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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Demographie – eine ziemlich nutzlose und vielfach missbrauchte Wissenschaft
Datum: 3. Juni 2013 um 17:01 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Demografische Entwicklung, Riester-Rürup-Täuschung, Privatrente, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Albrecht Müller
Das Statistische Bundesamt hat auf der Basis des Zensus 2011 die bisherigen Ziffern zu den Einwohnern in Deutschland und ihrer Altersstruktur korrigiert. Siehe hier.
Auf das Ergebnis sind wir im Hinweis Nr. 1 vom 3.6.2013 schon eingegangen: Es leben rund 1,5 Millionen Menschen weniger Deutschland als bisher angenommen; es gibt weniger Ältere als bisher vermutet und auch die Zahl der Ausländer ist geringer. Diese Erkenntnisse reizen zu einigen Anmerkungen über die in den letzten fünfzehn Jahren modisch gewordene demographische Debatte. In dieser Debatte über den so genannten demographischen Wandel musste man den Eindruck gewinnen, die Wissenschaft von der Demographie habe eine zentrale Bedeutung. Das ist eine bemerkenswerte Fehleinschätzung. Ihre Bedeutung ist vergleichsweise unbedeutend; umso größer ist die Bereitschaft von Demographen, sich für private Interessen einspannen zu lassen und zu diesem Zweck die Entwicklung maßlos zu übertreiben. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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50 Jahre lang lebten die Menschen in Deutschland und auch die Politik ohne große demographische Debatte. Wir lebten vergleichsweise gut damit. Seit Ende der Neunziger Jahre ist diese Ruhe zu Ende. Seit dem kommt keine große Politikerin und kein bedeutender Politiker mehr aus, ohne von der großen Herausforderung des demographischen Wandels zu sprechen. Den gab es auch früher. Aber die Politik hatte damals erkannt, dass sie an diesem Wandel wenig ändern kann und außerdem dieser Wandel wie etwa die Zuwanderung, die niedrige Geburtenrate oder der Anstieg der Lebenserwartung keine dramatischen Folgen hat.
Den Anstoß zu einer wahren Orgie der demographischen Diskussion mit unendlichen Folgen von Fernsehwochen zum demographischen Wandel, immer neuen Studien und Foren der diversen Stiftungen, mit der Gründung von Initiativen zur Rettung der jungen Generation vor der Überforderung durch die Alten und unzähligen Sitzungen von Gemeinderäten über die Folgen des demographischen Wandels für ihre Kommune und und und gaben nach meiner Erinnerung die interessierte Versicherungswirtschaft und die Banken. Sie intervenierten im Wahlkampf 1998 mit vielen ganzseitigen Anzeigen und paralleler Lobbyarbeit zu Gunsten einer Umstellung bzw. Ergänzung der sozialen Sicherungssysteme durch Privatvorsorge.
Das Studium der demographischen Veränderungen kann eine gewisse Bedeutung haben. Das wird hier nicht bestritten. Wenn junge Leute aus einer Region wie aus Teilen von Mecklenburg-Vorpommern oder aus dem nördlichen Ruhrgebiet oder aus der Westpfalz abwandern, dann folgen daraus demographische Veränderungen, weil infolgedessen auch weniger Kinder geboren werden und zur Schule gehen wollen. Da können demographische Studien helfen.
Es ist auch ganz nett zu prognostizieren, wie die Lebenserwartung steigt.
Aber diese Veränderungen sind langsamer Natur. Und oft sind – wie im Falle der Abwanderung junger Menschen aus Regionen jenseits der Metropolen – andere Faktoren wie etwa die wirtschaftliche Strukturpolitik oder die Konjunkturentwicklung entscheidendere Einflussfaktoren.
Für die wenigen relevanten Erkenntnisse der Demographie brauchen wir jedenfalls kein Heer von Demographen und schon gar nicht die medialen Schlachten, die seit gut zehn Jahren in Deutschland veranstaltet werden.
Der eigentliche Zweck der demographischen Debatte und der zu Grunde liegenden demographischen Studien ist offensichtlich die Durchsetzung ökonomischer Interessen und die parallel verlaufende Profilierung von Politikern und Politikerinnen. Dazu drei Beispiele:
Zum Beispiel: jung ist gut, alt ist bedrohlich. Deshalb das Jammern über den
Anstieg der Lebenserwartung, wir würden immer älter, klagte man. Und man nutzte gerne Begriffe wie Überalterung und Vergreisung. Gäbe es eine Neuauflage des Wörterbuchs des Unmenschen, die Demographiedebatte wäre eine ergiebige Quelle.
Zum Beispiel: Rücksichtslos wird suggeriert, die Alten lebten auf Kosten der Jungen, und man heizt gewissenlos den Generationenkonflikt an. Die Bild-Zeitung mobilisiert in diese Richtung schon seit 2006. (Siehe Anlage)
Zum Beispiel: Mehr ist nach den Vorstellungen jener, die sich in der demographischen Debatte tummeln, immer besser als weniger oder gleich viel.
Es wurde darüber gejammert, wir würden immer weniger. Ja einige der Diskutanten steigerten sich in die Behauptung, die Deutschen stürben aus. Wir seien ein Sterbendes Volk. „Der letzte Deutsche“ lautete der Spiegeltitel vom 5.1.2004. Abgedruckt war ein kleiner Junge, der eine Stange hoch stemmt, auf der eine Gruppe von Alten bequem Platz genommen hat. (Siehe Anlage 1)
Der Wandel der Vorurteile
Die Nazis machten mobil für den Krieg mit der Behauptung, wir seien ein Volk ohne Raum. Der Spiegel macht mobil für die Dramatisierung der demographischen Entwicklung mit der Behauptung, hier gäbe es „Raum ohne Volk“. (Siehe Anlage) . Diese Geschichte stammt schon vom Oktober 2000, ein Indiz dafür, wie früh dieses angebliche Informationsmagazin schon in die Kampagne zum demographischen Wandel eingespannt war.
Haben Sie in der allgegenwärtigen Debatte zur Bevölkerungsentwicklung und der wegen der Geburtenentwicklung angeblich so dramatischen Situation schon einmal vergleichende Studien über die Bevölkerungsdichte gesehen? Wahrscheinlich nicht
Deutschland ist mit etwas unter 230 Bewohnern pro Quadratkilometer fast doppelt so dicht besiedelt wie Frankreich (118).
Darüber spricht man nicht, weil der Vergleich der Bevölkerungsdichte die Dramatik aus der Debatte um das Schrumpfen nehmen würde.
Andere Veränderungen in unserem Land sind um vieles wichtiger als der demographische Wandel.
Dazu ein paar Beispiele, stichwortartig:
Sie, liebe Leserinnen und Leser könnten diese Liste ohne Schwierigkeiten verlängern. Auch ihnen werden viele Entwicklungen und Probleme einfallen, die um vieles gefährlicher und problematischer sind als der demographische Wandel. Und dennoch beherrscht dieses Thema neben einigen anderen die öffentliche Debatte.
Anlage 1 – Abbildungen aus der Debatte zum demographischen Wandel:
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=17478