertigen, die aus Zeitungsberichten herausfilterte, was über die Russengelder bekannt war. Denen sollte hinfort der Spaß an ihren Anlagen im zypriotischen OFS verdorben werden – angeblich, um den gesunden Kern des Bankensystems eines Euro-Mitgliedsstaats zu retten.
Der deutsche Steuerzahler soll nicht für Flucht- und Schwarzgelder russischer Oligarchen einstehen, lautete das Argument vor der Rosskur der Eurozonen-Finanzminister vom 18. März 2013. Nach der Kur haben wir das Bild, das Harald Schumann zeichnet: gesunde Mittelstandsunternehmen unverschuldet am Rande der Pleite, die (westlichen) Anleger längst über alle Berge, und die (östlichen) Oligarchen als künftige Herrscher über die größte Bank der Inselrepublik. Wie konnte das geschehen?
Einige Überlegungen im Anschluss an den höchst aufschlussreichen Bericht von Harald Schumann. Die Pointe schlechthin hat er sich für den Schluss aufgehoben. Wie geht es eigentlich „den Russen“ in Zypern, die uns im Vorfeld der EU-als tiefste Wurzel des Übels namens „Offshore Financial Sector“ (OFS) dargestellt wurde? Von Niels Kadritzke
Das beschlossene Sanierungskonzept eines „bail-in“, also eines „haircut“ bei den Einlagen von mehr als 100 000 Euro, funktioniert wie folgt: 30 Prozent der Einlagen bei den beiden größten Banken Bank of Cyprus (BoC) und Laiki Trapeza (inzwischen liquidiert) wurden eingefroren (also letztlich gestrichen), während 37,5 Prozent in Aktien der (vorerst geretteten) BoC umgewandelt wurden. Für die restlichen 22,5 Prozent ist noch nicht entschieden, was mit ihnen geschieht, aber die Experten glauben, dass auch sie in Anteile an der Bank umgewandelt werden, da die Bank anders nicht zu retten sein wird. Das bedeutet, dass auf einen Schlag eine neue Klasse von Aktionären geschaffen wurde. Der Anteil russischer Staatsbürger (bzw. von Russen mit zypriotischer Staatsbürgerschaft) an dieser Gruppe wird – je nach dem Prozentsatz der ausgegebenen Aktien – auf 50 bis 60 Prozent geschätzt. Das heißt, dass „die Russen“ bei den anstehenden Wahlen einer neuen Geschäftsführung der BoC im September ihre Interessen durchsetzen können. Wobei man wissen muss, dass schon vor der Krise ein Zehntel der BoC-Aktien dem russischen Oligarchen Dmitri Rybolowlew gehörte (der seine prominenteste Investition nicht in Zypern, sondern in Monaco getätigt hat: Ende 2011 hat er zwei Drittel der Anteile – und das Präsidentenamt – des Fußballklubs AS Monaco gekauft, der mit Hilfe des Milliardärs zu den Topklubs Europas aufsteigen will).
Die russische Fraktion wird innerhalb der Bank of Cyprus nicht unbedingt direkt auftreten. Vielmehr werden die Oligarchen, wie die Zeitung Politis am 16. Juni schrieb, „das Kommando mittels der großen Anwaltskanzleien ausüben“, die seit langem die Geschäfte der russischen Anleger im Offshore-Finanzsektor führen. Den wachsenden russischen Einfluss auf die Geschicke der BoC hat Präsident Nikos Anastassiadis am 19. Juni in einem Interview mit dem russischen Wirtschaftssender RBC (Russian Business Chanel) bestätigt, als er meinte, die russischen Einleger würden einen „ziemlich großen Teil des Bankkapitals“ erhalten und daher eine „gewisse Kontrolle über die Bank of Cyprus“ übernehmen. Wie die Regierung die Zukunft der BoC einschätzt, zeigt auch die Tatsache, dass sie im Mai bei der Suche nach einem neuen Chef der Bank dem bereits gewählten Kandidaten Michalis Kolakidis lediglich einen Vier-Monats-Vertrag anzubieten hatte (worauf dieser auf den Posten verzichtete). Ein längerer Vertrag war nicht möglich, schrieb die Cyprus Mail am 26. Mai, „weil Ende September die neuen Aktionäre der Bank (die russischen Biznesmen, deren Einlagen durch das bail-in erfasst wurden) ein neues Direktorium wählen würden, das dann einen neuen CEO bestimmen würde“.
Wie Präsident Anastasiadis bei RBC TV erläuterte, plant seine Regierung weitere Anreize für russische Staatsbürger, etwa eine staatliche Garantie von Investitionen und Erleichterungen beim Kauf von Immobilien und beim Erwerb eines zypriotischen Passes. Auf die russische Klientel zielt auch die Ankündigung der Regierung, verstärkt auf Spielcasinos zu setzen, „um das Tourismusprodukt Zypern zu verbessern“, wie der zuständige Minister Giorgos Lakkotrypis erklärte. Nach einem Bloomberg-Bericht vom 20. Juni erhofft man sich einen Boom von Spielhöllen-Touristen aus Russland, wo es keine legalen Casinos mehr gibt. Bloomberg zitiert einen Casino-Experten mit der Aussage: „Zypern könnte für die Russen das werden, was Mallorca für die Deutschen ist.“
Aber die Immobilien-Branche der Inselrepublik setzt nicht nur auf die Russen. Bis vor kurzem durchschritten die Besucher, die auf dem Flughafen von Larnaca ankamen, ein Spalier mannshoher Werbeposter, die auf englisch und russisch Ferienhäuser anpreisen. Neuerdings ist eine dritte Sprache hinzugekommen: „Get Your Home in the Sun“ wird jetzt auch auf Chinesisch beschworen. Viele Kunden haben bereits angebissen. Allein im westlichen Bezirk Paphos wurden bis Mai 2013 etwa 1000 Objekte an Chinesen verkauft, berichtet die Cyprus Mail vom 23. Juni.
Auch für die Chinesen besteht der Anreiz darin, dass sie mit dem Erwerb einer Immobilie eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis erwerben können. Allerdings bahnt sich wegen dieser Möglichkeit bereits einiger Ärger an. Da die begehrte Lizenz an einen Immobilienwert von 300 000 Euro gebunden ist, blähen viele zypriotische Real-Estate-Firmen den Wert des angebotenen Objekts bis zu diesem Schwellenwert auf. Das haben viele Chinesen inzwischen gemerkt – und melden ihrer Botschaft, dass sie sich übervorteilt fühlen.
Ein neuer Immobilien-Boom und der Casino-Tourismus sind fast die einzigen Perspektive, die sich der Kriseninsel derzeit bieten. Wie lange dieses fragile Geschäftsmodell hält, weiß der Himmel. Die Liquidierung des alten Modells, die angeblich den Einfluss „der Russen“ eindämmen sollte, hat jedenfalls nicht dazu geführt, Zypern näher an Europa heranzubringen.
Eine Beobachtung zum Schluss. In Zypern fiel mir ganz besonders auf, dass es einen bemerkenswerten Gegensatz zu den griechischen Verhältnissen gibt. Nach Umfragen vom Mai sind etwa 85 Prozent der griechischen Zyprioten der Meinung, dass die extrem kritische Lage, in der sie sich heute befinden, im wesentlichen „hausgemacht“, das heißt von ihren eigenen Politikern und damit auch von ihnen selbst zu verantworten ist. Zwar sieht eine große Mehrheit die Strategie der Eurozonen-Finanzminister im März dieses Jahres sehr kritisch und hält den grobschlächtigen bail-in für eine Katastrophe, aber die meisten Leute (auch die berühmten „kleinen Leute“ von der Straße) sagen heute, im Grunde habe man das Ganze kommen sehen (müssen): Das alte Wirtschaftsmodell sei einfach nicht haltbar gewesen, allerdings hätten die Europäer Zypern mehr Zeit geben müssen, dieses Modell abzuwickeln und schrittweise durch ein neues zu ersetzen.
Diese „selbstkritische“ Haltung erklärt sich auch damit, dass Zypern eine sehr überschaubare Gesellschaft ist, mit nicht viel mehr Einwohnern als eine deutsche Großstadt. Diese Gesellschaft ist überdies so eng geknüpft, dass jeder oder jede jemand anderen kennt, der innerhalb des alten Systems irrsinnig schnelle Gewinne gemacht und damit zur Erhöhung des „systemischen“ Gesamtrisikos beigetragen hat. Der sagenhafte Reichtum, zu dem insbesondere Immobilien-Haie und Finanzberatungs-Unternehmen gekommen sind, stellt sich im Rückblick für die meisten Zyprioten als Vorzeichen der großen Krise dar, das man allzu leichtsinnig übersehen hat.
Hinzu kommt, dass fast jede Woche neue Skandale ans Licht kommen, von denen man allerdings immer schon eine gewisse, durch Gerüchte genährte „Ahnung“ hatte. Die jüngste Enthüllung betrifft die Tatsache, dass im Zeitraum 2004 bis 2011 die Vorstände der beiden großen Banken sich selbst (oder Familienangehörigen und Freunden) unglaubliche Summen an Krediten genehmigt haben, und zwar zu günstigen Konditionen und in der Regel ohne die gesetzlich geforderten Sicherheiten. Die Gesamtsumme dieser Kredite (bei BoC und Laiki) belief sich auf 4,5 Milliarden Euro, die Liste der Begünstigten, von denen die meisten schon vorher Multi-Millionäre waren, ist ein „Who is who“ der zypriotischen Gesellschaft.
Aber jeder neue Skandal wird in Zypern nur als neueste Schicht eines Müllberges wahrgenommen, der sich zuvor schon aufgetürmt hatte. Diese alten Skandale reichen von der Übernahme der Laiki durch einen griechischen Unternehmens-Hasardeur (der von Präsident Christofias protegiert wurde) bis zum äußerst suspekten Ankauf von griechischen Bonds durch die zypriotischen Banken zu einem Zeitpunkt, an dem alle europäischen Banken diese Schrottpapiere nur noch abstoßen wollten, weil sie längst von einem „haircut“ ausgingen. Der dann auch kam und für das zypriotische Bankensystem den Todesstoß bedeutete.
Und noch ein Letztes: Da in die skandalösen Praktiken und Versäumnisse (vor allem auch der Bankaufsicht durch die Zentralbank) alle Regierungen der letzten zehn Jahre inklusive der „kommunistischen“ Akel (Anorthotiko Komma Ergazomenou Laou = Fortschrittspartei des werktätigen Volkes) verwickelt waren, gibt es keine Partei oder politische Gruppierung, die heute mit sauberen Händen dastehen würde. Entsprechend ist die Akel, deren Präsident Christofias einen erheblichen Anteil an dem ganzen Desaster hat, in den Umfragen jämmerlich abgestürzt. Von den 30 Prozent der Wähler, die diese Partei seit jeher mobilisieren konnte, hat sie inzwischen gut die Hälfte verloren.
Der Unterschied zu Griechenland liegt auf der Hand, dort hat die Syriza als langjährige Oppositionspartei mit dem alten Klientelsystem und den damit einhergehenden Korruptionsfällen nichts zu tun. Umso kritischer sehen es viele griechische Zyprioten, dass die Syriza die Akel noch immer als ihre „Bruderpartei“ in Zypern sieht und deren Rolle in der Krise bislang nicht ernsthaft thematisiert hat.
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