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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 5. Oktober 2006 um 16:14 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Anmerkung: Man sollte auch solchen Studien nicht zu viel Glauben schenken, aber immerhin mal ein Kontrapunkt zu den gängigen Thesen.
Kommentar von Roger Strassburg: Zum Tag der Deutschen Einheit warnt Kanzlerin Merkel vor Substanzverbrauch. Wie ein Land, das mehr aus dem Ausland einnimmt, als es ausgibt, die Substanz verbrauchen kann, sagt sie natürlich nicht.
Vielleicht meint sie das Verscherbeln von Tafelsilber, wodurch Steuersenkungen für Unternehmen finanziert werden. Aber auch das bleibt im Land, also von “Substanzverbrauch” im Bezug auf Deutschland kann keine Rede sein. Für die großen Massen allerdings schon, denn das Volksvermögen wird ihnen entzogen und an einige wenige vergeben. Natürlich darf auch das Mantra von der Entkoppelung des Gesundheitswesens von den Arbeitskosten nicht fehlen. Glaubt sie wirklich, Arbeitnehmer würden ihr Leben aus etwas anderes als ihrer Arbeitsvergütung finanzieren. Oder soll das Geld einfach vom Himmel fallen?
Anmerkung: Ein typischer Kommentar – gar in der taz – wie die Konzeptionslosigkeit und das Scheitern der sog. Reformpolitik dem politischen System angelastet wird, statt einer rational nicht mehr nachvollziehbaren Sachpolitik. Unsere Demokratie gerät allmählich wirklich in Gefahr, weil das Scheitern einer falschen Politik, dem demokratischen System angelastet wird.
Kommentar eines Lesers: Der Autor sieht nicht, dass die “reformorientierte Politik” an ihre Grenzen stößt. Im Zentrum der politischen Klasse scheint man zu ahnen , das jeder weitere Schritt auf dem neoliberalen Pfad in den Abgrund führt, ist aber nicht in der Lage, den einst gepriesenen Rezepten abzuschwören. Dies ist nicht nur die Furcht vor Blamage oder Gesichtsverlust angesichts gravierender Fehler, sondern das klassische psychologisches Dilemma des Ideologen, der sein jahrelang gelebtes falsches Bewusstsein nicht einfach ablegen kann. Es geht nicht um ein “strategisches Zentrum” bzw. “die Verknüpfung und gleichgerichtete Orientierung von fünf bis acht Entscheidern an zentralen Positionen in Partei, Fraktion und Regierung”, sondern um die völlige Unsicherheit über den Inhalt einer erfolgversprechenden Strategie. Vor diesem Hintergrund können die Ministerpräsidenten ihre billigen Spielchen treiben – und würden im Bundeskanzleramt vor den gleichen Problemen stehen.
Hinweis in eigener Sache: Am 2. 10. hatten wir in unseren Hinweisen folgenden Eintrag:
Ein Streik gegen uns alle?
TAZ-Redakteur Thorsten Denkler bezeichnet den Arbeitskampf der Eisenbahner als politisch und somit illegal.
Quelle: TAZ
Kommentar: Der Autor hat ein merkwürdiges Verständnis vom im Grundgesetz garantierten Streikrecht, für Löhne soll man streiken dürfen, für den Arbeitsplatz aber nicht?
Dazu schrieb uns Eckehard Rosenbaum eine Anmerkung, die wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen:
Liebe Redaktion der Nachdenkseiten,
eine etwas differenziertere Kommentierung des TAZ-Kommentars zu den angekündigten Streiks bei der Bahn wäre angeraten gewesen, geht es doch um mehr (und anderes), als eine Beschäftigungsgarantie für einen Teil der Bahnmitarbeiter. Insofern greift WLs Meinung, die TAZ bestreite den Bahnern das Recht, für ihren Arbeitsplatz zu streiken eindeutig zu kurz. Hier die wichtigsten Gründe (die auch den anderen Lesern der Nachdenkseiten nicht vorenthalten werden sollten):
- Der Streik richtet sich nicht gegen das Bahnmanagement, sondern gegen den Eigentümer, also uns alle vertreten durch den Deutschen Bundestag. Das Bahnmanagement möchte nämlich genau das gleiche wie die Gewerkschaft – einen Teilverkauf der Infrastruktur statt deren Verbleib in öffentlichem Eigentum. Die Privatisierung öffentlichen Eigentums haben die Nachdenkseiten zu recht kritisiert. Warum jetzt diese Zurückhaltung? Auch Gewerkschaften können sich irren…
- Bereits merkwürdig genug ist es, dass sich ausgerechnet eine Gewerkschaft für die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur stark macht. Noch merkwürdiger ist die Erwartung, ein privater Investor würde im Bereich Infrastruktur mehr Personal beschäftigen als die öffentliche Hand. Im übrigen ist in den vergangenen Jahren bereits kräftig Personal abgebaut worden, auch als Ergebnis der Stilllegung mehrerer Tausend Kilometer Schiene. Es wäre geradezu absurd zu glauben, diese Praxis würde sich bei einer Teilprivatisierung ins Gegenteil verkehren oder zumindest zum Stillstand kommen.
- Bleibt also nur die Erwartung, die Bahn könne als integrierter Konzern mehr Menschen Arbeit bieten als bei einer Aufteilung in verschiedene Gesellschaften inklusive diverser Mitbewerber aus dem In- und Ausland. Von Bahnchef Mehdorn werden an dieser Stelle gerne die berühmten Synergieeffekte zwischen Infrastruktur und Betrieb ins Feld geführt. Diese Argumentation entbehrt jedoch einer stringenten Logik, von der schwachen Faktenlage ganz abgesehen. Gäbe es die behaupteten Synergieeffekte wirklich, dann wäre unerklärlich, warum sich mittlerweile eine Vielzahl von durchaus respektablen Bahngesellschaften auf deutschen Schienen tummelt, unter anderem die SBB aus der Schweiz (Frage: Wo bleiben die Interessen der dort Beschäftigten?). Andererseits wäre nicht einzusehen, warum die Synergieeffekte – so sie denn existierten – nur dem Platzhirsch zugute kommen sollten. Ebenso gut könnte man mit diesem Argument das Telefonnetz der exklusiven Nutzung durch die Deutsche Telekom vorbehalten.
Fazit: Würde sich der Streik gegen die Privatisierung als solche richten, könnte man dafür Verständnis haben. Es bliebe aber dennoch ein Versuch, den demokratisch gewählten Souverän unter Druck zu setzen. Die Privatisierung an sich ist jedoch genau nicht das Thema. Vordergründig geht es um Arbeitsplätze, im Kern jedoch um die Frage, ob eine auf absehbare Zeit auf öffentliche Zuschüsse angewiesene Infrastruktur dem Gewinnkalkül privater Investoren unterworfen werden sollte. Die Erfahrungen in vielen Ländern sprechen eindeutig dagegen. Wir sollten deren Fehler nicht wiederholen.
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