Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Zypern – eine hilfreiche Gesamtschau von Heiner Flassbeck (A) – ergänzt um Eindrücke zur traurigen Rolle unserer Medien (B)
Datum: 25. März 2013 um 12:27 Uhr
Rubrik: Denkfehler Wirtschaftsdebatte, Euro und Eurokrise, Medien und Medienanalyse, Schulden - Sparen
Verantwortlich: Albrecht Müller
Heiner Flassbeck hat gestern Abend auf seinem Blog einen Beitrag veröffentlicht, den wir hier in den NachDenkSeiten nicht nur verlinken sondern übernehmen. Es ist eine treffende Analyse der jetzigen Situation im Euroraum und in Europa. Ich habe – sozusagen zu Erklärung des skizzierten Desasters unter B. “Anmerkungen zum Totalversagen der Mehrheit der deutschen Medien in der Eurokrise/Zypernkrise” hinzugefügt. Beide Texte lassen sich gut nacheinander lesen. – Wenn Sie sie informativ und hilfreich finden, dann wären wir dankbar, Sie würden die Texte über ihren E-Mail-Verteiler oder auf Papier weiter verteilen. Albrecht Müller
Heiner Flassbeck / 24. 3. 2013
Heute Abend wird man sich auf eine “Rettung” Zyperns einigen. Nur, die Art der Rettung wird die Europäische Währungsunion (EWU) zerstören. Im Management der Zypern-Krise ist nicht nur alles schief gelaufen, was dieses kleine Land betrifft, es sind auch die gravierenden Fehler der vergangenen Ratsentscheidungen in der EWU voll zu Tage getreten. Die völlige Konzeptionslosigkeit der sogenannten Retter (der Gläubigerstaaten und der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF) ist endgültig enttarnt worden.
Nachdem nun zum ersten Mal seit Einführung des Euro Kapitalverkehrskontrollen auf unbestimmte Zeit eingeführt werden, wird der in den Augen vieler Menschen entscheidende Vorteil einer Währungsunion, nämlich über eine international anerkannte, sichere Währung zu verfügen, für die Zyprioten beseitigt und damit gleichzeitig das Vertrauen aller übrigen Menschen, die mit dem Euro umgehen, in diese Eigenschaft der Währung stark beschädigt. Niemand der Verantwortlichen scheint sich darüber Gedanken zu machen, dass mit dieser Maßnahme das Gegenstück zur Freiheit des Kapitalverkehrs, nämlich die Freiheit des Warenverkehrs, auch bekannt unter dem Begriff Freihandel, in Frage gestellt wird.
Gar nicht zu denken wagt man an die dauerhaften politischen Schäden, die mit dem von Deutschland angeführten Rigorismus beim Diktat der Gläubigerländer angerichtet worden sind und werden. Ganz zu schweigen von dem menschlichen Leid, das mit den aufgezwungenen Maßnahmen verbunden ist. Das Schlimmste daran ist, dass sich alle Versprechen, nach einiger Zeit werde das Tal der Tränen durchschritten sein und alles wieder besser werden, nicht erfüllen werden, solange die bisherige “Rettungslogik” beibehalten wird, weil sie tiefer und tiefer in die Krise hineinführt. Je klarer das den Betroffenen wird, desto größer wird ihr Zorn auf diejenigen werden, die diese Versprechen gegeben haben, und desto eher werden sie sich vom europäischen Einigungsgedanken abwenden.
Der eigentliche Irrtum im Umgang mit der Krise lag gleich am Beginn und wurde mit Gewalt von den deutschen Autoritäten und den deutschen Medien betrieben: die Umdeutung der Folgen der Finanzkrise (die eine Krise der Finanzmärkte war) und einer spezifischen, seit langem angelegten Eurokrise (die eine Währungskrise war und ist) in eine „Staatsschuldenkrise“. Das hat die Weichen grundlegend falsch gestellt und erklärt alle folgenden Fehlentscheidungen.
Der Keim der Zypern-Krise wurde spätestens mit der gescheiterten Griechenland-Rettung gelegt. Der in höchstem Maße naive Glaube, ein Schuldenschnitt (de facto war die Griechenland-Umschuldung ein Schuldenschnitt) bei einem souveränen Staat würde ohne Kollateralschäden bleiben und das ursächliche Problem lösen, war von Anfang an absurd. Nicht nur, dass in Griechenland der Schuldenstand heute höher ist als vor dem Schnitt, es war auch klar, dass ein Staat nicht einfach Schulden streichen kann ohne erhebliche Auswirkungen auf die Banken (die nun mal in der ganzen Welt – man mag es für richtig halten oder nicht – zusammen mit Versicherungen diejenigen sind, die einen großen Teil der Staatsanleihen halten).
Von den vom Kapitalmarkt abgeschnittenen Ländern wurde und wird fiskalische Restriktionspolitik (Wolfgang Schäuble in der britischen Financial Times vom 5.9.2011: Austerität ist die einzige Lösung für die Eurozone) und Lohnkürzung (üblicherweise „Strukturanpassung“ genannt) verlangt. Diese Art der “Anpassung” muss jeden Finanzsektor eines Landes in Bedrängnis bringen. Immer gibt es in Rezessionen und Depressionen eine dramatische Zunahme von faulen Krediten und die drohende Insolvenz von Banken in einem (wiederum in der ganzen Welt) unterkapitalisierten Bankensektor. Und immer muss der Staat eingreifen und die Sparer absichern, die sich als sichere Einleger wähnen und nicht als „Investoren in Banken“.
Als Reaktion auf diese Probleme eine „Europäische Bankenunion“ zu fordern, war politisch naheliegend, aber auch nicht Ziel führend. Das zentrale Problem der Finanzkrise von 2008 waren der Finanzsektor und die Banken, die Investment-Banking betrieben. Doch daran hat man nicht wirklich gearbeitet. Die Bankenprobleme, die durch eine Depression und durch Staatsschuldenschnitte ausgelöst werden, kann man mit einer Bankenunion nicht beseitigen, höchstens abmildern, wenn man den besonders betroffenen Ländern hilft, ihre Finanzstrukturen allmählich und nicht über Nacht anzupassen. Auch nach der Asienkrise 1997/1998 hatte man im Westen großspurig davon gesprochen, die Banken in Asien seien „verrottet“. Das war aber Blödsinn: Es gab eine Währungskrise mit scharfer Rezession. Nach der Abwertung der meisten Währungen und einem neuen Aufschwung war die Bankenkrise dort vollkommen vergessen.
Natürlich sind von solchen in der EU hausgemachten „Bankenkrisen“ vor allem die Länder betroffen, die über einen aufgeblähten Bankensektor verfügen. Davon gibt es einige, und Zypern ist bei weitem nicht das Schlimmste. Statistiken der Bank für internationalen Zahlungsausgleich zeigen: Die Relation von Einlagen der Banken insgesamt zum nominalen Bruttoinlandsprodukt liegt in Zypern bei etwa drei zu eins, bei Luxemburg aber etwa bei neun zu eins (und bei den Cayman Islands beispielsweise noch weit darüber). Großbritannien schafft etwa eins zu eins, und in Deutschland und Frankreich ist es grob eins zu zwei. Was ist also ein tragfähiger, “ungefährlicher” Wert für ein Land?
In den vergangenen Zeiten der großen Finanzeuphorie sind viele Länder geradezu dazu gedrängt worden, sich mit der Spezialisierung auf internationale Bankgeschäfte eine Lücke zu suchen, in der auch ein kleines Land schnell und erfolgreich prosperieren konnte. Hinzu kommt, das muss man immer bedenken, dass der Bereich der Industrie von einigen großen Ländern mit Zähnen und Klauen und auch über den Umweg China verteidigt wird, so dass dort für kleine Länder mit schwacher Infrastruktur von vornherein praktisch nichts zu holen ist.
Wenn in der Währungsunion aus welchen Gründen auch immer Mitglieder mit Leistungsbilanzdefiziten in Finanzierungsschwierigkeiten geraten (also der Staat oder die Banken und Unternehmen nur noch zu prohibitiv hohen Zinsen Kredite aus dem Ausland erhalten), muss von der EZB kurzfristig Finanzierungshilfe ohne Wenn und Aber geleistet werden. Das ist die Aufgabe einer Notenbank, und die EZB ist die Notenbank Zyperns. Dass darüber hinaus in allen Ländern einschließlich Deutschland mit seinem Exportsektor in der Folge einer Krise die Wirtschaftsstrukturen auf dem Prüfstand stehen und langfristig angepasst werden müssen, ist auch keine Frage. Aber das funktioniert in praktisch allen Fällen nur in einem Aufschwung und nicht mitten in der Rezession. Wer also mit seiner allgemeinen Wirtschaftspolitik Rezession produziert, provoziert solche „Strukturkrisen“ am Fließband (in wenigen Wochen wird mit Slowenien ein ehemaliger industrieller Musterknabe in die Mangel genommen werden). Dass die EZB im Falle Zyperns die Konditionalität mitmacht und sogar noch mit Entzug der Liquidität droht, ist ein nicht wieder gut zu machender Fehler.
Wenn man dann versucht, die Strukturreformen als „Konditionalität“ der kurzfristigen Rettung durchzusetzen, stürzt man jedes Land in absolute Verzweiflung, weil es einfach nicht ohne katastrophale Folgen gehen kann. Zypern kann eben nicht über Nacht seinen Bankensektor auf irgendein Normalmaß (das deutsche oder das britische?) reduzieren, genauso wenig wie es Luxemburg könnte, ohne das Modell, auf dem man die gesamte Wirtschaftsentwicklung der vergangenen Jahre aufgebaut hat, über Nacht zu zerschlagen. Das ist absurd, selbst wenn man der Meinung ist, diese Wirtschaftsstruktur sei auf Dauer in einer Welt mit geschrumpfter Bedeutung der Finanzmärkte nicht haltbar.
All das ficht die Troika und ihre deutschen Antreiber nicht an. Man verlangt aus heiterem Himmel und ohne eine ernst zu nehmende sachliche Begründung sechs Milliarden Beteiligung, was für ein Land mit einem Bruttoinlandsprodukt von sage und schreibe 17 Milliarden Euro einfach nicht ohne katastrophale Folgen zu stemmen ist. Das wäre so, als würde man in Deutschland eine Beteiligung von 800 Milliarden fordern, das ist mehr als das zweifache des Steueraufkommens. Dass dann in Deutschland auch noch gegen die Nutzung eines Rentenfonds gewettert wird, was nichts anderes bedeutet, als die Umwandlung des Rentensystems von Kapitaldeckung zu Umlagesystem (ohne dass davon die zukünftigen Rentenzahlungen betroffen sein müssen), setzt dem Ganzen die Krone auf. In Wirklichkeit zeigt es nur, dass wir auch die Logik von Rentensystemen einfach nicht begriffen haben.
Aber man will ein Exempel statuieren. Man will die Gelegenheit nutzen, den russischen Anlegern in Zypern eine Lektion zu erteilen (welche eigentlich?) und ein für allemal in einem kleinen Land aufräumen. Dass dabei das Wichtigste zerstört wird, was eine gute Währung ausmacht, nämlich Vertrauen im In- und Ausland, begreifen weder die Regierungen noch die EZB. Leider gibt es dazu kaum Opposition. Auch auf der linken Seite des politischen Spektrums wird zu gerne und zu emotional über „die Banken“ und die „russischen Geldwäscher“ hergezogen, als dass man noch einen klaren Gedanken fassen könnte.
Insgesamt zeigt sich, dass die Unfähigkeit der Politik und der Ökonomen, komplexe Zusammenhänge zu durchschauen, solche Systeme wie den Euro scheitern lässt. Zypern markiert den Kulminationspunkt der systematischen Fehlentscheidungen. Danach wird es nur noch bergab gehen und womöglich rasend schnell.
Die Medien haben die Aufgabe, die Politik kritisch zu begleiten. Nur dann haben wir eine Chance, dass die Probleme einigermaßen zutreffend analysiert werden und annähernd sachlich richtige Lösungen der schwierigen Probleme gefunden werden. Von Anfang der Finanzkrise an hat die Mehrheit der deutschen Medien und vor allem die weit verbreiteten und bestimmenden Medien von der Bild-Zeitung bis zu SpiegelOnline keine eigene Meinung gehabt und sich bis ins Detail, bis in den Wortgebrauch und die Gestik an die Wortführer und Verantwortlichen in der Politik angelehnt. Ein paar Beispiele, ich fange mit kleinen aber symptomatischen Dingen an:
Screenshot: SPIEGEL Online
Die Mehrheit der deutschen Medien kritisiert diese Art des Umgangs mit Partnern in einem gemeinsamen Währungsgebiet nicht. Unterschwellig oder offen wird sogar applaudiert.
Eine eindrucksvolle Demonstration dieser Art von Gleichschaltung der Medien mit Inhalten, Methoden und Auftreten der Politik konnte man in der vergangenen Woche in den Tagesthemen erleben: Tom Buhrow und der Brüsseler Korrespondent der ARD Rolf Dietrich Krause wahrten kein bisschen Distanz zum Berliner Gehabe. Im Gegenteil, in Wortwahl und Gestik haben diese beiden Vertreter eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks die dumpfe Linie Berlins verstärkt. Besonders eindrucksvoll war das bei Tom Buhrow zu sehen, der die Nöte eines Volkes und den Niedergang einer gemeinsamen Währung mit einem immer wiederkehrenden höhnischen Gesichtsausdruck begleitet. – Die beiden Journalisten werden dabei hilfreich unterstützt von Wolfgang Schäuble, dessen beliebtestes Worte wohl hart und Härte sind. Und viele Journalisten reihen sich ein in den Applaus und nennen Merkel die „eiserne“ Kanzlerin. Auf Eisen kommt es aber in der jetzigen Situation in nicht an. Das haben die deutschen Medien nicht verstanden.
Nur wenige Medien greifen kritisch auf, was die Verantwortlichen einschließlich der Medienschaffenden zulasten unseres Volkes bei anderen Völkern anrichten. Wir verlieren unseren guten Ruf und die Zuneigung von ehemaligen Freunden. Alleine dies müsste die Mehrheit der Medien zum Aufwachen bringen. Tut es aber nicht. Eine Ausnahme fiel mir gestern Abend auf: Udo von Kampen im ZDFheute war nachdenklich und regte zur Nachdenklichkeit an. Die Ausnahmen bestätigen die Regel.
Diese Liste könnte um vieles verlängert werden. Es reicht aber zum Beleg des Versagens der Mehrheit der deutschen Medien. Wenn diese ihr bisheriges Verhalten im Umgang mit den Verantwortlichen nicht ändern, wird sich bei Angela Merkel und auch bei der Opposition nicht viel ändern. Denn das wesentliche Charakteristikum ihrer Politik ist der Finger im Wind und nicht das sachlich und konzeptionell Notwendige. Wenn der Wind nicht anders weht, dann bleibt es bei der fehlerhaften Politik in Berlin und Brüssel. Und dann werden wir kräftig dafür zahlen. Nicht Angela Merkel. Sie wird wieder gewählt, weil in der Politik Leistung nicht zählt. Es kommt allein auf die Zustimmung der veröffentlichten Meinung an.
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=16652