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Titel: Marktbereitung im Bildungssystem

Datum: 31. Mai 2013 um 9:56 Uhr
Rubrik: Bildung
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In wenigen Tagen trifft sich die BildungsGEWerkschaft zu ihrem Gewerkschaftstag. Diskussionen um die bildungspolitischen Leitlinien für die nächsten Jahre stehen auf der Tagesordnung. So unter anderem eine Debatte über die Kommunalisierung von Bildung im Allgemeinen und über so genannte „Kommunale Bildungslandschaften“ im Besonderen. In einem der vorliegenden Anträge [PDF – 93.4 KB] zu diesem Thema wird – demokratietheoretisch begründet – die Aufhebung der Trennung in innere und äußere Schulangelegenheiten gefordert. Demokratie wird hier vor allem als Dezentralisierung verstanden. Worin allerdings – zumal in Zeiten immer knapper werdender öffentlicher Mittel – das “Demokratisierungspotential“ eines „kommunalisierten“ Bildungssystem genau liegen soll, verbleibt nebulös. Ist Demokratie etwa einfach nur „Mitbestimmung“ – und zwar gerade da, wo es qualitativ kaum irgendetwas „mitzubestimmen“ gibt? Oder handelt es sich nicht vielmehr, so die These dieses Beitrags, um eine „marktkonforme“ Anpassung der Schule, in der demokratische Mitbestimmung am Ende kaum mehr Platz finden wird und eine Art „Modernisierung“ der Legitimation zunehmender sozialer Ungleichheit (vgl.: Der Bürgerhaushalt – Zwischen Partizipation und Ruhigstellung)? Von Jens Wernicke.

Die Debatte um eine wie auch immer geartete „Kommunalisierung“ von Bildung und Bildungsverantwortung wird seit Längerem geführt. So forderte zum Beispiel bereits 2004 die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ)[i], dass „Städte und Gemeinden die Zuständigkeiten und Ressourcen zur Gestaltung einer kommunalen Bildungslandschaft übertragen bekommen“ sollen.

Damit zielte die Debatte in ihrer Historie bereits sehr früh auf eine Dezentralisierung von Bildungsverantwortung und Ressourcen sowie möglicherweise sogar der Inhalten ab.

Ein SPD-Beschluss aus 2006 macht diese (ursprüngliche) Intention exemplarisch deutlich:

„Wenn sich das Modell bewährt, sollen bis 2018 alle allgemein bildenden Schulen in die vollständige Trägerschaft der Gemeinden, Städte und Kreise übergehen; auch bei berufsbildenden und Förderschulen sollen die Schulträger die Möglichkeit erhalten, sie vollständig zu übernehmen.“

(SPD Niedersachsen: Zukunft der Bildung. Beschluss des Landesvorstandes vom 3. Februar 2006[ii])

Größere öffentliche Aufmerksamkeit fand das Thema dann jedoch erst 2007 durch eine „Weinheimer Initiative“[iii] der Freudenberg Stiftung, welche das Thema „Kommunalisierung“ unter dem Schlagwort „Lokale Verantwortungsgemeinschaften“ zusammenfasste. In dieser Initiative heißt es unter anderem:

  • „Das Engagement der lokalen Wirtschaft dient zugleich der Sicherung und dem Ausbau der eigenen zukünftigen qualifizierten Mitarbeiterschaft. Diese Investition in die eigene Zukunft bildet die wirksame Basis für lokale und regionale Kooperation.“
  • „Kommunale Koordinierung kann ohne das Engagement von Organisationen und Initiativen der Bürgergesellschaft und einzelner Bürgerinnen und Bürger nur schwer die volle Integrationswirkung entfalten […].“
  • „[Lokale Verantwortungsgemeinschaften] […] verdeutlichen den Jugendlichen aber auch, dass die örtliche Verantwortungsgemeinschaft Bereitschaft und Engagement der Jugendlichen selbst erwarten kann. Die Verantwortungsgemeinschaft schließt in diesem Sinne die Jugendlichen mit ein; es entstehen vom Grundsatz her gegenseitige Vereinbarungen mit Rechten und Pflichten auf allen Seiten.“
  • „Eine eigenständige kommunale Ausbildungspolitik ist unerlässlich. Die Kommune sollte die Verantwortung für die Koordinierung aller Maßnahmen vor Ort übernehmen.“

Es folgte noch ein Papier des „Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V.“ (Deutsche Vereine)[iv] sowie eine weitere Stellungnahme des Deutschen Städtetags[v]. Beide Verlautbarungen sorgten dafür, dass eine breite öffentliche Debatte ausgelöst wurde, die bis heute anhält.

Der „Deutsche Verein“, ein Zusammenschluss der öffentlichen und freien Träger sozialer Arbeit, formuliert unter anderem:

  • „Eine Kommunale Bildungslandschaft entsteht, wenn alle am Prozess der Bildung, Erziehung und Betreuung beteiligten Akteure ihre Angebote miteinander verschränken und zu einem konsistenten Gesamtsystem zusammenführen: Familie, Kindertageseinrichtung, Kinder- und Jugendhilfe, Schule, Wirtschaft und Betriebe etc.“
  • „Um diesen Prozess voranzutreiben und zu steuern bedarf es einer Weiterentwicklung der Kooperationskultur mit verbindlichen Kontrakten der beteiligten Organisationen unter öffentlicher Verantwortung.“
  • „Ein umfassendes Bildungsmonitoring als integriertes Berichtswesen von Bildungsverläufen vor Ort sind Grundvoraussetzung für eine Integration von Schulentwicklungs- und Jugendhilfeplanung und ein Qualitätssicherungsinstrument Kommunaler Bildungslandschaften.“
  • „Der Deutsche Verein hat mit seinem gemeinsam mit der Deutschen Bank Stiftung durchgeführten bundesweiten Praxisforschungsprojekts „Coole Schule: Lust statt Frust am Lernen“ (2002-2005) bereits deutlich gemacht, dass es zur Zusammenarbeit vor allem der Bereiche Jugendhilfe, Schule und Wirtschaft im Bildungsbereich keine Alternative gibt.“
  • „Der Deutsche Verein spricht sich daher nachdrücklich dafür aus, dass alle Bildungsakteure, von der Familie über die Schule, Jugendhilfe bis zu Betrieben aufeinander bezogen arbeiten
  • „Wenn Kommunale Bildungslandschaften das bürgerschaftliche Engagement fördern wollen, muss interessierten Personen und Gruppen die Möglichkeit der Betätigung gegeben werden.“
  • „Dies unterstreicht die Notwendigkeit, Bildung zukünftig als eine im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe zu sehen, in der alle kommunalen Akteure, vom bürgerschaftlichen Engagement bis hin zu Unternehmen, Stiftungen, Einzelpersönlichkeiten und anderen Organisationen und Bündnissen (z.B. Das Bündnis für Familien) einbezogen und mobilisiert werden.“
  • „Zur Sicherstellung bzw. Erhöhung der Effektivität von Kommunalen Bildungslandschaften ist eine kontinuierliche Evaluation erforderlich.“
  • „Ferner geht mit der Einbeziehung von nonformalen Angeboten, Orten und Modalitäten der Bildung in das Gesamtkonzept auch die verstärkte Einbeziehung ehrenamtlich Tätiger einher.“
  • „Gleichwohl ist dieses Engagement weiterhin durch den Dualismus der Zuständigkeiten geprägt. Diese, nach den Schulgesetzen der Länder zwischen Land und Kommunen existente, Trennung in innere und äußere Schulangelegenheiten führt in der Praxis immer wieder zu erheblichen Problemen, die einer gelingenden Kooperation entgegenlaufen können. Den Kommunen wird durch diese Trennung der konsequente Aufbau eines bildungspolitischen Gesamtkonzeptes erschwert, weil sie – bezogen auf die Schule – in der Regel bislang nur Schulträger sind und grundsätzlich keine Einflussmöglichkeiten auf die konkrete Gestaltung und die Qualität der Bildungsprozesse in der Schule und den Umgang mit den in erster Linie personellen Ressourcen haben. […] Neben einer erweiterten Selbstständigkeit der Schule bedarf es zukünftig daher letztlich einer stärkeren kommunalen Verantwortung für Schule insgesamt. Erst wenn die Kommunen durch erweitere Zuständigkeiten tatsächlich auch über inhaltliche und personelle Gestaltungsmöglichkeiten verfügen, werden sie in die Lage versetzt, die systemimmanenten wie die weiteren örtlichen Ressourcen im Interesse der jungen Menschen und im Sinne ihres bildungspolitischen Gesamtkonzeptes miteinander verbinden zu können“

Gefordert wird unter dem Namen „Kommunale Bildungslandschaften“ also von Anbeginn an unter anderem:

  • die Öffnung des Bildungssystems für wirtschaftliche Interessen, ja, die kontraktgemäße Anbindung der Bildungsinstitutionen an die Interessen der lokalen Wirtschaft;
  • eine Deprofessionalisierung im Bildungsbereich;
  • die Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse;
  • den Kommunen die Verantwortung über alle Schulressourcen (einschließlich der Lehrerarbeitsverhältnisse) sowie über Bildungsinhalte zu überantworten.

Auch in einem Folgepapier herrschte derselbe Tenor. Der Deutscher Städtetag, größter kommunaler Spitzenverband in Deutschland, formuliert:

  • „Die in den Ländern eingeleiteten Reformen in Schule und Bildung gehen in die richtige Richtung. Bundesweite Bildungsstandards, Lernstandserhebungen und zentrale Prüfungen sichern Vergleichbarkeit und Qualität, ermöglichen Wettbewerb und die notwendige Mobilität.“
  • „Die Verantwortung der Städte in der Bildung muss deshalb gestärkt werden.“
  • „Als Grundlage für regionale Steuerung und Qualitätssicherung sollte ein umfassendes Bildungsmonitoring als integriertes Berichtswesen von Bildungsverläufen vor Ort gemeinsam von Kommunen und Ländern entwickelt werden.“
  • „Die Länder werden aufgefordert, kommunale Steuerungsmöglichkeiten insbesondere im Schulbereich zu erweitern und die Zuständigkeiten im Bereich der inneren und äußeren Schulangelegenheiten zugunsten der Kommunen neu zu ordnen.“

Auch hier das gleiche Strickmuster: „Kommunale Bildungslandschaft“ bedeutet die Überwindung der Trennung in äußere und innere Schulangelegenheiten; gefordert wird somit eine Übertragung der Zuständigkeiten für Ressourcen (einschließlich der Lehrerarbeitsverhältnisse) und Bildungsinhalte an die Kommunen.
Allein schon wegen der sehr unterschiedlichen Finanzlage der Kommunen dürfte dies zu einem massiven Auseinanderdriften von Bildungsqualität, Bildungsinhalten, Löhnen und Arbeitsbedingungen in den einzelnen Kommunen führen.
Was das konkret bedeuten würde, verdeutlicht exemplarisch ein Forderungspapier, das wenig später vom Hessischen Landkreistages[vi] veröffentlicht wurde. In diesem heißt es:

  • „Technische Vorgaben für die Ausstattung von Schulgebäuden in Deutschland müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Wer sich im europäischen Ausland umschaut, wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich Deutschland maximale Ausstattungsstandards leistet, bei inhaltlichen Leistungsvergleichen, wie der PISA-Studie aber schlecht abschneidet. In Deutschland muss möglich sein, was in vielen europäischen Ländern Realität ist: Schuleinrichtungen müssen zwar sicher sein, Kindern und Jugendlichen kann jedoch das allgemeine Lebensrisiko, das sie auch außerhalb der Schule betrifft, nicht abgenommen werden.“

In einem neueren Papier des Deutschen Vereins[vii] wird noch deutlicher. Dort heißt es unter anderem:

  • „Gerade hier dürften funktionierende Kommunale Bildungslandschaften […] Synergieeffekte auch für die finanziellen Ressourcen freisetzen.“
  • „Gerade in dünner besiedelten Regionen scheitern Gewerbeansiedlungen mit einem spezifischen Arbeitskräftebedarf häufig daran, dass die notwendigen Arbeitskräfte weder bereits vor Ort sind, noch mit vernünftigem Aufwand „angelockt“ werden können. Hier zahlen sich Bemühungen um eine Gestaltung und Weiterentwicklung der kommunalen Bildungsinfrastruktur durch die jeweilige Kommune spätestens mittelfristig im Wettbewerb mit anderen Standorten aus.“
  • „Kommunales Bildungsmonitoring muss sich kontinuierlich […] über Ergebnisse und Erträge von Bildungsprozessen stützen können. […] Die zentrale Herausforderung der nächsten Jahre wird darin liegen, die konkreten Bildungserträge eines verbindlich und partizipativ strukturierten kommunalen Bildungsmanagements empirisch erfassbar zu gestalten“
  • „Denkbar wäre auch die Einrichtung eines kommunalen Bildungsfonds oder Bildungsbudgets. In einen solchen Fonds könnten […] sowohl öffentliche Fördermittel als auch Eigenmittel der weiteren beteiligten Akteure, Spenden, Zuwendungen von Stiftungen und andere Mittel einfließen.“

Es fehlt eigentlich nur noch die Forderung, die Trägerschaft aller beteiligten Bildungseinrichtungen an derlei „Fonds“ oder „Stiftungen“, die sie ja nun auch (mit-) finanzieren, zu übertragen. Diese Forderung wird in manchen Kreisen durchaus schon ausgesprochen.

Es kann daher grundsätzlich festgehalten werden: Wer sich positiv auf „Kommunale Bildungslandschaften“ bezieht, verleiht damit einem Konzept Legitimation, das von Anfang an in jedem Falle gegen die beruflichen Standards und damit gegen die Interessen der im Bildungssystem Beschäftigten ausgerichtet war – und es in aller Regel auch heute noch ist: Der materielle Kern der so genannten Bildungslandschaften ist ferner nicht, wie oft behauptet wird, eine „Verbesserung der Lernbedingungen für die Schülerinnen und Schüler“ etc. pp., sondern die Diversifizierung („Kommunalisierung“) von Schule und Lebenswelt, die mittelfristig auf eine Deregulierung der schulischen Bildung selbst, aber auch auf eine Lockerung von Sicherheits- und Arbeitsstandards sowie auf eine Aufsplitterung von Beschäftigungsverhältnissen und somit auf Deprofessionalisierung und Prekarisierung abzielt. Langfristig scheint auch dieses Konzept für die Möglichkeit einer weitgehenden Entstaatlichung und funktionalen Privatisierung von Schule zumindest anschlussfähig zu sein.

In Bayern, wo mehrere Großstädte seit Längerem bereits berufliche Schulen in eigener Trägerschaft halten, schließt sich dieser Kreis bereits: Nachdem der Verband der Berufsschullehrer aufgrund der Finanznot der Kommunen schon vor fast einem Jahrzehnt titelte „Kommunale Schulen vor dem Kollaps?“, ist die Entwicklung heute bereits einen Schritt weiter.

Der lokalen Presse war hier vor einiger Zeit beispielsweise zu entnehmen: „Der Landkreis [Aschaffenburg] steigt in Gespräche mit der gemeinnützigen Caritas Schulen GmbH ein, die sich für eine Übernahme der Trägerschaft der Aschaffenburger Fachakademie für Sozialpädagogik interessiert“. Und weiter: „Nicht möglich sei […] eine Verstaatlichung […] [derselben]. Dann hätten rund 300 weitere [kommunale] Schulen in Bayern ebenfalls das Anrecht darauf, und das sei ‚für den Freistaat […] nicht tragbar‘. Obwohl […] [derselbe] auch bei Privatschulen das Geld aus seiner Kasse zuschießt, sieht […] [das Bayerische Kultusministerium hier] einen klaren Unterschied: […] Finanziell sei eine Differenz etwa bei den Verwaltungskosten gegeben.” Das heißt: Die kommunalen Schulen werden aufgrund der Lage der öffentlichen Kassen bereits heute privatisiert. Für die öffentliche Hand erscheint das logisch wie effizient zugleich.
Das Label “Kommunale Bildungslandschaften” eignet sich daher in keiner Weise als Bezugspunkt für die Entwicklung gewerkschaftlicher Programmatik und Politik.
Zugleich erfordern jedoch die Tatsachen, dass die Kommunen zunehmend zum Ort bildungspolitischer Aktivitäten und Gestaltung werden und dass Kommunale Spitzenverbände auf Landes- und Bundesebene eigenständige und teils eigenwillige Positionen in der Bildungspolitik beziehen vor dem Hintergrund der oben genannten widersprüchlichen Entwicklungen, dass die Gewerkschaften sich dem Arbeitsfeld der “kommunalen Bildungspolitik” verstärkt zuwenden.
„Bildung ist Menschenrecht!“, sollte dabei die Devise lauten. „Um die Menschen zu selbstständigem Urteilen und Handeln in einem politischen Gemeinwesen zu befähigen, ist eine verallgemeinerte Bildung – über die Grenzen der einzelnen Disziplinen hinweg – unabdingbar. Jedoch beruht demokratische Bildung auch auf materiellen Voraussetzungen: Nur Formen des Lehrens und Lernens, die frei von ökonomischen Imperativen sind, ermöglichen autonomes Denken und das Gestalten einer demokratischen Gesellschaft“, wie es in einer Streitschrift zur Gründung eines Instituts für demokratische Bildung so treffend heißt. Dies muss stets mitbedacht werden, wenn wieder einmal – wie zuletzt in Bezug auf die „Autonome Hochschule“, die „Selbstständige Schule“ oder den „Bürgerhaushalt“ – Demokratie bemüht wird, um systemkonforme Modernisierungen zu legitimieren, die, so wage ich zu behaupten, eher das Gegenteil des Behaupteten forcieren: eine „marktkonforme Demokratie“ nämlich, die gewisse Dinge immer mehr und mehr wirklicher Mitsprache und -bestimmung entzieht.

Weiterlesen: Auf dem Weg zur kommunalen Schule Offene und verdeckte Privatisierung im Bildungssystem – Jens Wernicke [PDF – 2.7 MB]



Anmerkung WL: Es ist positiv zu bewerten, wenn darüber nachgedacht wird, die Bildung in der Schule etwa mit Angeboten der Jugendhilfe zu verbinden. Auch Kindertagesstätten und Grundschule sollten als Teil der Primarerziehung besser kooperieren. Aber selbst wenn die Kommunen finanziell in der Lage wären, Schulbildung besser zu finanzieren, dann bestünde die Gefahr, dass im Rahmen ihrer jeweiligen Budgets ganz unterschiedliche Prioritäten gesetzt würden. Welchen Stellenwert hätte dann die nur langfristig wirkende schulische Bildung gegenüber dem ständig aktuellen Druck wirtschaftlicher Förderung? Wie sähe es dann mit einer weiteren Zersplitterung der ohnehin immer unübersichtlicheren schulischen Bildung aus? Wo bliebe der Verfassungsgrundsatz „gleichwertiger Lebensverhältnisse“? Wie sähe es mit der gleichen Bezahlung der Lehrkräfte aus? Würden sich nicht nur – wie schon heute die Länder untereinander – die reichen Kommunen den ärmeren die Lehrkräfte gegenseitig abwerben?
Kommunale Demokratie ist wichtig, aber schon heute, regieren in vielen Kommunen die Sparkommissare. Ohne eine grundlegende Änderung der Finanzverteilung führte eine „Kommunalisierung“ der Schule nur zu noch mehr privaten Schulen und zu weiterer Entdemokratisierung.
Interessant wäre ein Blick in unser Nachbarland, die Schweiz.
In dieser Diskussion sollte man nicht übersehen, dass das Engagement der Bundesregierung für den Aufbau „kommunaler Bildungslandschaften“ vor allem aus einer Umgehungsstrategie der fehlenden Zuständigkeit des Bundes in der Bildungs- und Schulpolitik resultiert. Der Bund erhoffte sich durch das Engagement auf kommunaler Ebene, die Zuständigkeit der Länder für die Schulpolitik umgehen zu können. Ohne eine Kooperation von Bund, Ländern und Kommunen wird Schulpolitik zur Kirchturmpolitik – und das in einem offenen Europa!

Nachtrag Jens Wernicke:

Zur Vermeidung von Missverständnissen…

Es ist sinnvoll:

  • Schulen zu demokratisieren und Schülern, Eltern und Lehrern und Schulträgern generell mehr Mitbestimmung zu ermöglichen – unter anderem in Bezug auf Personalentscheidungen;
  • die Rechtsansprüche von Kindern, Jugendlichen und Eltern sowie Kommunen bzw. Schulträgern und Schulen gegenüber den Ländern und Landkreisen auszubauen und aufzuwerten und bspw.:
    • den Schulträgern ein grundsätzliches Recht auf Schulgründungen (von IGSen im echten Ganztag und ohne Zwang zur äußeren Fachleistungsdifferenzierung) zu gewähren;
    • den Schulträgern einen grundsätzlichen Anspruch auf bedarfsgerechte Landeszuweisungen (mindestens im Rahmen des Konnexitätsprinzips) zuzusprechen;
    • Schulschließungen nur im Einvernehmen mit den betroffenen Kommunen sowie ggf. Eltern, Schülern und Lehrern vorzunehmen;
    • Eltern – wie in Finnland – einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kleinstkinder in unmittelbarer Wohnortnähe zu gewähren usw. usf.;
    • Schülern einen Rechtsanspruch auf qualitativ hochwertige Beschulung bis zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife in unmittelbarer Wohnortnähe zu gewähren;
    • die pädagogischen Freiheiten der Lehrer zu erweitern, sie bspw. auf Noten verzichten zu lassen etc.;
  • Transparenz für Entscheidungen an und über Schule herzustellen;
  • Bildungsangebote vor Ort besser miteinander zu vernetzen und aufeinander abzustimmen;
  • kommunale Bildungszuständigkeiten zu konzentrieren (1 Amt statt 4 oder 5);
  • vor Ort AnsprechpartnerInnen und Beratungsangebote zu schaffen;
  • LehrerInnen besser auszubilden, zu coachen etc. pp.

Wirklich spürbare, qualitative Verbesserungen im Bildungssystem sind jedoch nur möglich, wenn immense Mehrausgaben getätigt werden. Freiheit für gute Pädagogik und Qualität von Unterricht haben materielle Voraussetzungen!

Nicht sinnvoll ist es hingegen:

  • viel Mühe in die Unterstützung von Projekten einzubringen, die unter der Prämisse stehen, dass mit stagnierenden oder sogar sinkenden Mitteln die Qualität im Bildungssystem gesteigert werden könnte (in der Regel „Durchsetzungsrhetorik“ für andere Ziele);
  • Schulen zu Betrieben umzubauen;
  • Schulleiter als Unternehmensleiter oder „Schulmanager“ einzusetzen;
  • Schulen untereinander in Wettbewerb zu setzen;
  • Schulen entsprechend der Nachfrage und/oder ihrer messbaren „Leistungen“ zu finanzieren;
  • Personalhoheit oder Schulaufsicht von der Landesebene weg zu verlagern (Deregulierung durch Dezentralisierung; Aufgabe des Grundgesetzauftrages der Sicherung „gleichwertiger Lebensverhältnisse“ durch horizontale Ausdifferenzierung des Schulsystems; Freigabe der Löhne sowie für „hire and fire“; eine der letzten Formen endogener Privatisierung);
  • die pädagogischen Freiheiten durch betriebswirtschaftliche Steuerung, Leistungskennzahlen und Zielvereinbarungen sowie „Total Quality Management“, die allesamt Qualität in Effizienz umdefinieren, sukzessive abzuschaffen.


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