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Titel: Ahmadinedschad veröffentlicht seinen Brief an die Kanzlerin. Schweigen war keine kluge Antwort.

Datum: 1. September 2006 um 12:08 Uhr
Rubrik: Antisemitismus, Aufbau Gegenöffentlichkeit, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Länderberichte
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In einem Beitrag vom 24.7.06 haben wir auf den NachDenkSeiten Kanzlerin Merkel aufgefordert, ein offizielles Schreiben des iranischen Präsidenten öffentlich bekannt zu geben. Nun ist dieser Brief – und wir unterstellen, dass der Wortlaut identisch ist – auf der Website der „Presidency of the Islamic Republic of Iran“ (P.I.R.I) in einer Übersetzung aus dem Persischen veröffentlicht.
Unsere Leser können sich nunmehr selbst ein Urteil über den Inhalt dieses Briefes bilden.

Frau Merkel hatte eine Veröffentlichung dieses Briefes und eine Antwort darauf in einem Sommerinterview des ZDF mit dem Hinweis abgelehnt, es beinhalte nur das alte Denken „was für uns völlig inakzeptabel ist“ und: „Die Existenz Israels gehört für uns zur Staatsraison, und das wird immer wieder in Frage gestellt“.

Warum sollte sich nicht jeder selbst von den Äußerungen Ahmadinedschads überzeugen können? Warum gibt man den Text nicht frei? So hatten wir gefragt, weil wir – misstrauisch geworden wegen der offiziellen Begründungen für den Irak-Krieg – der Meinung sind, dass sich die Bürgerinnen und Bürger bei uns im Lande ein eigenes Urteil über die Positionen des iranischen Präsidenten bilden können sollten.

Da der Brief nun veröffentlicht ist, kann und will ich mein Urteil nicht verschweigen:

Für uns in einem säkularisierten Land Sozialisierten, in dem sich die Trennung von Kirche und Staat über mehrere Jahrhunderte rechtlich und kulturell herausgebildet hat, ist es fremd, um nicht zu sagen befremdlich, wenn ein Regierungschef „im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes“ spricht und schreibt. Darin spiegelt sich der im Iran trotz formal demokratischer Strukturen herrschende theologische Absolutismus, der einen Wertepluralismus bekämpft und dessen Vertreter, wie etwa den iranischen Philosophen Ramin Jahanbegloo, mundtot macht und sogar in Foltergefängnisse steckt. Das ist leider kein Spezifikum des Iran, sondern trifft auf mehr oder weniger alle arabischen Länder zu, in denen der Islam Staatsreligion ist.
Ein wenig Hoffnung auf Veränderung macht, dass innerhalb der iranischen Intelligenz zunehmend Widerstand gegen Willkür, Autoritarismus und Fundamentalismus des herrschenden Mullah-Regimes wächst. Man erinnere sich an die Begeisterung die etwa die Vorträge im Rahmen eines interkulturellen Dialogs von Jürgen Habermas (2002) oder Richard Rotry (2004) in Teheran unter den Studierenden auslöste.

Auch die ausschweifende, bildhafte und indirekte Sprache – auch mehr oder weniger üblich im arabischen Raum – ist für uns höchst gewöhnungsbedürftig und nicht immer leicht unserer (abendländisch, aufgeklärten) Interpretation zugänglich.
Merkwürdig und in unseren Augen eher naiv oder belehrend für eine regierungsoffizielle Note lesen sich auch die allgemeinen Betrachtungen über das Wesen von Regierungen oder die geschichtsphilosophischen Interpretationen des Verhältnisses der Völker untereinander.

An dem Schreiben ist durchaus positiv zu würdigen, dass der iranische Präsident die Wahrung der Menschenwürde und Menschenrechte hervorhebt und für den Grundsatz eintritt, dass „kein Mensch höher und erhabener als der andere“ ist. Auch der erwähnte Grundsatz, dass keine „Gesellschaft entrechtet, eingeschränkt, erniedrigt und beim Fortschritt verhindert werden darf“ entspricht weitgehend dem geltenden Völkerrecht. Es gibt noch eine Reihe anderer Äußerungen, bei denen man den persischen Präsidenten in einem inter- oder transkulturellen Dialog beim Wort nehmen könnte, ja im Sinne der Förderung eines „demokratischen Universalismus“ der Menschenrechte (Jahanbegloo) sogar müsste.

Wenn Ahmadinedschad in dem Brief danach fragt, warum „man“ manchen Ländern nicht erlaube, sich „als große Völker auf ihre eigenen historischen Errungenschaften zu stützen“, sondern dass ständig versucht werde, „über ihnen eine schwarze Wolke der Erniedrigung und des Scham- und Schuldgefühls zu halten“, so mag man das noch als eine dem Verständnis vieler Perser entsprechende Interpretation einer (Opfer-)Rolle des iranischen Volkes abtun. Wenn er aber – sicherlich voller Absicht – Deutschland einbezieht, so ist das eine Anbiederung, die weder der historischen Entwicklung und schon gar nicht der Selbstbewertung jedenfalls der allermeisten Deutschen entspricht. Wenn er insinuiert, dass auch über dem deutschen Volke „eine schwarze Wolke der Erniedrigung und des Scham- und Schuldgefühls“ gehalten werde oder wenn er gar explizit sagt, dass das „große Deutschland“ von manchen Weltmächten und bestimmten Gruppen „als Verlierer und „Schuldner“ des Zweiten Weltkrieges dargestellt und es ständig erpresst“ werde, so mögen solche Weltbilder bei uns noch von Rechtsextremen gepflegt werden, sie sind aber schon seit dem ersten deutschen Bundespräsidenten, Theodor Heuss, nicht mehr der Stand unserer weitgehend allgemein getragenen Interpretation der Niederlage im Zweiten Weltkrieg und unserer kollektiven Verantwortung gegenüber dem Holocaust.

Die Kapitulation im Jahre 1945 brachte den Deutschen eben auch und vor allem die „Befreiung“ vom Nationalsozialismus und unsere kollektive „Schuld“ gegenüber dem Genozid an den Juden, wird seither bis ins konservative Lager als Scham und gleichzeitig als Bewusstsein unserer kollektiven historischen Verantwortung (Theodor Heuss) gegenüber diesem Verbrechen im Namen der Deutschen verarbeitet.

Was die Aufarbeitung unserer neueren Geschichte anbetrifft, brauchen wir – jedenfalls vom iranischen Präsidenten – weder Nachhilfeunterricht noch gar eine Exkulpation. Dennoch hätte ich es – auch um „Unverbesserlichen“ bei uns für ihre Propaganda nicht iranische Unterstützung zu liefern – richtig und gut gefunden, wenn unsere Regierung zu solchen Fragen in aller Klarheit Stellung bezogen hätte. Das hätte zumindest zur Möglichkeit für eine Debatte innerhalb des Irans, jedenfalls aber bei uns im Lande geführt. Es wäre eine sinnvolle Debatte gewesen für uns im innern wie nach draußen.

Es ist immerhin bemerkenswert, dass Ahmadinedschad die 60 Millionen „Opfer“ des Zweiten Weltkriegs anspricht, wenn ihm dazu aber nur die Formel einfällt, dass es „bedauernswert und schmerzhaft (ist), wenn Menschen getötet werden“, so ist das aus meiner Sicht eine floskelhafte Relativierung des Leids.

Angesichts des sonstigen Pathos in der Sprache, wirkt auch das nachfolgende Bekenntnis zu den Menschenrechten nicht gerade überzeugend: „In allen monotheistischen Religionen und im Bewusstsein aller aufgeklärter Menschen reiner Natur (?) verdienen das Leben, das Eigentum und die familiäre Sphäre der Menschen mit jeglicher Religion und Rasse und an jedem Ort der Welt hohen Respekt.“ Dass die universellen Menschenrechte unantastbar sind und nicht nur „hohen Respekt“ genießen, lässt sich aus solchen Formulierungen nicht ableiten.
Immerhin könnte man aber auch hier einen Anknüpfungspunkt für einen interkulturellen Dialog sehen, bei dem man zumindest die Belastbarkeit solcher „Bekenntnisse“ zu einem universellen Wertekanon prüfen könnte.

Ahmadinedschad wird vorgeworfen, er leugne den Holocaust. Er spricht das Thema in seinem Brief zwar an, aber er weicht ihm aus, indem er schreibt, er „habe nicht vor, der Frage des Holocausts auf den Grund zu gehen.“ Er unterstellt der Holocaust sei als (bloßer ?) „Vorwand“ zur Erniedrigung und zur Verhinderung der (deutschen) Souveränität benutzt und er sei machtpolitisch instrumentalisiert worden: „Neben dem deutschen Volk sind auch die Völker im Nahen und Mittleren Osten und sogar die Menschheit durch die Thematisierung des Holocausts zu Schaden gekommen.“

Das sind Verdrehungen von Ursache und Folge und Infragestellungen, die auch bei uns als Nazi-Parolen kursieren. Wer mit dem Holocaust nicht als ein singuläres historisches Faktum umgeht sondern ihn als „Vorwand“ abtut, verharmlost diesen Völkermord nicht nur, er verweigert sich der Geschichte und der völkerrechtlichen Ächtung des Genozids.

Diese Verharmlosung und Verweigerung werden von solchen Sätzen belegt: „Durch die Idee der notwendigen Verlegung von Hinterbliebenen des Holocausts nach Palästina hat man eine ständige Bedrohung im Nahen Osten erwirkt.“ Oder: „Wenn die Siegermächte, und vor allem Großbritannien, ein Verantwortungsgefühl gegenüber den Hinterbliebenen des Holocausts hatten, warum haben sie diese nicht in ihre eigenen Länder verlegt? Warum haben sie durch die Antisemitismusdebatte die Hinterbliebenen des Holocausts gezwungen, in das Land anderer Völker auszuwandern? Warum haben sie unter dem Vorwand der Unterbringung von Holocaust-Hinterbliebenen die Juden aus aller Welt dazu bewogen, nach Palästina auszuwandern, so dass heute ein beträchtlicher Teil der Bewohner des besetzten Palästinas nichteuropäische Juden sind?“
Das sind zwar im Nahen Osten verbreitet gestellte Fragen, warum gerade die muslimische Welt durch Abtretung eines (kleinen) Teils ihres Gebietes für den in Europa grassierenden und wütenden Antisemitismus und den von den Deutschen zu verantwortenden Holocaust „büßen“ müsse.
Es sind aber zugleich Fragen, die man als Infragestellung des Staates Israel, als Antisemitismus und als Revanchismus deuten kann und (aus meiner Sicht) verurteilen muss, zu denen man aber argumentativ Stellung nehmen muss.

Was wären sinnvolle Reaktionen darauf?
Ist es damit getan, den Iran – wie es Bush tat – der „Achse des Bösen“ zuzuordnen und ihn in den „globalen Krieg gegen den Terror“ einzubeziehen?
Ist das Verschweigen eines Briefes und die Verweigerung einer Antwort durch die deutsche Bundeskanzlerin eine adäquate Form der Auseinandersetzung mit dem erstarkenden Islamismus?
Hätte man nicht ahnen können, dass Ahmadinedschad seinen Brief an die deutsche Kanzlerin (wie auch seinen Brief an Bush) innenpolitisch zu agitatorischen Zwecken nutzt, um sich innenpolitische Gefolgschaft zu sichern?
Wäre es schon deshalb nicht vernünftiger gewesen, die deutschen Positionen argumentierend dagegen zu stellen? Hätte man nicht dabei auch erläutern können, warum die Existenz Israels gerade zur deutschen „Staatsräson“ (Merkel) gehört und vor allem was man darunter versteht?

Schweigen ist nicht unbedingt eine falsche Antwort, aber es ist keine kluge Antwort. Das iranische Regime hat schon jetzt alles getan, um diese Abfuhr als typischen Ausdruck westlicher Arroganz und Überheblichkeit gegenüber dem Iran und vor allem seinem Volk einzuordnen.
Ist es aber nicht gerade diese Überheblichkeit gepaart mit einem (durchaus realen) Vormachtstreben, allen voran der Vereinigten Staaten, die den Westen und das verbündete Israel immer wieder als Fremdkörper in der arabischen Region wahrnehmen lassen und das dem islamischen Fundamentalismus als Gegen-Konfrontation immer neue Nahrung gibt und in diesen Ländern den (durchaus vorhandenen) politischen Widerstand gegen ein Regime, wie das von Ahmadinedschad schwächt.

Diplomatie heißt eben reden, statt Waffen sprechen zu lassen.


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