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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: From the Mouths of Babes – Aus Kindermund
Datum: 3. Juni 2013 um 9:29 Uhr
Rubrik: Arbeitslosigkeit, USA, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Warum geht es unserer Wirtschaft so schlecht? Weil viele Wirtschaftsakteure ihre Ausgaben zur gleichen Zeit drastisch gekürzt haben, während sich nur relativ wenige bereit zeigen, mehr auszugeben. Und weil eine Volkswirtschaft anders als ein Privathaushalt funktioniert – deine Ausgaben sind mein Einkommen, und meine deins – führt das zu einem allgemeinen Sinken der Einkommen und einem Einbruch am Arbeitsmarkt. Wir brauchten (und brauchen) dringend öffentliche Maßnahmen zur temporären Ankurbelung des Ausgabeverhaltens – und eine Ausweitung der food stamps, die Familien am Rande der Gesellschaft unterstützen würde und sie mehr Geld für alle möglichen Güter des täglichen Bedarfs ausgeben ließe, wäre genau so eine Maßnahme.
Paul Krugman, NYT , 30.Mai 2013
(Aus dem Englischen übersetzt von ToberÜbersetzungenBerlin)
Wie viele Leute lese ich normalerweise Berichte über das politische Tagesgeschehen mit resigniertem Zynismus. Von Zeit zu Zeit aber machen Politiker solch fundamentale und moralische Fehler, dass Zynismus als Reaktion einfach nicht mehr ausreicht; Dann ist es Zeit für richtige Wut. Diese Zeit ist jetzt bei dem hässlichen, zerstörerischen Kampf gegen die food stamps (Lebensmittelkupons) erreicht.
Das Food-Stamp-Programm – das dieser Tage tatsächlich mit Debitcards funktioniert und offiziell Hilfsprogramm zur Nahrungsergänzung genannt wird – versucht, notleidenden Familien moderate aber dringend benötigte Unterstützung zukommen zu lassen. Und es lässt sich eindeutig nachweisen, dass die überwältigende Mehrheit der Empfänger die Unterstützung auch wirklich braucht, und dass das Programm mit großem Erfolg die “Ernährungsunsicherheit” bekämpft, die Familien zumindest zeitweilig hungern lässt.
Food stamps haben in den letzten Jahren eine besonders große – eigentlich eine fast schon heroische – Rolle gespielt. Tatsächlich hatten sie eine dreifache Funktion.
Zunächst wandten sich viele Familien an food stamps als Überlebenshilfe, als Millionen Beschäftigte ohne eigenes Verschulden ihre Arbeit verloren – und wenngleich Unterstützung mit Lebensmitteln kein Ersatz für einen guten Job ist, sie hat enorm dazu beigetragen, die Not zu lindern. Food stamps waren besonders wichtig für Kinder, die andernfalls in extremer Armut gelebt hätten, was als Einkommen unterhalb der Hälfte der offiziellen Armutsgrenze definiert wird.
Aber das ist nicht alles. Warum geht es unserer Wirtschaft so schlecht? Weil viele Wirtschaftsakteure ihre Ausgaben zur gleichen Zeit drastisch gekürzt haben, während sich nur relativ wenige bereit zeigen, mehr auszugeben. Und weil eine Volkswirtschaft anders als ein Privathaushalt funktioniert – deine Ausgaben sind mein Einkommen, und meine deins – führt das zu einem allgemeinen Sinken der Einkommen und einem Einbruch am Arbeitsmarkt. Wir brauchten (und brauchen) dringend öffentliche Maßnahmen zur temporären Ankurbelung des Ausgabeverhaltens – und eine Ausweitung der food stamps, die Familien am Rande der Gesellschaft unterstützen würde und sie mehr Geld für alle möglichen Güter des täglichen Bedarfs ausgeben ließe, wäre genau so eine Maßnahme.
Nach Einschätzung der Beratungsgesellschaft Moody’s Analytics erhöht jeder bei schwacher Wirtschaftslage für food stamps ausgegebene Dollar das B.I.P. um etwa $1.70 – was nebenbei bemerkt bedeutet, dass ein Großteil der Mittel zur Unterstützung notleidender Familien tatsächlich gleich wieder dem Staat in Form eines höheren Steueraufkommens zugutekommt.
Moment mal, damit hat sich’s noch nicht. Food stamps vermindern die Ernährungsunsicherheit bei Kindern aus einkommensschwachen Familien, und das wiederum erhöht ihre Chancen auf Schulerfolg gewaltig und damit auch darauf, ein erfolgreicher und leistungsfähiger Erwachsener zu werden. Food stamps sind also im wahren Sinne des Wortes eine Investition in die Zukunft des Landes – eine Investition, die auf lange Sicht mit großer Sicherheit das Haushaltsdefizit senken wird, denn die künftigen Erwachsenen werden auch die künftigen Steuerzahler sein.
Und was wollen die Republikaner mit diesem Superprogramm machen? Es erst schrumpfen, und es dann so gut wie abschaffen.
Die Absicht des Schrumpfens wird aus dem neuesten vom Agrarausschuss des Kongresses verabschiedeten Agrargesetz ersichtlich ( historisch bedingt wird das Food-Stamp-Programm vom Landwirtschaftsministerium verwaltet ). Diese Gesetzgebung würde ungefähr zwei Millionen Menschen aus dem Programm drängen. Man sollte sich auch vor Augen halten, dass infolge des Sequesters ein weiteres ähnliches Programm zur Ernährungshilfe für Millionen von Schwangeren sowie Klein- und Schulkindern ernsthaft gefährdet ist. Zu gewährleisten, dass die Nachfolgegeneration mit Ernährungsdefiziten aufwächst – also das nenne ich nun wirklich weise Voraussicht.
Und warum muss das Food-Stamp-Programm beschnitten werden? Wir können es uns nicht leisten, sagen Politiker wie der Abgeordnete Stephen Fischer, Republikaner aus Tennessee, der seinen Standpunkt mit Bibelsprüchen untermauert – und der, wie sich herausstellt, selbst über die Jahre Millionen an Agrarsubventionen erhalten hat.
Solche Einschnitte sind aber erst der Beginn der Attacke auf die food stamps. Man erinnere sich, der Haushaltsplan des Abgeordneten Paul Ryan ist noch immer der offizielle Standpunkt der Republikaner zur Fiskalpolitik, und der verlangt nach der Umwandlung des Food-Stamp-Programms in ein Pauschalprogramm mit stark beschränktem Budget. Wäre dergleichen zu Beginn der Großen Rezession wirksam gewesen, hätte das Food-Stamp-Programm sich nicht wie gehabt ausdehnen können, und das hätte noch viel mehr Not bedeutet mit jeder Menge regelrechten Hungerns für Millionen Amerikaner, besonders für Kinder.
Natürlich verstehe ich die angebliche Begründung: Wir werden zu einer Nation von Empfängern, und wenn man Dinge tut wie notleidenden Kindern zu Essen oder zu angemessener Gesundheitspflege zu verhelfen, dann schafft man doch bloß eine Kultur der Abhängigkeit – und eben diese Kultur der Abhängigkeit war es doch, die irgendwie die derzeitige Krise verursacht hat, nicht etwa die wildgewordenen Banker.
Ich frage mich ja, ob es Republikaner gibt, die diese Geschichte wirklich glauben – oder ob sie ihrer Diagnose zumindest genügend trauen, um eine Politik rechtfertigen zu können, die das Essen sozusagen aus dem Mund hungriger Kinder nimmt. Wie gesagt, es gibt Zeiten, in denen Zynismus einfach nicht ausreicht; Jetzt ist es an der Zeit, so richtig und sehr wütend zu werden.
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