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Titel: Merkel und das Wahlvolk: Für dumm verkauft

Datum: 5. Juni 2013 um 9:44 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Bundesregierung, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Wahlen
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Noch schmutziger als Politik ist nur Wahlkampf. Das zeigte die Bundeskanzlerin Angela Merkel in den letzten Wochen erschreckend eindrucksvoll. Nach einer groß angelegten „Die-Merkel-ist-eine-Nette“-Kampagne kommen jetzt knallharte politische Inhalte auf den Tisch. Um spätestens nach der Wahl wieder zu verschwinden. Von Jörg Wellbrock.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Fußball geht immer. Im Wahlkampf sowieso. Deswegen taucht Angela Merkel bei jedem Spiel auf, das sportlich eine gewisse Relevanz hat und medial einen Auftritt mit großer Reichweite garantiert. Die Tatsache, dass Merkel so viel fußballerischen Sachverstand hat wie der Verfasser eines Tageshoroskops von der Relativitätstheorie, geht dabei regelmäßig unter. Im Gegenteil, die emsigen Sportjournalisten befragen die Kanzlerin und zeigen sich beeindruckt über die hohlen Phrasen, die diese ausplaudert. Fußball ist nur ein Spiel, und das, was Merkel vor den Mikrofonen veranstaltet, ist es auch. Sie spielt mit den Medien, nutzt ihre Stellung, um sich in Stellung zu bringen und dann eiskalt abzuschließen. Die Tatsache, dass es Politiker ins Stadion zieht, ist zwar nicht neu. Aber bei Merkel wirkt das Ganze so „knuffig“, so „drollig“, eben so unfassbar menschlich. Wie sie da sitzt und klatscht und jubelt und hüpft. Doch genau das ist ihre Masche. Das ist nicht menschlich, sondern genau kalkuliert. Das Traurige daran: es funktioniert.

Merkel menschelt – und die Medien merke(l)n es nicht einmal

Bis vor kurzem konnte Angela Merkel ihren Wahlkampf im Stillen genießen. Die Medien hatten sich auf Peer Steinbrück als „Buhmann“ eingeschossen, und der lieferte brav regelmäßig neues Futter für ausgiebige Berichterstattung gegen ihn. Jetzt aber, da es auf die Wahl im September zugeht, musste die Kanzlerin aktiv werden, um nicht womöglich noch ihren Wahlerfolg zu riskieren. Sie tat das zunächst einmal mit einer Welle Menschlichkeit. Nicht nur auf Balltreterveranstaltungen tauchte Merkel auf. Sie traf sich mit dem Papst, gab die Freundliche bei einem Interviewtermin der „Brigitte“, ging medial ins Kino und tat Gutes, beispielsweise beim „Dreck-weg-Tag“. Es ging ganz offensichtlich darum, den Menschen namens Angela Merkel zu zeigen und Bürgernähe zu demonstrieren. Ein Großteil der Medien mischte fleißig mit und berichtete artig über die schönen, sprich: menschlichen Seiten der Angela M. Das war der erste Streich. Und der zweite folgte sogleich. Mit Wahlversprechen in Höhe von knapp 30 Milliarden Euro. Da schluckte selbst die FDP, aber der Zeitplan passte gut ins Bild. Schließlich hatte die Kanzlerin gerade unter Beweis gestellt, dass sie ein ganz normales menschliches Wesen ist. Da ist es nur folgerichtig, dass sie Wahlversprechen macht, die die Menschen fröhlich stimmen. Und sie für dumm verkaufen.

Merkel befiehlt: Ohne Limit

Menscheln bis zur Bundestagswahl, das hält selbst der verblendetste Bürger nicht aus. Also wurde es Zeit, inhaltlich zu punkten und die Konkurrenz vor die Wand fahren zu lassen. Da Merkel sich schon bei weiten Teilen der Bevölkerung als „gute Freundin“ zu positionieren versucht hatte, folgte nun der Wahlprogramm-Auftritt, auch wenn es eben dieses Programm offiziell noch gar nicht gibt, sondern – natürlich mit Hilfe der Bevölkerung – gerade erarbeitet wird. In einer Frage-Antwort-Runde auf „CDU.TV“ holte die Kanzlerin dann zum Rundumschlag aus. Sie teilte mit, dass künftig Kindergeld und Mütterrenten erhöht, jährlich in Straßen und Verkehr investiert werden und eine Mietpreisbremse installiert werden solle, auch für Neuvermietungen. Die Wahlversprechen würden insgesamt laut Handelsblatt 28,5 Milliarden Euro kosten. Die Opposition war geschockt.

SPD und Grüne sprachen von „unhaltbaren Wahlversprechen“ und kritisierten Merkels Unglaubwürdigkeit. Man müsse sich nur die bisherige Politik der Regierung anschauen. Selbst die FDP zeigte sich irritiert und war sichtlich verunsichert. Generalsekretär Patrick Döring sagte zu Merkels Ankündigungen: „Spendierhosen mögen in Mode sein, führen aber nur zu höheren Staatsschulden oder höheren Steuern.“ Sogar in den eigenen Reihen war leichter Widerstand zu vernehmen.

Merkel kann das alles ziemlich wurscht sein. Ob sie nun unglaubwürdig erscheinen mag oder – wie die SPD schimpft – „Themenklau“ betreibt. Sie hat das im Vergleich zu den anderen Parteien größere Wahlkampfrad, an dem sie munter drehen kann. Sie hat eine Medienlandschaft, die ihr größtenteils wohlgesonnen ist. Und sie hat es geschafft, gemeinsam mit Kumpel Schäuble die deutsche Europapolitik bei der eigenen Bevölkerung als Seelenheil zu verkaufen, auch das mit tatkräftiger medialer Unterstützung. Mit anderen Worten: Ihr Image ist sauber, das Geschäft ist schmutzig.

Wasserspiele mit Merkel

Genau wie seinerzeit Gerhard Schröder hat Angela Merkel noch ein weiteres Ass im Ärmel. Das Wetter. Die starken Regenfälle der jüngsten Zeit haben zu zahlreichen Überschwemmungen geführt, die der Tagesschau knapp ein Drittel der gesamten Sendezeit wert sind. (Nicht nur) n-tv sprach in einer Headline von einem „Jahrhunderthochwasser“ und sah ganze Regionen in Deutschland buchstäblich untergehen. Das ist schrecklich, aber auch bestens geeignet, die mitfühlende Kanzlerin zu mimen. Klar, dass Merkel den betroffenen Gebieten „volle Unterstützung“ zusagte. Zeit wird sie dafür faktisch im Moment nicht haben, aber hier ein Besuch, dort ein bisschen „unbürokratische Hilfe“ sollten doch wohl drin sein. Aktuell 100 Millionen Euro will Merkel als Hilfe für die überschwemmten Gebiete bereitstellen. In Wählerstimmen ist das kaum auszudrücken, aber es dürften einige zusammenkommen.

Internet für jeden!

Merkel weiß die aktuellen Themen gut für ihre Zwecke zu nutzen und so Wählerstimmen abzugreifen. Kurz nach der Drosselungs-Debatte der Telekom verspricht die Medienkanzlerin in Zukunft blühende Landschaften. Zumindest was das mobile Internet angeht. Überall in Deutschland werde es künftig kostenloses mobiles WLAN geben. So will es die Kanzlerin. Und darüber freuen sich sicher eine Menge Menschen, auch wenn es gesamtpolitisch nicht gerade wegweisend für die Zukunft Deutschlands oder Europas ist.

Waffenhandel mit offenem Visier

Da Deutschlands Waffenhandel in der letzten Zeit vermehrt in die Kritik geraten ist, hat Angela Merkel auch dazu etwas bereit gelegt. Im „Spiegel“ war nachzulesen, dass künftig geplante Waffenexporte „zeitnah veröffentlicht“ werden sollen. Die Ankündigung bezog Merkel auf die kommende Legislaturperiode, ernsthafte Konkurrenz scheint sie also nicht zu fürchten, was ihre Wiederwahl betrifft. Bemerkenswert am „Spiegel“-Bericht ist die Tatsache, dass Merkel sich nicht etwa konkret zur Kritik am Waffenhandel Deutschlands äußerte. Vielmehr – und das kann sie wirklich gut – wirkt es bei Merkel immer so, als sei nicht die Brisanz eines Themas oder die Kritik an ihrer Politik der Auslöser für ihre Statements, sondern ein inneres Bedürfnis, darüber zu sprechen. In akuten Situationen bezieht Merkel eigentlich nie Stellung. Deshalb kann sie sich so gut verkaufen. Es ist, als ob sie selbst überhaupt nichts zu tun hätte mit den Themen, zu denen sie sich äußert. Und wenn gar nichts mehr geht, muss der Terrorismus herhalten, auch beim Thema Waffenexporte. Die befürworte die Kanzlerin nach wie vor, auch in Länder mit autokratischen Regierungen, denn schließlich gehe es im Kern immer nur darum, den Terrorismus zu bekämpfen. Klänge es nicht so zynisch in diesem Zusammenhang, könnte man dieses Argument durchaus als „Totschläger“ bezeichnen.

Blockupy kann warten

Der völlig unangemessene Polizeieinsatz gegenüber den Demonstranten in Frankfurt und der Kessel mit rund 900 Menschen, denen schlicht ihre Freiheit geraubt wurde, ist ein weiterer Beleg für die „Ich-sag-nix-Taktik“ von Angela Merkel. Statt sich an die eigene Nasen zu fassen, ließ Merkel über ihren Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilen, das Recht auf freie Meinungsäußerung sei Pflicht, die Versammlungsrecht ein Grundrecht. Dem könnte man zustimmen, wenn sie es nicht auf die zeitgleichen Auseinandersetzungen in Istanbul bezogen hätte. In Frankfurt macht die Kanzlerin offenbar kein Demokratieproblem aus. Es ist zu vermuten, dass Merkel sich dennoch äußern wird. Aber erst, wenn die Luft nicht mehr brennt, sondern der Polizeieinsatz an Brisanz verloren hat. Wenn also alles gesagt ist, kommt Merkels Einsatz.

Leere Phrasen versus Amigo & Co

Man kann nicht sagen, dass Merkel alles richtig gemacht hat, sogar die ihr so wohlgesonnenen Medien kommen nicht drum herum, über den Verteidigungsminister der Kanzlerin zu berichten, über die Kritik an ihren Wahlversprechen, über die Amigo-Affäre der CSU. Trotzdem, es wird schon gutgehen, und der „Spiegel“ bringt es mit seiner Headline vom 2. Juni 2013 unfreiwillig auf den Punkt, wenn er schreibt: „Merkels Problemwoche: Augen zu und durch“. Viel länger wird die kritische Berichterstattung vermutlich nicht anhalten, denn es geht um die nächste Legislaturperiode, und da muss man zusammen halten, dass wissen nicht nur Philipp Rösler und Kai Diekmann.

Merkel ist schon dabei, ihre Strategie neu anzupassen. In ihrem Videopodcast vom 1.6.2013 sprach sie bereits nicht mehr von politischen Inhalten, sondern formulierte stattdessen inhaltsleeres Gerede, das nur auf den ersten Blick optimistisch klingt. Von einer Volontärin befragt, äußerte sich Merkel zum „1. Internationalen Deutschlandforum“, eine brandneue Erfindung, zu der „Experten aus aller Welt“ eingeladen werden.

„Es ist ja so, dass wir sehr viele Jahre einfach nur auf das Wirtschaftswachstum geguckt haben. Aber wir sehen heute, dass das alleine auch noch nicht ausreicht, um die Lebensqualität wirklich auch gut zu gestalten. Und deshalb gibt es jetzt an vielen Stellen Diskussionen darüber: Was macht Lebensqualität eigentlich aus? Das ist zum Teil eine individuelle Frage, aber auch eine Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Und so hat im Deutschen Bundestag auch die Enquête-Kommission jetzt eine ganze Legislaturperiode über dieses Thema gearbeitet. Aber auch international wird darüber sehr viel nachgedacht. Und deshalb haben wir Experten eingeladen, die uns über diese Frage der Lebensqualität auch noch mal Auskunft geben. Zum Beispiel wird in einigen Ländern die Frage diskutiert: Wie viele Menschen habe ich eigentlich – und kenne ich –, die mir helfen würden, wenn es mir gesundheitlich ganz, ganz schlecht geht, und wer würde sich um mich kümmern? Und das ist natürlich – genauso wie materieller Wohlstand – eine ganz wichtige Frage meines Wohlbefindens. Und um solche Fragen geht es.“

Es bleibt allen Menschen zu wünschen, dass sie genügend andere Menschen kennen, die bereit sind, ihnen zu helfen, wenn es ihnen ganz, ganz schlecht geht. Gesundheitlich und auch sonst. Denn von Angela Merkel ist hier wenig zu erwarten. Das Traurige daran ist, dass dieser Umstand die meisten Wähler wahrscheinlich trotzdem nicht davon abhalten werden, sie wieder zu wählen.


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