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Titel: Der DGB hat nicht mehr alle Tassen im Schrank
Datum: 16. März 2013 um 11:47 Uhr
Rubrik: Agenda 2010, Gewerkschaften, Hartz-Gesetze/Bürgergeld, Wettbewerbsfähigkeit
Verantwortlich: Albrecht Müller
Als so genannter „Klartext“ erschien am 15. März ein Blatt des DGB zur Agenda 2010 [PDF – 130 KB]. Darin stand einiges Lesenswerte, aber der Gesamttenor ist eigentlich unglaublich. Die Überschrift lautet: „Höhere Löhne: Keine Gefahr für Wettbewerbsfähigkeit“. Auch der Text ist in Bezug auf die verteilungspolitisch und ökonomisch gebotenen Lohnerhöhungen ausgesprochen defensiv. Am Ende des Textes werden Zukunftsinvestitionen zur Stabilisierung der Konjunktur gefordert und angemerkt: „Das ist für die Krisenländer, aber auch für uns gut. Zum anderen gefährdet ein höheres Lohnniveau unsere Wettbewerbsfähigkeit und Exportchancen nicht.“ „Unsere Wettbewerbsfähigkeit“ und „Exportchancen“ – das sind die Sorgen der Gewerkschaften in der jetzigen Situation. Das ist sachlich nicht zu rechfertigen. Die Verantwortlichen des DGB haben offenbar nicht verstanden, dass die auseinanderklaffende Lohnentwicklung und damit auch ihre eigene defensive Lohnpolitik mitverantwortlich sind für die Krise in Europa. Die Agenda 2010 ist einer der Hauptverursacher der Euro-Krise. Das und einiges mehr müssten DGB und Einzelgewerkschaften zu den Zehnjahresfeiern der Agenda 2010 sagen: Von Albrecht Müller
Zum Beispiel müssten DGB und Einzelgewerkschaften in ihren Texten und Reden erklären:
Mit den Harz IV Reformen sind nicht nur die Arbeitslosen getroffen worden; die Arbeitenden sind wegen der willentlichen Zerstörung einer intakten Arbeitslosenversicherung massivem Druck ausgesetzt worden; ihnen ist der Schneid abgekauft worden. Das Ergebnis: weiter stagnierende Reallöhne, prekäre Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit. Der Architekt Gerhard Schröder rühmt sich des Aufbaus des „besten Niedriglohnsektors“. Und die konservativen, neoliberal eingefärbten Kräfte freuen sich darüber, dass die Sozialdemokraten die Drecksarbeit dieser arbeitnehmerfeindlichen Politik übernommen haben.
Die noch gravierendere und gefährliche Folge dieser Politik des Lohndumping: Die europäische Einigung auf eine gemeinsame Währung ist in höchster Gefahr, weil auch dank der stagnierenden Löhne in Deutschland der Gleichschritt der Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Euro-Volkswirtschaften unmöglich gemacht wurde. Deutschland exportiert seine Arbeitslosigkeit zu den Völkern der Euro Partner und zwingt diese jetzt auch noch mitten in der Krise zu ähnlich schlimmen Reformen.
Es ist allerhöchste Zeit, die Löhne in Deutschland deutlich steigen zu lassen. Das ist die Verantwortung der Tarifpartner wie auch der Politik. Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft muss durch steigende Masseneinkommen an die Wettbewerbsfähigkeit unserer Partnerländer angepasst werden. Das kommt allen zugute: den abhängig Arbeitenden bei uns und bei unseren Freunden in Europa. Die Solidarität unter den abhängig Arbeitenden Europas wie auch die ökonomische Vernunft verlangt dringend diese wirtschaftspolitische Linie. Wir müssen die Krise in Europa dringend und schnell überwinden, wenn wir die Gefahr für Demokratie und Frieden bannen wollen.
Eine solche Politik liegt auch im Interesse der Unternehmen, die im wesentlichen für den heimischen Markt arbeiten. Sie sind dringend auf einen Anstieg der Massenkaufkraft in Deutschland angewiesen.
So müssten Gewerkschafter reden und schreiben. Stattdessen ihr zaghafter Umgang mit der arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindlichen Agenda 2010 – sichtbar am zitierten Flugblatt.
Dass dieses Flugblatt von aktiven Gewerkschaftern verteilt wird, können wir uns eigentlich nicht richtig vorstellen.
Dass der DGB die im Flugblatt Klartext erkennbare Linie fährt, ist sachlich nicht zu begreifen.
Vielleicht hat sich der DGB Vorsitzende Michael Sommer schon so sehr in die Denkweise seiner politischen Lieblingspartnerin Angela Merkel versetzt, dass ihm die für den DGB nahe liegende Linie einer offensiven Lohnpolitik – im Interesse der vertretenen Arbeitnehmer und im Interesse Europas – nicht mehr einfällt.
Vielleicht ist diese Linie auch Ergebnis der Macht jener Einzelgewerkschaften, die nur noch auf Export versessen sind.
Oder vielleicht fühlt sich der DGB nicht frei zur notwendigen Kritik der Agenda 2010, weil auch Gewerkschafter an den Elementen der Agenda 2010 mitgearbeitet haben, zugegebenermaßen oft wegen des Versuchs, Schlimmeres zu verhüten.
P.S.: Dass auch für diesen „Klartext“ das Vorstandsmitglied Claus Matecki verantwortlich zeichnet, ist merkwürdig. Von ihm sind wir bisher besseres gewöhnt.
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