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Titel: Dringend gesucht: Ein/e Stifter/in für eine gemeinnützige Stiftung zur Recherche von Fällen politischer Korruption
Datum: 7. März 2013 um 17:13 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufbau Gegenöffentlichkeit, Lobbyismus und politische Korruption, Stuttgart 21
Verantwortlich: Albrecht Müller
Am 5.3. ist vom Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG entschieden worden, am Bau von Stuttgart 21 festzuhalten. Gegen alle Vernunft: die Kosten sind schon enorm gestiegen, sie werden weiter steigen; der Bahnhof wird weniger leistungsfähig als bisher behauptet; das Projekt rentiert sich für die Bahn nicht, verkehrspolitisch insgesamt sowieso nicht. Die wahren Gründe für den Weiterbau kennen wir nicht. Nach meiner Einschätzung ist wie bei der Umstellung auf die private Altersvorsorge und bei der Kommerzialisierung des Fernsehens und bei vielen Privatisierungs- und ÖPP-Projekten politische Korruption im Spiel. Die Rechercheure in den Fällen Schavan und Guttenberg wie auch die Macher von Wikileaks haben bewiesen, dass mit konsequenter Recherche Licht ins Dunkel gebracht werden kann. Von Albrecht Müller
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Im konkreten Fall von Stuttgart 21 würde es darum gehen zu recherchieren, welche Beziehungen die Befürworter wider alle Vernunft, also zum Beispiel die Aufsichtsräte oder die hartnäckigen Befürworter an der Spitze der SPD in Baden-Württemberg, zu den Profiteuren des Projektes haben – etwa zur Bauwirtschaft, zu den Immobilienverwertern, usw. Es wäre zu recherchieren, wie die Parteienfinanzierung in Baden-Württemberg aussieht, konkret, wer bekommt von wem wie viel Geld. Das beträfe auch die CDU, die Grünen, die FDP – nicht nur die SPD.
Es wäre zu recherchieren, in welchem Beziehungs- und Interessengeflecht die Aufsichtsräte der Deutschen Bahn stecken, die am 5.3.2013 dem Projekt Stuttgart 21 erneut ihren Segen erteilt haben. Es wäre dabei auch zu untersuchen, wie die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zu ihrem Ja zu einem inzwischen sichtbar unrentablen Projekt der Bahn gekommen sind. Wenn die Deutsche Bahn AG dieses Fass ohne Boden immer wieder füllen will, dann wird nämlich in anderen Bereichen der Bahn das Geld fehlen. Das ist verkehrspolitisch problematisch, es ist aber auch tarifpolitisch belastend. Wie kommen die Kolleginnen und Kollegen der Bahngewerkschaft und die sonstigen Vertreter der Arbeitnehmer zum positiven Votum vom 5. März? Wie sehen ihre Kolleginnen und Kollegen außerhalb Stuttgarts diese einseitige Konzentration von Mitteln ihres Unternehmens auf ein fragwürdiges Projekt? Wie erklären sie die Zustimmung ihrer Vertreter im Aufsichtsrat? Usw.
Dieser eine Fall Stuttgart 21 zeigt schon, wie groß der Untersuchungsbedarf bei solchen politischen Entscheidungen ist. Von einzelnen Journalisten oder oppositionellen Abgeordnete ist kaum zu erwarten, dass sie diese Recherchearbeit leisten. Deshalb die Idee zur Gründung einer Stiftung. Sie könnte einen großen Beitrag zum Kampf gegen die politische Korruption und damit zur Verbesserung der Qualität politischer Entscheidungen leisten.
Stuttgart 21 ist nur ein Fall von Dutzenden, wo zur Aufdeckung politischer Korruption eine gründliche und umfassende Recherche notwendig wäre:
Wenn es schon Ende der neunziger Jahre den Willen und die Mittel zur Untersuchung von Fällen politischer Korruption gegeben hätte, dann hätte man schon damals aufmerksam beobachten können, welches die Motive des Chefs des Finanzdienstleisters AWD Maschmeyer zur Unterstützung Gerhard Schröders bei der Landtagswahl in Niedersachsen waren, wie es dann zur Entscheidung für die Riester-Rente kam, was Riester davon profitiert hat. Man hätte untersuchen müssen, welches die Motive und Schachzüge der Professoren Rürup und Raffelhüschen in der Rürup-Kommission waren. Man hätte verfolgen müssen, welche Rolle Biedenkopf und Miegel bei der Vorbereitung zur Privatisierung der Altersvorsorge spielten usw.
Dann hätte man bei vielen Unternehmen prüfen können, wer und wie von der betrieblichen Altersvorsorge profitiert, wie zum Beispiel die vielen Verträge der Allianz AG mit Unternehmen zu Stande kamen. Schließlich gab es schon sehr früh einen Fingerzeig auf die praktische Korruption, als ruchbar wurde, dass der Betriebsratsvorsitzende von Iveco vom Abschluss eines Vertrages zur betrieblichen Altersvorsorge profitiert hat.
Schon alleine dieses eine Thema zeigt, wie groß das Feld ist, das zur Untersuchung von Korruptionsvorgängen beackert werden müsste.
Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte sich bis zum Ende seiner Regierungszeit im September 1982 geweigert, öffentliche Mittel für die Vermehrung der Fernsehprogramme und ihre Kommerzialisierung bereitzustellen. Mit der Wende zu Bundeskanzler Helmut Kohl und seinem damaligen Fernmelde- und Postminister Schwarz-Schilling wurden alle Schleusen geöffnet und öffentliches Geld in die Kommerzialisierung der elektronischen Medien gesteckt. Das waren öffentliche Investitionen vor allem zu Gunsten der beiden Betreiber des Kommerzfernsehens: Bertelsmann mit der RTL Gruppe und Leo Kirch mit Sat 1/ProSieben. Jahre später, im Jahr 1997, wurde ruchbar, dass Helmut Kohl, Schwarz-Schilling, sein Nachfolger Bötsch und eine Reihe anderer Politiker Beratungsverträge mit Leo Kirch über mehrmals 800.000 bzw. 300.000 DM hatten.
Das war ein herausragender Akt politischer Korruption. Die politische Entscheidung zur massiven Förderung privater Interessen und zu einer sehr fragwürdigen Veränderung unseres Landes hin zu immer mehr Kommerz, wurde den verantwortlichen Politikern nachträglich entgolten. Es ist ein typischer Fall von Drehtüreffekt: Im Amt werden politische Entscheidungen zu Gunsten von Privaten getroffen. Diese werden anschließend – im konkreten Fall mit großem zeitlichen Abstand – entgolten.
Dieser Vorgang hätte dringend der Untersuchung und der Veröffentlichung bedurft. Eine Stiftung zur Untersuchung und zum Kampf gegen die politische Korruption hätte beides massiv tun müssen: die Recherche und die Herstellung von Öffentlichkeit dieses Vorgangs.
Auch eine konkrete Spätwirkung bedürfte der Untersuchung: Wie kommt es zum Engagement von Edmund Stoiber für SAT 1/ProSieben und insbesondere zu seinem Vorschlag, Stefan Raab in die Kanzlerkandidatenrunde des Fernsehens für die Bundestagswahl 2013 einzuschleusen?
In den neunziger Jahren zu Kanzler Kohls Zeiten und dann nach 1998 bei Gerhard Schröder und Angela Merkel wurden die Steuern für Unternehmen massiv gesenkt bzw. gestrichen: Wegfall der Gewerbekapitalsteuer, Streichung der Vermögensteuer, Senkung der Körperschaftsteuer, Senkung des Spitzensteuersatzes. Was haben die Verantwortlichen für diese massive und aus meiner Sicht unverantwortliche Steuersenkung bekommen?
Bundeskanzler Schröder hat die Auflösung der Deutschland AG propagiert, so nannte er die massive steuerliche Erleichterung für den Verkauf von Beteiligungen einzelner Unternehmen und Banken an anderen Unternehmen bzw. Finanzgruppen. Infolgedessen sind mehrere 1000 deutsche Unternehmen und Kapitalbeteiligungen verkauft worden – meist mit unmittelbaren und mittelbaren Folgen für die Beschäftigten dieser Unternehmen. Typische Beispiele sind Märklin, Beiersdorf, Boss. Wer von den involvierten Politikerinnen und Politikern hat wie von diesen Entscheidungen profitiert?
Die Steuerbefreiung beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen gibt es immer noch – eine unverständliche Zurückhaltung der Politik in einer Zeit, wo alle Welt von Sparen und Konsolidierung der öffentlichen Haushalte redet. Warum gibt es diese Steuerbefreiung immer noch?
Im letzten Jahrzehnt sind die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen worden, dass in Deutschland die Leiharbeit und der Niedriglohnsektor messbar ausgebaut wurden. Wie sind diese Entscheidungen zu Stande gekommen? Wer war dafür verantwortlich und wer hat davon profitiert? Wir wissen, dass der Superminister für Wirtschaft und Arbeit Wolfgang Clement an den Entscheidungen beteiligt war und dass er nach seiner Amtszeit für eine der größten Leiharbeitsfirmen tätig ist. Aber wir würden gerne zu seinem Wirken und zum Wirken anderer Personen mehr wissen.
Sie liegt auch 10 Jahre später noch ziemlich im Dunkeln.
Welche Rolle spielte der damalige Bundesfinanzminister und heutige Spitzenkandidat der SPD Peer Steinbrück?
Im Zuge der Tendenz, öffentliche Einrichtungen zu privatisieren kam man zur Überwindung erkennbaren Widerstandes gegen Privatisierung auf die Idee, die Privatisierung zunächst in öffentlich-privaten Partnerschaften zu propagieren und zu betreiben. Dazu wurde eine eigene Stelle im Bundesministerium für Verkehr und Bau eingerichtet. Wer war dafür verantwortlich? Wer hat zu diesem Zweck kooperiert und geschmiert?
Wie kam es zur beschleunigten Durchsetzung des so genannten ÖPP-Beschleunigungsgesetz noch kurz vor dem Wahltermin im Jahr 2005?
Nur ein kleines Detail aber ein Fingerzeig vermutlich auch für andere Fälle: Unternehmensberater Roland Berger ist nicht nur Unternehmensberater, sondern auch Profiteur der Privatisierung von Kliniken. Siehe hier.
Hier wären konkrete Fälle zu untersuchen gewesen oder noch zu untersuchen: die Teilprivatisierung der Wasserversorgung in Berlin zum Beispiel, die Privatisierung der Eisenbahnerwohnungen zum Beispiel, die Privatisierung der Wohnungen der Stadt Dresden, die Privatisierung von EnBW und die Wiederübernahme in öffentliche Regie, die Absicht, die Deutsche Bahn AG zu privatisieren.
Die Privatisierung der Wasserversorgung in Berlin ist ein besonderes Beispiel für die Notwendigkeit, Kapazität zur Untersuchung und zur Herstellung einer breiteren Öffentlichkeit von solchen Vorgängen möglich zu machen. Die Privatisierung war damals nämlich der öffentlichen Beurteilung entzogen durch den geschickten Schachzug, die Verträge zur Geheimsache zu erklären.
Eine interessante Einzelheit in diesem Zusammenhang: wer sind die großen Privatisierungsinteressenten? Welche Rolle spielt die französische Gesellschaft Violia, die sowohl bei der Privatisierung der Wasserversorgung als auch bei der Privatisierung von Schienenverkehr im Spiel ist? Hat dieses Unternehmen Einfluss auf die Partei der Grünen? Welchen? Wer sind die PR-Berater dieses Unternehmens und wie sind sie mit wichtigen Medien vernetzt?
Wer sind die Profiteure? Wer ist für die politischen Entscheidungen verantwortlich und vermutlich Profiteur der Entscheidungen?
Inwieweit steckt die Rüstungsindustrie und/oder die NATO hinter Out of area Einsätzen der Bundeswehr?
Was und wer steckt hinter der jährlich stattfindenden Münchner Sicherheitskonferenz? Wer hat über die öffentliche Förderung dieser privaten Konferenz entschieden?
Information und Überblick über große und einflussreiche politische Public-Relations-Agenturen. Welche früher aktiven Politiker sind dort mit integriert und verdienen Geld an der Nutzung ihrer früheren Kontakte und Tätigkeit? Der so genannte Drehtüreffekt.
Einfluss der Public Relations-Berater auf Talkshows und ihre Besetzung
Das waren jetzt 15 Beispiele für die Notwendigkeit der Recherche und der Publizität von vermuteten bzw. belegten Vorgängen politischer Korruption. Der Katalog ließe sich ohne Schwierigkeiten um eine große Zahl weiterer Beispiele erweitern.
Wir sollten die Untersuchung, die Analyse und die Herstellung von Öffentlichkeit über solche Vorgänge nicht weiter dem Zufall überlassen. Eine Stiftung könnte mit einem kleinen Stab von fest angestellten Koordinatoren und mithilfe von ehrenamtlichen oder zum Teil bezahlten Rechercheuren eine große Wirkung entfalten. Die Recherchen im Fall Schavan und Guttenberg haben gezeigt, welche großartigen Leistungen möglich sind.
Stiftungen werden heute in der Regel für harmlosere Belange gegründet, das ist klar. Aber vielleicht finden sich unter reichen Deutschen doch noch Menschen, deren gesellschaftspolitisches Engagement nicht abgestorben ist. Jedenfalls wäre die skizzierte Offenlegung von politischer Korruption eine Aufgabe mit hoher Brisanz. Es ist eine Aufgabe für mutige Stifter.
Vielleicht kennen Sie solche Menschen. Dann geben Sie den Tipp bitte weiter. Wir NachDenkSeiten-Macher würden mit Ideen und Hinweisen helfen.
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